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Dem BMG fehlt der Glaube ans Zielpreismodell

POTSDAM (ks). Am zweiten Tag des DAV-Wirtschaftsforums stand die Zukunft der Apotheke und der Arzneimittelversorung im Mittelpunkt. Der Leiter der Abteilung Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung im Bundesgesundheitsministerium (BMG), Dr. Ulrich Orlowski, gab zunächst einen Überblick über die Eckpunkte zur Arzneimittelversorgung. In der anschließenen Diskussion zeigte sich, dass das Thema Zielpreisvereinbarungen nach wie vor hochaktuell ist – für Apotheker wie auch für Ärzte. Doch im Ministerium hat man Verständnis, dass die Krankenkassen Rabattverträge vorziehen.


Inhaltsverzeichnis: "Wirtschaftsforum 2010"


Dr. Ulrich Orlowski: Es gibt ­keine vierte Hürde.

Orlowski ging auf die tags zuvor vom Bundeskabinett beschlossenen Eckpunkte ein. Ziel der anstehenden Änderungen sei, eine bezahlbare und angemessene medizinische Versorgung zu gewährleisten sowie verlässliche Rahmenbedingungen für Innovationen sicherzustellen. Die Finanzsituation sei "nicht gerade einfach", betonte Orlowski: 13 Krankenkassen müssten bereits Zusatzbeiträge erheben, dass weitere folgen, sei zu erwarten. Eine Anhebung des Einheitsbeitrags, wie in den vergangenen Wochen des Öfteren ins Spiel gebracht, werde es jedoch nicht geben. Die erforderliche Deckungsquote im Fonds von 95 Prozent werde 2010 nicht unterschritten.

Mehr Preisverantwortung nötig

Gespart werden soll nun zunächst bei den Arzneimitteln – insbesondere den patentgeschützten. Das Sparpaket sorge dafür, dass die freie Preisbildung und der direkte Marktzugang erhalten bleiben, betonte Orlowski: "Es gibt gerade keine vierte Hürde." Deutschland bleibe weiterhin Referenzland für die Preisbildung. Es sei jedoch mehr Preisverantwortung nötig; die deutschen Arzneimittelpreise lägen etwa um 16 Prozent höher als in der Schweiz. Hier könne nur ein Vertragsprinzip helfen. Was die vorgesehenen zentralen wie auch dezentralen Preisverhandlungen betrifft, gebe es noch "eine Fülle von Fragen", räumte Orlowski ein. Wie dies zu regeln ist, werde im Gesetzgebungsverfahen noch eine große Rolle spielen. Bevor die strukurellen Maßnahmen greifen, setzt die Bundesregierung auf Kostendämpfung.

Pauschalierende Mehrkostenregelung

Orlowski verteidigte zudem die Rabattverträge für Generika. Sie würden weder abgeschafft noch "auf ihre Bedeutungslosigkeit reduziert", sondern weiterentwickelt. Das Wettbewerbs- und Kartellrecht müsse Anwendung finden. Über weitere Regelungen im Vergaberecht zum Mittelstandsschutz werde derzeit diskutiert. Dem Argument, durch Rabattverträge nötige Präparatewechsel gefährdeten die Therapietreue der Patienten, will die Regierung mit einer Mehrkostenregelung begegnen – und zwar in Form einer "pauschalen Erstattung". Die genauere Ausgestaltung und die Ermittlung der Preisbasis sei sicherlich problematisch, so Orlowski. Er gab sich dennoch zuversichtlich, dass dies technisch zu organisieren sei. Die pauschalisierende Lösung soll zudem den Aufwand begrenzen.

Zielpreismodell mit Haken

Auch das Zielpreismodell, das die Apothekerschaft seit Langem favorisiert – seit einiger Zeit auch gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) – fand die Erwähnung des BMG-Abteilungsleiters. Es sei in den Eckpunkten nicht obligatorisch vorgesehen, doch schon jetzt seien Vereinbarungen auf Landesebene möglich, betonte Orlowski. Dass dieses fakultative Modell bei den Kassen bislang keine Akzeptanz finde, kann er allerdings verstehen. Der Nachteil des Modells sei, dass die Kassen hiermit ihre ökomomische Verantwortung schwächten. Die Nachfragemacht werde mit dem Zielpreismodell teilweise auf die Apothekerschaft verlagert – es gebe keinen Grund, warum die Kassen dies tun sollten. Das marktwirtschaftliche Rabattvertragssystem sei dagegen eingespielt, rechtssicher und bringe klare Einsparungen. 2009 bezifferten sich die Ersparnisse auf rund 800 Millionen Euro brutto, im laufenden Jahr seien eine Milliarde Euro zu erwarten.

Kassenabschlag – BMG wartet auf Sozialgericht

Orlowski verwies auf Versichertenbefragungen des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, wonach die Umstellung für drei Viertel der Patienten problemlos laufe. "Natürlich ist es richtig, dass der Beratungsbedarf in der Apotheke anspruchsvoll ist", räumte er ein. Dennoch äußerte er sich zurückhaltend, ob und wie der Aufwand durch die Rabattverträge in der Apothekenvergütung zu berücksichtigen ist. Auch das BMG meint, dass die vom Schiedsgericht entschiedene Absenkung des Apothekenabschlags für 2009 von 2,30 auf 1,75 Euro nicht angemessen sei. Es sei nun Sache des Landessozialgerichts, zu entscheiden, anhand welcher Paramenter die Vergütung fortzuschreiben ist. Der vom DAV-Vorsitzenden Fritz Becker als "schreiende Ungerechtigkeit" bezeichnete Umstand, dass der Widerspruch gegen eine schiedsgerichtliche Entscheidung im Rahmen von § 129 SGB V keine aufschiebende Wirkung hat, ist laut Orlowski nichts Ungewöhnliches. Eine jetzige Änderung hätte ohnehin kaum Relevanz auf das Verfahren. Dennoch: Angesichts der Tatsache, dass DAV und GKV-Spitzenverband bereits in die Abschlagsverhandlungen für 2010 eingetreten sind, wäre man beim DAV auch für die Zukunft froh, wenn es eine aufschiebende Wirkung gäbe – so wie es derzeit bei Streitigkeiten der KBV der Fall ist und auch in den Eckpunkten in Fragen der Preisbildung vorgesehen ist.

Pick up verfassungsrechtlich noch zu klären

Auch das Problem, das Apotheker und Kassen bei der Auslegung der für die Substitution relevanten Begriffe "gleicher Indikationsbereich" und "identische Packungsgröße" umtreibt, ist dem Ministerium bekannt. Zwar könne er nicht versprechen, dass hier in den laufenden Verfahren eine Klarstellung erfolgt, sagte Orlowski. Es werde jedoch geprüft, wie diese im Vollzug oder in der Gesetzgebung erreicht werden könne. Was das in den Eckpunkten angestrebte Verbot von Pick-up-Stellen betrifft, gab sich Orlowski ebenfalls vorsichtig: Dies sei "verfassungsrechtlich noch zu klären."

Prof. Dr. Bertram Häussler: Apotheken werden zunehmend mit Fragen nach Effektivität und Effizienz konfrontiert.

Apothekenvergütung – ein brisantes Thema

Als Einstieg in die anschließende Diskussion erläuterte Prof. Dr. Bertram Häussler vom IGES, was auf Apotheken in Zukunft zukommt und welche Bedeutung dies für ihre Honorierung hat. Klar ist: Die Menschen in Deutschland werden zwar weniger, aber älter. Damit wächst die Zahl der Pflegebedürftigen und der Dementen. Vor allem im Osten der Republik wird es zu einer Entvölkerung kommen. Dort werde es immer schwerer, Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser zu erhalten – das gleiche gelte für Arztpraxen und Apotheken. Damit auch hier noch eine Versorgung möglich ist, sei mehr nötig als eine Bezahlung nach diagnosebezogenen Fallgruppen, Gebührenordnungen oder den 8,10 Euro abzüglich 2,30 Euro pro abgebener Arzneimittelpackung, so Häussler. Er ist überzeugt, dass sich die Rolle der Apotheker ändern wird und sich ihr Leistungsangebot im Sinne evidenzbasierter Medizin anpassen muss. Es werden neue, beratungsintensive Arzneimittel kommen, die Anforderungen an das pharmakologische Wissen werden steigen – auch wenn die Spezialversorgung lediglich rund fünf Prozent der Apothekenarbeit betrifft (nach DDD). Apotheken würden zudem zunehmend mit Fragen nach Effektivität und Effizienz konfrontiert. Das Verordnungsvolumen wird sich tendenziell nicht erhöhen, dafür aber der Beratungsbedarf – und damit bleibt die Frage der Honorierung brisant.

Carl-Heinz Müller: KBV setzt mit Apothekern auf Zielpreisvereinbarungen.
Foto: KBV

KBV und DAV im Schulterschluss

In der Diskussion kamen zunächst die Bemühungen des Bundesgesundheitsministers für Landärzte zur Sprache. Diese sind auch für Apotheken von Relevanz: Wo kein Arzt ist, kann sich auch keine Apotheke halten. KBV-Vorstand Carl-Heinz-Müller sieht einen "kleinen Teil eines richtigen Weges" eingeschlagen. Der Arztberuf müsse attraktiver werden. Ärzten müsse es dabei auch möglich sein, evidenzbasiert zu verordnen. Ihre derzeitige Übernahme der Preisverantwortung sei ein Problem – auch wenn tatsächlich weniger als fünf Prozent der Ärzte tatsächlich in Regress genommen würden, zeige schon die Androhung ihre Wirkung. Auch die Rabattverträge seien eine "ethische Falle". Gemeinsam mit der Apothekerschaft setzt die KBV daher auf Zielpreisvereinbarungen. Nach dem gemeinsam entwickelten Konzept sollen Ärzte nur noch den Wirkstoff verordnen, sowie Dosierung und Einnahme festlegen. Dem Apotheker obliegt es sodann, im Rahmen des Preiskorridors der Zielpreisvereinbarung das konkrete Arzneimittel auszusuchen. Zudem führt er in Abstimmung mit dem Arzt eine Medikationsdatei für den Patienten. Der Arzt kommt so aus der Wirtschaftlichkeitsverantwortung, der Patient kann bei seinem gewohnten Präparat bleiben.

Becker erklärte, dass die Rabattverträge den Kassen auf den ersten Blick zwar höhere und schnellere Einsparungen versprächen. Allerdings ist es aus seiner Sicht Zeit, einmal wieder den Patienten in den Mittelpunkt zu stellen. Auch Müller sagte, ein solches Vorgehen sei nur attraktiv, wenn es nicht lediglich optional zur Verfügung stehe. Das Problem sei, dass den Krankenkassen der Anreiz fehle, dem Arzt die wirtschaftliche Verantwortung zu nehmen. Orlowski betonte, dass das Zielpreismodell etwas sei, das die Selbstverwaltung selbst aushandeln müsse. Claudia Korf von der Barmer GEK erklärte, sie würde dem Zielpreismodell "perspektivisch noch eine Chance geben" – insbesondere in Kombination mit besonderen Versorgungsformen. Sie sieht in Zusammenhang mit den Rabattverträgen vor allem die Mehrkostenregelung kritisch: Je nach Ausgestaltung müsse man möglicherweise "gar nicht mehr über Rabattverträge reden" – selbst eine pauschale Regelung werde Probleme machen, ist Korf überzeugt. Und so wartet die Barmer GEK weiter, ehe sie den Startschuss für ihre angekündigte Wirkstoffausschreibung abgibt. "Wir geben unsere Sortimentsverträge nicht auf für etwas, das nicht sicher ist", so Korf.

Fritz Becker: Der Patient gehört in den Mittelpunkt .
Foto: DAZ/Sket

Modulvergütung – ein Zukunftsmodell?

Ob Zielpreismodell oder Rabattverträge: Auf die Apotheker kommen Herausforderungen zu – und für sie ist es nicht nachzuvollziehen, warum sie dafür weniger Geld bekommen sollten. ABDA-Präsident Heinz Günther Wolf regte eine dynamische Anpassung des Apothekenhonorars an. Gut wäre dabei eine Kopplung an die Versorgungsqualität und die Morbidität. Becker betonte, dass die Basishonorierung zu wenig sei. Für spezielle Dienstleistungen brauche es besondere Vergütungen. Korf entgegnete, die Apotheken müssten erst einmal darlegen, was sie zusätzlich leisteten. Grundsätzlich könne sie sich eine Modulvergütung als Konzept für die Zukunft vorstellen. Dann müssten die Apotheker in einen starken Leistungswettbewerb treten und akzeptieren, dass nicht mehr alle Apotheken gleich sind.

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