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Kontrastprogramm

Dr. Klaus G. Brauer

Apothekertag 2010 in München: Hoffnungsschimmer neben Untergangsstimmungen, Kleinklein neben Zukunftsentwürfen, verpasste Chancen und Annäherungsversuche nach heftigem Streit – ein Apothekertag der Kontraste. Und über uns allen nicht ein, nein gleich zwei Damoklesschwerter, am seidenen Faden hängend, anders als in der Sage, wo von robusterem Rosshaar die Rede ist. Damokles ergriff trotzdem die Flucht. Wir können das nicht.

Zunächst das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG): Es bedroht Apotheken und Großhandel mit finanziellen Einschnitten, die keiner von beiden allein und auch nicht beide zusammen ertragen können, ohne existenzgefährdende Blessuren davonzutragen. Die Kassen, die mit rund 350 Millionen Euro von Großhandel und Apotheken (je 175 Millionen, so Gesundheitsminister Rösler bei DAZ.TV) gestützt werden sollten, werden faktisch um 630 Millionen entlastet. Damit wäre das Sparziel "möglicherweise übererfüllt" (so Dr. Erwin Lotter, FDP-MdB). Trotz methodischer Berechnungsfehler steht in den Sternen, ob in das festgezurrte Zahlenwerk bei der "Feinjustierung des Gesamtpaketes" (Staatssekretär Kapferer) noch einmal Bewegung kommt. Wenn nicht, würde – in letzter Konsequenz jedenfalls – bei den Apotheken "brachial abkassiert", während zum Beispiel bei Ärzten und Krankenhäusern nur zugesagte Zuwächse begrenzt werden.

Das zweite Damoklesschwert betrifft den Wahnsinn mit den Pick-up-Stellen. Spät, vielleicht zu spät, ändert die ABDA ihre Strategie in dieser Causa. Nun will man versuchen, über eine Präzisierung des Versandhandelsbegriffs einen Arzneimittelvertrieb über Pick-up-Stellen auszuschließen. Vorher hatte es immer geheißen, ausschließlich über ein komplettes Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sei den ursprünglich ungewollten Ausfransungen des Versandhandels rechtssicher beizukommen. Diese fundamentalistische Positionierung war doppelt gefährlich. Erstens verbaute man sich damit jeden Ausweg, wenn der angeblich einzig verfassungsfeste Weg politisch nicht freizuschlagen sein sollte. Zweitens: Selbst bei einem Erfolg der Ursprungsstrategie wäre das Ergebnis zweischneidig geblieben. Für Nicht-rezeptpflichtige, "nur" apothekenpflichtige Arzneimittel hätten Drogerien, Tankstellen und Frisiersalons weiter als Pick-up-Stellen fungieren können.

Inzwischen haben sich die Politik und Gesellschaft – horribile dictu – teilweise an die ursprünglich ungewollten Missbrauch des Versandhandels gewöhnt. Schon hört man, angeblichen Besitzständen müsse Rechnung getragen werden. Trotzdem: Maßgebliche Koalitionäre stehen zum Versprechen in der Koalitionsvereinbarung. Sie wollen ein Verbot probieren und riskieren. Dabei müssen sie Widerstände aus dem Justiz- und Innenministerium überwinden. Beide Verfassungsministerien hatten in kurzen Mails, die völlig übertrieben zu Rechtsgutachten hochstilisiert wurden, verfassungsrechtlich Bedenken angemeldet – Bedenken, die nach Auffassung namhafter Experten ausräumbar sind (vgl. S. 82).

Neben bedrückendem AMNOG und den weiter bedrohlichen Pick-up-Stellen-Szenarien gibt es vom Apothekertag auch Mutmachendes zu vermelden. ABDA und Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) haben sich auf ein Eckpunktepapier zur Weiterentwicklung der Arzneiversorgung verständigt, das alte Gräben zuschüttet, Ärzte entlastet und Apothekern neue Aufgaben, aber auch Verantwortlichkeiten zuweist (vgl. S. 64). Es ist zu hoffen, dass das Papier in konkretisierter Form bald von der Politik aufgegriffen und gesetzestechnisch umgesetzt wird.

Erfreulich ist auch, dass sich der DAV-Vorsitzende Fritz Becker in Stil und Wortwahl deutlich von der derzeit arg pauschalisierenden, dadurch oft unzutreffenden und verletzenden Hau-drauf-Rhetorik des ABDA-Pressesprechers abgesetzt hat. "In dieser Frage geht ein Riss durch die ABDA" – meinte ein Marktbeobachter zutreffend. Becker und Dr. Trümper, der Chef des Großhandelsverbandes Phagro, ziehen inzwischen am gleichen Strang – und zwar in einer Richtung. Die Umstellung der Großhandelsspanne auf eine neue Struktur müsse "für Apotheken und Großhandel aufkommensneutral sein" – so fordert Becker jetzt nahezu gleichlautend mit Trümper. Das wird jedoch kein Selbstläufer. Auch wenn die anvisierte Einsparsumme abstrus überzogen erscheint: Die Politik will sich den eingeplanten Sparbeitrag von 350 bis 400 Mio. Euro nicht abhandeln lassen. Allenfalls über den Weg dahin will sie mit sich reden lassen.

Was sonst noch auffiel? Da ist zum Beispiel das, worüber nicht oder kaum geredet wurde. An erster Stelle ist die Apothekenbetriebsordnung zu nennen. Eine verpasste Chance: Denn beim nächsten Apothekertag wird man wohl nur noch fertige Ergebnisse bestaunen können, ohne durch offene Diskussion Einfluss nehmen zu können.

Die DAZ-Redaktion berichtet auf 60 Seiten über nahezu alle Facetten des Apothekertages. Machen Sie sich selbst ein Bild!


Dr. Klaus G. Brauer

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