Gesundheitspolitik

Wohin mit den Altmedikamenten?

Wer soll für die Entsorgung bezahlen? ABDA will gesetzliche Lösung

STUTTGART (diz). Bis zum 31. Mai 2009 war die Welt der Entsorgung von Altarzneimitteln weitgehend in Ordnung. Das Logistikunternehmen Vfw-Remedica holte Altarzneimittel kostenfrei in den meisten Apotheken ab. Mit Inkrafttreten der fünften Novelle der Verpackungsverordnung am 1. Januar war für das Unternehmen die Rücknahme nicht mehr finanzierbar. Seitdem wurde von Apotheken und Kammern um neue Möglichkeiten der Altarzneimittelentsorgung gerungen. Wie in der vergangenen Woche bekannt wurde, sind Ende Dezember Verhandlungen zwischen ABDA und Pharmaverbänden um eine Nachfolgelösung zur Entsorgung der Altarzneimittel gescheitert. Dies bedeutet, dass es vorerst keine flächendeckende Lösung für die Altarzneimittel-Entsorgung geben wird. ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf forderte laut einer Nachricht im "Spiegel" eine gesetzliche Regelung.

Ab in die Tonne – für Altarzneimittel wird die Entsorgung in Zukunft nicht so einfach zu lösen sein.
Foto: DAZ-Archiv Dr. Buff

"Die Arzneimittelhersteller müssen ihrer Produktverantwortung nachkommen und wie bereits in der Vergangenheit ein für die Apotheken kostenfreies Rücknahmesystem installieren", so bringt es Manfred Saar, Präsident der Apothekerkammer des Saarlands, auf den Punkt. Das bis zum 31. Mai 2009 von der Vfw-GmbH angebotene und von den Pharmaherstellern finanzierte Rücknahmesystem habe sich mehr als bewährt. Saar weiter: "Die Sammlung dieser Altmedikamente war und ist für die jeweilige Apotheke mit erheblichem Aufwand verbunden, der aber von Apotheken kostenfrei erbracht wurde. Darin zeigte sich das Verantwortungsbewusstsein der Apotheker für das Gut Arzneimittel! Es kann nicht sein, dass sich nunmehr, wie von den pharmazeutischen Herstellern gefordert, die Apotheken zusätzlich monetär an der Entsorgung für Altarzneimittel beteiligen. Wenn die Arzneimittelhersteller ihrer Verantwortung nicht mehr gerecht werden wollen, brauchen wir eine schnelle politische Lösung."

Dass sich eine Lösung für das Altarzneimittel-Problem nicht leicht finden lassen dürfte, offenbart sich, wenn man sich den komplexen Hintergrund hierzu ansieht. Zunächst: Altarzneimittel gehören zum Hausmüll, im Fachjargon Siedlungsabfall genannt. Sie müssen also primär nicht über gesonderte Sammelsysteme entsorgt werden. Dürfte ein Arzneimittel nicht mit dem Hausmüll entsorgt werden, müsste dies in der Packungsbeilage vermerkt sein.

Verpackungen wie Umkartons oder leere Arzneiflaschen werden über die gelben Säcke etc. zurückgenommen. Pharmahersteller konnten Dritte wie das Unternehmen Vfw-Remedica beauftragen, leere Verpackungen einzusammeln. Da sich solche Firmen um die Sammlung von Leerverpackungen bemühten, boten sie beispielsweise der Industrie und den Apotheken an, auch die noch in den Verpackungen befindlichen Altarzneimittel mitzunehmen und zu entsorgen. Apotheken wurden sogar darauf hingewiesen, den Kunden die Einsammlung von Altarzneimitteln als Serviceleistung und Kundenbindungsinstrument anzubieten – damit die Entsorgungsunternehmen möglichst viele Altpackungen erhielten. Da die nun in großer Menge eingesammelten Altarzneimittel nicht mehr zum Siedlungsabfall zählten, mussten sie der entgeltlichen Verbrennung zugeführt werden. Entsorgungsunternehmen konnten die Kosten hierfür im Rahmen einer Mischkalkulation übernehmen. So konnte die kostenlose Rücknahme der Altarzneimittel durch Verwertung der Verkaufspackungen finanziert werden.

Neue Bestimmungen der fünften Novelle der Verpackungsverordnung vom 1. Januar 2009 machten die Beseitigung der Altarzneimittel für Entsorgungsunternehmen allerdings nicht mehr finanzierbar. Und damit holen Unternehmen wie Vfw-Remedica Altarzneimittel aus Apotheken nicht mehr kostenlos ab. Zu einer gebührenpflichtigen Abholung sollen sich rund 2000 Apotheken entschlossen haben: der Apothekenbedarfshersteller Wepa vertreibt Müllsäcke für Altarzneimittel, mit deren Bezahlung die Abholung durch Vfw abgegolten sein soll (20 Säcke für 100 Euro). Ob dieses Konzept weiterhin tragfähig sein wird, dürfte offen sein.

Apotheken, die dies nicht bezahlen wollten, mussten sich andere Entsorgungsmöglichkeiten einfallen lassen oder sie mussten ihre Kunden darauf hinweisen, Altarzneimittel über den Hausmüll zu entsorgen. So sind mittlerweile verschiedene regionale Konzepte entstanden, beispielsweise die Medi-Tonne in Berlin. Manche Apotheken bringen die Altarzneimittel, die mitunter größtenteils aus verfallenen Ärztemusterbeständen bestehen, auch selbst zu Recyclinghöfen oder Müllverbrennungsanlagen.

Rufe seitens der Apothekerschaft wurden laut, die Industrie möge fortan die Kosten für Entsorgungsunternehmen übernehmen. Die Erwartungshaltung der ABDA war, dass sich die Verbände der pharmazeutischen Industrie gemeinsam mit der ABDA auf ein Verbändemodell verständigen, das von den Arzneimittelherstellern finanziert werden soll.

Doch von einer solchen sogenannten Branchenlösung will die Industrie wenig wissen. Laut Aussagen der Pharmaverbände stehen hier kartellrechtliche Probleme im Weg – man könne nicht ein einziges Entsorgungsunternehmen empfehlen, dies sei Wettbewerbsverzerrung. Wären allerdings mehrere Unternehmen im Spiel, dann gäbe es Probleme mit der Aufteilung, Aufschlüsselung und Bezahlung, so die Industrie: Wie soll die Entsorgung abgerechnet werden – nach Preis der Arzneimittel, nach Packungsgrößen, nach Umsatzzahlen? Die Industrie stellt sich zudem auf den Standpunkt, dass sich auch Apotheken und Großhandlungen an den Entsorgungskosten beteiligen sollten. Außerdem könne der Apotheker nach Auffassung der Industrie selbst entscheiden, ob er die Rücknahme von Altarzneimitteln als Kundenbindungsinstrument einsetze (dann müsse er sich das etwas kosten lassen) oder ob er seinen Kunden empfehle, Altarzneimittel über den Hausmüll zu entsorgen.

Vor diesem Hintergrund konnten sich ABDA und Pharmaverbände bisher nicht auf eine gemeinsame Lösung der Altarzneimittel-Entsorgung verständigen. Die Apotheken müssen derzeit selbst entscheiden, wie sie mit dem Problem der Altarzneimittelentsorgung umgehen. In einigen Kommunen gibt es kostengünstige Möglichkeiten der Entsorgung, beispielsweise in Berlin die Medi-Tonne, deren Inhalt der Verbrennung zugeführt wird. In Hamburg bemüht sich die Apothekerkammer um eine "Hamburger Lösung", Gespräche mit der Stadtreinigung laufen. Apotheken in anderen Bundesländern können die gesammelten Arzneimittel als Sondermüll bei den Kommunen abliefern. Einige Apotheken werden allerdings auch ihre Kunden nicht mehr auf eine Rücknahme in der Apotheke aufmerksam machen und empfehlen, kleine Arzneimittelmengen über den Hausmüll zu entsorgen. So wird es voraussichtlich zu verschiedenen Insellösungen kommen.

Möglicherweise könnte es aber auch zu einer politischen Regelung kommen, da einer EU-Richtlinie zufolge der Gesetzgeber ein Rücknahmesystem für Altarzneimittel organisieren muss, sofern kein funktionierendes System besteht. Wie aus einer Mitteilung der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg hervorgeht, habe "die ABDA den Gesetzgeber zwischenzeitlich aufgefordert, ein adäquates Entsorgungssystem für Altarzneimittel auf Bundesebene gesetzlich zu fixieren".

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