Feuilleton

Sertürner und der Einbecker "Apothekerkrieg"

Im kurzlebigen Königreich Westphalen von Napoleons Gnaden galt die Gewerbefreiheit für Apotheken. Damals betrieb auch der als Entdecker des Morphins bekannte Friedrich Wilhelm Sertürner in Einbeck eine "Patentapotheke". Das StadtMuseum Einbeck geht in seiner Ausstellung über die lokale Apothekengeschichte auf die heftigen Streitigkeiten Sertürners mit dem Pächter der ehemals privilegierten Ratsapotheke ein. Am Ende mussten beide Kontrahenten ihre Apotheken aufgeben.
Friedrich Wilhelm Sertürner (1783 –1841) Bronzebüste von Ilsedore Peters-Sertürner, 1942 nach Fotos angefertigt, die 1917 bei der Öffnung des Sarges von Sertürners mumifiziertem Leichnam gemacht worden waren.
Fotos: Wylegalla

Mit Inkrafttreten des napoleonischen Patentrechts im Königreich Westphalen (Hauptstadt: Kassel) wurden 1807 die Privilegien der Apotheken aufgehoben. Der daraus resultierenden Gewerbefreiheit sah mancher Apothekenbesitzer mit Argwohn entgegen. Sertürner konnte hingegen seinen langgehegten Wunsch nach einer selbstständigen Existenz verwirklichen.

1783 in Paderborn zur Welt gekommen, hatte Sertürner dort beim Hofapotheker Franz Anton Cramer eine Lehre absolviert und anschließend zwei Jahre als Gehilfe gearbeitet. 1805 ging er nach Einbeck und arbeitete in der Ratsapotheke, der einzigen Offizin der Stadt, deren Geschichte bis in das 15. Jahrhundert zurückgeht. Die ehemalige Hansestadt war wegen ihrer Brautradition berühmt ("Bockbier"), zählte etwa 5000 Einwohner und wurde unter König Jérôme, einem Bruder Napoleons, zur Distriktshauptstadt erhoben. In der Absicht, aufgrund der Gewerbefreiheit eine eigene "Patentapotheke" zu gründen, legte Sertürner in Kassel vor dem Collegium medicum die gesetzlich vorgeschriebene Prüfung ab und erwarb in Einbeck das Haus Altendorfer Straße 93.

Wenige Wochen vor der für Michaelis (29. September) 1809 vorgesehenen Eröffnung erfuhr Sertürner, dass der Magistrat auf der Grundlage eines Gesetzes von 1758 beschlossen hatte, seine Ratsapotheke, die er bisher von Administratoren hatte verwalten lassen, mangels Rentabilität meistbietend zu verpachten. Neben einigen auswärtigen Berufskollegen bewarb sich nun auch Sertürner als Pächter und bot an, dass er für den Fall eines Zuschlags seine eigene, kurz vor der Eröffnung stehende Offizin entweder durch einen gewissenhaften Apotheker verwalten lassen oder an diesen verpachten wolle.


Sekretär Sertürners Mahagoni furniert, um 1830.

Die neue Patentapotheke –
eine Apotheke zu viel?

Der Magistrat hatte sich zwar schon für den Apotheker Hirsch aus Goslar als Pächter entschieden, aber Sertürner gab noch nicht auf. Er schlug der Stadtverwaltung vor, die Ratsapotheke mit seiner Offizin zu fusionieren; dann wolle er sich verpflichten, jährlich ein Arzneikontingent für minderbemittelte Bürger bereitzustellen – jedoch vergeblich. Auch ein Appell an den Unterpräfekten führte nicht zum Ziel.

So eröffnete Sertürner, wie ursprünglich geplant, seine Offizin mit einem Gehilfen, einem Lehrling und zwei Hilfskräften und gewann einen großen Kundenkreis, zumal die Ratsapotheke erst am Neujahrstag 1810 wiedereröffnet wurde. Bereits zwei Tage später, am
3. Januar, beschwerte Sertürner sich bei der Präfektur über eine Wettbewerbsverzerrung: Die Stadtverwaltung habe Hirsch die Versorgung aller öffentlichen Anstalten zugespielt. Der Präfekt rechtfertigte diese Entscheidung damit, dass Hirsch die Arzneien für die Armen der Stadt zu einem "sehr wohlfeilen Preis" abgebe.

Aus den folgenden Jahren sind keine Streitigkeiten zwischen den Apothekern überliefert. Möglicherweise hatten beide ihr Auskommen, weil in Einbeck Militär stationiert war sowie Lazarette, Gefängnisse und Behörden eingerichtet worden waren. Als aber 1813, nach der Völkerschlacht von Leipzig, die Franzosen vertrieben wurden und Einbeck zum Königreich Hannover kam, wurde auch die Gewerbefreiheit für Apotheken wieder abgeschafft. In Einbeck sollte, wie schon vor 1809, nur noch eine Apotheke zugelassen werden. Damit stand die berufliche Existenz eines der beiden Apotheker auf dem Spiel.


Pyrmonter Mineralwasser Glasscherbe einer Mineralwasserflasche mit dem Wappen der Grafschaft Waldeck. Da die Flasche noch verschlossen ist, war sie mitsamt dem Inhalt zu Bruch gegangen. Bodenfund aus Einbeck.

Lukrative Angebote an den Fiskus

Sertürner wandte sich an den Einbecker Magistrat und verwies darauf, dass er kurz zuvor mit finanzieller Unterstützung eines Onkels in ein Haus am Markt investiert hatte, wo er "gute Trockenböden" und ein geräumiges Laboratorium einrichten wolle.

Hirsch bot dem Magistrat an, bei einer Verlängerung des Pachtvertrags jährlich 200 Reichstaler mehr zu zahlen. Daraufhin offerierte Sertürner, jährlich 300 Taler an den Fiskus zu entrichten, wenn er seine Apotheke weiterführen dürfe.

Die Regierung in Hannover war kompromissbereit und gestand beiden Apothekern gleiches Recht zu: Die Patentapotheke sollte zumindest bis zum Ablauf des Pachtvertrags der Ratsapotheke, Ende 1815, bestehen bleiben. Sertürner wollte aber auch für die Zeit danach seine Existenz gesichert wissen und bat vorsorglich um eine Verlängerung der Konzession, worauf der Magistrat sich bereiterklärte, dies der Regierung zu empfehlen.

Dies missfiel dem Ratsapotheker Hirsch, der argumentierte, er habe die hohe Pacht nur in der Erwartung angeboten, dass sich mit der Wiederherstellung des alten Apothekenprivilegs die Existenz einer zweiten Apotheke in Einbeck erübrige. Es sei nicht rechtens, dass diese nun über die ursprünglich zugestandene Frist hinaus weiterbetrieben werde. Wenn diese aber geschlossen und sein Vertrag um sechs Jahre verlängert würde, wolle er eine Jahrespacht von 1200 Reichstalern zahlen. Zudem empfahl er, den Stadt- und Landphysikus Dr. Schwarz mit einer Einschätzung der Standortbedingungen zu beauftragen.

Schwarz räumte ein, dass nach der Verlegung der Garnison und der Behörden der Bedarf an Arzneien zurückgegangen sei. Er befürchtete, dass die Apotheker Medikamente von minderer Qualität abgeben würden, wenn trotz der Ertragsminderung weiterhin zwei Offizinen betrieben würden. Dem stimmte Apotheker Gruner aus Hannover, der zusammen mit Schwarz die Visitationen durchführte, zu: In Einbeck, dessen Einwohnerzahl mittlerweile unter 5000 gesunken war, könnten zwei Apotheker nicht länger ihren Lebensunterhalt verdienen.


Apothekenordnung

"Allergnädigst Confirmirtes Reglement. Wornach sich der Apotheker und deßen Unter-Bediente bey hiesiger Apotheken Officin zu richten. Einbeck den 24ten Februar 1738."

Kurze Episode: Sertürner als Ratsapotheker

Den beiden Widersacher nützten weder weitere finanzielle Angebote an die Stadt noch Intrigen noch Referenzen aus der Bevölkerung, um die sie sich eifrig bemüht hatten. Als Sertürner üblen Studentenklatsch über seinen Berufskollegen streute, verlor er ein für allemal die Sympathie des Stadtphysikus und wurde von Hirsch wegen Beleidigung verklagt. Schließlich ordnete die Regierung an, dass die Patentapotheke zu Michaelis 1817 – genau acht Jahre nach ihrer Eröffnung – geschlossen wird.

Doch auch für Hirsch sah es nicht gut aus: Der Magistrat verlängerte seinen Pachtvertrag nicht, weil er die Ratsapotheke wieder verwalten lassen wollte. Auf die öffentlich ausgeschriebene Stelle des Verwalters bewarben sich neben vier auswärtigen Berufskollegen auch Hirsch und Sertürner, der dann im August 1817 gemäß der Einbecker Apotheker-Ordnung von 1738 durch den Stadtrat zum Administrator ernannt wurde. Damit war aber die Regierung in Hannover nicht einverstanden. Sie bestand darauf, dass ihr nach der neuen Gesetzgebung zwei Kandidaten vorgeschlagen werden, von denen sie dann einen auswählen wollte.

Hameln – Sertürners neue Wirkungsstätte

Dagegen protestierte der Magistrat beim Ministerium, allerdings ohne Erfolg. Weil in der kurzen verbleibenden Zeit keine definitive Entscheidung mehr getroffen werden konnte, ordnete das Ministerium kurzerhand an, der Magistrat möge unverzüglich einen anderen Bewerber zum Administrator ernennen. Am 29. September, jenem Tag, an dem die Patentapotheke geschlossen wurde, wählten die Einbecker Ratsherren den Apotheker Bolstorf aus Northeim, der siebeneinhalb Jahre lang als Lehrling und Gehilfe bei Sertürner gearbeitet und ein Jahr in Berlin studiert hatte.

Sertürner blieb zunächst in Einbeck wohnen und konzentrierte sich nun auf seine Forschungen. Als 1820 und 1822 sein zweibändiges Werk "System der chemischen Physik" erschien, hatte er sich bereits in Hameln niedergelassen, wo er die Ratsapotheke verwaltete. Darüber hinaus beschäftigte er sich als einer der bedeutendsten Apotheker des frühen
19. Jahrhunderts an seiner neuen Wirkungsstätte mit chemischen, physikalischen und hygienischen Fragestellungen. Seine Untersuchungen an Feuerwaffen konnte Sertürner nicht mehr vollenden. Er starb am 20. Februar 1841 im Alter von 58 Jahren und wurde in Einbeck im Erbbegräbnis seiner Frau Eleonore Henriette von Rettberg beigesetzt, die er 1821 geheiratet hatte.


Reinhard Wylegalla

StadtMuseum Einbeck


Steinweg 11/13, 37574 Einbeck
Tel. (0 55 61) 97 17 10, Fax 97 17 11
www.stadtmuseum-einbeck.de

Geöffnet: Dienstag bis Sonntag: 11 bis 16 Uhr

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