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Von Angesicht zu Angesicht

Peter Ditzel

Der Apothekenmarkt ist einfach begehrenswert. So begehrenswert, dass es immer wieder Vorstöße von Außenstehenden gibt, an diesem Markt teilhaben zu wollen. Gerade für Nichtapotheker, die das Vorschriften- und Bürokratiepaket, das eine Apotheke erfüllen muss, nicht sehen (wollen), sieht er verlockend aus: In der Apotheke werden leicht zu handelnde Produkte verkauft, die eine aus Sicht von Lebensmittel- und Drogeriehändlern komfortable Marge erzielen. Was will man mehr.

dm versucht zu zeigen, wie leicht es ist, mit Arzneimitteln umzugehen – durch die Pick-up-Kooperation mit der Europa Apotheek in Venlo. Selbst ein Textiliendiscounter (NKD) schlägt das Angebot der Versandapotheke medpex nicht aus und bietet eine Arzneimittelabholstelle für den Versender in seinen Räumen an. Unglaublich, in welch niedrigen Gefilden sich die Arzneimittelversorgung in Deutschland derzeit bereits bewegt. Dabei haben wir in Deutschland ein engmaschiges Netz an Apotheken. Selbst wenn auf dem flachen Land die nächste Apotheke mal ein paar Kilometer weg sein sollte, könnte die Arzneiversorgung heute ordentlich über eine richtige Rezeptsammelstelle bewerkstelligt werden, bei der die Apotheke die Arzneimittel abends oder am nächsten Tag zustellt. Pick-up-Stellen bei dm, NKD, Shell und wo es sie sonst noch geben mag, bei denen die Beratung auf der Strecke bleibt, sind überflüssig.

Aber nicht nur Fachfremde wollen Arzneiabgabestellen außerhalb von Apotheken ausbauen. Auch Apothekerinnen und Apotheker versuchen, ihren Wirkungskreis über die Apotheke und die Apothekenräume hinaus zu erweitern. Zum Beispiel ein Kollege in Niederbayern, der selbst Pick-up-Stellen in Edeka-Märkten der umliegenden einige Kilometer entfernten Dörfer errichtet. Der Kunde wirft im Lebensmittelladen sein Rezept und/oder einen Bestellschein für seine OTC-Arzneimittel in einen kleinen Briefkasten und am nächsten Tag kann er seine Waren abholen und an der Supermarktkasse bezahlen. Der Apotheker, der diese Pick-up-Stellen betreibt, sei zwar selbst gegen die se Form der Arzneimittelversorgung, so heißt es in einem Bericht, aber immer mehr Menschen kauften Arzneimittel in (ausländischen) Versandapotheken oder bei Schlecker- und dm-Kooperationsapotheken. Hier gebe es keine Kundenberatung. Er dagegen lege ein Infoblatt in die Abholtüte, das über die Einnahme, Wechsel- und Nebenwirkungen informiere und auf die telefonische Beratung aufmerksam mache.

Ein anderer Kollege, der sichtlich die Beratung noch stärker herausstellen will, hat die Idee eines Architekten aufgegriffen, eine virtuelle Offizin in einem Raum (Box) einer Sparkasse einzurichten. Virtuell bedeutet, dass der Kunde, der sich in den vier mal vier Meter abschließbaren Raum begibt, per Videokonferenz mit der wenige Kilometer entfernten Apotheke Kontakt aufnimmt: der Apotheker oder eine PTA erscheinen auf einem großen Bildschirm, man kann miteinander kommunizieren, das Rezept kann per Scanner übertragen werden, bezahlt wird per EC-Karte und die Arzneimittel werden per Bote ausgeliefert. Sicher, dies ist eine Lösung, die nah dran an der Realität ist. Fragt sich nur, ob Oma Erna sich gern vor einen Videoscreen setzt und dem virtuell anwesenden Apotheker ihre Fragen stellt. Vorstellbar wäre dies allenfalls in einem entlegenen Bergdorf, wenn die Apotheke nur schwer erreichbar ist. Aber im Vorort einer größeren deutschen Stadt?

In diesem Zusammenhang bleibt es auch spannend, wie sich die unendliche Geschichte der Visavia-Automaten zwischen Verbot, Erlaubnis und Teilerlaubnis (nur für OTC) weiterentwickeln wird. Auch hier tritt ein Apotheker über Bildschirm mit dem Kunden in Kontakt, das Rezept wird gescannt. Der Unterschied zur Box-Lösung: der Kunde erhält seine Waren hier sofort über einen Kommissionierer, während er die Arzneimittel vom "virtuellen Apotheker in der Box" erst später gebracht bekommt.

Egal, welche Möglichkeiten der Arzneimittelversorgung und Modelle, wie man die Aushändigung in der Offizin umgeht, sich Apotheker, Möchte-gern-Arzneimittelhändler, Drogerieketten oder Hardware-Firmen ausdenken: schon in naher Zukunft könnte es sein, dass es neue Regeln für die Arzneimittelabgabe geben wird. Zum einen scheint unsere neue Bundesregierung wirklich entschlossen zu sein, Pick-up-Stellen verbieten zu wollen. Zum andern steht noch immer eine Novellierung der Apothekenbetriebsordnung aus. Sie könnte, gestärkt durch das EuGH-Urteil, die Modalitäten der Arzneimittelabgabe enger und strenger fassen, den Focus auf das Muss einer persönlichen Beratung von Angesicht zu Angesicht legen. Es wäre eine sinnvolle Maßnahme, die zu mehr Arzneimittelsicherheit führt. Und: Pick-ups, visavia, die virtuelle Apothekenbox, Rezeptsammelstellen beim Textildiscounter und sonst wo wären so mit einem Federstrich beseitigt. Hoffen wir auf die Apothekenbetriebsordnung.


Peter Ditzel

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