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Startschuss ist gefallen: Basis-Rollout der eGK läuft an
"Die Stimmung in den Arztpraxen ist verhalten kritisch", beurteilt Ruth Bahner von der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein die Lage. Zwar haben sich die Bedenken der niedergelassenen Ärzte in den langen Testphasen nach und nach abbauen lassen. Vor allem aber das Thema Datenschutz und die Sicherung der sensiblen Patientendaten sorgen in der Ärzteschaft weiterhin für Diskussionen.
Horst Schumacher von der Ärztekammer Nordrhein bringt die Sorgen auf den Punkt: "Das Arztgeheimnis als Kernbestand des Verhältnisses zum Patienten darf nicht angetastet werden." Eine Umfrage des Allensbacher Institutes für Demoskopie förderte jüngst ein gespaltenes Echo zutage: 51 Prozent der im Auftrag der Vermögensberatung MLP befragten 500 Ärzte lehnten die Einführung der eGK ab, 38 Prozent votierten dafür. Klarer noch war das Stimmungsbild bei den niedergelassenen Ärzten: 73 Prozent sprachen sich gegen die Chipkarte aus, nur jeder Fünfte akzeptiert die neue Technik. Wichtigster Grund für die skeptische Haltung: Die umständliche Handhabung der eGK: Die neuen Lesegeräte arbeiten langsamer. Die Eingabe der PIN-Nummer verzögert den Praxisablauf.
Ärztebeirat soll Probelauf begleiten
Um die Bedenken der Mediziner besser in die weitere Planung einbeziehen zu können, wurde in der Testregion Essen/Bochum ein ärztlicher Beirat eingerichtet. Dort sollen im 1. Quartal 2010 in einem Massentest die nächsten Anwendungen der Chipkarte auf Alltagstauglichkeit erprobt werden: Die umstrittene Online-Anbindung der Arztpraxen zur Aktualisierung der auf der eGK gespeicherten Patientendaten, der elektronische Arztbrief und das elektronische Rezept. Der neue Ärztebeirat soll den Probelauf in Essen/Bochum nicht nur permanent begleiten, sondern den Sorgen und Alltagsproblemen der Praxen Gehör verschaffen. Trotz dieses Fortschritts sieht Schumacher aber immer noch Akzeptanzprobleme bei vielen niedergelassenen Ärzten: "Einige Praxen klagen nach wie vor über Behinderungen im Praxis-Alltag."
"Sehr gut gelaufen" ist nach Aussage von Annette Scholz, Sprecherin des für die Testregion Essen/Bochum zuständigen Projektbüros e-Gesundheit.nrw, der Einsatz der eGK in den 15 beteiligten Apotheken. Nach anfänglichen Problemen mit der Abstimmung der Software lief der Einsatz der eGK mit elektronischen Rezepten reibungslos. Für die Apotheken habe dies zu keinem zusätzlichen Aufwand geführt. Im Gegenteil: "Das elektronische Rezept bietet erhebliche Vorteile", so Scholz. Die Datensicherheit sei nicht nur höher, ein elektronisches Rezept könne zudem nicht verloren gehen.
Finanzierungsfrage für Apotheken noch offen
Laut Peter Szynka, Sprecher des Apothekerverbandes Rheinland, begleitet der Verband den Roll-Out der eGK in der Region Nordrhein "kritisch". In der Einführungsphase seien die Apotheken noch nicht betroffen. Wann das elektronische Rezept in die Apothekenalltag Einzug hält, steht noch in den Sternen. Vor einer flächendeckenden Installation von Lesegeräten in Apotheken müsse zunächst die Finanzierungsfrage geklärt werden. Dazu seien mit den Krankenkassen noch keine Verhandlungen geführt worden. Auf keinen Fall dürfe auf die Apotheken nach den Rabattverträgen zusätzliche Bürokratie zukommen, forderte Szynka.
Ungeachtet aller Hindernisse schreitet der Einzug der neuen eGK-Lesegeräte in die Praxen der Region Nordrhein dennoch voran. Ruth Bahner von der KV Nordrhein schätzt, dass inzwischen gut die Hälfte der 18.000 niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten neue Lesegeräte installiert haben. Geholfen hat dabei die Klarstellung, dass mit der Installation der neuen Lesegeräte keineswegs die Einwilligung verbunden ist, später an der Online-Anbindung automatisch teilzunehmen. "Das ist und bleibt die freiwillige Entscheidung der Ärzte", versichert Bahner. Wochenlang hatten unterschiedliche Informationen zu diesem wichtigen Punkt für Verwirrung gesorgt.
1020 Euro für Ärzte
Circa 35 Prozent der Praxen haben zum Kauf der neuen Geräte die mit den gesetzlichen Krankenkassen vereinbarte Pauschale in Höhe von 1020 Euro in Anspruch genommen. 430 Euro zahlen die Kassen für das stationäre Lesegerät, 375 Euro für die mobile Einheit etwa für Hausbesuche und 215 Euro als Installationspauschale. Aber nur noch bis zum 31. Oktober. Die Fristsetzung soll das Tempo der Umstellung beschleunigen.
Zwischen rund 20 Geräteanbietern können die Ärzte wählen. Rund 750 Ärzte und Psychotherapeuten besuchten am 22. August und 2. September Messen im Haus der Ärzteschaft und der Bezirksstelle Köln, um sich über den sogenannten Basis-Rollout zu informieren und die neuen Lesegeräte anzuschauen. Nicht nur die Technik gibt bei der Wahl den Ausschlag: "Wichtig für meine Praxis mit vielen älteren Patientinnen ist, das die Tastatur und Display groß sind und die Geräte bei der PIN-Eingabe nicht verrutschen", beschreibt etwa Dr. Claudia Golinski, Frauenärztin aus Wermelskirchen andere Aspekte.
Neue Karte mit Passbild
Die neue Karte unterscheidet sich zunächst nur durch ein Passbild des Versicherten von der bisherigen Krankenversichertenkarte. Außerdem hat der eingesetzte Prozessorchip einen erweiterten Speicher, der künftig die Notfalldaten oder eine individuelle Patientenakte aufnehmen kann. In allen Fällen entscheidet der Versicherte, welche Daten gespeichert werden, wer sie auslesen und verändern darf. Zunächst werden allerdings auf der eGK nur die bisher schon auf der Patientenkarte vorhandenen Daten gespeichert: Name, Adresse, Krankenkasse und Versichertennummer. Wann die nächsten Schritte folgen, ist völlig offen: Die Online-Anbindung der Praxis mit den Krankenkassen zum Datenaktualisierung etwa bei Adress-Änderung oder Kassenwechsel wird erst in der Region Essen/Bochum getestet. Die Speicherung von Notfalldaten, die elektronische Krankenakte oder das elektronische Rezept sind noch nicht einmal am Zeithorizont absehbar.
Nicht nur den Chef der Techniker Krankenkasse TK in NRW, Günter van Aalst, führt die eGK zu "mehr Datenschutz, mehr Versichertennutzen und mehr Wirtschaftlichkeit". Auch die KV Nordrhein weist unermüdlich auf die Vorteile hin: "Die neue eGK ist viel sicherer als die alte Patientenkarte", sagte Ruth Bahner. Die alten Magnetstreifen seien mit jedem herkömmlichen Lesegerät leicht zu entziffern und gegen Datenmissbrauch nicht geschützt. Auf circa eine Milliarde Euro jährlich veranschlagt die KV-Sprecherin den Schaden durch illegale Weitergabe der Karte: "Auf dem Düsseldorfer Bahnhofsvorplatz kann man Patientenkarten jederzeit kaufen." Allein das Passfoto erhöhe bereits den Schutz vor Missbrauch.
Hohes Sicherheitsniveau
Grünes Licht für die eGK gibt zudem der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Peter Schaar: "Die derzeitige Versichertenkarte ist schlechter geschützt als die elektronische Gesundheitskarte. Denn jetzt werden die Daten verschlüsselt." Laut der für die eGK zuständigen Gesellschaft Gematik ist das Sicherheitsniveau so hoch, "dass die besten Rechner schätzungsweise mehrere Milliarden Jahre arbeiten müssten, um sie zu entschlüsseln."
Van Aalst von der Techniker Krankenkasse glaubt daher, dass die eGK am Ende ein Erfolg wird. "In einer repräsentativen Studie gaben drei Viertel der Befragten an, dass so der Kartenmissbrauch zurückgehen wird und sie später von weiteren Anwendungen wie der elektronischen Patientenakte profitieren werden." Die TK setzt auch auf Funktionen wie die Online-Aktualisierung der Versichertendaten. "Dann müssen nicht mehr jährlich allein bei der TK rund 1,4 Millionen Karten wegen einer kleinen Adressänderung ausgetauscht werden."
Dass die eGK online funktioniert, hat sie jüngst bewiesen. Mehr als 4000 Fälle mit rund 1000 Karten wurden in den Testregionen in Bayern, Sachsen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen geprüft. Das Fraunhofer Institut für Sichere Informationstechnologie bestätigte, dass Datenschutz und -sicherheit auf hohem technischem Niveau stattfinden. Die Prüfung, ob ein Patient auch tatsächlich versichert ist, funktionierte genauso wie die Online-Aktualisierung von Versichertendaten. Das Fazit der Gematik: "Die eGK hat ihre ‚Abiturprüfung’ vor der Ausgabe in Nordrhein erfolgreich bestanden."
Stürmische Entwicklung prophezeit
Dr. Walter Döllinger, Staatssekretär im nordrhein-westfälischen Gesundheitsministerium, prophezeit der neuen Technik daher eine stürmische Entwicklung: "Ich bin davon überzeugt, dass wir derzeit im Gesundheitswesen eine Situation haben, die vergleichbar ist mit der Einführung des Internets vor 20 Jahren." Dank der neuen Technik könnten viele Anwendungen künftig online genutzt werden. So wolle die Landesregierung zum Beispiel einen elektronischen Gesundheitspass entwickeln, der unter anderem die Daten aus Impf-, Röntgen- und Mutterpass enthält.
Für die Versicherten ändert sich mit der neuen eGK außer dem Passfoto vorerst allerdings nicht viel. Auch die alten Patientenkarten bleiben bis auf Weiteres gültig. Bis zur noch nicht absehbaren Speicherung sensibler Patientendaten muss sich niemand eine neue, zusätzliche PIN-Nummer merken. Die elektronische Revolution im Wartezimmer hat zwar begonnen. Bis die Nebenwirkungen die Patienten erreichen, wird aber noch viel Zeit vergehen.
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