Arzneimittel und Therapie

ASS und Ibuprofen schützen vor Darmkrebs

Wer längerfristig Entzündungshemmer wie ASS oder Ibuprofen einnimmt und dann an Darmkrebs erkrankt, hat ein um nahezu 20% verringertes Risiko, an seiner Krankheit zu versterben. Das berichten jetzt Wissenschaftler um Prof. Dr. Cornelia Ulrich vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT), Heidelberg.
Foto: PMA
Laparoskopische Darmkrebsoperation Unter der Einnahme von ­Acetylsalicylsäure oder Ibuprofen scheinen Krebserkrankungen in vielen ­Fällen weniger schwer zu verlaufen, die Sterblichkeitsrate sank bei Darmkrebspatienten um nahezu 20%. 

Die Forschergruppe um Prof. Ulrich untersuchte, welchen Effekt die Einnahme von nichtsteroidalen Entzündungshemmern auf die Schwere und den Verlauf von Darmkrebs-Erkrankungen hat. Dazu wurden über 1700 Patienten zum Zeitpunkt der Krebsdiagnose unter anderem dazu befragt, wie oft und wie lange sie Acetylsalicylsäure (ASS) oder Ibuprofen eingenommen hatten. Die Interviewphase wurde 2002 abgeschlossen. Danach wurden die Patienten acht Jahre lang weiter beobachtet. Die Forscher untersuchten weitere Risikofaktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum, Übergewicht, Arzneimitteleinnahme, Erkrankungsstadien und entzündliche Vorerkrankungen. Außerdem werteten sie Daten zur Lage des Tumors im Darm, Metastasierung, Alter und Sterblichkeit aus.

Weniger schwere Verläufe

Dabei zeigte sich, dass die Einnahme von Acetylsalicylsäure oder Ibuprofen die Schwere der Krebserkrankung in vielen Fällen abmilderte. Die Einnahme dieser Arzneimittel senkte die Sterblichkeitsrate bei Darmkrebspatienten um nahezu 20%.

Diejenigen Patienten, die regelmäßig zwei Jahre vor der Diagnose Entzündungshemmer eingenommen haben, entwickelten seltener Tumoren in dem Teil des Darms, der näher am Dünndarm liegt. Diese Tumoren haben eine weniger gute Prognose. Dabei wirkte eine Einnahmezeit von über zwei Jahre bereits schützend. Eine längere Behandlungszeit mit Entzündungshemmern brachte keinen zusätzlichen Schutz.

Auch Ibuprofen schützt

Erstmals wurde in dieser Studie nicht nur Acetylsalicylsäure, sondern auch Ibuprofen untersucht. Dabei nahm ein Drittel der Patienten niedrig dosierte ASS über einen längeren Zeitraum ein, während Ibuprofen kürzer und höher dosiert angewendet wurde.

Ob Acetylsalicylsäure Ibuprofen überlegen ist, lässt sich aufgrund der vorliegenden Daten nicht sagen, denn im Vergleich zu den rund 650 ASS-Konsumenten verwendeten nur rund 300 Patienten Ibuprofen. Die Forscher vermuten, dass es eher auf die Dosierung und die Dauer der Einnahme ankommt als auf einen bestimmten Wirkstoff aus der Klasse der nichtsteroidalen Entzündungshemmer.

Mechanismus noch unklar

Acetylsalicylsäure und Ibuprofen hemmen die Cyclooxygenase (COX), die an Entzündungsvorgängen im Körper beteiligt ist und bei der molekularen Entstehung von Krebs und der Blutversorgung von Tumoren eine entscheidende Rolle zu spielen scheint. Deshalb wollen die Forscher in zukünftigen Studien untersuchen, wie sich ASS und Ibuprofen bei der Entstehung von Tumoren und in deren Umgebung auf die Entzündungsparameter auswirken.

Weitere Fragen

Die Studie wirft weitere Fragen auf. Darüber haben wir mit Prof. Dr. Cornelia Ulrich vom NCT in Heidelberg gesprochen:


Prof. Dr. Cornelia Ulrich

DAZ: Frau Professor Ulrich, bei regelmäßiger Einnahme von ASS oder Ibuprofen kann nach Ihren Ergebnissen die Sterblichkeitsrate bei Darmkrebs um 20% gesenkt werden. Wie oft und über welchen Zeitraum müssen ASS oder Ibuprofen dazu in welcher Dosierung eingenommen werden?

Ulrich: Aus dieser epidemiologischen Studie lassen sich leider hierzu keine genauen Schlüsse ziehen, allerdings war die Sterblichkeit bei Menschen, die mindestens 2,5 Jahre Entzündungshemmer einnahmen, relativ am geringsten. Es fehlen uns noch viele Teile in diesem Puzzle, beispielsweise wurde hier die Einnahme vor der Erkrankung untersucht. Wir wissen hier leider nicht, ob Menschen, die bereits vor einer Krebsdiagnose Entzündungshemmer nahmen, die Einnahme auch nach ihrer Erkrankung fortsetzten. Allerdings haben andere Studien gezeigt, dass eine krebspräventive Wirkung von ASS bereits mit sehr geringen Dosen erreicht werden kann (etwa 50 bis 80 mg pro Tag).


DAZ: Lässt sich dieser Effekt durch längere Einnahme und/oder höhere Dosierung steigern?

Ulrich: Um diese Frage genau zu beantworten, bedarf es weiterer klinischer Studien. In unserer beobachtenden Studie war die Einnahme von über 6 Monaten bis zu 7 Jahren mit einer etwa 30%igen Sterblichkeitsreduktion verbunden und eine noch längere Einnahme zeigte keine weitere Verbesserung.


DAZ: Wie erklärt man sich den positiven Effekt von ASS und Ibuprofen? Welche Rolle spielt die Hemmung von COX 1, welche die von COX 2? Welche anderen NSAR führen möglicherweise zu ähnlichen Effekten?

Ulrich: ASS und Ibuprofen hemmen unter anderem die Bildung von Prostaglandinen, einer Gruppe von hormonartigen Stoffen, die Entzündungen im Körper steuern und die das Wachstum von Blutgefäßen im Tumor stimulieren und die weitere Ausbreitung eines Tumors fördern. Dies geschieht durch die Hemmung der Enzyme COX 1 (ASS und andere Entzündungshemmer) und COX 2. Das Zusammenspiel von COX 1 und COX 2 in der Karzinogenese ist noch nicht ganz geklärt. Lange Zeit wurde nur COX 2 als "schuldig" betrachtet, da dieses Enzym im Tumorgewebe oft stark erhöht ist. Dies ist aufgrund genetischer Daten vermutlich eine zu große Vereinfachung. In Studien zur Prävention von sekundären Polypen war Celecoxib (vorwiegend COX-2-Hemmer) noch etwas effektiver als ASS.


DAZ: Wie verändern sich Tumoren unter Einnahme von COX-Inhibitoren?

Ulrich: Es gibt zahllose Studien, sowohl in Zellkultur als auch in Tiermodellen, die hemmende Wirkungen von ASS und anderen COX-Inhibitoren auf das Überleben und die Teilung von Krebszellen, und direkt auch auf das Tumorwachstum belegen.


DAZ: Welche Schlussfolgerungen erlaubt die bisherige Datenlage zur Darmkrebsprävention bzw. Prognoseverbesserung von Darmkrebs durch NSAR? Was raten Sie? Ist beispielsweise bei familiärer Vorbelastung eine ASS- oder Ibuprofen-Prävention indiziert, wenn ja, in welcher Dosierung? Sollten alle Patienten, bei denen Darmkrebs diagnostiziert worden ist, zur Sekundärprävention ein NSAR einnehmen und wenn ja, welches?

Ulrich: Die Datenlage bezüglich einer krebspräventiven Wirksamkeit von NSAR wird immer überzeugender. Es gibt mehrere große randomisierte klinische Studien mit mehreren Tausend Patienten, die belegen, dass das Wiederauftreten von Darmpolypen durch NSAR-Einnahme um 30 bis 50% reduziert werden kann. Neueste Berichte aus Folgedaten von diesen klinischen Studien zeigen nun auch konkret präventive Effekte von etwa 20% bezüglich Darmkrebs.

Ein Problem stellen allerdings weiterhin die Nebenwirkungen dar (z. B. bei ASS gastrointestinale Blutungen, die auch bei geringen Dosen häufig auftreten können, bei Celecoxib sehr seltene kardiovaskuläre Effekte). Deshalb ist es sehr wichtig, dass vor der Einnahme eine Ärztin oder ein Arzt konsultiert wird und Symptome ernstgenommen werden. Es gibt inzwischen Evidenzen, dass eine genetische Veranlagung (z. B. Polymorphismen in Enzymen der Prostaglandinsynthese) die Wirksamkeit und vermutlich auch die Toxizität von NSAR beeinflussen kann. Daran arbeitet unsere Forschungsgruppe am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) aktiv. Hoffentlich können wir damit besser vorhersagen, welche Patienten ein Risiko für Blutungen haben.

Die bisherigen Studien belegen, dass vor allem bei Patienten mit einer Vorbelastung an Darmpolypen die Einnahme von NSAR im Rahmen der Sekundärprävention sinnvoll sein kann. Allerdings muss für jeden Patienten eine genaue Risiko-Nutzen-Abwägung stattfinden, z. B. auch die Erfassung von gastrointestinalen Blutungen in der Familienanamnese oder sonstige Beschwerden.

Bei Patienten mit Darmkrebs oder anderen Tumorentitäten ist die Einnahme von ASS oder eines Coxibs bisher noch nicht indiziert. Allerdings laufen zurzeit mehrere klinische Phase-III-Studien zu Celecoxib oder ASS und hoffentlich werden wir innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre genauere Empfehlungen geben können.


DAZ: Frau Professor Ulrich, vielen Dank für das Gespräch!


Quelle

Coghill, A. E., et al.: Gut 2011, Online-Publikation DOI:10.1136/gut.2010.221143


hel/Interview du



DAZ 2011, Nr. 11, S. 36

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