Deutscher Apothekertag 2009

Nicht in Stein gemeißelt

Klaus G. Brauer

Professor Dr. Martin Schulz, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheken (AMK), hat im Vorfeld des Apothekertags eine aufschlussreiche Studie vorgelegt. Demnach lassen sich bei fast jedem fünften Selbstmedikationswunsch, mit dem ein Patient eine Apotheke vor Ort aufsucht, arzneimittelbezogene Probleme ("ABP") identifizieren – und weitgehend auch lösen. Hochgerechnet kommt man pro Tag auf über 300.000 arzneimittelbezogene Probleme, denen die Apotheker tagtäglich auf die Spur kommen – Probleme, die sie vor Ort durch Interventionen (z.B. Beratung, Auswahl eines anderen Arzneimittels oder Arztverweis) zu über 90% auch lösen können.

Zu den wichtigsten "ABP" (knapp 30%) gehört, dass sich im Gespräch herausstellt: Selbstmedikation in diesem Fall ungeeignet. Der Patient gehört zum Arzt. An zweiter Stelle steht die Feststellung, dass das gewünschte Präparat im konkreten Fall ungeeignet ist (rund 20%). Dass dem Apotheker eine zulange Anwendungsdauer (bis zum Missbrauch) auffällt (gut 17% der ABP), gehört ebenso zu den identifizierten Probleme wie falsche Vorstellungen über Dosierungen, Kontraindikationen und Wechselwirkungen.

Eine ähnliche Studie mit verschreibungspflichtigen und verschriebenen Arzneimitteln steht dem Vernehmen nach kurz vor der Publikation. Auch dort wurde sichtbar, dass in rund 20% der Fälle arzneimittelbezogene Probleme auftraten, die in der Apotheke vor Ort identifiziert und weitgehend gelöst werden könnten.

Was lernen wir daraus? Die meisten der Probleme würden einer Versandapotheke nie erkannt, nicht eingegrenzt und nicht gelöst werden können. Der wesentliche Grund ist. Es fehlt ein unmittelbarer Kontakt, der viele Fragen erst aufwirft – selbst in den Ausnahmefällen, in denen z.B. ein Angehöriger, und nicht der Patient selbst, in die Apotheke kommt. Fragen, die in Versandapotheken situationsbedingt gar nicht erst hochkommen, erfordern dort auch kein qualifiziertes Personal, um sie zu beantworten. Das macht verständlich, warum Versandapotheken in der Lage sind, mit einer minimalen Ausstattung an Apothekern große Zahlen an Bestellern abzufertigen.

Logische Folge der Studie zum Einsatz von Selbstmedikationsarzneimitteln wäre, diese Arzneimittelgruppe nicht anders einzustufen als verschreibungspflichtige Arzneimittel. Für beide wäre ein Verbot des Versandhandels zu fordern. Die ABDA zuckt davor zurück. Denn eine solche Forderung stünde im Widerspruch zum Diktum des Europäischen Gerichtshofes. Er hatte im Dezember 2003 entschieden, nur für verschreibungspflichtige Arzneimittel sei ein Versandverbot zulässig – nicht aber für nicht verschreibungspflichtige. Die Entscheidung kann aber nicht so in Stein gemeißelt sein, dass der Politik verboten wäre, sie im Lichte neuerer Erkenntnisse noch einmal auf den Prüfstand zu stellen. Eine Überprüfung der Entscheidung muss nicht nur zulässig sein - sie ist, denke ich, auch fällig.

Die Argumente, die für die Zulassung des Arzneimittelversandhandels angeführt werden, sind und bleiben an den Haaren herbeigezogen. Sie werden auch durch Wiederholung nicht richtiger. Chronisch Kranke, die in ihrer Mobilität gehindert sind, seien auf den Versandhandel angewiesen, um an ihre Medikamente zu kommen - so heißt es z. B. immer wieder. Staatssekretär Schröder hat diese Karte auf dem Apothekertag erneut gezogen. Unsinn: Man wird sich schwer tun, selbst nach langen Suchen eine Situation vorzufinden, wo sich nicht eine Apotheke in der Nähe findet, die noch am gleichen Tag benötigte Arzneimittel bis ans Krankenbett liefert. Behauptet wird auch, jede Versandapotheke müsste ja zugleich auch eine öffentliche Apotheke sein, die zu Nacht- und Notdienst verpflichtet sei. Es gebe also keine Wettbewerbsverzerrung. Auch das ist Unsinn: Im Notdienst stehen Versandapotheken allenfalls für Kunden zur Verfügung, die im Umfeld ihres Standortes wohnen. Entfernt wohnende Versenderkunden müssen sich im Notdienst von Apotheken in ihrem Wohnumfeld versorgen lassen, um die sie sonst einen Bogen machen.

All das zeigt: Der Versandhandel mit Arzneimitteln ist nötig wie ein Kropf. Und er untergräbt langfristig zuerst die Bereitschaft, letztlich aber auch die Fähigkeit der Vor-Ort-Apotheken, Gemeinwohlpflichten zu übernehmen, die Versandapotheken nicht abverlangt werden oder denen sie sich elegant entziehen können.

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