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Arzneimittel und Therapie
Antidepressiva wirksam nur bei schweren Depressionen?
Der größere Teil der Patienten, die einen Arzt wegen depressiver Störungen aufsuchen, haben eher gemäßigte Symptome. In den USA trifft dies nach einer Umfrage auf 71% der hilfesuchenden Patienten zu, in Deutschland dürften ähnliche Zahlen vorliegen. In der jetzt veröffentlichten Metaanalyse [1], die die Ergebnisse von sechs randomisierten klinischen Studien mit 718 Patienten und Publikationen aus den Jahren 1980 bis 2009 zusammenfasst, hatte diese Gruppe einen Schweregrad von weniger als 22 auf der Hamilton Rating Scale for Depression (HDRS), ein vom britischen National Institute for Clinical Excellence aufgestelltes Kriterium zur Bewertung des Schweregrads von Depressionen. Bei einem HDRS von 25 liegt nach Einschätzung der American Psychiatric Association dieser Skala bereits eine sehr schwere Depression vor.
Antidepressiva auch bei gemäßigten Symptomen?
In die Untersuchung wurden Studien einbezogen, die Patienten mit sehr großen Unterschieden im Schweregrad der Depression aufgenommen hatten. Ziel der Untersuchung war, den Einfluss des Ausgangs-HDRS auf die Wirkung zu untersuchen. Als Therapeutika wurden sowohl Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI; Paroxetin) als auch trizyklische Antidepressiva (Imipramin) mit Placebo verglichen. Erwartungsgemäß stieg die Wirkung bei den beiden Wirkstoffen mit dem Schweregrad der Erkrankung: Je ausgeprägter die Depression, desto besser die Wirkung. Dies war allerdings auch unter Placebo der Fall. Nur verlief die Symptom-Wirksamkeits-Kurve beim Placebo flacher als bei den applizierten Antidepressiva.
Patienten mit einem HDRS von unter 23 bei Therapiebeginn zeigten nur eine geringe Verbesserung durch die Antidepressiva. Verglichen mit einer Placebo-Therapie wurden ihre Symptome lediglich um einen HDRS-Punkt zusätzlich gesenkt. Ein eindeutiger Effekt um mehr als 3 Punkte und damit eine deutliche Verbesserung wurde sogar erst ab einem HDRS von 25 oder mehr erzielt. Überraschend an den Ergebnissen der jetzt vorgelegten Studie ist die hohe Symptomschwelle, ab der überhaupt eine klinisch relevante Wirkung nachgewiesen werden konnte. Zwei frühere Metaanalysen hatten einen Einsatz von Antidepressiva positiver eingeschätzt. In diese waren allerdings Patienten mit mäßigen Symptomen nicht aufgenommen worden.
Die Studie wird die Diskussion um die Notwendigkeit einer Indikation von Antidepressiva auch bei Depressionen mit gemäßigten Symptomen sicherlich neu beleben. Die seinerzeit vorgelegten Kritikpunkte (zu kurze Dauer der Studien, geringe Anzahl der untersuchten Antidepressiva) sind auch für die aktuelle Metaanalyse zutreffend [2]. Andererseits ist die Argumentation eines der Autoren der Veröffentlichung nicht von der Hand zu weisen, dass "es kaum einen Beweis gibt, dass eine medikamentöse Behandlung besser ist als jeder andere Versuch, um mit einer Depression fertig zu werden" – sei es Sport treiben oder eine Psychotherapie zu machen [1].
Quelle[1] Fournier, J.C.; et al.: Antidepressant Drug Effects and Depression Severity A Patient-Level Meta-analysis. J. Am. Med. Assocc. 2010; 303(1): 47 – 53.[2] Kusnick, C.: Metaanalyse: Antidepressiva bei schweren Depressionen wirksam. Dtsch. Apoth. Ztg. 2008; 10: 44 – 46.
Dr. Hans-Peter Hanssen
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