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DAZ Spezial
Warum Pick-up-Stellen für Arzneimittel in Drogeriemärkten verboten werden müssen
Dabei handelt es sich jedoch um eine falsche Alternative. Denn der angebotene Erlass einer Art "Betriebsordnung für Pick-up-Stellen" erhebt die Abholstellen, deren Einrichtung das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 13. März 2008 mittels einer überdehnten Auslegung des Begriffs "Versandhandels" unter denselben subsumiert hatte, zu einem eigenständigen Vertriebskanal für apotheken- und verschreibungspflichtige Arzneimittel neben der öffentlichen Apotheke und zusätzlich zum Versandhandel. Dies widerspricht unmittelbar dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das die Zulässigkeit dieser "Form des Versandhandels" unmissverständlich davon abhängig macht, dass das in den Vertrieb eingeschaltete Unternehmen nicht den Eindruck erweckt, dass die Arzneimittel von ihm selbst abgegeben werden. Die beabsichtigte Verknüpfung der Abholstellen mit dem Verkauf freiverkäuflicher Arzneimittel verkehrt die vom Gericht geforderte Beschränkung auf die Rolle des Transportmittlers geradezu in das Gegenteil: Die IHK-geprüfte für Abgabe freiverkäuflicher Arzneimittel "sachkundige Person" mutiert hier zum Garanten der Arzneimittelsicherheit bei der Ausgabe apotheken- und verschreibungspflichtiger Arzneimittel im Drogerie- oder Supermarkt!
Gegen falsche "Kompromisse"
Es handelt sich deshalb auch nicht um ein "Angebot" an die Apothekerschaft, sondern um die grundsätzliche Infragestellung des Apothekers und der Apotheke als tragende Säulen des Gesundheitssystems. Und auch das seitens der ABDA-Spitze als "Gegenleistung" eingeforderte Verbot der Rezeptsammlung (welches übrigens nie abgeschafft wurde) ist kaum geeignet, die Apotheken ernsthaft zu schützen, wird es doch spätestens mit der Einführung des elektronischen Rezepts praktisch gegenstandslos werden.
Das "Kompromisspapier" des Gesundheitsministeriums dekuvriert im Übrigen die Realitätsferne des Bundesverwaltungsgerichtsurteils: Es geht den Drogeriemarktketten und ihren Unterstützern gerade nicht darum, dass diese als bloße "Transportmittler" im Auftrag einer Versandapotheke in Wettbewerb mit der bekanntermaßen wenig rentablen Logistikbranche treten, sondern darum, die von den Drogerien seit Jahrzehnten bekämpfte Apothekenpflicht mithilfe niederländischer Versandapotheken auszuhebeln. Die vom Bundesverwaltungsgericht zum Kern seiner Argumentation gemachte feinsinnige Differenzierung zwischen verbotener "Abgabe" und erlaubter "Aushändigung", in der sich die vom Gericht proklamierte fortbestehende "Unberührtheit" der Apothekenpflicht manifestieren soll, wird vom zuständigen Ministerium kurzerhand als das behandelt, was es von Anfang an war: eine juristische Konstruktion, die die Verletzung der Apothekenpflicht durch den Einstieg der Drogerie- und Supermarktketten in den Vertrieb apothekenpflichtiger Arzneimittel legitimieren soll und nun – nachdem sie ihre Schuldigkeit getan hat – ohne weiteres Federlesen abserviert werden kann.
Krude Logik
Dass sich die ABDA-Spitze jetzt so in die Enge gedrängt sieht, dass sie meint, sich auf diese krude Logik einlassen zu müssen, hat sicherlich auch etwas damit zu tun, dass ihre ursprüngliche Verhandlungslinie die Bereitschaft einschloss, den Bereich der rezeptfreien apothekenpflichtigen Arzneimittel als Opfer für das ersehnte Ziel eines Versandhandelsverbotes für verschreibungspflichtige Arzneimittel dem Pick-up-Handel der Drogeriemärkte preiszugeben. Dabei geriet offenbar aus dem Blickfeld, dass die arzneimittelrechtliche Institution der Apothekenpflicht die tragende Grundlage für die Existenz und die Ausgestaltung des deutschen Apothekenwesens ist. Auch erscheint angesichts des in der Apotheker Zeitung vom 9. Februar 2009 veröffentlichten Briefwechsels der Hinweis angebracht, dass Gesetzgeber in einer Demokratie nicht die Regierung, sondern das Parlament ist. Ein weiterer Grund für das Eingehen der ABDA-Spitze auf die Zumutungen des Ministeriums könnte der Eindruck gewesen sein, man könne gegen die Pick-up-Stellen nichts mehr unternehmen, seit das Bundesverwaltungsgericht sie mit dem Versandhandel gleichgestellt habe. Das ist jedoch blanker Unsinn, der auch dadurch nicht besser wird, dass er vom Bundesgesundheitsministerium aufgegriffen wurde.
"Der Gesetzgeber verzichtet damit [d.h. mit der Zulassung des Versandhandels] lediglich auf die räumliche Bindung des Abgabe-vorgangs an die Apotheke. Er verzichtet aber nicht darauf, dass die Abgabe institutionell durch die Apotheke und nur durch sie erfolgt. Dem Apotheker ist anstelle der unmittelbaren Übergabe an den Patienten die Versendung gestattet. Hierzu darf er sich der Dienste von Logistikunternehmen bedienen. Geht die Beteiligung Dritter am Vertrieb jedoch über eine solche Transportfunktion hinaus und geben sie sich so, als würden sie selbst Arzneimittelhandel betreiben, so liegt kein – zulässiger – Arzneimittelversand einer Apotheke mehr vor; vielmehr handelt es sich dann um ein nicht erlaubtes Inverkehrbringen von Arzneimitteln durch einen Gewerbetreibenden." |
Falsche Interpretation des Bundesverwaltungsgerichts
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat gerade nicht – wie oft fälschlich zu lesen ist – Abholstellen generell zugelassen, sondern unter überdehnter Auslegung des Begriffs "Versandhandel" ausschließlich die Einrichtung einer auf die reine Transportmittlung beschränkten Form der Abholstelle durch eine Versandapotheke als mit der gesetzlichen Apothekenpflicht vereinbaren Versandhandelsvariante beurteilt. Wörtlich heißt es in dem Urteil:
Es bestehen große Zweifel, ob die bekannten Geschäftsmodelle der Drogeriemärkte diesen Anforderungen gerecht werden. Immerhin liegt der Sachverhalt wirtschaftlich betrachtet hier genau umgekehrt: Drogeriemarktketten bedienen sich aus Kalkulationen, die grundverschieden von denen eines Transportmittlers sind, einer – in manchen Fällen von ihnen selbst gegründeten – ausländischen Versandapotheke, um ihren Kunden ein Angebot zum Bezug apothekenpflichtiger Arzneimittel machen zu können. Das sicherlich nicht unrealistische geschäftliche Ziel, damit den eigenen Gewerbebetrieb in den Augen des Verbrauchers aufzuwerten, mehr Kunden in die eigenen Filialen zu ziehen und sich als "Retail-Outlet" für apotheken- und verschreibungspflichtige Arzneimittel zu profilieren, ist auf eine Infragestellung der Apothekenpflicht gerichtet. Vordergründige rechtliche Freizeichnungsklauseln verdecken dies nur notdürftig und dürften – wie sich im Papier des Ministeriums bereits andeutet – relativ schnell über Bord gehen, wenn erst der Damm gebrochen ist.
BVerwG: "Brockhaus" statt AMG
Darüber hinaus ist die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts für seine weite Auslegung des Versandhandelsbegriffs zumindest angreifbar. Anstatt als erstes den "Brockhaus, 21. Aufl. 2005, Stichwort Versandhandel" zu strapazieren, hätte man erwarten können, dass das Gericht zuerst die Auslegungsbedürftigkeit des Begriffs "Versandhandel" begründet und dabei die Definition zugrunde legt, die der Gesetzgeber unu actu in § 43 Arzneimittelgesetz, § 11a Apothekengesetz und § 17 Abs. 2a Apothekenbetriebsordnung verankert hat. Insbesondere bei § 11a ApoG handelt es sich nämlich nicht etwa um eine spätere oder niederrangige Ausführungsverordnung, sondern ebenso um einen Teil des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14. November 2003 mit Gesetzesrang wie beim geänderten § 43 AMG. Indem das Gericht § 11a ApoG zunächst ignoriert und von der Auslegung des § 43 AMG abtrennt, fällt es ihm leicht, die stattdessen aus der freien Exegese des "natürlichen Wortsinns" gewonnene Auslegung, wonach "Versenden" auch "zur Abholung bereitstellen" umfassen soll, anschließend gegen die entgegengesetzte Regelung des § 11a ApoG zu verteidigen: dort sei die (vom Gesetzgeber nie gewollte) Abholung nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Zwar ist die unzulängliche Formulierung des § 11a ApoG, der die vom Gesetzgeber beabsichtigte Definition und Konkretisierung der Pflichten des Apothekenleiters in Verbindung mit der Durchführung des Versandhandels nur indirekt als Gegenstand der geforderten Selbstverpflichtungserklärung aufführt, sicherlich klarstellungswürdig. Doch ist die weitere Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts, die detaillierten Zustellungsregelungen des § 11a ApoG enthielten keine gesetzliche Definition des Versandhandels, sondern sollten nur für den Fall gelten, "dass eine individuelle Zustellung vereinbart worden ist", abwegig und entspricht nicht dem Willen des Gesetzgebers. Hätte der Gesetzgeber die Abholung als "Versandform" zulassen wollen, hätte er für den Fall der Unzustellbarkeit nicht die Zweitzustellung vorgeschrieben, sondern die Bereithaltung zur Abholung genügen lassen.
Verbot von Abholstellen: Kein Verstoß gegen Art. 3 GG
Drittens ist auch die immer wieder unter Berufung auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vorgebrachte Behauptung, der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz (GG) lasse es nicht zu, Abholstellen zu verbieten, solange der Versandhandel erlaubt sei, nicht haltbar. Abgesehen davon, dass Art. 3 GG in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht vorkommt, ist festzuhalten, dass dieses Urteil auf Grundlage der geltenden Gesetze ergangen ist und diese höchstrichterlich auslegt, dass es aber nicht den Gesetzgeber im Hinblick auf den Erlass künftiger Gesetze bindet, schon gar nicht, wenn es diesem dabei um die Klarstellung des ursprünglich Gewollten geht. Vielmehr fällt es gerade in die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers festzulegen, welches die maßgeblichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede verschiedener Lebenssachverhalte sind und welche er deshalb als rechtlich gleich oder ungleich qualifiziert. Nur in seltenen Ausnahmefällen, wie bei der jüngst vom Bundesverfassungsgericht kassierten Entfernungspauschalenregelung, stößt diese weitreichende Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers an die durch den Gleichheitssatz gesetzte Grenze. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich jedoch nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen.
Im vorliegenden Fall geht es nicht um die Verfassungsmäßigkeit der Apothekenpflicht als solcher und des sich daraus für Drogerien und Supermärkte geltenden Abgabeverbots für apothekenpflichtige Arzneimittel. Diese hatte das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Urteil vom 7. Januar 1959 bestätigt, also ein halbes Jahr nach seinem umwälzenden Apotheken-Urteil vom 11. Juni 1958. Es geht vielmehr um die Frage, ob die Aufrechterhaltung der Apothekenpflicht es rechtfertigt, Abholstellen für apotheken- und verschreibungspflichtige Arzneimittel in Drogerie- und Supermärkten zu verbieten, während gleichzeitig die Zustellung durch Logistikunternehmen zugelassen wird.
Drogeriemärkte: Mehr als nur "Transportmittler"
Grundsätzlich darf der Gesetzgeber generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, solange er dafür realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legt. Auf den fundamentalen Unterschied zwischen der Einschaltung einer Spedition oder Logistikfirma durch eine Versandapotheke und der Einschaltung einer Versandapotheke durch eine Drogerie- oder Supermarktkette verweist das Bundesverwaltungsgericht selbst, wenn es die Einrichtung einer Abholstelle in einem Drogeriemarkt ausdrücklich nur dann für zulässig erklärt, wenn die Beteiligung Dritter am Vertrieb nicht über eine Transportfunktion hinausgeht und diese sich nicht so geben, als würden sie selbst Arzneimittelhandel betreiben. Bei einem echten Transportmittler, dessen Geschäft darin besteht, die Waren des Versenders an den Bestimmungsort zu transportieren und für die Aushändigung an den bestimmungsgemäßen Empfänger zu sorgen, stellt sich diese Frage erst gar nicht. Die Gefahr, dass im Falle einer Abholstelle in einem Drogerie- oder Supermarkt für den Kunden nicht mehr erkennbar ist, ob es sich um eine (verbotene) Abgabe oder eine (zulässige) Aushändigung handelt, ist vielmehr systembedingt, zumal es im wirtschaftlichen Interesse des Drogerie- oder Supermarkts liegt, diese Verwechslung zumindest zu dulden.
Bereits diese Überlegungen machen deutlich, dass eine Differenzierung zwischen Abholstellen in Drogerie- oder Supermärkten einerseits und dem Versandhandel durch Einschaltung von Logistikunternehmen und Zustellung der Arzneimittel an den Patienten keineswegs willkürlich ist, sondern zwei sehr unterschiedliche Lebenssachverhalte betrifft. Dazu kommt, dass es dem Gesetzgeber im Rahmen seiner Vorsorgepflicht erlaubt ist, ein erkanntes Risiko, im vorliegenden Fall die Gefahr einer – selbst für Juristen nicht einfach zu vermeidenden – Verwechslung von "Arzneimittelabgabe" und "Arzneimittelaushändigung" durch den Kunden, mittels generalisierender Maßnahme, im vorliegenden Fall durch ein generelles Verbot der Rezeptsammel- und Abholstellen in Gewerbebetrieben und bei Angehörigen der Heilberufe auszuschließen.
Lohnender Blick ins "Apotheken-Urteil" des Bundesverfassungsgerichts
Über das Willkürverbot hinaus kann sich jedoch eine strengere verfassungsrechtliche Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse je nachdem ergeben, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auszuwirken geeignet ist. Hier kommt eine Einschränkung der Berufsfreiheit der Kapitalgesellschaften in Betracht, die Drogerie- oder Supermärkte betreiben, da diese daran gehindert sind, als "Transportmittler" – zusätzlich zu ihrem originären Geschäft – in Wettbewerb zu Logistikunternehmen zu treten. Auch wenn das erwähnte Urteil des Bundesverfassungsgerichts bereits 50 Jahre alt ist, lohnt ein Blick auf die damals angestellten Abwägungen. Zum einen weist das Gericht darauf hin, dass – neben der Arzneimittelsicherheit – ein weiterer berechtigter Zweck der Apothekenpflicht auch die Hebung und Erhaltung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der öffentlichen Apotheken ist. Dieser Gesichtspunkt schlägt sich übrigens auch in § 45 Abs. 1 Nr. AMG nieder, der die Apothekenpflicht auch für den Fall begründet, dass durch die Freigabe eines Arzneimittels die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung gefährdet wäre. Einen entscheidenden Anhaltspunkt für die Verhältnismäßigkeit des durch ein Verbot der Abholstellen verursachten Eingriffs in die Berufsfreiheit der Drogerie- und Supermarktketten liefert das Bundesverfassungsgericht in dem zitierten Urteil, wenn es das wirtschaftliche Interesse der Apotheken an der Abgabe apothekenpflichtiger Arzneimittel dem Interesse der Drogerien am Verkauf dieser Mittel gegenüberstellt:
Diese – auf die damals offen angestrebte "Abgabe" von Arzneimitteln durch Drogerien bezogene – Abwägung, ist nicht nur weiterhin zutreffend, sondern muss erst recht für die heute geforderte "Aushändigung" gelten: während Abholstellen für die Drogerie- und Supermärkte eine gern genossene, aber vergleichsweise geringe, weil auf die Transportmittlerfunktion begrenzte Zusatzrendite bedeuten würden, treffen sie durch ihre grundsätzliche Infragestellung der Apothekenpflicht die wirtschaftliche Existenz der Apotheken im Kern. Ein unzumutbarer Eingriff in die Berufsfreiheit der Drogerie- und Supermärkte liegt daher nicht vor.
"Eine wesentliche Einnahmequelle der Apotheke ist heute der Verkauf von nicht rezeptpflichtigen Arzneifertigwaren, insbesondere der Handverkauf, an dem die Drogisten vor allem interessiert sind. Demgegenüber ist für den Drogisten der Ausschluss vom Vertrieb von Heilmitteln eine zumutbare Belastung. Bei dem Gesamtumsatz einer Drogerie würde der Vertrieb von Heilmitteln keine ausschlaggebende Rolle spielen, zumal die Drogerie dabei wiederum der Konkurrenz durch andere Geschäfte ausgesetzt wäre." |
Fazit
Unterhalb einer Verankerung des absoluten Verbots der Abgabestellen in Gewerbebetrieben und bei Angehörigen der Heilberufe sollte sich die Apothekerschaft ihren Kampf um die Abschaffung des Versandhandels für verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht abhandeln lassen. Und eigentlich müsste sie zugleich eine weitere offene Zusage des Gesetzgebers einfordern: die an vielen "Runden Tischen" und Anhörungen vor der Verabschiedung des GKV-Modernisierungsgesetz beschworenen "gleich langen Spieße", die man durch die §§ 43 und 73 AMG in Verbindung mit § 11a ApoG den deutschen Apotheken gegenüber ausländischen Versandapotheken verschaffen wollte und die sich auch auf die Preisbildung beziehen sollten, wurden von der Rechtsprechung bislang nicht zweifelsfrei aus dem Gesetzestext herausgelesen. Auch hier steht eine Klarstellung durch den Gesetzgeber aus. Dass eine solche Klarstellung auch europarechtlich durchaus gangbar ist, hat das erst 2002 nach intensiven Verhandlungen mit der EU-Kommission vom Bundestag einstimmig (!) verabschiedete Buchpreisbindungsgesetz gezeigt. Die dort gefundene Regelung lässt die Preisbildung im Parallelhandel unberührt, bindet aber die Preise solcher Produkte, die nur exportiert wurden, um die Preisbindung beim Reimport zu umgehen. Dieser Nachweis dürfte bei den in Deutschland zugelassenen Arzneimitteln, die im Rückversenderland nicht verkehrsfähig sind und/oder dort nicht angeboten werden, in der Regel leicht zu führen sein.
Aus beiden Forderungen ergibt sich ein Forderungspaket, das sich kurzfristig in die laufenden Beratungen zur 15. AMG-Novelle einführen und damit vielleicht noch in dieser Legislaturperiode realisieren ließe. Nach den derzeitigen Planungen soll die Novelle noch vor der Bundestagswahl am 27. September 2009 verabschiedet werden. Neben dieser technischen Überlegung spricht auch ein handfester juristischer Grund für eine Verankerung des Abholstellenverbots im Arzneimittelgesetz: dies stellt klar, dass sich dieses Verbot nicht nur an die Versandapotheken richtet, sondern auch an die potenziellen Abholstellenbetreiber. Die anliegenden Änderungsvorschläge sind in diesem Sinne als Denkanstoß zu verstehen.
Wenn sich die Berufspolitik der Apotheker selbst noch ernst nimmt, geht kein Weg daran vorbei, dem Gesetzgeber ein klares Bekenntnis zur Apothekenpflicht und damit zur Institution Apotheke abzuverlangen. Alles andere wäre Selbstmord aus Angst vor dem Tode.
Professor Dr. Hilko J. Meyer, Fachhochschule Frankfurt/Main, Fachbereich Wirtschaft und Recht, Schwerpunkt "Recht und Management im Gesundheitswesen", Nibelungenplatz 1, 60138 Frankfurt/Main, E-Mail: aur@vital-link.com
Gesetzgebungsvorschlag mit Begründung (nur §§ 43 I, 78 IIIa AMG)
Änderung des Arzneimittelgesetzes
1. § 43 Absatz 1 wird wie folgt geändert:
Nach Satz 1 wird folgender neuer Satz 2 eingefügt:
"Im Falle des Versandes dürfen Einrichtungen zur Sammlung von Bestellungen oder Verschreibungen (Rezeptsammelstellen) und zur Aushändigung der Arzneimittel an den Endverbraucher (Abholstellen) nicht in Gewerbebetrieben oder bei Angehörigen der Heilberufe unterhalten werden."
Der bisherige Satz 2 wird zu Satz 3.
Begründung:
Durch den eingefügten Satz wird klargestellt, dass die Zulassung des Versandhandels durch Apotheken nicht die Befugnis von Drogerieketten und anderen Gewerbebetrieben umfasst, die Sammlung von Arzneimittelbestellungen oder Verschreibungen und die Aushändigung apothekenpflichtiger Arzneimitteln in ihren Gewerberäumen zu organisieren. Die Formulierung überführt das bisher in § 24 Abs. 2 Apothekenbetriebsordnung enthaltene Verbot der Rezeptsammelstellen in den Gesetzesrang und erstreckt es auf Abholstellen. Das Verbot richtet sich gleichermaßen an Apotheken, andere Angehörige der Heilberufe und Gewerbebetriebe. Die Klarstellung wurde aufgrund der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. März 2008 (A&R 2008, 139) notwendig, das den Versandbegriff weit auslegte und auf die Einrichtung von Abholstellen in Drogeriemärkten erstreckte.
Das ausdrückliche gesetzliche Verbot ist erforderlich, um den auch vom Bundesverwaltungsgericht für unzulässig erklärten Eindruck, die Arzneimittel würden von dem in den Vertrieb eingeschalteten Unternehmen selbst abgegeben, zuverlässig auszuschließen. Die arzneimittelrechtliche Unterscheidung zwischen unzulässiger "Abgabe" und zulässiger "Aushändigung" ist auch für den verständigen Endverbraucher bei Einschaltung eines Gewerbebetriebes oder eines Angehörigen der Heilberufe als Transportmittler nicht mehr eindeutig zu erkennen. Soll die Apothekenpflicht nicht ins Leere laufen, ist daher präventiv sicherzustellen, dass die Beteiligung Dritter am Vertrieb nicht über eine Transportfunktion hinausgeht.
2. § 78 wird wie folgt geändert:
Nach Absatz 3 wird folgender neuer Absatz 3a eingefügt:
"(3a) Die Preise und Preisspannen gelten nicht für grenzüberschreitende Verkäufe innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes. Für Arzneimittel nach Absatz 2 Satz 2, für die durch die Verordnung nach Absatz 1 Preise und Preisspannen bestimmt sind, sind auf grenzüberschreitende Verkäufe innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes der einheitliche Apothekenabgabepreis und der einheitliche Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers anzuwenden, wenn sich aus objektiven Umständen ergibt, dass die betreffenden Arzneimittel allein zum Zwecke ihrer Wiedereinfuhr ausgeführt worden sind, um dieses Gesetz zu umgehen."
Begründung:
Der eingefügte Absatz stellt klar, dass die gesetzliche Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel auch dann gilt, wenn Arzneimittel nur zu dem Zweck ausgeführt werden, den einheitlichen Apothekenverkaufspreis zu umgehen. Die Formulierung entspricht § 4 Buchpreisbindungsgesetz vom 2. September 2002 (BGBl. I S. 3448) und ist nach der Leclerc-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs mit der Warenverkehrsfreiheit des EG-Vertrages vereinbar (Urteil Leclerc gegen SARL Au blé vert u.a., EuGH, Slg. 1985, 1; ständige Rechtsprechung, vgl. Urteil Echirolles Distribution SA gegen Association du Dauphiné u. a., EuGH, Slg. 2000, I-08207).
Die Klarstellung ist erforderlich, um die Kohärenz des deutschen Preisbildungssystems für verschreibungspflichtige Arzneimittel zu gewährleisten, Wettbewerbsgleichheit zwischen deutschen und ausländischen Apotheken wiederherzustellen und die Grundlage für sozialversicherungsrechtliche Steuerungsmaßnahmen des Arzneimittelmarkts, wie z.B. Zuzahlungen, Festbeträge und Herstellerrabatte zu schaffen. Sie entspricht der Regelung des § 73 Abs. 1 Nr. 1a AMG, wonach der Versand von Arzneimitteln aus dem europäischen Ausland an Endverbraucher in Deutschland "entsprechend den deutschen Vorschriften zum Versandhandel" zu erfolgen hat. Die Azneimittelpreisverordnung gilt auch für die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel im Wege des Versandhandels.
Objektive Umstände, aus denen sich ergibt, dass Arzneimittel allein zum Zwecke ihrer Wiedereinfuhr ausgeführt worden sind, können in der fehlenden tatsächlichen Vermarktung in dem Staat bestehen, in den sie vorübergehend verbracht wurden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn mit deutscher Zulassung, Kennzeichnung und Patienteninformation versehene Arzneimittel ohne Anpassung an die im Einfuhrstaat geltenden arzneimittelrechtlichen Zulassungs-, Kennzeichnungs- und Informationsanforderungen umgehend nach ihrer Ausfuhr wieder zur Abgabe an Endverbraucher in Deutschland eingeführt werden.
Unberührt von diesen Preisvorschriften bleibt die Ausfuhr zum Zwecke des Inverkehrbringens in einem anderen Land des Europäischen Wirtschaftsraumes (Parallelexport), wie auch die Einfuhr von im europäischen Ausland zugelassenen Arzneimitteln zu dem Zweck, sie nach Anpassung an die deutschen Zulassungsanforderungen in Deutschland in Verkehr zu bringen (Parallelimport).
Gesetzestexte (§§ 43, 78 AMG) geändert; § 4 Buchpreisbindungsgesetz
§ 43 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (vorgeschlagene Änderung unterstrichen), Apothekenpflicht, Inverkehrbringen durch Tierärzte
(1) 1 Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1, die nicht durch die Vorschriften des § 44 oder der nach § 45 Abs. 1 erlassenen Rechtsverordnung für den Verkehr außerhalb der Apotheken freigegeben sind, dürfen außer in den Fällen des § 47 berufs- oder gewerbsmäßig für den Endverbrauch nur in Apotheken und ohne behördliche Erlaubnis nicht im Wege des Versandes in den Verkehr gebracht werden; das Nähere regelt das Apothekengesetz. 2 Im Falle des Versandes dürfen Einrichtungen zur Sammlung von Bestellungen oder Verschreibungen (Rezeptsammelstellen) und zur Aushändigung der Arzneimittel an den Endverbraucher (Abholstellen) nicht in Gewerbebetrieben oder bei Angehörigen der Heilberufe unterhalten werden. 3 Außerhalb der Apotheken darf außer in den Fällen des Absatzes 4 und des § 47 Abs. 1 mit den nach Satz 1 den Apotheken vorbehaltenen Arzneimitteln kein Handel getrieben werden.
§ 24 Apothekenbetriebsordnung
(geltende Fassung)
Rezeptsammelstellen
(1) 1 Einrichtungen zum Sammeln von Verschreibungen (Rezeptsammelstellen) dürfen nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde unterhalten werden. 2 Die Erlaubnis ist dem Inhaber einer Apotheke auf Antrag zu erteilen, wenn zur ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von abgelegenen Orten oder Ortsteilen ohne Apotheken eine Rezeptsammelstelle erforderlich ist. 3 Die Erlaubnis ist zu befristen und darf die Dauer von drei Jahren nicht überschreiten. 4 Eine wiederholte Erteilung ist zulässig.
(2) Rezeptsammelstellen dürfen nicht in Gewerbebetrieben oder bei Angehörigen der Heilberufe unterhalten werden.
(3) 1 Die Verschreibungen müssen in einem verschlossenen Behälter gesammelt werden. 2 Auf dem Behälter müssen deutlich sichtbar der Name und die Anschrift der Apotheke sowie die Abholzeiten angegeben werden. 3Ferner ist auf oder unmittelbar neben dem Behälter ein deutlicher Hinweis darauf anzubringen, dass die Verschreibung mit Namen, Vornamen, Wohnort, Straße und Hausnummer des Empfängers zu versehen ist. 4 Der Behälter muss zu den auf ihm angegebenen Zeiten durch einen Boten, der zum Personal der Apotheke gehören muss, geleert oder abgeholt werden.
(4) 1 Die Arzneimittel sind in der Apotheke für jeden Empfänger getrennt zu verpacken und jeweils mit dessen Namen und Anschrift zu versehen. 2 Sie sind, sofern sie nicht abgeholt werden, dem Empfänger in zuverlässiger Weise auszuliefern.
Urteil des Bundesverwaltungsgericht vom 13. März 2008, Az.: 3 C 27/07
Leitsätze
1. Der in § 43 Abs. 1 Satz 1 und § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG zugelassene Versandhandel mit Arzneimitteln setzt nicht voraus, dass die bestellten Medikamente dem Endverbraucher an seine Adresse zugestellt werden. Der Versand kann auch durch Übersendung an eine in einem Gewerbebetrieb eingerichtete Abholstation erfolgen, in der die Arzneimittelsendung dem Kunden ausgehändigt wird.
2. Überschreitet das in den Vertrieb eingeschaltete Unternehmen die Funktion des Transportmittlers und erweckt es den Eindruck, die Arzneimittel würden von ihm selbst abgegeben, handelt es sich nicht mehr um einen Arzneimittelversand durch eine Apotheke im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 1 AMG.
3. Das Verbot der Einrichtung von Rezeptsammelstellen (§ 24 ApBetrO) betrifft nicht das Einsammeln von Medikamentenbestellungen im Rahmen des Versandhandels mit Arzneimitteln.
§ 78 Arzneimittelgesetz
(vorgeschlagene Änderung unterstrichen)
Preise
(1) Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium und, soweit es sich um Arzneimittel handelt, die zur Anwendung bei Tieren bestimmt sind, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates
1. Preisspannen für Arzneimittel, die im Großhandel, in Apotheken oder von Tierärzten im Wiederverkauf abgegeben werden,
2. Preise für Arzneimittel, die in Apotheken oder von Tierärzten hergestellt und abgegeben werden, sowie für Abgabegefäße,
3. Preise für besondere Leistungen der Apotheken bei der Abgabe von Arzneimitteln festzusetzen. Abweichend von Satz 1 wird das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, den Festzuschlag entsprechend der Kostenentwicklung der Apotheken bei wirtschaftlicher Betriebsführung anzupassen.
(2) Die Preise und Preisspannen müssen den berechtigten Interessen der Arzneimittelverbraucher, der Tierärzte, der Apotheken und des Großhandels Rechnung tragen. Ein einheitlicher Apothekenabgabepreis für Arzneimittel, die vom Verkehr außerhalb der Apotheken ausgeschlossen sind, ist zu gewährleisten. Satz 2 gilt nicht für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, die nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegeben werden.
(3) Für Arzneimittel nach Absatz 2 Satz 2, für die durch die Verordnung nach Absatz 1 Preise und Preisspannen bestimmt sind, haben die pharmazeutischen Unternehmer einen einheitlichen Abgabepreis sicherzustellen; für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegeben werden, haben die pharmazeutischen Unternehmer zum Zwecke der Abrechnung der Apotheken mit den Krankenkassen ihren einheitlichen Abgabepreis anzugeben, von dem bei der Abgabe im Einzelfall abgewichen werden kann. Sozialleistungsträger, private Krankenversicherungen sowie deren jeweilige Verbände können mit pharmazeutischen Unternehmern für die zu ihren Lasten abgegebenen verschreibungspflichtigen Arzneimittel Preisnachlässe auf den einheitlichen Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers vereinbaren.
(3a) Die Preise und Preisspannen gelten nicht für grenzüberschreitende Verkäufe innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes. Für Arzneimittel nach Absatz 2 Satz 2, für die durch die Verordnung nach Absatz 1 Preise und Preisspannen bestimmt sind, sind auf grenzüberschreitende Verkäufe innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes der einheitliche Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers und der einheitliche Apothekenabgabepreis anzuwenden, wenn sich aus objektiven Umständen ergibt, dass die betreffenden Arzneimittel allein zum Zwecke ihrer Wiedereinfuhr ausgeführt worden sind, um dieses Gesetz zu umgehen.
(4) Bei Arzneimitteln, die im Fall einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, deren Ausbreitung eine sofortige und das übliche Maß erheblich überschreitende Bereitstellung von spezifischen Arzneimitteln erforderlich macht, durch Apotheken abgegeben werden und die zu diesem Zweck nach § 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3c bevorratet wurden, gilt als Grundlage für die nach Absatz 2 festzusetzenden Preise und Preisspannen der Länderabgabepreis. Entsprechendes gilt für Arzneimittel, die aus für diesen Zweck entsprechend bevorrateten Wirkstoffen in Apotheken hergestellt und in diesen Fällen abgegeben werden. In diesen Fällen gilt Absatz 2 Satz 2 auf Länderebene.
Gesetz über die Preisbindung für Bücher (Buchpreisbindungsgesetz)
vom 2. September 2002 (BGBl. I S. 3448), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. Juli 2006 (BGBl I S. 1530)
§ 4 – Grenzüberschreitende Verkäufe
(1) Die Preisbindung gilt nicht für grenzüberschreitende Verkäufe innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes.
(2) Der nach § 5 festgesetzte Endpreis ist auf grenzüberschreitende Verkäufe von Büchern innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes anzuwenden, wenn sich aus objektiven Umständen ergibt, dass die betreffenden Bücher allein zum Zwecke ihrer Wiedereinfuhr ausgeführt worden sind, um dieses Gesetz zu umgehen.
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