- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 45/2009
- Kein Licht mehr am ...
Aus Kammern und Verbänden
Kein Licht mehr am Horizont – Therapie von Depressionen
Als Vorsitzende des Fortbildungsausschusses führte Annette van Gessel in das Thema ein. Der großen Anzahl depressiver Patienten steht eine hohe Dunkelziffer gegenüber, da die Symptome relativ unspezifisch sind. Außerdem wies van Gessel auf das Deutsche Bündnis gegen Depression mit vielen regionalen Angeboten hin.
Krankheit mit vielen Symptome
Prof. Dr. Gerd Laux, Inn-Salzach-Klinikum in Wasserburg am Inn, trug zum Thema "Volkskrankheit Depression" vor. Das Krankheitsbild stelle sich recht unterschiedlich dar. Bei einem Teil der Patienten erkenne man die Depression sofort, häufig werde sie aber gut kaschiert; dies wird auch als Patientenmaske oder Dissimulation bezeichnet.
Als Kernsymptome nannte Laux traurige Verstimmung, Veränderungen des Antriebs – meist Antriebslosigkeit, manchmal auch agitierte Ängstlichkeit – sowie körperliche Beschwerden. Hierbei stehen psychosomatische Symptome wie Rücken- oder Kopfschmerzen, Atemnot oder Herzbeschwerden im Vordergrund. Hinzu kommen Interessenverlust, Denkblockaden, Pessimismus und Entscheidungsunfähigkeit. Typisch sind Tagesschwankungen wie das morgendliche Tief, da es sich bei der Depression um eine Störung des Tag-Nacht-Rhythmus handelt. Besonders hoch ist das Suizidrisiko bei Patienten mit Schuldgefühlen, Selbstzweifeln und Hoffnungslosigkeit.
Als Risiken für die Entstehung einer Depression nannte Laux: weibliches Geschlecht, eine positive Familienanamnese, eine bereits vorausgegangene Depression, früher Verlust von Bezugspersonen, schwere Traumen in der Kindheit, bestimmte Persönlichkeitszüge, Stress, Alkohol- oder Drogenabhängigkeit sowie bestimmte neurologische Erkrankungen wie Parkinson. Auch bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Herzinfarkt oder Schlaganfall steigt das Depressionsrisiko. Als weitere Kofaktoren, die in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen haben, erwähnte Laux Autonomieverlust und Fremdbestimmung.
Antidepressiva – sind alle gleich?
Prof. Dr. Walter E. Müller, Pharmakologisches Institut für Naturwissenschaften in Frankfurt am Main, ging in seinem Vortrag der Frage nach, ob Antidepressiva Placebos sind. Den verschiedenen Antidepressiva sei trotz unterschiedlicher Wirkmechanismen gemeinsam, dass sie am ZNS angreifen. Müller formulierte folgende Kernaussagen, die für alle Antidepressiva gelten:
- Sie beeinflussen sowohl die psychischen als auch die somatischen Symptome, deshalb bringen sie auch Schmerzen, Schwindel oder Herzrasen zum Verschwinden.
- Ihre Wirkung setzt nach ein bis drei Wochen ein; die Nebenwirkungen, insbesondere bei den Trizyklika, setzen vielfach bereits vorher ein, gehen bei der Langzeitanwendung aber meist auf ein tolerables Maß zurück.
- Sie wirken alle annähernd gleich stark und rasch.
- Mit ihnen können alle Formen der Depression behandelt werden. Ob sie wirksam sind, hängt vom Patienten ab. Zeigt sich nach einigen Wochen kein positiver Effekt, wird ein anderes Präparat ausprobiert.
Eine Auswahl des Arzneistoffs nach Leitsymptomen hält Müller nur für ein Hilfskonstrukt. Dagegen sei es sinnvoll, für Patienten, die arbeiten oder Auto fahren, einen Wirkstoff mit geringen sedierenden Effekten auszuwählen, und zwar schon deshalb, damit der Patient eine längerfristige Therapie akzeptiert. Es ist also weniger der Wirkmechanismus des Arzneistoffs als die Compliance des Patienten für den Erfolg einer antidepressiven Therapie von Bedeutung.
Apotheker sind Lotsen
Über die pharmazeutische Betreuung depressiver Patienten referierte Apothekerin Dr. Katja Renner. Wenn Patienten wegen Abgeschlagenheit oder Ähnlichem in der Apotheke nach einem Stärkungsmittel oder Johanniskraut fragen, sollte der Apotheker nach weiteren typischen Symptomen fragen wie Antriebslosigkeit, Unlust morgens aufzustehen oder Interessenverlust. Wenn der Patient mehrere Symptome bejaht, hat der Apotheker als Lotse die Verantwortung, ihm einen Arztbesuch anzuraten.
Bei der Erstverordnung eines Antidepressivums sollte der Apotheker dem Patienten auf jeden Fall die richtige Einnahme erklären sowie die Wirkungslatenz und die möglichen Nebenwirkungen ansprechen. Wenn die Nebenwirkungen vor der Wirkung auftreten, sollte der Apotheker dies dem Patienten positiv deuten, nämlich als erstes Anzeichen, dass das Medikament "anschlägt". Bei der Folgeverordnung stehen Verträglichkeit, die notwendige Therapiedauer von mindestens neun Monaten und die Rezidivprophylaxe im Vordergrund der Beratung. Der Apotheker soll den Patienten zur Therapietreue motivieren und den Nutzen der Therapie herausstellen. Er soll Verständnis für die Situation des Patienten haben, dabei jedoch die professionelle Distanz wahren.
Evidenz nur für mittelschwere und schwere Depressionen
Wie Dr. med. Dr. P. H. Stefan Weinmann, Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie in Berlin, berichtete, ist die Anzahl der Antidepressiva-Verordnungen von 2007 bis 2009 um zehn Prozent gestiegen, was dem Trend seit 1999 entspricht. Zur Wirksamkeit von Antidepressiva stellte Weinmann verschiedene klinische Studien vor und machte auf deren methodische Probleme aufmerksam: Viele Studien wurden mit hochselektionierten Patientenkollektiven durchgeführt, und häufig war die Studiendauer zu kurz angelegt; hinzu kommt der Publikations-Bias (Studien mit negativen Ergebnissen werden oft nicht publiziert). Weinmann prognostizierte, dass die Verordnungszahlen weiter ansteigen. Während die Therapie schwerer Depressionen mit Antidepressiva auf Evidenz beruhe, gelte dies für die Therapie leichter Depressionen nicht.
Zu wenig Verhaltenstherapie
In der Podiumsdiskussion, die Dr. Klaus G. Brauer moderierte, wurde nochmals die Frage diskutiert, ob der antidepressive Effekt tatsächlich unabhängig vom Wirkungsmechanismus sei. Sowohl Prof. Müller als auch Dr. Weinmann bestätigten dies. Beide Experten stimmten darin überein, dass auch die qualitätsgesicherte kognitive Verhaltenstherapie bei leichten und mittelschweren Depressionen erfolgreich sein könne. Leider gebe es aber nur wenige gute Therapeuten. Deshalb seien Tabletten allein zwar nicht die optimale Lösung, aber, so Müller, besser als gar keine Therapie.
Dr. Constanze Schäfer
Internet |
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.