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Arzneistoffporträt
Presssäfte – die ursprüngliche Kraft frischer Pflanzen
In § 29 des Arzneimittelgesetzes von 1961 wurden Frischpflanzenpresssäfte aufgrund ihres Stellenwertes innerhalb der Naturheilverfahren erstmals expressis verbis als eigenständige Arzneimittelgruppe genannt. Das Arzneimittelgesetz von 1976 (AMG) hat die Sonderstellung der Frischpflanzenpresssäfte übernommen. In § 44 Abs. 2 AMG heißt es, Presssäfte aus frischen Pflanzen und Pflanzenteilen sind für den Verkehr außerhalb der Apotheken freigegeben, sofern sie ohne Lösungsmittel mit Ausnahme von Wasser hergestellt wurden.
Registrierung als traditionelle Arzneimittel
Betrachtet man den regulatorischen Status einzelner Presssaft-Präparate, so ist die Situation uneinheitlich: Einige der im Handel befindlichen Frischpflanzenpresssäfte sind Arzneimittel mit einer Zulassung gemäß § 105 AMG, deren Anwendungsgebiete den Vorgaben der Kommission-E- oder ESCOP-Monografien entsprechen. Frischpflanzenpresssäfte, die sich ihre weitere Verkehrsfähigkeit als traditionelle pflanzliche Arzneimittel im Zuge der Nachzulassung über das erleichterte Verfahren gemäß § 109a AMG sichern konnten, fallen seit Januar 2009 unter die Regelung des § 39 a AMG; sie durchlaufen demnach gerade das Verfahren der Registrierung nach der europäisch harmonisierten Regelung oder haben dieses schon erfolgreich abgeschlossen.
Als traditionelle Arzneimittel registrierte Presssäfte sind daran zu erkennen, dass die Indikationsformulierung mit den Worten beginnt: "Traditionell angewendet zur/bei …". Darüber hinaus sind auch einige Presssäfte als Nahrungsergänzungsmittel im Handel; deren gesundheitsbezogene Aussagen dürften jedoch künftig infolge der europäischen Healths-Claim-Verordnung (EG/1924/2006) größtenteils wegfallen. Gerade vor diesem Hintergrund erscheint der Status als traditionell angewendetes Arzneimittel vorteilhaft. Er erlaubt gesundheitsbezogene Werbeaussagen, schließt allerdings auch Warnhinweise bei Risikogruppen ein (s. u.).
Morgens auf dem Feld, abends in der Flasche
Da für die Presssaftherstellung nur frische Pflanzen und eben keine getrockneten Drogen zum Einsatz kommen, muss das Ausgangsmaterial in der Nähe der Produktionsstätte kultiviert oder gesammelt werden. Im Falle der Kultivierung ist der kontrollierte ökologische Anbau üblich. Es gilt der Grundsatz, dass die Presssäfte erntereifer Pflanzen an einem Tag vom Feld in die Flasche gelangen sollen, damit vor Produktionsbeginn keine mikrobiologische Beeinträchtigung des Ausgangsmaterials stattfindet. Ausnahmen von dieser Grundregel bilden Granatäpfel und Artischockenblütenknospen, die sich auch für einen mehrstündigen Transport als geeignet erwiesen haben und daher über Nacht beispielsweise aus Italien oder Frankreich angeliefert werden können.
Produktionsverfahren
Der industrielle Produktionsprozess beginnt mit der Reinigung des angelieferten Frischpflanzenmateriales und der Entfernung von eventuell vorhandenen Fremdbestandteilen. Danach wird das Ausgangsmaterial gehäckselt, geraspelt oder gemust, was den Pressvorgang erleichtert und die Ausbeute an wirksamkeitsmitbestimmenden Inhaltsstoffen erhöht. Anschließend erfolgt eine Behandlung mit Wasserdampf, wodurch vorhandene Enzyme inaktiviert und die Zellwände aufgeschlossen werden. Die Enzyminaktivierung ist insbesondere deshalb von Bedeutung, da Enzyme polare Verbindungen häufig in weniger polare und deshalb schwer wasserlösliche Substanzen umwandeln. Darüber hinaus bewirkt die Dampfbehandlung eine Eiweißdenaturierung, dank der sich der Saft nach der Pressung besser klären lässt.
Dann folgt die eigentliche Saftgewinnung: Mit Drücken von bis 250 bar werden bis zu 80% Flüssigkeit aus dem Pflanzenmaterial gepresst. Der frisch gepresste Saft wird zentrifugiert, wodurch Schwebstoffe größtenteils entfernt werden, und anschließend mithilfe einer indirekten Ultrahochkurzzeiterhitzung (Uperisation bei ca. 130 °C) sterilisiert. Die Abfülltemperatur beträgt etwa 85 °C. Nach Verschluss werden die Flaschen in einem Kühltunnel schnellstmöglich wieder auf eine Temperatur gebracht, die die thermolabilen Pflanzeninhaltsstoffe nicht schädigt.
Das geschilderte Produktionsverfahren wird je nach den individuellen Erfordernissen des Pflanzenmaterials variiert. Die einzelnen Teilschritte des Produktionsprozesses wurden wissenschaftlich untersucht. Daher ist bekannt, dass durch das Zentrifugieren vorwiegend Ballaststoffe verlorengehen, aber keine sekundären Inhaltsstoffe, die in der Arzneibuch-Monografie der jeweiligen Pflanze beschrieben sind. Vergleichende HPLC-Untersuchungen zeigten, dass die Uperisation keine grundlegenden Veränderungen des relevanten Inhaltsstoffspektrums verursacht. Lediglich Ascorbinsäure macht eine Ausnahme, doch ist der Vitamin-C-Gehalt z. B. von Sanddorn- oder Acerola-Saft auch nach der Uperisation noch so hoch, dass die empfohlene Tagesdosis Saft den Vitamin-C-Tagesbedarf gemäß Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) deckt.
Dampfbehandlung unverzichtbar
Eine Studie zur Standardisierung von Echinacea-Presssäften verglich verschiedene Handelspräparate im Hinblick auf ihren Gehalt an Cichoriensäure und Alkamiden, da diese Substanzen die Phagozytose stimulieren und damit wirksamkeitsmitbestimmend sind. Ergebnis: In fünf von sechs Produkten war Cichoriensäure nicht nachweisbar oder ihre Konzentration war von Charge zu Charge extremen Schwankungen unterworfen. Lediglich ein Präparat wies bei den geprüften Chargen einen konstant hohen Cichoriensäuregehalt auf. Den Grund hierfür sah der Autor der Studie im speziellen Herstellungsprozess dieses Präparates, da nur in diesem Fall eine Inaktivierung der genuin vorhandenen Enzyme mittels Dampfbehandlung erfolgte [1]. Seither gilt die Dampfbehandlung als unverzichtbar bei der Herstellung von qualitativ hochwertigen Frischpflanzenpresssäften.
Sehr wichtig: lange Haltbarkeit
Die Uperisation ist ein essenzieller Bestandteil der Produktionsverfahren von arzneilichen Frischpflanzenpresssäften, denn gemäß § 44 AMG ist der Zusatz von Ethanol oder anderen Konservierungsmitteln ausgeschlossen. Eine lange Haltbarkeit ist für Frischpflanzenpresssäfte besonders wichtig, da sie nur zur Erntezeit produziert werden können und viele Ausgangsmaterialien nur einmal im Jahr geerntet werden. Im Extremfall liegt das Produkt ein Jahr lang im Lager des Herstellers, bevor er es an Apotheken und Reformhäuser ausliefert. Daher unternehmen die Hersteller besondere Anstrengungen, um eine möglichst lange Haltbarkeit der Produkte zu erreichen. Dank Uperisation beträgt diese, je nach Produkt, drei bis fünf Jahre.
Bedingt durch den Verzicht auf Konservierungsmittel, sind Frischpflanzenpresssäfte nach dem Öffnen im Kühlschrank aufzubewahren und binnen zwei bis drei Wochen zu verbrauchen.
Beispiel Artischockenpräparate
Den Vergleich mit anderen pflanzlichen Zubereitungen brauchen Presssäfte nicht zu scheuen, wie eine Untersuchung verschiedener Artischockenpräparate – neun Trockenextrakt-Präparate sowie ein Frischpflanzenpresssaft – zeigte. Da die choleretischen, leberschützenden und lipidsenkenden Eigenschaften der Artischocke in erster Linie auf die Caffeoylchinasäuren (CCS) zurückgeführt werden, diente deren Konzentration als Qualitätskriterium. Der Presssaft wies den deutlich höchsten Gehalt an CCS auf. Ein Grund dafür könnte sein, dass für die Presssaft-Gewinnung die CCS-reichen Knospen eingesetzt werden, wohingegen die Trockenextrakte in der Regel aus den preisgünstigeren Blättern gewonnen werden.
Anwendungsbeschränkungen für Schwangere, Stillende und Kinder
Hinsichtlich der Anwendung bei Kindern sowie während Schwangerschaft und Stillzeit "kämpfen" Frischpflanzenpresssäfte mit denselben regulatorischen Problemen wie andere Arzneimittel auch. In den Gebrauchsinformationen muss von einer "Anwendung in Schwangerschaft und Stillzeit wegen nicht ausreichender Untersuchungen" abgeraten werden, obgleich Zubereitungen aus Heilpflanzen traditionell auch von schwangeren und stillenden Frauen angewandt wurden. Der Warnhinweis ist damit begründet, dass es keine klinischen Studien gibt, die die Unbedenklichkeit bei schwangeren und stillenden Frauen belegen. Ein ähnlicher Warnhinweis der Packungsbeilage betrifft die Anwendung im Kindes- und Jugendalter.
Da Arzneimittel besonders hohe Qualitätsforderungen erfüllen müssen, versteht es sich, dass solche Warnhinweise vorgeschrieben sind. Wenn aber ein und derselbe Pflanzensaft als Lebensmittel in den Handel kommen würde, dürfte er ohne jeglichen Hinweis auf Anwendungsbeschränkungen in Schwangerschaft, Stillzeit und Kindesalter vertrieben werden, denn bei Lebensmitteln gibt es Warnhinweise nur in Ausnahmefällen (siehe Zigaretten). Diese regulatorischen Feinheiten sind vielen Laien nicht bekannt. Daher sollte der Apotheker seine Kunden entsprechend aufklären. Es gibt auch Ärzte, die schwangeren Frauen ausdrücklich die Anwendung von Frischpflanzenpresssäften empfehlen [3].
"Ursprünglicher Geschmack"
Für Kinder gibt es mittlerweile einige medikamentöse Frischpflanzenpresssäfte (u. a. Echinacea, Thymian, Spitzwegerich, Manna-Feige), die mit behördlicher Genehmigung ab frühester Kindheit eingesetzt werden dürfen. Bei Kindern ergibt sich aber hin und wieder ein Compliance-Problem aufgrund des Geschmacks, denn die meisten arzneilich verwendeten Frischpflanzenpresssäfte schmecken durchaus eigenwillig. Ein Hersteller bevorzugt die Formulierung: "Unsere Heilpflanzensäfte schmecken ursprünglich!" All jenen, die diesen ursprünglichen Geschmack nicht schätzen, empfiehlt er, den Presssaft mit Tee oder Fruchtsaft zu mischen, um den Geschmack zu maskieren. Bei Kindern hat man diesbezüglich mit Johannisbeersaft gute Erfahrungen gemacht.
Gut in der Apotheke aufgehoben
- Frischpflanzenpresssäfte sind eine vielfältig einsetzbare Arzneiform mit den in der pharmazeutischen Industrie üblichen Qualitätsstandards.
- Als freiverkäufliche, traditionelle Arzneimittel bereichern sie die Phytotherapie.
- Durch den ökologischen Anbau sowie den Verzicht auf Alkohol, Konservierungsmittel oder sonstige Zusätze tragen sie dem zunehmenden Verbraucherwunsch nach natürlichen Arzneimitteln Rechnung und sprechen in erster Linie eine gesundheitsbewusste Klientel an.
- Frischpflanzenpresssäfte sind sicher kein Selbstläufer, sondern erklärungsbedürftige Produkte und gerade deshalb – trotz ihrer Freiverkäuflichkeit – in der Apotheke am besten aufgehoben.
Literatur[1] Bauer R. Standardisierung von Echinacea-purpurea-Preßsaft auf Cichoriensäure und Alkamide. Z Phytother 1997;18(5): 270 – 276. [2] Schilcher H. Frischpflanzenpresssäfte, in: Hoppe B (Hrsg). Handbuch des Arznei- und Gewürzpflanzenbaus, Bd. 2. Bernburg 2010, S. 319 – 330. [3] Struck D. Phytotherapie in der Schwangerschaft: Einsatz von Frischpflanzen-Presssäften. med+ für Allgemeinärzte 2008;1(1 – 2):12 – 14. [4] Wegener T. Presssaft aus Brennnesselkraut – erfolgreiche Anwendung im Praxisalltag. Z Phytother 2009;30(5): 243 – 248. [5] Wiedenfeld H. Getrocknet und extrahiert oder lieber frisch gepreßt. Pharm Ztg 1999;144(2):28 – 34. [7] Winter Y, Wegener T. Artischocken-Presssaft erfolgreich bei Magen-Darm-Beschwerden geprüft. Z Phytother 2009; 30(3):111 – 116.
Autor
Dr. Andreas Ziegler, Großhabersdorf,
E-Mail: andreas.ziegler@zience.de
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