Interpharm 2010

Perioperatives Prozedere individuell entscheiden

Sollen Thrombozytenfunktionshemmer perioperativ abgesetzt werden? Priv.-Doz. Dr. Jürgen Koscielny vom Institut für Transfusionsmedizin der Berliner Charité, beantwortete diese Frage mit einem entschiedenen "Jein". Wie sich in seinem Vortrag herausstellte, zu Recht. Denn bei der Entscheidung mischen zahlreiche Faktoren mit.


Inhaltsverzeichnis: Interpharm 2010

    Blutgerinnungssystem
  • Das Blutgerinnungssystem: Funktionen und physiologisches Zusammenspiel
  • Pathophysiologie: Wenn die Blutgerinnung gestört ist
  • Hämostasediagnostik: Wie Störungen der Gerinnung zu erkennen sind
  • Arterielle Thromboembolien: Ischämische Infarkte differenziert behandeln
  • Venöse Thromboembolien: Heparine sind individuelle Arzneistoffe
  • Blutgerinnungshemmer: Mit Interaktionen und Nebenwirkungen richtig umgehen
  • Operation unter dualer Plättchenhemmung? Perioperatives Prozedere individuell entscheiden
  • Non-Compliance und genetische Polymorphismen: Wenn Patienten auf ASS oder Clopidogrel nicht ansprechen
  • Unter oraler Antikoagulation: Besondere Aufmerksamkeit des Apothekers ist gefragt
    Asthma und COPD
  • Raucherentwöhnung: Die Nicotinsucht blockieren!
  • COPD: Beste Therapieoption: Weg mit dem Glimmstängel
  • Leitlinienkonforme Asthmabehandlung: Therapiedefizite bei Asthma überwinden
  • Asthmapatienten in der Apotheke: Anwendungsfehler bei Inhalativa vermeiden
    Studien
  • Arzneimittelstudien: Tricks zur Bewertung
  • Studien bewerten: Keine Angst vor Statistik
    Innovationen
  • Arzneimittel in der Pipeline: Fortschritte mit neuen und bekannten Wirkprinzipien
    Depressionstherapie
  • Depressionen im Alter: Keine adäquate Therapie
  • Jugend- und Midlife-Depressionen: Multimodale Therapie verringert Rückfallrisiko
  • Mikronährstoffe: Unterstützung der Depressionstherapie (Seminar)
    Neuro-Enhancement
  • Neuro-Enhancement: Riskantes „Hirndoping“ oder legitime Leistungsstütze?
  • Neuro-Enhancement: Selbstversuche ersetzen keine Studien
    Prävention und Alternativmedizin
  • Prävention mit Mikronährstoffen: Das Potenzial ausschöpfen!
  • Gesundheitsförderung: Apotheker als kompetente Präventionsmanager
  • Prophylaxe: Mit Homöopathie vorbeugen
  • Biochemie nach Dr. Schüßler: Antlitzanalyse hilft bei der Mittelauswahl
    Seminare
  • Reisemedizin: DIE Reiseapotheke gibt es nicht
  • Chemikalien in der Apotheke: Einstufung und Kennzeichnung von Gefahrstoffen
  • Arbeitsrecht: Der Apothekenleiter als Arbeitgeber


Priv.-Doz. Dr. Jürgen Koscielny

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Werden Thrombozytenfunktionshemmer präoperativ abgesetzt, drohen kardiale Ereignisse, wird die Therapie fortgesetzt drohen erhebliche Blutungskomplikationen während der Operation. Um das eine wie das andere zu verhindern, muss ein gangbarer Weg gefunden werden, der nicht immer einfach ist.

Problem Stentoperationen

Die Frage, bei welchen Patienten die Plättchenfunktionshemmer abgesetzt werden sollen und wie das Management prä-, peri- und postoperativ dann aussehen soll, ist in den letzten Jahren immer drängender geworden. Denn immer mehr Patienten erhalten einen koronaren Stent und benötigen deswegen eine duale Plättchenhemmung mit ASS und Clopidogrel. Sie ist notwendig, weil das Risiko der Restenosierung mit Stentokklusion hoch ist. Es liegt bei "bare metal stents" (BMS) zwischen 10 und 30%, bei "drug eluting stents" (DES) zwischen 5 und 10%. Die Letalität im Falle einer Restenosierung ist hoch, da das Ereignis akut auftritt und sich nicht durch Warnsignale, wie etwa eine Angina pectoris, ankündigt. Alle Patienten erhalten nach einer Stentoperation deshalb lebenslang ASS 100 mg. Zusätzlich wird Clopidogrel bei BMS über drei bis vier Wochen empfohlen, bei DES für sechs bis zwölf Monate. Immerhin 5% dieser Patienten benötigen im Folgejahr eine nicht-kardiale Operation. In Deutschland betrifft dies etwa 3700 Operationen pro Jahr, rechnete Koscielny vor. Bei ihnen muss das Prozedere genau überlegt werden, um die Risiken klein zu halten.

Individuelles Risiko ist entscheidend

Generell schlug Koscielny folgenden Algorithmus vor: Bei elektiven Eingriffen sollte bis zum Ende der Clopidogrelgabe abgewartet werden. Ist bereits bei der Stentoperation klar, dass im kommenden Jahr ein anderer Eingriff notwendig wird, empfehlen sich bare metal stents. Sie erfordern eine kürzere duale Plättchenhemmung als DES. Bei dringenden, aber nicht notfallmäßigen Eingriffen muss im Einzelfall unter Berücksichtigung des individuellen Risikos entschieden werden. Ins Kalkül gezogen werden müssen die Art des Stents, und damit die notwendige Dauer der dualen Plättchenhemmung, sowie mögliche Begleiterkrankungen des Patienten. Ebenfalls Einfluss hat die Art der Operation. So ist das Blutungsrisiko bei neurochirurgischen Eingriffen anders zu bewerten als Operationen der Extremitäten. "Operation ist nicht gleich Operation. Jeder chirurgische Eingriff hat sein eigenes Blutungsrisiko", so Koscielny.

Perioperatives Bridging bei Hochrisikoeingriff

Konkrete Empfehlungen zum Vorgehen in kritischen Situationen gibt es von der HICC (haemostasis in critical care). Bei kardiovaskulären Hochrisikopatienten (DES, kritische Stenose), die ASS und Clopidogrel erhalten, sollte die Operation danach möglichst verschoben werden, bis die kombinierte Plättchenhemmung nicht mehr notwendig ist. Ist ein Operationsverzicht nicht möglich, sollen ASS und Clopidogrel weiter gegeben werden. Bei Blutungen kann das Antifibrinolytikum Tranexamsäure genutzt werden. Desmopressin und Thrombozytenkonzentrate sollten bereitgestellt werden. Koscielny verwies hier allerdings auf eine Warnung des Paul-Ehrlich-Instituts, nach der es unter Thrombozytenkonzentraten zu Stent-Thrombosen und plötzlichen Todesfällen gekommen ist. Handelt es sich um einen Hochrisikoeingriff, ist ein perioperatives Bridging notwendig. ASS kann fortgeführt, Clopidogrel muss dagegen drei Tage vor der Operation gestoppt werden und kurz wirksame GPIIb/IIIa-Antagonisten wie Tirofiban eingesetzt werden. Niedermolekulares Heparin wird erstmals zwölf Stunden präoperativ zur Prophylaxe venöser Thrombosen gegeben. Am ersten Tag postoperativ kann dann wieder Clopidogrel verwendet werden.

ASS-Sekundärprophylaxe: einfach weiternehmen

Einfach ist die Situation dagegen bei Patienten, die nur ASS 100 mg einnehmen. Wird es als Primärprophylaxe eingesetzt, sollte es vor der Operation abgesetzt werden. Als Sekundärprophylaxe kann es fortgesetzt werden, außer bei Hochrisikoeingriffen. Dann sollte der Patient auch bei der ASS-Einnahme pausieren.


bf

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