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Management
Steuern wir auf einen Fachkräftemangel zu?
Apothekermangel?
Schon länger wird über einen Mangel an Apotheker(innen) geklagt.
Zweifelsohne vollzieht sich auch in der Apothekerschaft ein demografischer Wandel. Die Gründergeneration der 1970er und 1980er Jahre, die seinerzeit noch für stark steigende Apothekenzahlen gesorgt hat, geht der Rente entgegen. Es liegt also nahe, die Werbetrommel für mehr Nachwuchs zu rühren. Tatsächlich gibt es jedoch nach wie vor wesentlich mehr Bewerber(innen) als Studienplätze; es müssten für mehr Absolventen vor allem die Ausbildungskapazitäten erhöht werden. Doch wäre das sinnvoll?
Schauen wir uns das Beschäftigungswunder Pharmazie also näher an.
Wer heute einem 20-Jährigen einen Berufsweg empfiehlt, sollte einen weiteren Blick in die Zukunft wagen. Schließlich wird das Berufsleben dieses jungen Menschen normalerweise einschließlich Ausbildungszeit mindestens 40, wahrscheinlich künftig eher 50 Jahre dauern. Dann schreiben wir das Jahr 2060. Glaubt man den Klimapropheten, kommen die Oliven dann aus Sibirien, und die Nordseeinseln haben "Malle" schon lange als Urlaubsdestination abgelöst
Was erwartet eigentlich die künftigen Jungapotheker(innen)?
Die guten Nachrichten zuerst: Wer einen Arbeitsplatz sucht, noch dazu vor Ort, mit flexibler Arbeitszeit, frauen- und familienfreundlich, dürfte absehbar ganz gute Karten haben. Als ganz so rosig wie vielfach ausgemalt kann man die Beschäftigungsmöglichkeiten jedoch selbst in der Apotheke perspektivisch nicht bezeichnen, dazu später mehr.
Doch nicht jeder möchte angestellt in einer Apotheke arbeiten, auch nicht als Filialleiter(in), wo wahrlich nicht alles Gold ist, was glänzt. Zwar bieten zunehmend größere Apotheken, teilweise mit Speziallaboren, Versandaktivitäten und anderen Spezialisierungen, heute mehr als nur den klassischen "HV-Betrieb", selbst in finanzieller Hinsicht. Unter Karriere stellt sich der leistungsorientierte Nachwuchs trotzdem etwas anderes vor.
Ein besonderer Reiz des Apothekerberufes bestand immer in der Möglichkeit der bisher durchaus lukrativen Selbstständigkeit. Doch hier steuern wir mehr und mehr auf eine "closed shop-Gesellschaft" zu. Mit der Politik auf der einen Seite, welche die Margen immer weiter beschneidet, und den lieben Kolleginnen und Kollegen andererseits, welche sich mittels Filialisierung fast jedes halbwegs brauchbare Objekt unter den Nagel reißen – es war schon lange nicht mehr so schwer, als Newcomer Fuß zu fassen. Allerlei Makler, "Standortentwickler" und Vermietungsgesellschaften, welche die Hand auf gute Standorte halten, tun das Übrige dazu.
Im Apothekenwesen findet somit eine gewisse Renaissance der Erb- und Familiendynastien statt. Bestehende, gutgehende Apotheken riegeln den Markt mehr und mehr ab. Man bleibt unter sich.
Die seit 2004 gegebene Möglichkeit der Filialisierung – viele betrachten dies im Übrigen als einen der größten standespolitischen Sündenfälle – erweist sich somit im Nachhinein als ein veritables Nachwuchs-Verhinderungsprogramm, zumindest für bislang Branchenfremde.
Personalknappheit hinterfragt
Auch abseits dieser Strukturveränderungen stehen die Personalprognosen auf einem wackeligen Fundament.
Traditionell bestehen in Apotheken aufgrund des hohen und weiter steigenden Frauenanteils große "stille" Arbeitskräfte-Reserven. Würde sich ein nennenswerter Teil davon nur zu wenigen, zusätzlichen Wochenstunden entschließen, wären rechnerisch viele Lücken geschlossen. Das Problem ist eher lokaler Natur: Während in attraktiven Wohnregionen und in Uni-Städten das Arbeitskräfteangebot meist gut ist, hapert es in entlegeneren Regionen. Und wer wechselt für eine Teilzeitstelle den Wohnort?
Wir sollten uns weiterhin in Erinnerung rufen, dass gut ein Drittel der Apotheken – je nach Quelle mal etwas mehr, mal weniger – betriebswirtschaftlich rote Zahlen schreibt. Doch bereits vor Jahrzehnten waren 30% oder gar 40% unrentabel. Selbst 1985 schon, vor den Blümschen Festbeträgen, der Seehofer-Reform, dem GMG und was sonst noch alles an Reformen und Reförmchen auf den Weg gebracht wurde.
Wahr ist: Es gab schon früher und es gibt heute eine beträchtliche Anzahl von bestimmt gut 5000 Apotheken, die wirtschaftlich schwach dastehen. Es sind übrigens nicht nur die kleinen Land- und Peripherie-Apotheken. Es sind auch etliche, bisweilen überraschend große Betriebe dabei, die sich schlicht übernommen haben und am Rande des Abgrundes manövrieren.
Hier besteht ein fragiles Gleichgewicht, welches durch nur einen etwas größeren Reformschritt sofort kollabieren würde. Rasch stünden Tausende vor dem Aus. Man kann es – provokativ gesagt – auf einen ganz einfachen Nenner bringen: Das Kombimodell um 2,00 € gekürzt, und der Fachkräftemangel in der Apotheke hat sich auf Jahre hinaus erledigt
Das zeigt, auf welch dünnem Eis sich das Ganze bewegt. Die Eisdicke wird leider politisch fremdbestimmt.
Vergessen wir ebenfalls nicht, dass durch die Filialisierung gewisse Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt (erheblich höherer Bedarf an Approbierten als Filialleitung) eingetreten sind. Etliche übernommene Filialen waren Schließungskandidaten. Sie werden weitergeführt – aber wie lange noch? Die Kürzungen im Rahmen des AMNOG wird manchen dieser Betriebe auf den Rentabilitäts-Prüfstand zwingen.
Ein weiterer, gerne verdrängter Aspekt betrifft die Automatisierbarkeit erheblicher Teile der Apothekenarbeit. Machen wir uns nichts vor: Schachteln einlagern und heraussuchen, einen Wechselwirkungs- und Risiko-Check, selbst Teile der Beratung – das können heute bereits Automaten, das ist neben der Mechanik eine Frage der dahinterstehenden Datenbanken und Expertensysteme. Und die Technik bleibt nicht stehen! Allein der breitere Einsatz heutiger Kommissionierautomaten birgt ein bedeutendes Rationalisierungspotenzial, wenn auch bevorzugt im "Backoffice".
Gerichtsurteile wie gegen das Visavia-Terminal streicheln zwar die berufspolitische Seele, ändern sachlogisch aber nichts. Im Gegenteil, wer sich zu lange auf rechtlichem Schutz ausruht, wird womöglich langfristig böse ins Hintertreffen geraten.
Was bedeutet dies alles für die Apotheken?
Die Lösung heißt nicht, mehr Studienplätze zu schaffen. Die Gefahr von Enttäuschungen ist sehr hoch. Geschickter ist es, mit den vorhandenen, ohne Weiteres ausreichenden Personalressourcen besser zu haushalten – durch Optimierung von Betriebsabläufen, sinnvolle Rationalisierung und Einsatz von Technik sowie ein radikales Zurechtstutzen völlig sinnfreier Bürokratie und verkomplizierender Arbeitsabläufe. Hier ist die Politik gefragt, durch Abbau der Überregulierung mit teils sich widersprechenden Instrumenten höhere Effizienz (und nebenbei eine höhere Arbeitszufriedenheit) zu ermöglichen. Ein solche Richtung ist übrigens auch der beste Schutz gegen Angriffe von außen: An exzellent strukturierten, durchrationalisierten, leistungsfähigen und rentablen Betrieben beißen sich selbst Ketten die Zähne aus. Im Wettbewerb zählt Stärke und nicht das Vertrauen auf brüchige Rechtsrahmen!
Blick in die Industrie
Doch schauen wir einmal über die Apothekentüre hinaus.
Die Pharmaindustrie war immer ein beständiger Abnehmer hochqualifizierter Absolventen. Indes ist von der deutschen "Apotheke der Welt" nicht mehr allzu viel geblieben. Schon längst haben die Firmen ihre Konsequenzen gezogen: Billig-Generika lassen sich schon heute hierzulande kaum mehr rentabel fertigen. Studien werden zunehmend nach Indien bzw. Asien verlagert. Angesichts der dortigen Wachstumsperspektiven wandern perspektivisch auch weitere Abteilungen "far east", während bei uns mehr und mehr an der Preisschraube gedreht wird und die staatlichen Interventionen zunehmen.
Wie gesagt: Wir reden über langfristige Aussichten. Und da ist der Befund ziemlich eindeutig: Während wir in den alten Wohlstandsnationen die Bäume fällen, um die Früchte zu ernten, spielt die Musik andernorts. International betrachtet bietet die Pharmabranche somit weiterhin sehr gute Beschäftigungsmöglichkeiten. Wer jedoch räumlich nicht flexibel ist, muss sich um einen dauerhaften Arbeitsplatz durchaus sorgen.
Zudem sieht sich die forschende Pharmaindustrie bisher ungekannten Herausforderungen gegenüber. Wurde bisher fast jeder Preis für ein neues Medikament bezahlt, so wissen wir heute, dass dies nicht endlos so weitergehen kann. Es lässt sich leicht überschlagen, dass die innovativen Therapien gegen die Krankheiten der modernen Zivilisation irgendwann jedes Budget sprengen werden. Nicht heute und nicht morgen, aber auf lange Sicht. Fünf- oder gar sechsstellige Therapiekosten pro Jahr für eine steigende Zahl an Patienten, eines Tages vielleicht für jeden zweiten oder dritten von uns, sind nicht finanzierbar. Erst recht nicht – was für ein Sarkasmus – wenn die Therapien tatsächlich das Leben um viele (sehr teure!) Jahre verlängern sollten …
Was heißt das? Wir werden völlige Paradigmenwechsel erleben. So steht die Biotechnologie vor ein oder zwei fulminanten Jahrzehnten, doch wird sich am Ende abzeichnen, dass auch sie meist keine Heilung erzielen kann, sondern kostspielige Stand-by-Behandlungen erfordert. Im Ergebnis werden sich entweder die Kosten um mindestens eine Kommastelle verschieben, oder es werden völlig neue Ansätze gefunden – wahrscheinlich letzteres. Ob regenerative Medizin, ob physikalisch-medizintechnische Anwendungen zur Zellbeeinflussung, die heute noch Stoff für Science Fiction sind – die Zukunft der Medizin gehört langfristig vielfach den Ingenieuren, (Medizin-)Physikern, Nanotechnologen und Zellbiologen. Für den klassischen Pharmazeuten heutiger Prägung bleiben da auf lange Sicht nur noch einige Nischen, und es wird ganz entscheidend sein, dass sich die Ausbildung rechtzeitig diesen Entwicklungen anpasst.
Fazit
Der beschworene Fachkräftemangel steht speziell in der Apotheke unter dem Vorbehalt, dass die Apothekenzahlen im Wesentlichen auf dem heutigen Niveau verharren werden. Doch wissen wir alle, dass in Zukunft aus wirtschaftlichen Gründen, die politisch ausgelöst wurden, eher mit einer Abnahme der Apothekenzahl zu rechnen ist. Zwar würden sich die Umsätze der geschlossenen Apotheken auf bestehende Betriebe verteilen, mit einem dort steigenden Personalbedarf, doch kompensiert das keinesfalls vollständig den Wegfall der Arbeitsplätze. Somit wäre das Thema Arbeitskräftemangel erst einmal erledigt. Arbeitsmärkte reagieren sehr sensibel auf Veränderungen der konjunkturellen Lage, sowohl positiv wie negativ, wie wir aus der allgemeinen Wirtschaft wissen.
Soll man also guten Gewissens zum Pharmaziestudium raten? Ja, falls wirkliches Interesse am Fach und bei Interesse an einer Industrie- oder Forscherkarriere die Bereitschaft zur Tätigkeit im internationalen Rahmen besteht. Abzuraten ist hingegen, wenn in erster Linie die "guten Berufsaussichten" als Motiv dienen. Solche Motivlagen bergen gerade bei einem so fremdbestimmten Beruf ein erhebliches Enttäuschungspotenzial.
Apotheker Dr. Reinhard Herzog, Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de
Der Autor ist Apotheker und Dozent.
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