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Feuilleton
Homöopathie – 200 Jahre Organon
"Alte Medizin" in der Krise
In der Ausstellung wird zunächst der Frage nachgegangen, warum Hahnemann ein neues Therapieprinzip entwickelte: Gegen Ende des 18. Jh. steckte die Medizin in einer Krise. Zwar waren seit dem Mittelalter zahlreiche Erkenntnisse in Anatomie, Physiologie und Pathologie gewonnen worden, doch das klassische Konzept der Viersäftelehre bildete weiterhin die Grundlage der Behandlung. Demnach beruhte die Gesundheit auf einem ausgewogenen Verhältnis der vier Körpersäfte "Blut", "Galle", "Schleim" und "schwarze Galle", während Störungen dieses Gleichgewichtes Krankheiten verursachten. Ein solches Missverhältnis wurde durch gegensätzliche Maßnahmen nach dem Prinzip "contraria contrariis" behandelt. Neben Arzneimitteln sollten ausleitende Verfahren wie Aderlass, Schröpfen, Abführ- und Brechmittel die richtige "Säftemischung" wiederherstellen. Diese traditionelle Medizin wird anhand von Schröpfgläsern, Aderlassinstrumenten und Klistierspritzen dargestellt.
Hahnemann war wie viele Ärzte seiner Zeit mit den Behandlungsmöglichkeiten unzufrieden und wandte sich mit deutlichen Worten gegen sie:
"Ungeachtet es vielleicht nie einen Tropfen Blut zu viel im lebenden menschlichen Körper gegeben hat, so hält dennoch die alte Schule eine angebliche Blut-Uebermenge für die materielle Hauptursache der Entzündungen, die sie durch Ader-Oeffnungen und Blutegel zu entfernen und auszuleeren habe. Dieß hält sie für ein rationelles Verfahren, für Causal-Cur. […] So vergießt sie Blut […] oft bis zum nahen Tode." (Organon, 4. Auflage, 1829, Einleitung, S. 9 f.)
Sonderausstellung "200 Jahre Organon"
Deutsches Medizinhistorisches Museum Anatomiestraße 18 – 20 85049 Ingolstadt Tel. (08 41) 3 05 28 60 www.dmm-ingolstadt.de Geöffnet: Di bis So 10 –17 Uhr bis zum 17. Oktober Katalog: 156 S., 14 Euro ISSN 0172-3863 Symposium der Hahnemann-Gesellschaft am 1. – 3. Oktober |
Hahnemanns neue Lehre
Die Entwicklung von Hahnemanns neuer Heilmethode wird durch Originalpublikationen verdeutlicht, beginnend mit seinem Chinarinden-Versuch von 1790: Hahnemann nahm das Malariamittel mehrere Tage lang ein und beobachtete an sich jedes Mal für kurze Zeit die typischen Wechselfieber-Symptome. Daraus schloss er auf einen direkten Zusammenhang der Wirkungen: Die Chinarinde heilt Malariakranke, weil sie an gesunden Personen einen der Krankheit ähnlichen Zustand hervorruft (und umgekehrt). Darauf basiert das Simile-Prinzip ("Similia similibus curentur", Gleiches soll mit Gleichem geheilt werden), das er 1796 in "Hufelands Journal" der Fachöffentlichkeit vorstellte. In der Folgezeit prüfte Hahnemann systematisch eine große Zahl von Arzneidrogen an sich selbst und anderen gesunden Personen, dokumentierte akribisch seine Krankenbehandlungen und entwickelte die theoretischen Grundlagen seiner Lehre. Die zusammengefassten Ergebnisse veröffentlichte er 1810 im "Organon".
Dass Samuel Hahnemann nicht nur Bewegung in das erstarrte alte Therapiekonzept brachte, sondern auch selbst ein sehr bewegtes Leben führte, zeigt eine Landkarteninstallation, die die ständigen Wohnortwechsel seiner großen Familie veranschaulicht. "Briefumschläge" berichten von den beruflichen und privaten Ereignissen an den verschiedenen Stationen.
Anfänglich standen viele Ärzte dem neuen Behandlungsverfahren positiv gegenüber. Als Hahnemann mit zunehmendem Alter jedoch immer radikaler die Homöopathie als das einzig richtige Therapieprinzip darstellte, kam es zu Spannungen und Konflikten mit den "Allopathen", wie er die Schulmediziner nannte. Da er auf der Selbstdistribution seiner Arzneimittel beharrte, machte er sich auch die Apotheker zu Gegnern. Andererseits dokumentieren viele Porträts – auch auf Medaillen und einer Porzellantasse – die Verehrung, die ihm von seinen Anhängern und Patienten entgegengebracht wurde.
Homöopathische Materia medica
Eine Säulenvitrine ist speziell dem "Organon" (griech. Werkzeug) gewidmet. Die handschriftlichen Bearbeitungen des Werkes für die zweite Auflage zeigen Hahnemanns intensive Auseinandersetzung mit der Homöopathie. Umgeben ist diese Präsentation von stilisierten Globuli an den Wänden, unter denen ein Ausschnitt der "Materia medica homoeopathica" Hahnemanns ausgestellt ist.
Hier erfährt der Betrachter, dass die gleichförmigen, mit dem Auge nicht unterscheidbaren Zuckerkügelchen Träger verschiedenster Zubereitungen sind. Zudem werden viele Drogen so gezeigt, wie sie zur Zeit Hahnemanns in den Handel kamen, denn sie stammen aus der zeitgenössischen pharmakognostischen Sammlung des Erlanger Universitätsapothekers Theodor Wilhelm Christian Martius (1796 – 1863). Dazu zählen Opiumbrot, Copaivabalsam oder ägyptisches Haschisch. Die (historische) Herstellung homöopathischer Zubereitungen wird auch anhand alter Gerätschaften und in einem Film erläutert.
Einen Höhepunkt der Ausstellung bilden die vielen homöopathischen Haus- und Taschenapotheken. Neben deutschen sind auch englische und je eine italienische und französische Apotheke vertreten; sie zeugen von der raschen, schließlich weltweiten Ausbreitung des Heilkonzeptes.
Homöopathie im Arzneipflanzengarten
Ihren Abschluss findet die Ausstellung im Arzneipflanzengarten, in dem Globuli-Steckkugeln nach Art von Rosenkugeln zu einer Entdeckungsreise durch die homöopathisch genutzten Heilpflanzen einladen. Hier bietet der Katalog ergänzende Informationen. So erfährt man beispielsweise, dass für die gängigen Arnica-Potenzen die getrocknete Wurzel (!) von Arnica montana verwendet wird (andere homöopathische Arnica-Zubereitungen sind als solche gekennzeichnet: "Arnica, Flos" oder "Arnica, Planta tota").
Mit ihren Forderungen nach genauer Anamnese, Arzneimittelprüfung am Gesunden und Anwendung einfacher (nicht zusammengesetzter) Arzneimittel beeinflusste die frühe Homöopathie auch die Schulmedizin.
Zwar konnte der Streit über die (Un-)Wirksamkeit der "Nichtse" oder Hochpotenzen bis heute nicht beigelegt werden. Dennoch hat Hahnemanns Heilkunde nun nach über 200 Jahren vermutlich mehr Anhänger denn je.
Der reich bebilderte Katalog dokumentiert nicht nur die Ausstellung, sondern gibt durch sechs einleitende Aufsätze auch eine Einführung in die Geschichte der Homöopathie bis in die Gegenwart.
Dr. Karin Krämer
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