Arzneimittel und Therapie

Folsäuresupplementation mit erhöhtem Krebsrisiko assoziiert

Zwei aktuelle norwegische Studien weisen auf einen Zusammenhang zwischen der langfristigen Folsäurezufuhr und einer erhöhten Krebsinzidenz hin. Sollte dieses Ergebnis in weiteren Untersuchungen bestätigt werden, muss eine Anreicherung von Folaten in Lebensmitteln – wie bereits in einigen Ländern praktiziert – überdacht werden.

Seit rund zehn Jahren wird in einigen Ländern wie in den USA und Kanada Mehl mit Folsäure angereichert, um das Risiko für Neuralrohrdefekte zu senken. Der Erfolg dieser Maßnahme schlug sich unter anderem in einem deutlich verringerten Auftreten von Neuralrohrdefekten nieder. Da epidemiologische Studien eine inverse Assoziation zwischen der Folatzufuhr und Kolorektalkarzinomen gezeigt hatten, versprechen einige Experten sich auch eine günstige Auswirkung auf die Krebsinzidenz. Es gibt jedoch auch Stimmen, die vor einer krebsfördernden Wirkung des Vitamins warnen, das für die Bildung der DNA-Bausteine benötigt wird und deshalb das Zellwachstum fördern kann. Auch im Hinblick auf kardioprotektive Parameter erhofft man sich von Folaten einen günstigen Einfluss. So soll durch eine Senkung des Homocysteinspiegels das kardiovaskuläre Risiko reduziert werden. Allerdings konnte bislang in keiner der großen Studien ein Benefit für die Folsäuregabe gezeigt werden. Im Gegenteil: In zwei norwegischen Studien wurde unter einer homocysteinsenkenden Folattherapie ein statistisch nicht signifikanter Anstieg der Krebsinzidenz beobachtet. Daraufhin wurde in einer kombinierten Analyse der Zusammenhang zwischen einer langfristigen Folsäuregabe und dem Krebsrisiko sowie der Mortalität erneut untersucht. Dazu wurden die Daten aus zwei randomisierten, doppelblinden und placebokontrollierten Studien – der Norvit-Studie (Norwegian Vitamin Trial) und der Wenbit-Studie (Western Norway B Vitamin Intervention Trial) – im Hinblick auf Tumorinzidenz, Krebsmortalität und Gesamtmortalität ausgewertet. Da in Norwegen Lebensmittel nicht mit Folsäure angereichert werden, ist ein Vergleich zwischen einer Folsäuresupplementation und einer nicht supplementierten Gruppe möglich.

Anstieg der Krebsinzidenz

Für die kombinierte Auswertung standen die Daten von 6837 Patienten zur Verfügung, die zwischen 1998 und 2005 aufgrund einer ischämischen Herzerkrankung während 39 Monaten wie folgt behandelt worden waren:

  • 1708 Patienten hatten täglich 0,8 mg Folsäure plus 0,4 mg Vitamin B12 und 40 mg Vitamin B6 erhalten.
  • 1703 Patienten nahmen täglich 0,8 mg Folsäure plus 0,4 mg Vitamin B12 ein.
  • 1705 Patienten erhielten täglich 40 mg Vitamin B6 .
  • 1721 Probanden gehörten der Placebogruppe an.

Nach einer medianen Nachbeobachtung von 38 Monaten war bei 10% der Probanden, die Folsäure plus Vitamin B12 eingenommen hatten, ein Krebsleiden aufgetreten. In der Placebogruppe war bei 8,4% ein Tumor festgestellt worden. 4% der Patienten, die Folsäure und Vitamin B12 erhalten hatten, starben an ihrem Tumorleiden, in der Placebogruppe waren es 2,9%. Die Gesamtsterblichkeit betrug bei den Patienten, die Folsäure und Vitamin B12 erhalten hatten, 16,1%, in der Vergleichsgruppe 13,8%. Das heißt, die Krebshäufigkeit erhöhte sich in der Folatgruppe um 21%, die Krebssterblichkeit um 38% (siehe Tabelle). Am stärksten stieg unter der Folat- und Vitamin-B12 -Gabe die Inzidenzrate für Lungenkrebs an. Die langfristige Einnahme von Vitamin B6 hatte keine Auswirkungen auf Krebsinzidenz, Krebssterblichkeit und Gesamtmortalität.

Ergebnisse der norwegischen Studien zur Folatsupplementierung
Studienendpunkt
Supplementgruppe
Placebogruppe
Hazard ratio
95%
Konfidenz-
intervall
p-Wert
Krebsinzidenz
10,0%
8,4%
1,21
1,03-1,41
0,02
Krebsmortalität
4,0%
2,9%
1,38
1,07-1,79
0,01
Gesamtmortalität
16,1%
13,8%
1,18
1,04-1,33
0,01

Folsäuresubstitution überwachen

In einem Kommentar des US-amerikanischen Ärzteblatts JAMA werden die Ergebnisse der kombinierten Analyse auf dortige Verhältnisse umgerechnet. Werden die in den norwegischen Studien ermittelten Zahlen auf die Gesamtpopulation übertragen, so müssten als Folge der Folsäurebehandlung pro Jahr bei 1000 Menschen 3,5 zusätzliche Krebserkrankungen auftreten, darunter ein zusätzliches Lungenkarzinom auf 1000 Personen pro Jahr. Die zusätzlichen jährlichen Krebstodesfälle betragen in diesem Rechenmodell 1,7 pro 1000 Menschen. Solche Zahlen müssten sich aber auf die Gesamtkrebsinzidenz und Mortalität eines Landes auswirken, was sie aber – für die USA betrachtet – nicht tun. Da die Krebssterblichkeit in den USA seit einigen Jahren rückläufig ist, sieht die Kommentatorin derzeit keinen Handlungsbedarf. Die Verfasser der norwegischen Studie fordern neue Untersuchungen zur langfristigen Folsäuregabe, die nicht nur ausgewählte Patienten, sondern einen repräsentativen Bevölkerungsquerschnitt umfassen. Sollte dann der Zusammenhang zwischen der erhöhten Tumorinzidenz und der Folsäuregabe weiterhin bestehen bleiben, sollte die Anreicherung von Lebensmitteln mit Folsäure überdacht werden.

Folate und Karzinogenese


Epidemiologische Studien weisen auf eine inverse Assoziation zwischen der Folsäureeinnahme und dem Risiko für ein kolorektales Karzinom hin. Für andere Tumorentitäten wurde diese Assoziation nicht beobachtet. Experimentellen Untersuchungen zufolge kann ein Folsäuremangel die frühe Phase der Karzinogenese fördern, wohingegen in einem späteren Stadium Folsäure krebsfördernd wirken könnte, da sie als Baustein für die DNA-Synthese benötigt wird und daher auch das Wachstum maligner Zellen fördern kann.


Quellen

Ebbing M., et al.: Cancer incidence and mortality after treatment with folic acid and vitamin B12. J Am Med Assoc (2009) 302, 2119 – 2126.

Drake B., et al.: Assessing cancer prevention studies – a matter of time. J Am Med Assoc (2009) 302, 2152 – 2153.


Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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