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Meinung
Der Krieg gegen die freien Berufe
Kapitalistische Planwirtschaft
Das Geschehen konnte lange weitgehend unbemerkt ablaufen und hat sich oft einfach aus der Interessenlage der Akteure und den Folgen neuer Regularien ergeben. Doch die Finanzkrise hat deutlich gezeigt, wie weit der Umbau der Gesellschaftsordnung in Richtung einer "kapitalistischen Planwirtschaft" gediehen ist und wie weit Eigenverantwortung in der Wirtschaft abgedankt hat. Drei zentrale und zudem private Ratingagenturen mit intransparenter Vorgehensweise beeinflussen oder bestimmen durch ihre Ratingeinstufungen die Kreditkosten von Unternehmen, Banken, Gebietskörperschaften und ganzen Ländern. Doch was heißt es für Marktwirtschaft, Eigenverantwortung und Wettbewerb, wenn fast alle Banken der Welt keine eigene Bonitätsprüfung mehr vornehmen, sondern sich nach zentral ermittelten Zahlen richten?
Es heißt, dass wir in großen Teilen des Bankwesens kapitalistische Planwirtschaft betreiben. Die Entscheidungsträger geben ihre Verantwortung für ihre eigentliche Aufgabe, die Kreditrisikoprüfung, an zentrale Stellen ab. Durch die Eigenkapitalregeln des Basel-II-Abkommens wird zudem die Kapitalvergabe in der Krise künstlich erschwert und im Aufschwung künstlich erleichtert. Es erfolgt also systemimmanent das genaue Gegenteil der alten Weisheit "Spare in der Zeit, dann hast du in der Not!" Da ist es kein Wunder, dass in einem derartig gleichgeschalteten System dieselben Auswüchse wie in jeder zentralen Planwirtschaft zu beobachten sind. Kapitalfehlallokationen eines solchen Ausmaßes wie in der Finanzkrise hatte man bislang nur dem Sozialismus zugetraut.
Die Finanzbranche ist kein Einzelfall
Aber nicht nur in der Finanzbranche ist die schrittweise Abschaffung der Eigenverantwortung zugunsten planwirtschaftlicher und dementsprechend ineffizienter Strukturen zu beobachten. Im Gesundheitswesen werden Ärzte durch bürokratische Auflagen kontrolliert, deren Umfang und Regelungsdichte kaum noch Raum für eigene Entscheidungen lässt, ärztliche Kompetenz an vielen Stellen missachtet und Ärzte wirtschaftlich und organisatorisch oft bis an den Rand des Erträglichen belastet. Ärzte werden zu Rädern in einem planwirtschaftlichen System. Davon profitieren größere Klinikbetreiber. Sie wenden zunehmend die Methoden der Unternehmensorganisation nicht nur auf einzelne Kliniken, sondern auf ganze Verbünde von Kliniken an, und diese immer größer werdenden Organisationseinheiten werden zunehmend zum natürlichen Partner der Gesundheitsbürokratie.
Über den Apothekern hängt als Damoklesschwert die Gefahr der Zulassung von Apothekenketten. Dann könnten Gesundheitskonzerne auch diese Bastion bürgerlicher Eigenverantwortung vereinnahmen. Das Fremd- und Mehrbesitzverbot ist ein Eingriff zugunsten der Patienten. Gut informierte, eigenverantwortliche Apotheker werden ihre Patienten mit mehr Engagement und Sachkenntnis versorgen als Konzernangestellte. Mit der Abschaffung des Fremdbesitzverbotes würden nationale oder sogar europäische Oligopole großer Kettenbetreiber entstehen. Die Früchte des Apothekenprivilegs würden dann nicht mehr in kleineren Beträgen einzelnen Apothekern zufließen, sondern wenigen Großkonzernen, die um die Vorherrschaft über den deutschen, ja europäischen Markt kämpfen würden. Ob damit den Patienten gedient ist, sei dahingestellt.
Der Kampf gegen den Mittelstand findet aber an vielen Stellen statt: Metzgereien haben mittlerweile so aufwendige Verordnungen zu beachten, dass viele Metzger aufgegeben haben. Es ist nicht ausschließlich die "Effizienz" der großen Discounter, es sind zum großen Teil auch Regeln, die sich bewusst gegen den Mittelstand richten und eine kapitalistische Planwirtschaft begünstigen.
Auch unabhängige Vermögensberater, die eigentlich die großen Gewinner der Finanzkrise hätten sein können, wurden durch die 2008 still und heimlich erlassene MiFID-Direktive der Europäischen Union systematisch benachteiligt. Zwar sind schärfere Regeln für die Wertpapierberatung zu begrüßen. Aber dadurch werden die Vermögensberater mit einer Fülle von Compliance-, Berichts- und Prüfungspflichten überhäuft, deren Einhaltung sehr aufwendig und kostenintensiv ist, ohne dass sie Wesentliches zur Verbesserung beitrügen. Viele kleinere Anbieter können sich das nicht leisten. Den Wettbewerb durch unabhängige Vermögensberater hat die Finanzbranche damit so weit wie möglich ausgeschaltet.
Nur die freien Berufe der Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater entwickeln sich nach wie vor gut, wohl auch wegen ihres rechtspflegenden Charakters und ihrer guten Lobbyarbeit. Es wirft allerdings kein gutes Licht auf die großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, dass keiner einzigen Bank in den USA vor der Finanzkrise das Testat verweigert wurde. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sind ein wichtiger Stützpfeiler der kapitalistischen Planwirtschaft, da sie von einer ausufernden Compliance-Bürokratie profitieren.
Kapitalistische Nomenklatura
Mittlerweile ist eine kapitalistische Nomenklatura – eine herrschende Kaste von Konzernmanagern, willfährigen Politikern und Lobbyisten – entstanden, die die Regeln zugunsten der großen Akteure gestaltet und damit zugleich gegen die wirklich unabhängigen bürgerlichen Berufe. Wo früher Kaufleute die Pflicht zu besonderer Sorgfalt hatten, werden heute die Herrscher über Zehn- oder Hunderttausende von Mitarbeitern durch Haftpflichtversicherungen und hohe Abfindungen von den Konsequenzen ihres Fehlverhaltens isoliert. Banken und Automobilkonzerne, die Fehler mit Milliardenkonsequenzen gemacht haben, werden auf Kosten der Allgemeinheit gerettet. Gleichzeitig klaffen die Vergütungsspannen zwischen Arbeitern und Angestellten sowie Top-Management massiv auseinander.
Es ginge auch anders
Alfred Chandler, der große Wirtschaftshistoriker des Massachusetts Institute of Technology, hat in seinem Monumentalwerk Unterschiede der Industrialisierung in Europa und den USA untersucht. Seine These: In Europa gab es viele gut ausgebildete Menschen, aber wenig Land und Rohstoffe. Also versuchte man, die Menschen möglichst breit auszubilden, sie flexibel einzusetzen und ihnen in dezentralen Organisationsformen möglichst viel Eigenverantwortung zu übertragen. In den USA waren Land und Rohstoffe sowie ungebildete Einwanderer nahezu unbeschränkt vorhanden. Also versuchte man, Prozesse zu standardisieren und den Menschen sofort einsetzbar, aber auch austauschbar zu machen. Die Denkarbeit leisteten wenige Menschen in der Unternehmenszentrale, der Rest führte aus.
Heute sehen wir, wie sich das amerikanische zentralistische System, das mit einer Dequalifikation der Menschen einhergeht, in Deutschland durchsetzt. Als Nächste könnte es die Apotheken treffen, nachdem viele Handwerksberufe schon kapituliert haben und die Ärzte mit dem Rücken zur Wand stehen. Doch es ginge auch anders: Wir könnten selbstbewusster für die freien Berufe und gegen die Macht der Oligopole eintreten. Noch gibt es die freien Berufe in Deutschland. Lassen wir nicht zu, dass sie untergehen!
AutorMax Otte, Jahrgang 1964, ist ordentlicher Professor (C-3) für internationale Betriebswirtschaftslehre und Außenwirtschaft an der FH Worms University of Applied Sciences und selbstständiger Finanzunternehmer, unabhängiger Fondsmanager und Vermögensberater. Er wurde an der Princeton University promoviert. Mit seinem im Sommer 2006 erschienenen Buch "Der Crash kommt" wurde er im deutschsprachigen Raum bekannt. Im November 2009 wählten in die Leser von Börse Online mit 10.000 von 24.000 Stimmen zum Börsenstar des Jahres. Aktuell ist sein Buch "Der Informationscrash – wie wir systematisch für dumm verkauft werden" erschienen (Econ). |
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