Arzneimittel und Therapie

Sibutramin wieder in der Diskussion

Das Anorektikum Sibutramin, das Anfang 2010 nach einer Megastudie europaweit vom Markt genommen wurde, ist wieder in die Diskussion geraten. Die SCOUT-Studie, deren vorläufige Ergebnisse im Oktober 2009 bekannt wurden, zeigte keinen erkennbaren medizinischen Nutzen des Medikaments, aber ein potenzielles Risiko für Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen. Die Autoren der Studie haben jetzt die Sicherheit des Wirkstoffs im New England Journal of Medicine verteidigt: Kardiovaskuläre Sterblichkeit und Gesamtsterblichkeit seien nicht erhöht [1]. Die Redaktion der Fachzeitschrift widersprach dieser Darstellung.

Sibutramin (Reductil®) ist ein indirektes Sympathomimetikum und wird als unterstützende Therapie bei ernährungsbedingtem Übergewicht angewendet. Es wirkt als Serotonin/Noradrenalin-Reuptake-Inhibitor und wurde 1999 in Deutschland zugelassen, obwohl erhebliche Nebenwirkungen bekannt waren. Nach zwei Todesfällen wurden Sibutramin-haltige Arzneimittel in Italien bereits im Jahr 2002 vom Markt genommen. In der Megastudie SCOUT (Sibutramin Cardiovascular Outcome Trial), die 2002 begonnen wurde, sollte dann die kardiovaskuläre Sicherheit und der potenzielle Nutzen einer Langzeiteinnahme untersucht werden. An dieser Studie nahmen zunächst mehr als 10.000 Probanden teil. Im Verlaufe der Studie wurden dann etwa 9800 Patienten, bei denen es zu einer Gewichtsabnahme kam, über einen Zeitraum von bis zu sechs Jahren auf Sibutramin oder Placebo randomisiert.

SCOUT-Studie bestätigt kardiovaskuläres Risiko

Im Oktober 2009 wurden die vorläufigen Ergebnisse der Studie bekannt. Die FDA wies daraufhin auf ein erhöhtes Risiko bei Einnahme von Sibutramin hin: Bei 11,4% der Behandelten traten kardiovaskuläre Ereignisse auf, unter Placebo waren 10% der Patienten betroffen [2]. Sie beließ es bei einem Warnhinweis, und Sibutramin ist in den USA auch weiterhin als Medikament zugelassen. Der Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA sah dies anders und empfahl das Aussetzen der Zulassung für die europäischen Mitgliedstaaten. Als Konsequenz wurden alle Sibutramin-haltigen Arzneimittel europaweit vom Markt genommen [3].

Jetzt veröffentlichten die Autoren der Studie ihre Ergebnisse in der US-Fachzeitschrift New England Journal of Medicine [1]. Sie verteidigen die Sicherheit des Wirkstoffs, da die kardiovaskuläre Sterblichkeit und die Gesamtsterblichkeit im Sibutramin-Arm der Studie gegenüber der Placebo-Gruppe nicht erhöht seien. Bei den Erkrankungen handelte es sich vorwiegend um nicht-tödliche Herzinfarkte und nicht-tödliche Schlaganfälle. Dieser fragwürdigen Argumentation konnten sich die Herausgeber der Zeitschrift dann auch nicht anschließen. Sie wiesen darauf hin, wie wichtig es sei, für adipöse und übergewichtige Patienten sichere und effektive Medikationen bereitzustellen [4]. Damit sprachen sie ein weiteres Ergebnis der Studie an, den begrenzten Therapieerfolg von Sibutramin. Eine durchschnittliche Gewichtsabnahme um 4,3 kg und -zunahme um 0,5 kg im weiteren Verlauf der Studie lag eindeutig unter der 5%-Vorgabe, die von der FDA als Voraussetzung für eine Zulassung gefordert wird. Besonders auffällig ist die beeindruckende Liste an Interessenskonflikten, die der Hauptautor der Studie W. Philip T. James, aber auch verschiedene seiner Co-Autoren offenlegen. Mit der SCOUT-Studie sollte der Hersteller Abbott (später Wyeth, dann Pfizer) seinerzeit die Sicherheit des Wirkstoffs belegen. So verwundert es nicht, dass zum Hersteller und liierten Unternehmen zahlreiche Kontakte bestehen. Am 15. September 2010 wird sich die FDA im Rahmen einer Gutachtersitzung wohl erneut mit der weiteren Beurteilung des Appetitzüglers Sibutramin beschäftigen. Man darf gespannt sein, wie die US-Behörden dann entscheiden werden. Seit einigen Jahren hat sich ein gigantischer illegaler Markt für importierte Sibutramin-Präparate vor allem aus China entwickelt. Auch werden zahlreiche gefälschte Präparate vor allem über das Internet verkauft, wobei überhöhte Dosierungen das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse weiter steigern können.

Quelle [1] James, W.P.T.; et al.: Effect of Sibutramine on Cardiovascular Outcomes in Overweight and Obese Subjects. N. Engl. J. Med. 2010; 363 (10): 905 – 917. [2] Uhl, D.: Erhöhtes kardiovaskuläres Risiko unter Sibutramin. Dtsch. Apoth. Ztg. (2009) 48: 35 – 36. [3] Uhl, D.: Sibutramin-Vermarktung wird europaweit ausgesetzt. Dtsch. Apoth. Ztg. (2010) 4: 52 – 53. [4] Curfman, G.D.; et al.: Sibutramine – Another Flawed Diet Pill. N. Engl. J. Med. (2010) 363 (10): 972 – 974.

 


 

Dr. Hans-Peter Hanssen

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