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Feuilleton
Faszinierende Welt der Vogelspinnen und Skorpione
Eine riesige Spinne verspeist einen Kolibri: Europäer des frühen 18. Jahrhunderts mag diese beeindruckende Grafik von Maria Sibylla Merian das Gruseln gelehrt haben. Die Naturforscherin und Künstlerin war in Surinam offenbar Augenzeugin dieses eher seltenen und somit höchst spektakulären Ereignisses gewesen und hatte darüber in ihrem 1705 publizierten Werk "Metamorphosis Insectorum Surinamensium" in Wort und Bild berichtet. 1758 beschrieb Carl von Linné das Tier anhand von Merians Grafik als Aranea avicularia (lat. avis = Vogel; heute Avicularia avicularia). Spätestens seither heißen sie auf Deutsch "Vogelspinnen". Heute noch inspirieren Mythen und Legenden um die "mörderischen Monster", die angeblich sogar Menschen töten können, Autoren und Filmemacher.
Angriff nur bei Gefahr
In der Regel greifen Spinnen mit ihren zuweilen über zwei Zentimeter langen Beißklauen (Cheliceren) einen Menschen nur dann an, wenn er ihnen zu nahe kommt. Eine Intoxikation kann sehr schmerzhaft sein und zu Krämpfen oder Benommenheit führen. Während ein Biss der Schwarzen Witwe (Latrodectus mactans) zumindest für kranke Menschen tödlich sein kann, ist das Risiko bei Vogelspinnen geringer. Dabei sind allergische Reaktionen oder Sekundärinfektionen an der Bissstelle im Allgemeinen weitaus gefährlicher als die Toxine der Spinnen.
Viele Vogelspinnen – vornehmlich Arten aus der Neuen Welt – sind am Hinterleib mit Brennhaaren bewehrt. Fühlen sie sich bedroht, "bombardieren" sie den Feind durch Abbürsten der Haare. Diese sind mit winzigen Widerhaken besetzt und können Hautreizungen oder Augenentzündungen auslösen.
Hartnäckigen Behauptungen zum Trotz sind nestjunge oder kranke Vögel nur ausgesprochen selten Beutetiere von "echten Vogelspinnen" (Theraphosidae), die mit 850 bekannten Arten auf allen fünf Kontinenten in den Tropen und Subtropen verbreitet sind. Sie sind nachtaktiv und ernähren sich von Insekten, Tausendfüßlern und Skorpionen. Größere Vogelspinnen jagen zuweilen auch kleine Reptilien, Lurche oder sogar junge Nagetiere. Im Gegensatz zu vielen anderen Spinnenarten bauen sie keine Fangnetze. Sobald sich ihnen ein Beutetier nähert, wird es getötet, extrakorporal verdaut und schließlich ausgesaugt.
Echte Vogelspinnen gehören mit 14 anderen Familien zur Unterordnung der Vogelspinnenartigen (Mygalomorphae), die wiederum den Webspinnen (Araneae) zugeordnet werden. Sie leben in Regenwäldern, Savannen, Trockengebieten und Kulturlandschaften. In Europa sind sie nur mit sehr wenigen Arten der Gattungen Ischnocolus, Macrothele und Chaetopelma auf der Iberischen Halbinsel, in Italien und auf Zypern vertreten.
Die zu den Vogelspinnenartigen zählenden Tapezierspinnen (Atypidae) kommen auch in Deutschland vor. Sie leben an warm-trockenen Standorten kolonienbildend in Wohnröhren, die sie mit ihrem Gespinst auskleiden.
Vom Ei zur Imago
Die Entwicklung der Spinnen vom Ei zur Imago verläuft in drei Stadien. Vor der Paarung spinnt das Weibchen einen "Teppich" aus Spinnenseide. Das Männchen füllt mit seinen Bulben, die sich am Ende der Taster (Pedipalpen) befinden, das Sperma in die Spermathek des Weibchens. Die Befruchtung erfolgt später, wenn die Eier zur Ablage an der Spermathek vorbei auf die gesponnene Unterlage gleiten. Danach bedeckt das Muttertier das Gelege samt "Teppich" mit einer "Decke" aus Spinnenseide und formt daraus einen Kokon, der bei vielen Arten mit weiteren Lagen Spinnenseide umwoben wird.
Die Larven wachsen im Schutz des Kokons heran. Erst wenn sie nach mehreren Häutungen das Nymphenstadium erreicht haben, beginnen sie Nahrung aufzunehmen. Je nach Art können bis zur Geschlechtsreife noch einige Jahre vergehen. Während sich fertile Männchen nicht mehr häuten, wachsen adulte Weibchen weiter und erreichen zuweilen eine stattliche Größe. Die Goliath-Vogelspinne (Theraphosa blondi) gilt mit einer Körperlänge von 12 cm und einer Beinspannlänge von 30 cm als größte Vogelspinne der Welt (größte Spinne ist die Echte Webspinne Heteropoda maxima in Südostasien).
Skorpione in Mythos, Natur- und Heilkunde
Weitaus länger als mit Vogelspinnen setzen sich die Menschen der Alten Welt mit den ebenfalls zu den Spinnentieren (Arachnida) zählenden Skorpionen auseinander. Der erste namentlich bekannte König Ägyptens hieß "Skorpion" (um 3200 v. Chr.). Das Gilgamesch-Epos berichtet von Skorpionmenschen, und die ägyptische Göttin Selket trug auf dem Kopf einen Skorpion als magischen Schutz vor Skorpionstichen. In der griechischen Mythologie hat ein Skorpion den Jäger Orion getötet, worauf beide als Sternbilder an den Himmel versetzt wurden. In der biblischen "Offenbarung" des Johannes ist die Rede von Heuschrecken, die "eine Kraft wie Skorpione" haben.
Konrad von Megenberg (1309 – 1374) beschrieb in seinem "Buch der Natur" zweistachelige Skorpione, über die schon Aristoteles berichtet hatte. Weiterhin behauptete er, dass Skorpione beim Menschen nur behaarte Körperstellen angreifen und niemals in die hohle Hand stechen. Zudem werde ein in Öl ertränkter Skorpion wieder lebendig, wenn man bei Sonnenlicht Essig auf ihn gießt.
Ebenso unsinnig erscheinen Megenbergs therapeutische Empfehlungen: Nach einem Skorpionstich solle man Wein mit der Asche verbrannter Skorpione trinken oder die Wunde mit Skorpionöl (Olivenöl, in das vor dem Erhitzen lebende Skorpione getaucht worden waren) einreiben. Mit Skorpionöl sollten sogar Koliken, Gicht, Ohrenschmerzen und die Pest kuriert werden.
Andere Heilkundige gewannen die Galle von Skorpionen, um Augenleiden zu behandeln und die Haut ihrer Patientinnen zu verschönern.
Weltweit sind etwa 1400 Skorpion-Arten bekannt, die Körperlängen zwischen neun Millimetern (Typhlochactas mitchelli in Oaxaca/Mexiko) und 21 cm erreichen – wie der in den tropischen Wäldern Westafrikas beheimatete Kaiserskorpion (Pandinus imperator). Dieser gehört zu den Favoriten der Terrarianer, weil sein glänzend schwarzer Panzer unter UV-Licht bläulich schimmert. Die meisten Skorpione bevorzugen heiß-trockene Lebensräume mit sandigen oder steinigen Böden, einige leben auf Bäumen, andere ziehen sich in Höhlen zurück. Es gibt nur sehr wenige Skorpione – zum Beispiel Angehörige der in Nordafrika beheimateten Gattung Buthus –, die mit ihrem Gift Menschen töten können.
Ähnlich wie die Vogelspinnen sind auch Skorpione dämmerungs- und nachtaktiv. Die meisten ernähren sich überwiegend von wirbellosen Tieren und sind dabei nicht wählerisch. Je nach Körpergröße und artspezifischen Vorlieben erbeuten sie zuweilen auch kleine Nager oder Reptilien. Wenige Spezies haben sich spezialisiert. So lauert der australische Isometroides vescus ausschließlich grabenden Spinnen auf.
Im Gegensatz zu den Vogelspinnen bringen Skorpione ihre Jungen lebend zur Welt – nach einer Tragzeit bis zu zwölf Monaten –, wobei die Jungen in eine Embryohaut (Chorion) gehüllt sind. Nachdem sie sich daraus befreit haben, steigen sie auf den Rücken ihrer Mutter. Nach ihrer ersten Häutung, etwa fünfzig Tage nach der Geburt, führen die Jungtiere ein selbstständiges Leben. Bis zur Geschlechtsreife folgen durchschnittlich fünf weitere Häutungen.
Von der Arachnophobie zur Arachnophilie
Obwohl viele Menschen sich auch heute noch vor Vogelspinnen und Skorpionen fürchten, nimmt die Anzahl von Tierfreunden, die exotische Arachnida als Heimtiere in Terrarien halten, stetig zu. Es soll sogar ehemalige Arachnophobiker geben, die nach erfolgreicher "Therapie" eine innige Zuneigung zu den legendenumwobenen Exoten entwickelt haben.
Reinhard Wylegalla
AusstellungNaturkundemuseum Leipzig, Lortzingstraße 3, 04105 Leipzig Tel. (03 41) 9 82 21 23, www.leipzig.de/naturkundemuseum Ab 11. 1. 2010 im Deutschen Bienenmuseum Weimar http://dbm.lvti.de |
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