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Diskussion
Muss Paracetamol auf den Prüfstand?
In seinem Gastkommentar hatte Brune anhand der folgenden sieben Punkte erläutert, weshalb Paracetamol ein in seinen Augen kein harmloses Schmerz- und Fiebermittel ist:
1. Leberschäden sind bei hoher Dosierung unvermeidlich. Sie kommen aber auch bei niedriger Dosierung vor.
2. Die Entdeckung, dass Paracetamol ein präferentieller, nicht-selektiver Hemmer der Cyclooxygenase-2 ist, erklärt, warum bei kurzfristiger, mehr noch bei längerer Einnahme von Paracetamol der Blutdruck erhöht ist.
3. Ein länger bestehender, erhöhter Blutdruck und die Unterdrückung der Bildung des endothelialen Gefäßschutz-Wirkstoffes Prostacyclin erklären das vermehrte Auftreten von Herzinfarkten und Schlaganfällen.
4. Die Kombination von Paracetamol mit einem nicht-selektiven Hemmer der Cyclooxygenase, wie Acetylsalicylsäure, führt besonders häufig zu Magen-Darm-Blutungen.
5. Hohe Paracetamolkonzentrationen nach oraler und parenteraler Applikation können zu Asthmaanfällen führen.
6. Aus zwei großen skandinavischen, epidemiologischen Datenbankanalysen ergibt sich ein enger Zusammenhang mit einer verminderten männlichen Fertilität aufgrund von Hodenhochstand und reduzierter Hodenfunktion und der Einnahme von Paracetamol durch die Schwangere. Die Ergebnisse von zwei unabhängigen Untersuchungen sollten nicht verwundern. Schließlich sei die Bedeutung des Prostaglandins bei der fetalen Entwicklung des Urogenitalsystems längst bekannt, so Brune. COX-2-Hemmer sind deswegen in der Schwangerschaft kontraindiziert.
7. Schließlich würden sich die Arbeiten mehren, die zeigen, dass Kinder häufiger an Asthma erkranken, wenn sie als Kleinkinder oder in der Gebärmutter Paracetamol ausgesetzt waren. Ob diese immer noch umstrittene, aber durch zahlreiche Analysen nicht vom Tisch zu wischende Nebenwirkung von Paracetamol auf der Hemmung der Cyclooxygenasen in frühen Entwicklungsstadien zurückzuführen ist, ist nach Ansicht von Brune zurzeit noch unklar. Schließlich würde das Aspirin-induzierte Asthma bei den entsprechend empfindlichen Patienten durch Hemmung der Cyclooxygenase-1 zustande kommen.
BfArM: Neue Risikosignale werden bewertet
Dazu merkt das BfArM an, dass die unter den Punkten 1 bis 5 genannten Nebenwirkungen und Risiken bekannt seien. Sie seien jedoch in erster Linie bei hohen Dosierungen oder Überdosierungen, Missachtung von Kontraindikationen oder längerer Einnahmedauer zu erwarten. In den Gebrauchsinformationen von OTC-Arzneimitteln mit Paracetamol würden sich entsprechende Hinweise zu Dosierung, Kontraindikationen und Einnahmedauer ohne ärztliche Kontrolle finden.
Die Frage der Verschreibungspflicht und einer Begrenzung der Packungsgröße sei im Jahr 2008 vom Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht behandelt worden. Dessen Empfehlung habe zu einer Begrenzung der nicht verschreibungspflichtigen Packungsgrößen geführt: Packungen mit mehr als 10 g Paracetamol seien der Verschreibungspflicht unterstellt worden.
Die angesprochenen neuen Signale für die Risiken Kryptorchismus oder Asthma bei Kindern, deren Mütter in der Schwangerschaft Paracetamol einnahmen oder als Kleinkinder mit Paracetamol behandelt wurden, werden zurzeit unter Mitwirkung des BfArM von der Pharmakovigilanz-Arbeitsgruppe (PhVWP) des Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) bewertet. Wenn sich aus dieser Bewertung Empfehlungen für risikomindernde Maßnahmen ergeben werden, so das BfArM, werden diese auch in Deutschland umgesetzt werden.
AMK: kein Anlass für Neubewertung
Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) hatte vor Kurzem zusammen mit der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) eine Stellungnahme zur Risikominimierung durch rationalen Einsatz nicht-opioider Analgetika in der Selbstmedikation herausgegeben. AMK und DPhG betonen darin, dass Paracetamol größere Risiken berge als bislang angenommen (s. Kasten).
AMK/DPhG-Stellungnahme zu ParacetamolAuszug aus der AMK/DPhG-Stellungnahme zur Risikominimierung durch rationalen Einsatz nicht-opioider Analgetika in der Selbstmedikation ... Auch Paracetamol birgt größere Risiken als lange Zeit angenommen. Wenngleich der Arzneistoff bei bestimmungsgemäßer Kurzzeitgabe (bis maximal 4 g pro Tag über maximal 3 bis 4 Tage) nur eine geringe Rate an UAW aufweist und in der Pädiatrie, bei Schwangeren sowie bei Patienten mit gastrointestinalen Ulzerationen in der Anamnese eingesetzt werden kann, liegt ein bedeutender Nachteil in der geringen therapeutischen Breite: Schon ab einer dauerhaften Einnahme von 7,5 g täglich können sich bei Erwachsenen Leberzellnekrosen entwickeln [7, 8]. Ähnlich wirken einmalige Dosen ab 10 bis 12 g [7, 8]. Bei vorgeschädigter Leber, Einnahme weiterer hepatotoxischer Substanzen oder Induktoren des Cytochrom-P-450-Systems muss zudem mit niedrigeren Schwellendosen gerechnet werden. Wird nicht rechtzeitig das Antidot Acetylcystein gegeben, entwickelt sich ein Coma hepaticum, das unbehandelt zum Tod führt. Das Risiko eines unsachgemäßen Einsatzes von Paracetamol wird durch die 4184 Giftberatungsfälle deutlich, die im Jahre 2006 in den deutschen Giftinformationszentren zu diesem Analgetikum registriert wurden. Hierbei handelte es sich zu 63 Prozent um Suizidversuche [9]. Neben beabsichtigten spielen aber auch akzidentelle Intoxikationen eine Rolle, zum Beispiel als Folge der zeitgleichen Anwendung mehrerer Paracetamol-haltiger Fertigarzneimittel wie Tabletten, Suppositorien und (Kombinations-)Arzneimitteln für die Behandlung von Erkältungskrankheiten (u. a. so genannte Heißgetränke). Da hierbei nicht selten supratherapeutische Dosen wiederholt über mehrere Tage eingenommen werden, kann es schon bei tieferen Dosen als bei der akuten einmaligen Überdosierung zu einer Leberschädigung kommen. In den USA sterben jährlich 500 Patienten an den Folgen einer Überdosierung mit diesem Analgetikum/Antipyretikum (10). Für Deutschland sind hierzu keine genauen Zahlen bekannt. Auf weitere Risiken von Paracetamol bei Langzeittherapie weisen neuere Untersuchungen hin: Da Paracetamol die COX-2 hemmt [11], wird zunehmend eine kritische Analyse seines kardiovaskulären Risikopotenzials durch randomisierte klinische Studien gefordert [4, 5]. Erste prospektive Kohortenstudien weisen der langfristigen und häufigen Einnahme von Paracetamol eine den nicht steroidalen Antiphlogistika vergleichbare Blutdruckerhöhung und Rate unerwünschter kardiovaskulärer Ereignisse zu [12, 13]. Zudem scheint epidemiologischen Studien zufolge die langfristige kombinierte Gabe von nicht steroidalen Antiphlogistika und Paracetamol das Risiko gastrointestinaler UAW überadditiv zu erhöhen [14, 15]. ... |
Die Unterstellung von Paracetamol unter die Verschreibungspflicht in Packungen mit mehr als 10 g wird daher uneingeschränkt befürwortet. Weitere Maßnahmen werden nicht gefordert. Im Hinblick auf die Anwendung in der Schwangerschaft sieht die AMK derzeit keinen Anlass zu einer Neubewertung der zulassungskonformen Anwendung, so Prof. Dr. Martin Schulz, Vorsitzender der AMK gegenüber der DAZ. Er beruft sich in diesem Punkt auf die Ausführungen des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie (http://www.embryotox.de/paracetamol.html). Dort heißt es:
Planung einer Therapie oder Planung einer Schwangerschaft unter Therapie: Paracetamol ist das Analgetikum und Antipyretikum der Wahl. Es kann in jeder Phase der Schwangerschaft innerhalb des üblichen Dosisbereichs eingesetzt werden.
Konsequenzen nach Anwendung in der Schwangerschaft: keine.
Besser erprobte Alternativen: keine.
Diesen Ausführungen habe die AMK nichts hinzuzufügen, so Schulz.
BAH: Keine Rechtfertigung für Marktrücknahme
Für den Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) ergeben sich bei näherem Hinsehen aus den von Brune zitierten Arbeiten keine Hinweise auf neue Risiken, die es rechtfertigen würden, Paracetamol-haltige Arzneimittel insgesamt der Verschreibungspflicht zu unterstellen oder vom Markt zu nehmen (s. Stellungnahme).
BAH-Stellungnahme:
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du
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