- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 9/2010
- Antibiotika bei ...
Selbstmedikation
Antibiotika bei Streptokokken-A-Infekt nicht routinemäßig
Viele Kunden klagen in der Apotheke über Hals- und Schluckbeschwerden, vor allem in den Herbst- und Wintermonaten. Die Halsschmerzen dauern, unabhängig von einem Nachweis beta-hämolysierender Streptokokken der Gruppe A, im Mittel dreieinhalb bis fünf Tage. Mögliches Fieber klingt meist innerhalb von zwei bis drei Tagen ab. Eitrige Komplikationen wie Peritonsillarabszess, Otitis media oder Sinusitis sind selten bis sehr selten. In bis zu 80% werden solche Pharyngitiden von Viren ausgelöst, allen voran Rhinoviren. Bei 15 bis 30% sind beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A (GAS) die Übeltäter, bei 5 bis 10% beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe C und G. Für eine GAS-Infektion sprechen plötzliches Auftreten, Fieber, vergrößerte Lymphknoten sowie häufig auch Kopf- oder Bauchschmerzen. Eher nicht um eine Streptokokken-A-Infektion handelt es sich, wenn der Patient gleichzeitig über Schnupfen, Husten, Heiserkeit oder auch über Diarrhö klagt. Sicherheit kann ein Rachenabstrich bringen. Der GAS-Schnelltest hat eine hohe Spezifität, allerdings nur eine mittlere Sensitivität. Besser kann es sein, eine Kultur anzulegen. Allerdings, so betonte Prof. Dr. Reinhard Berner, leitender Oberarzt des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin Freiburg: Nicht jeder positive Rachenabstrich bedeutet gleichzeitig eine Streptokokkeninfektion. Zwischen Träger- und Erregerstatus lässt sich nicht sicher unterscheiden.
Extrem selten: akutes rheumatisches Fieber
Weder bei einem Verdacht auf eine Infektion mit beta-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A noch bei einem nachgewiesenen GAS-Infekt ist aber laut neuer S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) eine routinemäßige Gabe von Antibiotika indiziert. Der Grund ist das geringe Risiko für Komplikationen und Folgeerkrankungen, das von einer Streptokokkeininfektion ausgeht und der "nicht ganz überzeugende Effekt auf die Halsschmerzen", so Berner. Gefürchtet sind als Folge einer GAS-Pharyngitis vor allem das akute rheumatische Fieber und die Glomerulonephritis. Doch Berner gibt Entwarnung: Beide Erkrankungen sind in unseren Breiten inzwischen extrem selten. Die Inzidenz der Poststreptokokkenglomerulonephritis liegt weltweit bei 24,3 bis 0,3 pro 100.000, 97% treten in armen Gegenden der Entwicklungsländer auf. Dass sie sich durch Antibiotika verhindern lässt, ist nicht belegt. Die Inzidenz von akutem rheumatischem Fieber wird mit 1 pro 100.000 angegeben. "Mit über 15.000 Antibiotikagaben lässt sich ein rheumatisches Fieber verhindern", machte Berner das Verhältnis deutlich. Und: Die Prävention ist nur für eine parenterale Penicillinbehandlung belegt. Auch ein Retropharyngealabszess, mögliche Komplikation der GAS-Infektion, ist mit unter einem Prozent eher selten.
Bei zusätzlichem Hautausschlag zum Arzt
Ein Arztbesuch ist sofort notwendig bei sehr seltener Luftnot oder bedrohlichen Schluckbeschwerden, sowie bei insgesamt starken Beschwerden, ausbleibender Besserung, ungewöhnlichen zusätzlichen Symptomen wie etwa einem Hautausschlag (Verdacht auf Scharlach!) und bei Unsicherheiten wie Vorerkrankungen oder auch bei Kleinkindern. Der Arzt kann dann verschiedene Scores zu Rate ziehen um mehr Sicherheit bei der Entscheidung für oder gegen ein Antibiotikum zu erhalten. Um die Wahrscheinlichkeit für eine GAS-Infektion bei Patienten über 15 Jahren abschätzen zu können, wird beispielsweise der Centor-Score herangezogen, der die vier Kriterien Fieber in der Anamnese, Fehlen von Husten, Halslymphknoten geschwollen sowie Tonsillenexsudate erfasst. Bei kleineren Kindern können die McIsaac-Kriterien verwendet werden, die so modifiziert sind, dass sie auch für Kinder ab drei Jahren eingesetzt werden können.
Penicillin nur über sieben Tage!
Antibiotika sollten laut Berner nur bei therapeutischer Relevanz in Erwägung gezogen werden. Dann kann bei typischer Klinik und positivem Streptokokkennachweis über sieben Tage mit Penicillin behandelt werden. Einen Beleg für die Überlegenheit einer zehntägigen Therapie gibt es nicht. Eine Kontrolluntersuchung nach Therapieende ist nicht notwendig. Der Nutzen: Bei klinischen Zeichen einer GAS-Pharyngitis kann eine Krankheitsverkürzung um 1 bis 1,5 Tage, bei klinischen Zeichen einer GAS-Pharyngitis und GAS-positivem Rachenabstrich um 1 bis 2,5 Tage erreicht werden.
Tipps bei Halsschmerzen
|
An Mononukleose denken
Selten ist eine Mononukleose (Pfeiffersches Drüsenfieber) die Ursache von Halsschmerzen. Es handelt sich um eine Virusinfektion, bei der auch andere Organe im Körper beteiligt sein können. Besonders bei Jugendlichen sind die Lymphknoten oft stark geschwollen. Manche haben auch fast keine Beschwerden. Die Diagnose kann durch einen Bluttest gesichert werden.
Schmerzmittel für höchstens drei Tage empfehlen!
Einzelgaben von Paracetamol und Ibuprofen können die Halsschmerzen für mehrere Stunden lindern. Die regelmäßige orale Gabe reduziert die Symptome einer Pharyngitis, auch während der ersten Tage einer antibiotischen Behandlung. Beide Substanzen scheinen bei Halsschmerzen bzw. Pharyngitis bei Kindern weniger wirksam als bei Erwachsenen. In einer randomisierten, kontrollierten Studie linderte auch Acetylsalicylsäure Halsschmerzen bei Erwachsenen, der Zusatz von Coffein verstärkte diese Wirkung.
Phytopharmaka und bewährte Hausmittel
In den Leitlinien der DEGAM werden unspezifische Maßnahmen wie ausreichend viel trinken, Gurgeln mit Salzwasser oder Tee, Lutschen nicht-medizinischer Bonbons oder Halswickel mit Einschränkungen zur Symptomlinderung empfohlen. Diese einfachen Hausmittel können Halsschmerzen lindern, wissenschaftliche Untersuchungen, die eine Wirksamkeit belegen, liegen leider nicht vor. Zu diesen traditionellen Hausmitteln zählen das Befeuchten der Raumluft, Gurgeln mit Salbei- oder Kamillentee, mit Salzwasser (ein viertel Teelöffel Salz in einem Glas Wasser auflösen), heiße Zitrone trinken, Anlegen von Halswickeln. Allerdings wird in den Leitlinien auch darauf hingewiesen, dass diese Haus- und Naturmittel oder nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht prinzipiell harmlos sind: Sie können schaden, in dem sie medizinisch indizierte Behandlungen ver- oder behindern. Halsschmerzmittel zu lokalen Anwendung wie Lutschtabletten, Gurgellösungen oder Rachensprays mit Lokalantiseptika (Hexetidin, Benzalkoniumchlorid, Cetylpyridiniumchlorid, Chlorhexidin, Cresol) oder Lokalanästhetika (Benzocain) oder Antibiotika (Fusafungin, Thyrothrizin, Thiamphenicol) werden in der Leitlinie nicht empfohlen. Vor allem die Anwendung von Lokalantiseptika wird kritisch gesehen, da sie nur an der Oberfläche wirken können, während sich die wesentliche Infektion in der Tiefe des Gewebes abspiele. Die teilweise in vitro und in vivo nachgewiesene bakterizide bzw. bakteriostatische Aktivität dieser Substanzen erscheint den Autoren angesichts der mehrheitlich viral bedingten Racheninfektionen ohne klinische Relevanz. Lediglich für Ambroxol liegen zwei kontrollierte Studien vor, die bei einem Summenscore verschiedener Symptome eine Überlegenheit gegenüber Placebo erkennen ließen. Allerdings kann die klinische Relevanz dieser Summenscores nicht sicher beurteilt werden.
In der Leitlinie werden pflanzliche Arzneimittel bei ausgeprägtem Therapiewunsch des Patienten oder unzureichender Wirksamkeit besser belegter symptomatischer Maßnahmen mit Einschränkungen empfohlen. In Form von Tee, Saft oder Tropfen können Extrakte aus Kamillenblüten (antiphlogistisch), Salbeiblätter (antiseptisch, antiphlogistisch, adstringierend), Lindenblüten (adstringierend, analgetisch, antitussiv), Spitzwegerichblätter (mucilaginös, antientzündlich) oder Isländisch Moos (mucilaginös, antientzündlich) und Thymian (sekretolytisch, antiseptisch) angewendet werden. Bei Kindern und Alkoholkranken muss auf den Alkoholanteil in einigen Präparaten geachtet werden! Zum Einsatz einer homöopathischen Behandlung bei Halsschmerzen wird in der Leitlinie keine Empfehlung dafür oder dagegen ausgesprochen. Die Homöopathie beanspruche eine Wirksamkeit bei Infektionen im Hals- und Rachenraum. Im Sinne einer Evidenz-basierten Medizin liegen aber keine Wirksamkeitsnachweise vor.
Quelle Prof. Dr. Reinhard Berner, Freiburg: 105. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Mannheim, 3. bis 6. September 2009.
Leitlinie Nr. 14 "Halsschmerz" der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM), Stand Oktober 2009.
Apothekerin Dr. Beate Fessler
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.