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Gesundheit und Geld – eine problematische Beziehung?

BERLIN (tmb). Ein abwechslungsreiches Programm mit zwei Tagen voller Wissenschaft und Politik rund um die Gesundheitsökonomie bot die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie (DGGÖ) am 1. und 2. März in Berlin den etwa 300 Teilnehmern. Das Motto "money meets medicine” hob die Diskrepanz zwischen medizinisch machbaren und finanzierbaren Leistungen hervor. Doch bei der Tagung ging es um differenzierte wissenschaftliche Betrachtungen und nicht um plakative Thesen.

Grundlegende Trends und politische Aspekte der Gesundheitsökonomie wurden in drei Plenarsitzungen vorgestellt. In den parallel veranstalteten Arbeitsrunden wurden in etwa 80 Vorträgen wissenschaftliche Arbeiten präsentiert. Dabei ging es um gesundheitsökonomische Methoden, Anreizsysteme, spezielle Fragestellungen der Volkswirtschaftslehre und gesundheitsökonomische Untersuchungen. Letztere reichten von indikationsbezogenen Projekten bis zu pharmakoökonomischen Evaluationen einzelner Arzneimittel.

Gesund durch Erziehung

In einer Videokonferenz berichtete der aus Deutschland stammende Prof. Dr. Uwe Reinhardt, Princeton University (U.S.A.), über grundsätzliche Aspekte der Gesundheitsökonomie. Gesundheitssysteme seien international sehr unterschiedlich und stark durch Ideologie, Geografie und Geschichte geprägt, doch gäbe es auch universelle Tendenzen. Grundsätzlich diene das Gesundheitswesen der Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit und diese trage wiederum zum gesamten Lebensglück bei. Letzteres werde aber auch durch die Erziehung, das Einkommen und die Umwelt beeinflusst. Eine Korrelation zwischen den Ausgaben für Gesundheit und der Lebenszufriedenheit der Menschen in verschiedenen Ländern lässt sich hingegen nicht erkennen. In den USA mit den höchsten Gesundheitsausgaben sind die Menschen nicht besonders glücklich und in Dänemark, dem glücklichsten Land, liegen die Gesundheitsausgaben nur im Mittelfeld. Zudem hänge die Gesundheit keineswegs nur von den Gesundheitsleistungen ab. Dazu verwies Reinhardt auf Forschungsergebnisse der Universität Chicago, wonach in einer Gesamtbetrachtung die Erziehung den stärksten Einfluss auf die Gesundheit hat.

Deutsches System als Vorbild

Hinsichtlich der Entwicklung der Gesundheitssysteme berichtete Reinhardt, dass aus amerikanischer Perspektive die Systeme in Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz besonders interessant erscheinen. Denn in diesen Ländern existieren soziale Krankenversicherungssysteme in Verbindung mit Wettbewerb unter den Krankenversicherungen – eine international seltene Kombination. Umgekehrt erwartet Reinhardt, dass die in den USA üblichen Zahlungen für Leistungsbündel im Sinne von Fallpauschalen künftig in Europa bedeutsamer werden.

Reinhardt warnte jedoch davor, Patienten als frei handlungsfähige Konsumenten zu betrachten, wie es in der Volkswirtschaft üblich sei. Das amerikanische Gesundheitssystem folge dieser Idee, doch hätten die Patienten keine hinreichenden Informationen über Preise und Qualität und seien daher keine informierten Verbraucher. Sie verhielten sich daher nicht so, wie es die volkswirtschaftlichen Theorien vorhersagen. Zugleich verwies Reinhardt auf die Grenzen volkswirtschaftlicher Methoden. Nur für wenige Spezialfälle könnten einige Lösungen als ineffizient ausgeschlossen werden, doch in den meisten Fällen könne nur die Politik normativ festlegen, welche Verteilung von Gesundheitsleistungen gewünscht ist.

DGGÖ im Web


Weitere Informationen über die DGGÖ finden Sie im Internet unter www.dggoe.de

Ökonomie anwenden oder nicht?

In einer anderen Plenarsitzung ging es um die Frage, ob die Gesundheitsökonomie zur Grundlage medizinischer Entscheidungen gemacht werden soll. Prof. Dr. J.-Matthias Graf von der Schulenburg, Hannover, Gründungsvorsitzender der DGGÖ, argumentierte, dass die Versorgungsrealität zwangsläufig ein Produkt der ökonomischen Rahmenbedingungen ist, denn unter anderen Bedingungen wären andere Strukturen entstanden. Zudem sei die Knappheit ein grundsätzliches Phänomen. Alle Menschen würden danach streben, Knappheiten – sei es an Gesundheit, Geld oder Zeit – zu überwinden, könnten dies aber nicht und würden damit die Knappheit sogar noch deutlicher in Erscheinung treten lassen. Gerade dort, wo die tatsächliche Knappheit nicht besonders ausgeprägt sei, erscheine die gefühlte Knappheit immer stärker. Darum müsse die Ökonomie bei medizinischen Entscheidungen helfen.

Der Arzt und Philosoph Prof. Dr. Klaus Dörner, Hamburg, warnte dagegen vor einer "Verbetriebswirtschaftlichung" der Medizin. Volkswirtschaftliche Betrachtungen im Sinne des Gemeinwohls seien unerlässlich. Doch ein System, das die Beteiligten in hohem Ausmaß zur kurzfristigen Gewinnmaximierung animiert, verbessere nicht die Wohlfahrt aller, sondern erhöhe vielmehr die Kosten und verfehle damit das erklärte Ziel. Zudem erinnerte Dörner daran, dass Helfen für Jahrtausende eine Privatangelegenheit war und erst mit den Bismarckschen Sozialreformen an den Staat delegiert wurde. Im Zuge des demografischen Wandels sei inzwischen auf lokaler Ebene eine Gegenbewegung erkennbar. Vielfach würden Nachbarschaftsinitiativen und neue privatwirtschaftliche Unternehmen Hilfe und Betreuung anbieten. So könne sich das eigentliche Gesundheitssystem auf die notwendigen professionellen Leistungen konzentrieren.

Das DGGÖ-Führungsduo Prof. Dr. Volker Ulrich (links) und Prof. Dr. Stefan Willich.Foto: tmb

Porträt der Fachgesellschaft


Die DGGÖ wurde am 17. Oktober 2008 durch 17 Hochschulprofessoren gegründet. Unter diesen Gesundheitsökonomen dominieren die Wissenschaftler aus ökonomischen Fakultäten, einige stammen aus der Medizin oder den Gesundheitswissenschaften. Die DGGÖ bezweckt die Förderung der Wissenschaft, Forschung und wissenschaftlichen Politikberatung auf dem Gebiet der Gesundheitsökonomie. Sie will gesundheitsökonomische Erkenntnisse in der Öffentlichkeit verbreiten und gegenüber Parlamenten und Regierungen vertreten.

Die erste Jahrestagung fand 2009 in Hannover statt. Anlässlich der zweiten Jahrestagung bekräftigte der Gründungsvorsitzende Prof. Dr. J.-Matthias Graf von der Schulenburg, dass die DGGÖ als wissenschaftliche ökonomische Gesellschaft fachübergreifend tätig und daher auch für Nicht-Ökonomen offen ist, die sich für die Gesundheitsökonomie interessieren. Die Gesellschaft ist zudem international und gehört der International Health Economics Association an. Obwohl die Gesellschaft wissenschaftlich orientiert ist, werde in der DGGÖ auch über ordnungspolitische Aspekte nachgedacht, so von der Schulenburg.

Bei der Mitgliederversammlung am 1. März zeigte sich von der Schulenburg sehr zufrieden mit der Entwicklung der Gesellschaft. Sie hatte Ende Februar 2010 bereits 328 Mitglieder, in der Gesellschaft arbeiten sieben Ausschüsse. Neben Angehörigen der Hochschulen nahmen auch Vertreter aus privatwirtschaftlichen Instituten, diversen medizinischen Einrichtungen und der Pharmaindustrie an der Jahrestagung teil.

Gemäß den Regularien der DGGÖ übt der Vorsitzende sein Amt jeweils nur ein Jahr lang aus, nachdem er als Kongresspräsident eine Jahrestagung ausgerichtet hat. Neuer Vorsitzender der DGGÖ ist daher nun Prof. Dr. Stefan Willich, Mediziner und Gesundheitsökonom an der Charité Berlin. Zum designierten Vorsitzenden und damit Ausrichter der Jahrestagung 2011 wurde Prof. Dr. Volker Ulrich, Volkswirtschaftler an der Universität Bayreuth, gewählt. Neuer stellvertretender Vorsitzender ist Prof. Dr. Friedrich Breyer, Volkswirtschaftler an der Universität Konstanz. Zum engeren Vorstand der Gesellschaft gehört außerdem der vier Jahre amtierende Generalsekretär Prof. Dr. Stefan Felder, Universität Duisburg-Essen.

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