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"Apothekendienstleistungen immer wichtiger"

STUTTGART (diz). Die Pharmagroßhandlung Gehe wird 175 Jahre alt. Gehe, Keimzelle für den Celesio-Konzern, wird in den nächsten Wochen und Monaten sein Jubiläum mit verschiedenen Aktionen feiern. Im Vorfeld der Jubiläumsfeierlichkeiten sprachen wir mit André Blümel, Vorsitzender der Gehe-Geschäftsführung, über die Entwicklung des Unternehmens, über Erfolge und Rückschläge und über die Zukunftsaussichten des Pharmagroßhandels.
Gehe-Chef André Blümel Seit den Gründungstagen sind wir uns treu geblieben, ein Stück der Zeit voraus zu sein.
Foto: DAZ/diz
DAZ: Herr Blümel, Gehe wird 175 Jahre alt. Ein stattliches Alter für ein Großhandelsunternehmen. Was ist das Erfolgsgeheimnis?

Blümel: Franz Ludwig Gehe hat das Unternehmen vor 175 Jahren gegründet. Wir freuen uns sehr, das Jubiläum feiern zu können, aber wir fühlen uns nicht wie 175 Jahre alt. Unser Erfolgsgeheimnis: Seit den Gründungstagen sind wir uns treu geblieben, ein Stück der Zeit voraus zu sein. Der Firmengründer hat diese Branche geprägt mit einer Reihe von Innovationen. Damals wie heute sind wir innovativ, arbeiten wir professionell, was uns meistens gelingt, und gehen partnerschaftlich mit unseren Kunden um.



DAZ: Sie sprachen das Thema Innovationen an. Können Sie uns Beispiele dafür geben?

Blümel: Franz Ludwig Gehe hat beispielsweise den modernen Außendienst und die direkte Kundenansprache eingeführt. Er war der Erste, der Mitarbeiter in die Apotheke geschickt und dort Aufträge entgegengenommen hat. Gehe hat das Mehrwegsystem in der Großhandelsbelieferung erfunden – damals waren es allerdings noch Holzkisten. Die serielle Datenübertragung der Apothekenbestellungen hat Gehe eingeführt. Außerdem verweise ich auf die lange Tradition der Gehe Akademie für die Personalfortbildung. Schon Franz Ludwig Gehe richtete in Dresden eine seinerzeit bedeutende Stiftung für die Aus- und Weiterbildung ein.


DAZ: Wenn Sie die 175 Jahre Unternehmensgeschichte Revue passieren lassen: Was waren die Höhepunkte in der Firmengeschichte bei Gehe?

Blümel: Schauen wir in die jüngere Vergangenheit, dann lässt sich die Wiedervereinigung nennen und die Eröffnung von sechs Niederlassungen in den neuen Bundesländern. Darüber hinaus gehören zu den Höhepunkten sicher auch die Übernahme von Ruwa und von Scharfe in den 80ern des letzten Jahrhunderts. Wenn wir dann die Internationalisierung des Unternehmens betrachten, dann war die Übernahme der OCP in Frankreich ein Meilenstein der Firmengeschichte, was letztlich dazu führte, dass aus Gehe das internationale Unternehmen Celesio wurde.


DAZ: Gab es denn auch Rückschläge für das Unternehmen in den 175 Jahren?

Blümel: Natürlich gibt es in jedem Unternehmen auch Rückschläge, meistens dann, wenn man neue Themen in einem Markt einführt, die nicht immer mit Hurra im Markt aufgenommen werden. Beispielsweise beim Thema Frei- und Sichtwahlplatzierung, die auch aus unserem Haus heraus Anfang der 80er Jahre entwickelt und eingeführt worden ist. Dies hat damals zu heftigen Diskussionen im deutschen Apothekenmarkt geführt, ob dies sinnvoll ist. Heute ist eine deutsche Apotheke ohne Frei- und Sichtwahl nicht mehr vorstellbar.


DAZ: Das jüngste Ereignis bei Gehe bzw. Celesio, das zu heftigen Reaktionen führte, war die Übernahme der Versandapotheke und der Marke DocMorris. Einige Gehe-Kunden kehrten dem Unternehmen den Rücken. Gehört das aus Ihrer Sicht auch zu den Rückschlägen?

Blümel: Ja, auch die DocMorris-Übernahme war für einen Teil der Kunden zunächst nicht einfach zu bewerten. Heute freuen wir uns darüber, dass wir DocMorris im Haus haben, dass wir über die stärkste Marke im Apothekenbereich verfügen und sie unseren Kunden über eine Markenpartnerschaft zur Verfügung stellen können. Wir machen die Marke noch stärker mit dem besten Konzept.


DAZ: Aber Sie haben bereits eine Kooperation im Haus, nämlich "gesund leben-Apotheken". Mussten Sie nicht auch daran denken, dass es zum Konflikt mit der DocMorris-Markenpartnerschaft kommen könnte?

Blümel: Die Frage ist durchaus berechtigt, wir haben sie gerade in der Anfangsphase sehr häufig gestellt bekommen. Aus unserer Sicht ist es kein Konflikt, weil beide Linien unterschiedlich positioniert sind. Wenn eine Löwen-Apotheke beispielsweise an der Kooperation gesund leben-Apotheken teilnimmt, bleibt sie weiterhin die Löwen-Apotheke, die sich dann zusätzlich als Mitglied der Kooperation präsentiert. Gesund leben-Apotheken ist übrigens mit rund 2600 Mitgliedern die stärkste Kooperation in Deutschland. Ein DocMorris-Markenpartner hingegen setzt ein vollständiges Raumkonzept um, was immer mit einem Um- oder Neubau verbunden ist, wie auch die DocMorris-Konzeptphilosophie.


DAZ: Herr Blümel, kann man als Apotheker heutzutage eigentlich noch Kunde bei Ihnen sein und Waren von Gehe beziehen, ohne einer dieser Kooperationen beizutreten?

Blümel: Es freut mich, dass Sie danach fragen. Ja, natürlich kann man das. Unser Ziel ist es: Wir wollen jede Positionierung, die ein Apotheker in seinem Wettbewerbsumfeld wählt, bedienen können. Natürlich haben wir – und das ist unsere größte Kundengruppe – klassische Individual-Apotheken, die einen Großhandelspartner suchen, der für sie neben der Großhandelsleistung bestimmte Zusatzservices erbringt.


DAZ: Wie sieht die prozentuale Verteilung Ihrer Apothekenkunden auf diese drei Kategorien aus?

Blümel: Wir haben etwa zwei Drittel Individual-Apotheken, rund ein Drittel unserer Kunden nimmt an der "gesund leben"-Kooperation oder der DocMorris-Markenpartnerschaft teil.


DAZ: Wachsen die Teilnehmerzahlen an der Markenpartnerschaft derzeit noch?

Blümel: Die Zahl ist kein Geheimnis: Wir haben derzeit rund 150 DocMorris-Markenpartner. Diese Zahl wird in den nächsten Jahren weiter wachsen. Unser Ziel ist: Wir wollen 2015 insgesamt 500 Markenpartner haben. Wir sind auf einem guten Weg dahin. In den letzten Wochen haben fünf neue Markenpartner eröffnet.


DAZ: Welches Feedback bekommen Sie: Ist DocMorris und die Markenpartnerschaft mittlerweile etabliert oder ist die Marke unter Apothekern immer noch der böse Bube?

Blümel: Ich denke, die Aufregung um DocMorris hat sich weitgehend gelegt. DocMorris wird in der Wettbewerbslandschaft als ein Angebot um sich zu positionieren wahrgenommen. Was das Image des bösen Buben angeht, so kommt es auf die Blickrichtung an. Der Endverbraucher hat DocMorris nie als bösen Buben gesehen, sondern immer als starke Marke wahrgenommen. Der andere Blickwinkel war von Teilen der Branche selbst geprägt, aber ich denke, das hat sich in den letzten Monaten und Jahren deutlich relativiert.


DAZ: Werfen wir einen Blick auf die große Gesundheitspolitik. Was könnte auf den Pharmagroßhandel zukommen angesichts der Einsparvorschläge aus dem Ministerium und anderen Kreisen?

Blümel: Die Rolle des Großhandels im Markt ist in den letzten Jahren generell immer wichtiger geworden. Nehmen wir das Thema Rabattverträge: Gerade hier ist eine Apotheke auf einen gut funktionierenden Großhandel angewiesen, um das Spektrum der Rabattarzneimittel vorrätig zu halten. Auch die 15. AMG-Novelle hat mit der Public Service Obligation die Rolle des Großhandels eindeutig bekräftigt. Damit konnte der Trend Direktgeschäft der Hersteller an die Apotheken gestoppt werden. Dagegen ist man der Vergütungsänderung des Großhandels, also eine Umstellung auf einen Fixaufschlag und einen prozentualen Aufschlag, in der AMG-Novelle bisher nicht nachgekommen. Der Großhandelsverband Phagro hatte diese Forderung gestellt, damit die Großhandlungen weiterhin das gesamte Produktspektrum zur Verfügung stellen und distribuieren können. Wir stehen hinter dem Phagro-Vorschlag.


DAZ: Dauerthema: Rabatte des Großhandels an Apotheken. Hier steht ein Vorschlag im Raum, diese Rabatte für die Apotheken zu kürzen, was viele Apotheken empfindlich treffen würde …

Blümel: Wettbewerb auf allen Handelsstufen ist von der Politik und von den Beteiligten ausdrücklich gewollt. Deshalb gibt es Rabatte vom Großhandel an Apotheken. Wir begrüßen, dass dies so ist.


DAZ: Nachgefragt: Hat nicht Gehe die Rabatte hochgetrieben, als einige Apotheker Gehe nach der DocMorris-Übernahme den Rücken kehrten?

Blümel: Wir sind ein Unternehmen von mehreren im Markt. Allen Unternehmen steht die gleiche Marge zur Verfügung und damit kann sich auch der Spielraum, Rabatte zu geben, nur in einem bestimmten Korridor bewegen. Innerhalb dieses Korridors gibt es Schwankungen.


DAZ: Rabatte sind das eine, es gibt aber noch weitere Möglichkeiten auf die Kunden zuzugehen. Was steht hier bei Gehe im Vordergrund?

Blümel: Was uns interessiert, sind die Leistungsangebote, die den Apotheker in seiner Arbeit unterstützen und erfolgreich machen. Wir entwickeln permanent Instrumente, die nachweislich einen Beitrag zu seinem wirtschaftlichen Erfolg leisten können. Ich nenne hier unser Instrument "Wawitop", das die Warenwirtschaft der Apotheke unterstützt: einerseits eine gute Warenverfügbarkeit, andererseits kein unnötiger Lagerbestand und dies bei optimierten Bestellfrequenzen. Mit diesem Optimierungsinstrument der Warenwirtschaft erreicht die Apotheke durchschnittlich 10.000 Euro an zusätzlichem Ertrag im Jahr. Ein weiteres Instrument ist das apothekengerechte Category Management, das wir komplett überarbeitet haben. Wenn Apotheker diesen Empfehlungen folgen, dann führt auch dies zu Ergebnissteigerungen von rund 10.000 Euro im Jahr. Diese beiden Effekte leisten einen deutlichen Beitrag für die Apotheke.


DAZ: Ist die Belieferungsfrequenz noch ein Thema?

Blümel: Ja, das ist noch ein Thema. Sie wird in der Zukunft unwichtiger werden, denn bei optimaler Lagerbestandspflege wird die Belieferungsfrequenz automatisch zurückgehen. Unabhängig davon bin ich überzeugt, dass die Anzahl der täglichen Belieferungen der Apotheken in Zukunft zurückgehen werden. Denn auch die Apotheke wird ihre Prozesskosten zurückfahren wollen, die entstehen, wenn Ware ins Lager eingepflegt wird.


DAZ: Gehe hat ein Sortiment an Eigenmarken. Werden Sie das in Zukunft forcieren?

Blümel: Wir werden das Sortiment weiter ausbauen, weil wir sehen, dass sich Drogeriemärkte in bestimmten Sortimentsbereichen immer stärker in Richtung Apotheke positionieren wollen. Wir wollen hier eine Alternative für den Apothekenkunden anbieten. Markenprodukte leiden darunter nicht, unsere Eigenmarken sind als Ergänzungssortiment zu sehen.


DAZ: Gehe betreibt auch eine Akademie zur Apotheker-Fortbildung. Werden Sie diese weiterhin betreiben und pflegen?

Blümel: Ja, auf alle Fälle. Wir haben heute schon über 800 Veranstaltungen mit mehr als 25.000 Teilnehmern im Jahr. Wir werden auch das Segment eLearning ausbauen, damit man von der Apotheke aus an den Seminaren teilnehmen kann. Dieser Bereich entwickelt sich derzeit sehr dynamisch genauso wie Coaching-Maßnahmen des Apothekenpersonals in der Apotheke. Die Schulung der Mitarbeiter vor Ort in der Apotheke verzeichnet ein großes Wachstum.


DAZ: Blicken wir in die Zukunft. Wie sehen Sie die zukünftige Marktentwicklung?

Blümel: Ich sehe hier wesentliche Entwicklungen. Im sogenannten Back Office-Bereich, also bei den administrativen Prozessen, wird die Apotheke noch schlanker organisiert sein, um mehr Zeit für die Betreuung der Kunden zu haben. Hier arbeiten wir auch zukünftig an Angeboten, um den Apotheker zu unterstützen. Der zweite Punkt betrifft die Positionierung der Apotheke im Markt: Wie bin ich in meinem Wettbewerbsumfeld attraktiv? Wie kann ich die Kundenfrequenz erhöhen? Auf diesem Feld bieten wir heute bereits mit unseren Konzepten exzellente Lösungen. Diese gilt es jetzt und in Zukunft weiter zu entwickeln. Schließlich wird aus meiner Sicht der Bereich der Apothekendienstleistungen immer wichtiger. Dieser Sektor ist noch unterentwickelt, birgt aber für die Zukunft großes Potenzial. Auch hier arbeiten wir an Konzepten, denn die Apotheke kann hier eine wichtige Rolle spielen.


DAZ: Schauen wir auf die Großhandelslandschaft, stellen wir eine zunehmende Oligopolisierung fest. Kleine private Großhandlungen wurden von den Großen geschluckt. Wird sich hier künftig noch mehr tun?

Blümel: Die Konsolidierung im deutschen Markt ist weitgehend abgeschlossen. Wir hatten die Übernahme von Kapferer durch die Noweda sowie die Übernahme von Von der Linde durch die Sanacorp. Weitere Übernahmen sehe ich derzeit nicht.


DAZ: Noch eine Abschlussfrage: Warum sollte ein Apotheker Kunde von Gehe werden?

Blümel: Der Hauptgrund: Wir haben für jede Marktpositionierung ein passendes Angebot. Der zweite Grund ist, dass wir immer wieder beweisen können, das Wort Innovation mit Leben zu füllen, was dem Apotheker zugutekommt. Und der dritte und wichtigste Grund sind die Mitarbeiter von Gehe, die für unsere Kunden arbeiten. Wir haben eine sehr gute Mannschaft, die sich für unsere Kunden einsetzt.


DAZ: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Blümel.

Daten und Fakten


  • 1. Mai 1835, Franz Ludwig Gehe gründet eine Drogen- und Farbwarenhandlung in Dresden. Seine Vision: "Gesundheit für Jedermann". Als Arbeitserleichterung für Apotheker über Rohstoffe und Produkte erstellt er den "Gehes Codex", das erste umfassende Arzneimittelverzeichnis für Deutschland. Sein Unternehmen expandiert, Gehe & Co. liefert seine Produkte in zwölf Länder, u. a. nach China, Japan und in die Türkei.
  • 1860 gründet er die Stiftung zur "Hebung der allgemeinen Volksbildung".
  • Am 22. Juni 1882 stirbt Franz Ludwig Gehe.
  • 1903 öffnet sich das Unternehmen dem Kapitalmarkt
  • 1973 erwirbt die Franz Haniel die Mehrheit der Aktien an der Gehe & Co. AG.
  • 2003 ändert das Unternehmen aufgrund der Internationalisierung seinen Namen, es entsteht die Celesio AG. Die deutsche Tochter, die Gehe Pharma Handel GmbH trägt weiterhin den Namen des Firmengründers.

Celesio ist heute in 26 Ländern tätig, beschäftigt rund 46.000 Mitarbeiter und erwirtschaftete 2009 einen Umsatz von über 21 Milliarden Euro.

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