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Aus Kammern und Verbänden
Universitätspharmazie – mit Rückblick in die Zukunft
Gezielte Arzneimittelsynthese – für wen?
Prof. Dr. Gerd Folkers, Zürich, beschrieb die Entwicklung der Pharmazeutischen Chemie unter dem Titel "Vom Stochern im Nebel zum Molecular Modelling". "Stocherer im Nebel" waren z.B.
Lukrez, der in seinem Werk "Über die Natur der Dinge" die unterschiedliche Viskosität von Wein und Öl auf deren verschiedene Strukturen zurückführte,
Emil Fischer, der das Schlüssel-Schloss-Prinzip formulierte, oder
Paul Ehrlich, der die Rezeptortheorie und das Antigen-Antikörper-Konzept entwickelte und damit den ersten Schritt zum Drug Design tat, sowie
Justus Liebig, der die Chemie als rationale Basis der Medizin postulierte.
All diese Wissenschaftler verfolgten eine klare Hypothese, deren Richtigkeit sie nicht beweisen konnten.
Heute im Zeitalter des Molecular Modelling nähert man sich neuen Fragestellung noch immer mittels der Korrelation, meinte Folkers. In erster Näherung funktioniert der Mensch wie eine komplexe biochemische Maschinerie, und Arzneimittel sollen sie reparieren – ein pragmatischer und konsequenter Ansatz. Ausgehend von Rezeptor und Antikörper, werden Arzneistoffe nach dem Prinzip "one disease – one target" entwickelt und danach in vivo getestet. Wenn ein Arzneistoff die klinischen Prüfungen bestanden hat und zugelassen ist, stellt sich bei jedem damit behandelten Patienten die Frage: Geht es ihm tatsächlich besser? Dies, betonte Folkers, ist die Herausforderung, denn die aktuelle Forschung referenziere stets auf ein statistisches Mittel, also auf den Durchschnittsmenschen. Zukünftiges Ziel müsse es sein, vom "mittleren" Menschen zum Individuum zurückzufinden.
Linné ade – welcome Biotechnology?
Die Pharmazeutische Biologie, so Prof. Dr. Theo Dingermann, Frankfurt, ist ein Fach im extremen Wandel. Carl Linné, dessen Name bei vielen Studenten eher ein gewisses "Grauen" hervorruft, verdankt die Biologie die binäre Nomenklatur. Diese ist von unschätzbarem Wert, erlaubt sie doch die eindeutige Identifizierung von Arzneipflanzen, eine der Kernkompetenzen der Apothekerschaft – auch heute noch. Die "grüne Pharmazeutische Biologie" deckt ein breites Feld ab und reicht von Naturstoffchemie und -biochemie bis hin zum Screening der Wirkstoffe, pharmakologischen Werkzeugen und Nahrungsergänzungsmitteln.
Bis Anfang der 1970er Jahre hieß das Fach Pharmakognosie. Dann prägte der Tübinger Professor Ernst Reinhard den Begriff Pharmazeutische Biologie, um eine Neuorientierung deutlich zu machen: Denn das Fach befasste sich nicht nur mit Arzneipflanzen und deren Inhaltsstoffen, sondern auch mit der der Molekularbiologie, Immunologie, Bakteriologie und Virologie. Zudem hatte sich die Biologie im letzten Jahrhundert von einem überwiegend deskriptiven Fach zu einer experimentellen Wissenschaft entwickelt.
Lange arbeiteten in den Biowissenschaften Biochemiker und Genetiker für sich getrennt. Erst die Molekularbiologie, die mit biochemischen Methoden Genetik umsetzt, schuf eine gemeinsame Kommunikationsebene. Das Ergebnis sind gentechnisch hergestellte humane Proteine, die als Substitutionsarzneimittel zum Einsatz kommen. Während man zu Beginn die Moleküle kopierte, wurden die rekombinanten Moleküle der zweiten Generation zwecks besserer Verträglichkeit oder Optimierung der Pharmakokinetik modifiziert. Inzwischen gibt es bereits Biologicals der dritten Generation.
Aber nicht nur in die Arzneimitteltherapie, auch in die Diagnostik fließen die neuesten Erkenntnisse der Genomforschung ein. Nicht zuletzt bietet sie Chancen, resistente Zellen durch andere Arzneistoffe so zu beeinflussen, dass sie auf Zytostatika ansprechen.
Die Methodik von Linné und die Möglichkeiten der Biotechnologie gehören auch in der Zukunft zusammen, betonte Dingermann. Nur durch die exakte biologische Beschreibung bei gleichzeitig vorhandenen multiplen Behandlungsoptionen und bekannten klinischen Biomarkern ist eine stratifizierte Therapie gesichert.
Konstanten im WandelKammerpräsident Lutz Engelen erinnerte in seinem Grußwort an Johann Bartholomäus Trommsdorff, der 1795 in Erfurt ein privates Institut zur Ausbildung von Pharmazeuten gründete, um die Apotheker auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten. In über 200 Jahren hat sich die wissenschaftliche Pharmazie gewandelt – gleich geblieben ist aber, dass eine fundierte Ausbildung und stetige Fortbildung unabdingbar für die Ausübung des Apothekerberufs sind. Annette van Gessel, Vorsitzende des Fortbildungsausschusses der Kammer Nordrhein, führte in das Thema ein. Sie berichtete aufgrund von persönlichen Gesprächen, dass viele Kollegen heute noch einmal Pharmazie studieren und den Beruf des Apothekers ergreifen würden – vor allem deshalb, weil ihnen die Patienten und Kunden ein hohes Maß an Wertschätzung entgegenbringen. |
Dosis und Genetik – eine enge Beziehung
Noch heute gilt in der Pharmakologie die Aussage von Paracelsus: "Die Dosis macht das Gift." Weitere interessante Meilensteine auf dem Weg zur modernen, durch das Genom mitbestimmten Pharmakologie schilderte Prof. Dr. Peter Ruth, Tübingen, in seinem Vortrag.
Im 18. Jahrhundert, als die Anwendung von Arzneimitteln häufig Intoxikationen nach sich zog, beschrieb der Engländer William Withering die Wirkung des Fingerhuts (Digitalis) auf die Wassersucht (Ödeme). Dabei machte er auf die Problematik der Dosisfindung aufmerksam und gab Hinweise, wie man am besten vorgehe. Danach sollte es noch etwa 100 Jahren dauern, bis seine Ergebnisse von anderen Ärzten therapeutisch genutzt wurden.
Als Begründer des Universitätsfachs Pharmakologie gilt Rudolf Buchheim (1820 – 1879), ein Professor an der (damals deutschsprachigen) Universität Dorpat (Tartu) in Estland. Er und sein Schüler, Oswald Schmiedeberg (1838 – 1921), den seine akademische Laufbahn nach Straßburg verschlug, entwickelten ein medizinisch-biologisches Verfahren, um quantitative Aussagen zu Arzneistoffen machen zu können.
Der schon erwähnte Paul Ehrlich beschäftigte sich intensiv mit den Nebenwirkungen von Antibiotika; diese sollten den Schadorganismus treffen, ohne den Wirtsorganismus zu schädigen ("magic bullets").
Mit der Isolierung des Insulins und der Behandlung von Diabetikern seit den 1920er Jahren war im Grunde der Begriff "Target" umrissen. In den meisten Fällen handelt es sich um Enzyme, häufig um Rezeptoren, aber auch um Ionenkanäle, Transporter oder die DNA. Jedes Jahr kommen derzeit fünf bis acht Wirkstoffe mit neuen Wirkprinzipien, d. h. neuen Targets, auf den Markt. Bislang deckt der verfügbare Arzneischatz etwa 250 Targets ab – ein Viertel aller vermutlich existierenden Targets. Doch nicht allein der zum Target passende Wirkstoff, sondern auch die genetische Ausstattung des Einzelnen und individuelle intrinsische und extrinsische Faktoren entscheiden über den Erfolg oder Misserfolg einer Therapie.
Klinische Studien zur Dosisfindung oder zum Wirksamkeitsnachweis werden in Populationen durchgeführt. Aber nur mithilfe systematischer Genomanalysen lässt sich erkennen, welche abweichenden Genvarianten zu individuell unterschiedlichen Wirkungen der Prüfsubstanzen führen. Ruth resümierte, dass die Grundthese "die Dosis macht das Gift" um die Berücksichtigung der individuellen genetischen Ausstattung ergänzt werden muss.
Technologie: Ohne Vehikel wird das nichts
Was wäre die Pharmazie ohne die Technologie? Prof. Dr. Peter Kleinebudde begann seinen Vortrag mit einem Zitat des ehemaligen Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft Hubert Markl: "Die Pharmazie gehört zu den ältesten Gewerben der Welt. Und wie viele alte Berufe hat sie einen etwas gemischten Ruf."
Dass wir universitäre Lehrstühle für Galenik brauchen, wurde lange bestritten. Erst in den 1950er Jahren begann die Hochschulkarriere der Galenik. Zeitgleich gründeten Offizinapotheker die Arbeitsgemeinschaft für Pharmazeutische Verfahrenstechnik (APV) unter dem Motto: Hilfe zur Selbsthilfe. Erfahrene Kollegen schulten Kollegen, die nicht so versiert waren.
1971 wurde das Fach Pharmazeutische Technologie in die Approbationsordnung für Apotheker aufgenommen, und heute trägt die anfangs belächelte Technologie entscheidend zur Wirksamkeit von Arzneimitteln bei.
Etwas schwierig sei es allerdings, Prognosen über die künftige Entwicklung des Faches abzugeben, sagte Kleinebudde. Häufig überschätzen Experten ihr eigenes Fachgebiet und sagen zu kurze Entwicklungszeiten oder zu geringe Kosten voraus. Oft werden vorhandene Technologien viel länger eingesetzt als vermutet. Das gilt z. B. für die Tablette als Arzneiform. Deshalb findet Kleinebudde es wichtig, dass sich Pharmazeutische Technologen nicht nur mit modernen und völlig neuen Applikationsformen beschäftigen, sondern auch über klassische Vehikel wie Tablette, Kapsel und Salbe forschen. Sonst würden hier andere Berufe sofort die Chance nutzen, sich neue Märkte zu sichern. Aktuelle Forschungsthemen der Pharmazeutischen Technologie sind
flexibler dosierbare Arzneiformen und
das Drug-Design großer Moleküle mit besserer Bioverfügbarkeit.
Erst im Anfangsstadium der Forschung sind
das Drug-Targeting oder kontrollierte Einschleusen von Substanzen in spezielle Zellen oder Gewebe und
selbstregulierende Systemen, die mit Sensoren den Patienten situativ richtig versorgen – eine Idee, deren Verwirklichung 1985 für das Jahr 2000 prognostiziert worden war.
Kleinebudde nannte als weitere Herausforderung der Technologie, dass sie ihren Beitrag zu preiswerten Arzneimitteln von hoher und gleichbleibender Qualität leisten muss.
Klinische Pharmazie: in den Kinderschuhen
Im Vergleich zu den anderen pharmazeutischen Fächern befindet sich die Klinische Pharmazie gerade im Schulkindalter, so Prof. Dr. Ulrich Jaehde, Bonn. Erst 2001 als eigenständiges Fach in die Approbationsordnung aufgenommen, hat die Klinische Pharmazie hier im internationalen Vergleich relativ spät Fuß gefasst. Bereits 1960 hatte in den USA der Apotheker Eugene White erstmals eine Patienten-Medikationskartei angelegt. Seine Erfahrungen flossen 1966 in das "Ninth Floor Project" von Krankenhausapothekern in San Francisco ein.
Großbritannien übernahm die Klinische Pharmazie aus den USA. Schon in den 1970er Jahren gab es dort Apotheker auf Station. Durch eine Anpassung der Ausbildung konnten in den 1980ern Klinische Pharmazeuten ihre Arbeit aufnehmen, und seit den 1990ern sind sie fest in Spezialteams integriert.
In Deutschland engagierte sich Prof. Dr. Walter Schunack für die Implementierung der Klinischen Pharmazie. Sein erster Anlauf 1986 scheiterte, aber der zweite Versuch 1992 sollte eine erfolgreiche Keimzelle werden. Anhand von "Papierfällen" übte eine freiwillige Arbeitsgruppe an der Freien Universität in Berlin den Umgang mit Patientenakten, Arzneimittelinformation und interdisziplinäres Denken in der Arzneimitteltherapie.
Für ihn selbst, so Jaehde, war dies der Start seiner universitären Laufbahn, die er in Bonn fortsetzte, weil dort durch eine Umstrukturierung des Fachbereichs der erste Lehrstuhl für Klinische Pharmazie – bis 2001 noch kombiniert mit Pharmazeutischer Chemie – eingerichtet wurde.
Dass der Apotheker zur Beratung von Patienten klinisch-pharmazeutisches Wissen benötigt, werde akzeptiert, führte Jaehde weiter aus, aber die Ergebnisse aus der Forschung werden bislang zu wenig wahrgenommen, was die Anerkennung als wissenschaftliches Fach erschwere. Jaehde zeigte sich überzeugt, dass künftig mehr Klinische Pharmazeuten benötigt werden. Zum Beispiel fordert der Aktionsplan 2010 – 2012 zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit eine aktive Mitarbeit der Apotheker, um Strategien zur Risikovermeidung zu entwickeln und umzusetzen.
Dr. Constanze Schäfer
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