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Graphen oder 2-D-Graphit

Graphen, eine zweidimensionale Schicht Graphit, zählt zu den weltweit am intensivsten untersuchten Materialien. Andre Geim und Konstantin Novoselov haben als erste reines Graphen hergestellt und erhalten dafür den diesjährigen Nobelpreis für Physik. Die praktische Bedeutung ihrer Entdeckung ist noch nicht absehbar. Die Euphorie ist aber groß.

Spielerisch gebastelt

Ein hauchfeiner Bleistiftstrich – das ist im Grunde das neue Material Graphen (langes e). Es ist die dünnste Graphitschicht, die es geben kann. Sie hat die Stärke eines einzigen Kohlenstoffatoms und ist ein zweidimensionales Netz von atomaren Sechsecken. Manche Physiker hatten über diese Verbindung bereits seit den 1940er Jahren theoretisiert. Der Heidelberger Chemiker Hans-Peter Boehm hatte in den 1960er Jahren darüber geforscht und gilt als einer der wichtigen Pioniere auf diesem Gebiet.

Graphen im Netz

Andre Geim und Konstantin Novoselov

www.condmat.physics.manchester.ac.uk/research/graphene

Thomas Seller: Graphen: ein neues Material für die Elektronik

www.graphene.nat.uni-erlangen.de/ graphen.htm

Seit etwa 1990 versuchten mehrere Forscher, durch mikromechanische oder chemische Spaltverfahren einzelne Schichten vom Graphit abzublättern (Exfoliation). Doch erst die beiden russischen Physiker Andre Geim und Konstantin Novoselov an der Universität Manchester hatten vor sechs Jahren überraschend Erfolg. Eines Tages im Jahre 2004, als sie nach Feierabend spielerische und scheinbar sinnlose Experimente betrieben, die sie niemals ihren Studenten präsentiert hätten, klebten sie etwas Graphit auf ein herkömmliches Klebeband und hoben es wieder ab. Auf dem Klebeband blieb eine feine Schicht Kohlenstoff haften. Diese übertrugen sie auf eine Siliconschicht und untersuchten sie mit einem Rasterkraftelektronenmikroskop. Und tatsächlich fanden sie dort Graphit als monoatomare, planare Schicht, wobei die Atome ein 2D-Gitter hexagonaler Struktur bildeten.

"Ja, das Nobelpreiskomitee unterbricht hier meine Arbeit. Ich bin mir nicht sicher, ob das eine sinnvolle Unterbrechung ist; aber sicher ist es eine angenehme. "

 

Andre Geim im Telefoninterview 

Die Veröffentlichung in Science im Oktober 2004 schreckte die Fachleute auf, denn aufgrund theoretischer Überlegungen sollte Graphen gar nicht darstellbar sein. So hatte der Physiker Rudolf Peierls (1907 – 1995) Mitte der 1930er Jahre dargelegt, dass die thermische Bewegung langwelliger Schwingungsquanten die Atome aus ihrer Ruhelage bringt, sodass zweidimensionale Kristalle sich verklumpen oder zu Nanoröhrchen aufrollen, also dreidimensional werden. Bei Graphen bewirken diese Kräfte zwar, dass die Oberfläche uneben wird, die zweidimensionale Struktur bleibt jedoch erhalten. Mittlerweile soll es Graphen-Netze mit 70 cm Ausdehnung geben.

Die Preisträger

Andre Geim ist der Sohn deutscher Eltern und wurde 1958 in Sotschi am Schwarzen Meer geboren. Er hat in Moskau studiert. 1994 ging er an die Universität Nimwegen und erwarb die niederländische Staatsbürgerschaft. Er arbeitet mit seinem ehemaligen Assistenten Novoselov seit vielen Jahren in England an der Universität von Manchester.

Konstantin Novoselov wurde 1974 in Nischni Tagil im mittleren Ural geboren. Nach dem Studium in Moskau ging er nach Nimwegen (Promotion 1999), darauf nach Manchester (2001). Er besitzt die russische und die britische Staatsbürgerschaft.

Die beiden Forscher sind mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Durch ihre spielerische Art des Forschens entwickelten sie auch das Gecko-Klebeband (gecko tape), ein biomimetisches Adhäsiv.

C-Nanostrukturen

Die Forschung an Kohlenstoffnanostrukturen wurde 1985 mit der Entdeckung der C60 -Buckminster-Fullerene auf einen neue Ebene gehoben. Als fünf Jahre später die Massenproduktion dieser "Fußbälle" gelang, war die Begeisterung groß über die theoretisch endlosen Einsatzgebiete und löste einen Forschungsboom aus. Bereits 1991 wurden die Nanoröhrchen entdeckt, die teilweise noch kleiner sind als Fullerene. Als Geim und Novoselov und wenig später die Gruppe um Philip Kim von der Columbia-Universität in New York ihre Entdeckung des Graphens publiziert hatten, schwoll die Forschung noch einmal lawinenartig an. Die Euphorie ist groß. Fulleren und Nanoröhrchen sind in den Hintergrund getreten. Graphen ist das neue Objekt der Begierde.

Einzigartige Eigenschaften

Das vermeintlich schlichte Kohlenstoffnetz Graphen hat einzigartige Eigenschaften, die Anlass zur Hoffnung auf viele Anwendungen geben. Graphen ist ein relativ guter elektrischer Leiter (s. u.). Die Wärmeleitfähigkeit ist viel höher als bei Silber. Darüber hinaus ist das Material hundertmal so fest wie Stahl und dennoch sehr dehnbar. Die Zugfestigkeit ist die höchste, die je gemessen wurde.

Halbleiter der Zukunft

Graphen leitet den elektrischen Strom zwar nicht so gut wie ein Metall, aber viel besser als der Halbleiter Silicium. Es verhält sich wie ein Halbleiter mit verschwindender Bandlücke. Der Ladungsübergang lässt sich deshalb mit elektrischen Feldern systematisch verändern. Die Leitungselektronen können sich knapp einen Mikrometer weit bewegen, ohne mit den Atomen zu kollidieren. So erreichen sie Geschwindigkeiten von etwa tausend Kilometern pro Sekunde und könnten extrem schnelle elektronische Schaltungen auslösen. Deshalb hofft man, die heutigen Halbleiter durch noch schnellere Computerchips aus Graphen ersetzen zu können. Es werden Taktraten von 1000 Gigahertz erwartet, nachdem IBM in diesem Jahr schon 100 GHz realisiert haben soll. Auch in Transistoren für Mobiltelefone oder Bildschirme könnte Graphen eingesetzt werden.

Graphenpapier und Kompositwerkstoffe

Rodney Ruoff von der Northwestern-Universität in Evanston, USA, stellt Graphenpapier her. Dazu verunreinigt er die mühsam gewonnenen Monoschichten mit Sauerstoff und legt mehrere Graphenschichten übereinander. Der Sauerstoff dient dabei als Abstandhalter zwischen den einzelnen Schichten und beeinflusst die elektronischen Eigenschaften. Auf diese Weise lassen sich gezielt sowohl Isolatoren als auch gute elektrische Leiter erzeugen. Unter anderem hofft er, Superkondensatoren bauen zu können, mit denen sich kurzfristig Strom speichern ließe.

"Wir versuchen, einfach in allem neugierig zu sein; und am wichtigsten ist es, Spaß zu haben. "

 

Konstantin Novoselov 

Da Graphen flexibel und dennoch hochstabil ist, interessiert sich auch die Werkstoffforschung dafür. Nichtleitender Kunststoff wird durch Beimischung kleiner Mengen Graphen leitfähig. Da die Stabilität gleichzeitig ansteigt, könnte ein solcher Kunststoff für den Formenbau an Bedeutung gewinnen. Da bereits einzelne Fremdmoleküle die Leitfähigkeit verändern, könnte Graphen als Schadstoffsensor geringste Luftverschmutzungen anzeigen. Auch an Kompositwerkstoffe mit Keramik und Glas, die völlig neue Eigenschaften hätten, wird gedacht.

Durch die Beschichtung mit Graphen, das ein Millionstel Mal so dünn ist wie ein Blatt Papier, werden eines Tages intelligente Fenster entstehen, die stufenlos den Einfall des Sonnenlichtes regulieren. Im Prinzip lässt sich Graphen auf fast jede glatte Oberfläche auftragen. Möglicherweise kann es schon in wenigen Jahren viele Anwendungen verändern oder gar revolutionieren.

Schwebende Frösche

2000 erhielt Andre Geim mit einem Kollegen den schmachvollen Ig-Nobelpreis (Ig steht für ignoble = unwürdig), da er mit einem Magneten einen Frosch zum Schweben brachte. Die "Auszeichnung" wird seit 1991 von der Harvard-Universität in Cambridge, USA, verliehen.

Zuvor müssen noch Verfahren entwickelt werden, um fehlerfreie Graphenschichten im Industriemaßstab herzustellen. So wird an der Leibniz-Universität Hannover in Zusammenarbeit mit der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig die Epitaxie erforscht. Dabei wird ein Stück Siliciumcarbid im Vakuum erhitzt. Ab einer bestimmten Temperatur wandern die Kohlenstoffatome an die Oberfläche und lagern sich dort als feine Schicht auf dem noch festen Siliciumcarbid ab. Es ist aber noch nicht klar, ob sich diese Schicht exakt wie reines Graphen verhält oder ob Wechselwirkungen mit der Unterlage gegeben sind.

Literatur Scheuermann GM. Graphitoxid, funktionalisierte Graphene und Schichtsilicate als Katalysatorträger für Organokatalyse und Polyolefin-Reaktorblends. Diss. rer. nat., Freiburg 2010. 

 


 

Autor
Dr. Uwe Schulte, Osterholzallee 82, 71636 Ludwigsburg
schulte.uwe@t-online.de

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