Gesundheitspolitik

Rettungsschirm gegen überzogene Politik und Bürokratie

Gesundheitskonferenz in Schleswig-Holstein

KIEL (tmb). Am 21. September veranstaltete die Interessengemeinschaft der Heilberufe in Schleswig-Holstein (IdH) in Kiel erstmals eine Gesundheitskonferenz. Dabei diskutierten die Vertreter der Heilberufler mit Landesgesundheitsminister Dr. Heiner Garg (FDP) und den gesundheitspolitischen Sprechern der Landtagsfraktionen. Die IdH ist in ihrer Konstruktion als gemeinsame Organisation der Heilberufler einzigartig in Deutschland. So präsentierten sich die Heilberufler auch bei der Konferenz in bemerkenswerter Geschlossenheit. Sie sehen die älter werdende Gesellschaft als größtes Problem und fordern von der Politik mehr Gestaltungsmöglichkeiten und weniger Belastung durch Bürokratie.

Große Übereinstimmungen bei der ersten Gesundheitskonferenz in Schleswig-Holstein, v. li.: Dr. Peter Froese, Vorsitzender des Apothekerverbandes, Dr. Ingeborg Kreuz, Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung, und Gesundheitsminister Dr. Heiner Garg.
Foto: AZ/Sket

Mit der Einladung zur Pressekonferenz nach der zweistündigen Gesundheitskonferenz hat die IdH relativ großes Interesse bei den Medien erreicht – wohl auch durch den provokanten Titel "Wann kommt der Rettungsschirm?" Doch wünschen sich die Heilberufler keinen Rettungsschirm im Sinne staatlicher Hilfsgelder, sondern einen Schutz gegen alle, die meinen es besser zu können als die Heilberufler. Dr. Ingeborg Kreuz, Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein, und Dr. Peter Froese, Vorsitzender des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein, forderten die Politik gemeinsam auf: "Lasst uns machen!" Froese erklärte, den Apothekern gehe es nicht gut, trotzdem würden sie sich mit viel Bürokratie herumschlagen müssen. Er fragte: "Wofür wollen wir Heilberufler einsetzen – zum Heilen der Patienten oder um Zahlen in richtiger Reihenfolge in Formulare einzutragen?" Dies kam offenbar auch beim Minister an. Er verstehe die Botschaft der IdH als Appell an die Politik mehr Zutrauen in diejenigen zu haben, die die Versorgung leisten. "Diesen Rettungsschirm bin ich gerne bereit aufzuspannen", so Garg.

Leitlinien des Ministers

Insgesamt zeigte sich der Minister vom geschlossenen Auftreten der Heilberufler sichtlich beeindruckt. Für seine weitere Politik wolle er sich an vier Leitlinien orientieren. Erstens forderte er, die Situation ehrlich zu bewerten und gegenüber der Bevölkerung darzustellen. Er warnte vor Versprechungen, "paradiesische Zustände" wie vor zehn Jahren könnten wieder herbeigeführt werden. Vielmehr müssten die anstehenden Fragen diskutiert werden: "Was ist uns Gesundheit wert? Was kann, soll und darf der Solidargemeinschaft zugemutet werden?" Zweitens solle "miteinander statt gegeneinander" gearbeitet werden. Politiker und alle an der Versorgung Beteiligten seien gemeinsam gefordert, die Versorgung dauerhaft sicherzustellen. Als dritte Leitlinie formulierte Garg: "Dezentral statt zentral." Die Landesregierung wolle Partner der Selbstverwaltung sein und nicht diktieren. Als vierten Aspekt betonte der Minister die Freiberuflichkeit als "Rückgrat der Versorgung". Die Freiberufler sollten besser und freier handeln können, weil sich dies zugunsten der Patienten auswirke.

Alterung und die Folgen

Den Hintergrund für die Konferenz bildete die demografische Entwicklung. Nach Berechnungen des Statistikamtes Nord wird die Zahl der Einwohner Schleswig-Holsteins im Alter von über 60 Jahren von derzeit etwa 750.000 auf knapp eine Million im Jahr 2025 steigen. Gleichzeitig werden viele Leistungserbringer in den Ruhestand gehen. Etwa 30 Prozent der Hausärzte im Land sind über 60 Jahre alt, doch Nachwuchs in dieser Größenordnung ist nicht in Sicht. Kreuz trug die unterschiedlichen Aspekte des Wandels bei den verschiedenen Heilberufen vor. Dem Ärztemangel werde möglicherweise ein Apothekermangel folgen. "Freie Apothekerstellen können schon jetzt nicht oder nicht optimal besetzt werden", so Kreuz. Durch die Feminisierung der Heilberufe zeige sich insbesondere bei den Zahnärzten ein Trend zur Arbeit in Gemeinschaftspraxen oder in Anstellung. Dies könne zur Konzentration der Angebote in Städten führen. Ein großes Problem der Psychotherapeuten sei die Bedarfsplanung, die auf "Uraltzahlen aus den neunziger Jahren" beruhe. Doch schon jetzt komme es zu überlangen Wartezeiten. Die Planung solle sich daher am Versorgungsbedarf und nicht an irgendwelchen Verhältniszahlen orientieren.

Die Gesellschaft wünsche sich alles überall in hoher Qualität, doch die Ressourcen seien finanziell und personell begrenzt, stellte Kreuz fest. Daher wäre es bereits ein "Riesenerfolg", wenn der derzeitige Zustand erhalten bleiben könne. Angesichts der großen Bedeutung der Gesundheit regte Kreuz an, dass dafür auch ein höherer Anteil der Wirtschaftsleistung aufgebracht werden könne. Zugleich verwies sie darauf, dass die Diskussion über Priorisierung in anderen Ländern eine hohe Akzeptanz hätte, doch erstaunlicherweise sei dies in Deutschland anders.

Als Beispiel für eine mögliche Lösung der künftigen Versorgungsprobleme verwies Kreuz auf Zweitpraxen, die weiter ausgebaut werden könnten. Dort arbeiten Fachärzte an einzelnen Wochentagen außerhalb der Großstädte. Vorteilhaft sei auch die im Versorgungsstrukturgesetz vorgesehene neue Möglichkeit für Ärzte, aus einem Angestelltenverhältnis später in die Selbstständigkeit zurückwechseln zu können. Für die Psychotherapeuten erklärte Juliane Dürkop, Präsidentin der Psychotherapeutenkammer Schleswig-Holstein: "Ältere brauchen nicht weniger Pyschotherapie", doch werde diese den Älteren bisher zu wenig angeboten. Dr. Ulrich Rubehn, Präsident der Zahnärztekammer Schleswig-Holstein, betonte, dass jeder Zugang zu einer "vernünftigen" zahnärztlichen Grundversorgung hat, doch sollten die Patienten auch ihre Eigenverantwortung für sich wahrnehmen.



AZ 2011, Nr. 39, S. 3

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