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Flaute im Selbstmedikationsmarkt
Als ob wir zurzeit nicht schon genug Krisen hätten: Der Bereich der Selbstmedikationsarzneimittel will nicht wachsen. Er dümpelt bereits seit einiger Zeit auf dem Niveau von vor fünf Jahren, nennenswertes Wachstum will sich einfach nicht einstellen. Rund 540 Millionen Packungen gehen in diesem Segment über den Apotheken-HV, etwa 3,6 Mrd. Euro geben die Bürgerinnen und Bürger dafür aus, jährlich pro Kopf rund 52 Euro. Das ist so viel nicht. Woran liegt’s?
Der große Einbruch in diesem Markt kam 2004, als die Regierung beschloss, Selbstmedikationsarzneimittel aus der GKV-Erstattung zu nehmen. Die Ärzte, die von nun an die kleineren Erkrankungen und Befindlichkeitsstörungen ihrer Patienten nicht mehr mit nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln behandeln konnten, mussten die Patienten ohne Rezept aus der Sprechstunde ziehen lassen oder wichen auf Verschreibungspflichtiges aus. In den Köpfen vieler Patienten verfestigte sich die Vorstellung: keine Verordnung auf Rezept bedeutet keine oder geringe Wirksamkeit. Warum also solche Arzneimittel selber kaufen? Erst die Idee, die arztgestützte Selbstmedikation mit Hilfe des Grünen Rezeptes anzukurbeln, verhalf den OTC-Arzneimitteln wieder ein wenig auf die Beine, allerdings auf wackelige.
So richtig Power im Markt scheint nach wie vor nicht einkehren zu wollen. So meldet IMS Health fürs erste Quartal 2010 einen Einbruch des OTC-Marktes: geringere Nachfrage nach Erkältungsprodukten. Auch der Verordnungsanteil am OTC-Markt ist weiter rückläufig. Insgesamt macht das Institut für Medizinische Statistik einen Absatzrückgang im OTC-Markt des ersten Quartals 2010 von 7 Prozent aus. Auch der Vorsitzende des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH), Hans-Georg Hoffmann, sieht "keine rosigen Zeiten" im Selbstmedikationsmarkt, wie er auf der Tagung der europäischen Selbstmedikationsindustrie (AESGP) in einem Pressegespräch wissen ließ. Der Bürger überlege angesichts des Einspar-Szenarios zweimal, ob er einen Euro ausgibt. Als Hoffnungsschimmer sieht er nach wie vor das Grüne Rezept, das aus Sicht der Selbstmedikationsindustrie als erfolgreiche Aktion gilt. Ohne Grünes Rezept wäre das eine oder andere OTC-Arzneimittel wohl nicht gekauft worden.
Schwung im Selbstmedikationsmarkt ist nur dann zu vermelden, wenn ein bisher verschreibungspflichtiges Arzneimittel aus der Verschreibungspflicht in die Selbstmedikation entlassen wird. Mit Stolz wurden auf oben genannter Tagung in der letzten Woche die Beispiele Orlistat und Pantoprazol genannt, die für Aufwind im OTC-Geschäft dieser Firmen sorgen – vor allem dann, wenn sie gleich auf die europäische Karte setzen und eine Zulassung der europäischen Behörde erhalten. Ein weiterer Umsatzmotor im Selbstmedikationsbereich sind Markenerweiterungen starker Präparate, beispielsweise wenn die Produktpalette eines bekannten Markenpräparats (Nurofen, Voltaren) um neue galenische Formen erweitert wird.
Was auffiel: Mit Interesse betrachteten die Vertreter der OTC-Firmen Vertriebsentwicklungen im OTC-Sektor anderer europäischer Länder: So können beispielsweise in manchen Ländern einige oder alle OTC-Produkte in Verkaufsstätten außerhalb von Apotheken verkauft werden. Beispielsweise dürfen in Portugal alle OTCs außerhalb von Apotheken verkauft werden, in Ungarn, Norwegen, Schweden und Dänemark nur bestimmte OTC-Produkte und in Italien alle OTCs in Supermärkten vertrieben werden, hier aber nur unter Aufsicht eines Apothekers. Die Entwicklung der Verkäufe außerhalb der Apotheken zeigte zunächst einen Mehrumsatz, der aber wieder zurückging und sich letztlich auf einem früheren Niveau einpendelt. Feststellen musste die Industrie auch: Mehr Umsatz ist nicht mehr Ertrag – die Preise gingen nach unten. Möglicherweise wünscht sich so mancher Hersteller in diesen Ländern die Apothekenpflicht für seine Produkte zurück.
Generelle Anzeichen dafür, dass die Hersteller für den deutschen Markt eine Abschaffung der Apothekenpflicht für ihre OTC-Produkte vorantreiben, war jedenfalls nicht festzustellen. Möglicherweise schaut man interessiert auf die Entwicklungen im Versandhandelsmarkt: zwar steigen die Umsätze, aber die OTC-Preise gehen in den Keller, ein erbitterter Wettbewerb setzt ein: Derzeit werden etwa knapp zehn Prozent der OTC-Arzneimittel im Versandhandel vertrieben. Aber auch hier gilt: Umsatz ist nicht Ertrag. Mit der Zunahme des Versandhandels geht eine Trivialisierung des Arzneimittels einher, OTCs rücken in die Nähe von einfachen billigen Konsumgütern – das schadet dem Image der Arzneimittel und birgt vor allem eine Gefahr für die Arzneimittelsicherheit. Denn Beratung findet im Versandhandel so gut wie nicht statt. Letztlich können eine solche Entwicklung auch die Hersteller nicht gut finden.
Ein Ausweg aus Flaute und Imageverlust im OTC-Sektor liegt beim Apotheker: Wenn er seine Kunden ernsthaft in Sachen OTC-Arzneimittel berät, wenn er aktiv OTC empfiehlt, wenn er die aus der Verschreibungspflicht entlassenen Arzneimittel kompetent und verantwortungsvoll abgibt, profitieren alle davon: der Patient, die Industrie und die Apotheke.
Peter Ditzel
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