Deutscher Apothekertag 2010

Dunkle Schatten

Die Eröffnung der Expopharm 2010 stand unter den Schatten, die das GKV-Änderungsgesetz, das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) und das GKV-Finanzierungsgesetz auf Apotheken, Pharmagroßhandel und Pharmaindustrie werfen. Die Arzneimittelhersteller sehen angesichts der vielen – aus ihrer Sicht überzogenen – Änderungen einerseits und dem Fehlen von für sie wichtigen Regelungen andererseits in eine ungewisse Zukunft. DAV und Phagro kritisieren insbesondere die geplante Kürzung der Großhandelsmarge, gegen die sie gemeinsam ankämpfen wollen.

Inhaltsverzeichnis: Deutscher Apothekertag 2010


Fritz Becker: "Stoppt den Raubbau an den Apotheken."
Foto: DAZ/Schelbert

"Der Deutsche Apothekerverband unterstützt das politische Ziel, eine kostengünstige und qualitative Arzneimittelversorgung zu gewährleisten", betonte der DAV-Vorstandsvorsitzende Fritz Becker zu Beginn seiner Rede. Die Maßnahmen, die im GKV-Änderungsgesetz und im AMNOG vorgesehen sind, seien dafür aber nicht der richtige Weg. Becker wiederholte in diesem Zusammenhang, dass die Apotheken nicht die Kostentreiber im Gesundheitswesen sind. Der Anteil, den die Apotheken an den GKV-Ausgaben haben, liege bei lediglich 2,6 Prozent. Das sei deutlich weniger als noch im Jahr 2005. Dennoch seien die Apotheker die einzige Berufsgruppe im Gesundheitswesen, für die laut Gesetzesvorhaben eine Einkommenskürzung vorgesehen sei – und zwar zeitlich unbegrenzt. "Hier ist jedes Augenmaß abhanden gekommen", klagte Becker. "Immer wieder wird behauptet, dass die Apotheken finanziell verschont werden und dass Klientelpolitik betrieben wird. Das ist ein Märchen."

AMNOG: Neue Berechnung nötig

Am deutlichsten zeige sich dies im AMNOG. Das darin derzeit vorgesehene Volumen, mit dem Pharmagroßhandel und die Apotheken belastet werden sollen, nannte Becker als völlig unverhältnismäßig. Es basiere schlicht auf einer falschen Rechnungsgrundlage, kritisierte der DAV-Vorsitzende. Der AMNOG-Gesetzentwurf sieht einen Sparbeitrag von Großhandel und Apotheken von 340 Mio. Euro vor (175 Mio. Euro zulasten der Apotheken). Aufgrund der derzeit vorgesehenen Kürzung der Großhandelsspanne um 40 Prozent entsteht laut ABDA-Berechnung inklusive Mehrwertsteuer tatsächlich jedoch eine Gesamtbelastung in Höhe von 630 Mio. Euro, die auf Großhandel und Apotheken zukomme. "Das sind 290 Mio. Euro mehr als vorgesehen", so Becker. Der Großhandel habe bereits angekündigt, seine Belastung voll an die Apotheken weiterzugeben. Im Durchschnitt bedeute dies einen Rückgang des Betriebsergebnisses um 23.000 Euro pro Apotheke. Einen solchen "Raubbau" könne und werde man nicht hinnehmen. Das Gesundheitsministerium habe mittlerweile den Berechnungsfehler weitgehend eingeräumt und will neu berechnen. Es bleibt abzuwarten, wie das Ergebnis dieser Neuberechnung ausfallen wird.


"In einem Boot" (v.l.n.r. in der ersten Reihe) Fritz Becker (DAV), Dr. Thomas Trümper (Phagro) und Hans-Georg Hoffmann (BAH) ­demonstrierten bei der Eröffnung der Expopharm Einigkeit.
Foto: DAZ/Schelbert

Forderungen des DAV

Becker forderte, dass die Umstellung der Großhandelsvergütung für die Apotheken einkommensneutral erfolgen müsse: "Alles andere ist mit uns nicht zu machen."

Weiterhin forderte der DAV-Vorsitzende, dass die Apotheker hinsichtlich des Herstellerabschlags aus der Haftung entlassen werden. Es dürfe nicht sein, dass das Inkassorisiko von den Apotheken getragen werde. Rechtssicherheit wünscht sich Becker darüber hinaus im Hinblick auf den Apothekenabschlag. Die unklare Situation, die durch die Klagen gegen den Schiedsstellenentscheid entstanden ist, mache fundierte unternehmerische Entscheidungen in den Apotheken unmöglich – und das auf Jahre hinaus. "An der Schiedsstellenentscheidung gibt es nichts zu rütteln", so Becker. Rütteln soll die Politik aus Beckers Sicht dagegen endlich beim Thema Pick up: "Regierung und Parlamentarier sind hier zum sofortigen Handeln aufgerufen." An den Pharmagroßhandel und die Pharmaindustrie richtete Becker die Hoffnung, dass sie der inhabergeführten Apotheke den Rücken stärke und man gemeinsam gegen die drohenden Schatten vorgehe.


Dr. Thomas Trümper: "Wir haben gemeinsame Interessen und sollten sie auch gemeinsam vertreten."
Foto: DAZ/Schelbert

Phagro: Wir distanzieren uns vom AMNOG

Dr. Thomas Trümper, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands des Pharmazeutischen Großhandels (Phagro), betonte, wie sehr das AMNOG den Großhandel belaste. Im vergangenen Jahr haben laut Trümper alle Pharmagroßhändler zusammen einen Gewinn von rund 170 Mio. Euro vor Steuern gemacht. "Angesichts dieser Zahl ist klar, dass wir Einsparungen in Höhe von 400 Mio. Euro nicht tragen können", so der Phagro-Vorsitzende. Der Pharmagroßhandel habe jedoch – anders als teilweise behauptet – auch kein Interesse daran, dass statt ihm die Apotheken finanziell belastet werden. Es sei kein Vorschlag des Phagro gewesen, über die Rabatte an die Apotheken das Einsparvolumen zu erreichen. "Wir wissen, mit wem wir unser Geld verdienen", so Trümper. "Wir bekommen es sofort zu spüren, wenn Apotheken insolvent werden. Schließlich sind wir einer ihrer größten Gläubiger." Der Phagro spreche sich daher wie der DAV entschieden gegen Einsparungen bei den Apotheken aus und distanziere sich vom AMNOG. "Wir sitzen in einem Boot", betonte Trümper.

Gleichzeitig warb er um Verständnis für die vom Phagro geforderte Umstellung der Großhandelsvergütung. Die derzeit gültige Vergütungsstruktur sei vor rund 30 Jahren festgelegt worden. Seither habe sich der Arzneimittelmarkt dramatisch verändert. Insbesondere mache dem Großhandel nach wie vor das Direktgeschäft Probleme. Laut aktuellen Zahlen von IMS Health liege Deutschland derzeit auf Platz 1 des Direktgeschäfts. Und erst kürzlich habe die Treuhand Hannover bei einer Veranstaltung ihren Kunden wieder geraten, den Anteil der Direktbestellungen zu erhöhen, um kostengünstiger an Arzneimittel zu kommen. Trümper dazu: "Das mag im Einzelfall betriebswirtschaftlich sinnvoll sein. Es liegt aber nicht in unserem gemeinsamen Interesse." Die Umstellung der Großhandelsvergütung sei angesichts dieser Entwicklung eine notwendige Konsequenz.


Wolfgang Späth: "Der Generikabereich ist ausgelaugt."
Foto: DAZ/Schelbert

Pro Generika rechnet mit Personalabbau

Mit gemischten Gefühlen blicken die Arzneimittelhersteller in die wirtschaftliche Zukunft. "Die letzten drei Jahre waren im Generikabereich weitgehend vom Instrument der Rabattverträge und hier insbesondere der Wirkstoff- oder Molekülausschreibungen geprägt", leitete Wolfgang Späth, Vorstandsvorsitzender von Pro Generika, seine Rede ein. Die Generikaindustrie in Deutschland habe sich dadurch dramatisch verändert. "Eine leistungsfähige Industrie, gekennzeichnet durch Wettbewerbsvielfalt, hat sich in einen Industriezweig gewandelt, bei dem es nur mehr ein Thema gibt: Kostenreduktion", kritisierte Späth und bekräftigte dies später noch im DAZ-TV-Interview: "Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Generikabereich sind derzeit ausgelaugt durch Einsparungen." Der allgemeine wirtschaftliche Aufschwung gehe an der Branche vorbei. Verbesserungen von Arzneimitteln wie Dosierspritzen bei Antibiotika-Kindersäften, Patientenbroschüren zur Verbesserung der Compliance etc. seien in der Konsequenz bereits dem Rotstift zum Opfer gefallen oder würden in absehbarer Zeit dieses Schicksal erleiden. Und auch beim Personal gebe es Kürzungen. Vor allem im Bereich Marketing und Vertrieb rechnet Späth in der nächsten Zeit mit dem Abbau von Beschäftigten. Viele Generikahersteller schauten sich derzeit ihre Betriebsstandorte in Deutschland gründlich an und prüften Restrukturierungsmaßnahmen.


Hans-Georg Hoffmann: "Die konjunkturelle Erholung geht an uns vorbei."
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BAH: "Reformitis, chronisch rezidivierend"

Als "Reformitis, chronisch rezidivierend" bezeichnete der BAH-Vorstandsvorsitzende Hans-Georg Hoffmann die derzeitige Gesundheitspolitik. "Drei Gesetze, die den Gesundheitsbereich betreffen, davon zwei, die den Arzneimittelmarkt in Deutschland und auch darüber hinaus gravierend verändern werden, innerhalb von nur einem halben Jahr – das ist zu viel. Und es geht zu schnell. Vieles ist überzogen. Wichtige Dinge fehlen", klagte Hoffmann. Wie Späth blickt auch Hoffmann wenig optimistisch in die Zukunft. Gegenüber DAZ.TV sagte er: "Die konjunkturelle Erholung geht an uns vorbei."

Das von der Bundesregierung geplante AMNOG bringe neue Unsicherheiten und Belastungen für die Arzneimittelhersteller. Hoffmann nannte beispielhaft die vorgesehene neue Packungsgrößenverordnung, die weitere Aufweichung der Regeln zum Austausch von Arzneimitteln sowie das Fehlen der Aufhebung zur Substitutionsverpflichtung von rabattvertragsgeregelten Präparaten in der Apotheke. Hoffmann dazu: "Keiner kann absehen, welche Wechselwirkungen die einzelnen Maßnahmen haben werden und welche Risiken und Nebenwirkungen damit verbunden sind. Von Paracelsus wissen wir, die Dosis macht das Gift. Und eine Überdosis wirkt tödlich!"

Hoffmann warb für eine Allianz zwischen den Apothekern und den Arzneimittelherstellern. Gemeinsam müsse man alles daran setzen, im laufenden Gesetzgebungsverfahren noch Verbesserungen zu erreichen: "Jetzt ist noch Zeit für Korrekturen – und hoffentlich die Zeit der Vernunft."


Henning Fahrenkamp: "Wir brauchen bei der Nutzenbewertung klare Regeln und einen verlässlichen Prozess."
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BPI: Nutzenbewertung ist "voll daneben"

Auch der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) lässt am AMNOG kein gutes Haar. Als "voll daneben" bezeichnete BPI-Hauptgeschäftsführer Henning Fahrenkamp das AMNOG-Konzept zur frühen Nutzenbewertung. Er räumte zwar ein, dass ein neuer Weg gefunden werden müsse, der langfristig die GKV finanzierbar halte. Aus diesem Grund habe der BPI Anfang des Jahres auch ein Modell vorgelegt, das die Preisgestaltung im patentgeschützten Bereich nach wettbewerblichen Kriterien gestalte und sowohl den Interessen der GKV nach planbaren Ausgaben als auch den Interessen der Pharmaindustrie nach Erträgen gerecht werde. Leider sei dieses Modell aber nur in Ansätzen in die politische Debatte eingeflossen. "Doch Konzepte müssen komplett umgesetzt werden, damit sie schlüssig sind und wirken können. Wenn aus einem logisch entwickelten Bauplan einzelne Teile herausgenommen und mit anderen kombiniert werden, kann das Ergebnis verheerend sein", so Fahrenkamp. Genau das sei nun das Ergebnis: "Wir haben ein Konzept, das voll daneben geht." Der G-BA werde dabei über ökonomische und politische Zweckmäßigkeits- und Präferenzentscheidungen befinden, die weit über medizinische Fachfragen hinausreichten. "Woher nimmt er eigentlich die gesellschaftliche Legitimation", stellte Fahrenkamp die Frage in den Raum. Die "sogenannten Patientenvertreter" seien nicht durch Sozialwahlen gewählt und hätten überdies kein Stimmrecht. Von gewählten Repräsentanten der Bevölkerung sei keine Spur. "Von der Industrie wollen wir hier gar nicht reden. Von den Apothekern auch nicht." Hier gibt es laut Fahrenkamp noch viel Verbesserungsbedarf. Ihn sieht der BPI-Geschäftsführer auch hinsichtlich der Ausgestaltung der frühen Nutzenbewertung und der Verhandlungslösung. Fahrenkamp forderte klare Regeln, eine international akzeptierte Methodik und einen nachvollziehbaren und verlässlichen Prozess. "Dies ist für den Forschungsstandort Deutschland und seine Konkurrenzfähigkeit dringend erforderlich".

ral

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