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Multinationale Medikamente – Qualitätssicherung im Zeitalter der Globalisierung

Die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) und das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL) fordern in einem gemeinsamen Statement angesichts der zunehmenden Produktion von Arzneistoffen im Ausland die Entwicklung eines modernen Qualitätsmanagements in Deutschland, um auch künftig Arzneimittelsicherheit garantieren zu können. Nachfolgend drucken wir das Statement im Wortlaut ab:

Etwa 80 Prozent der Arzneistoffe und Arzneimittel werden im Ausland produziert. Dort gelten zwar die gleichen Qualitätsanforderungen wie hier in Deutschland, doch eine wirksame Kontrolle der Hersteller ist viel schwieriger. In dieser Situation sind die Behörden und vor allem die pharmazeutischen Unternehmen gefordert, mit einem modernen Qualitätsmanagement auch künftig für sichere Arzneimittel zu sorgen.

Aus Kostengründen werden Generika wie auch Originalpräparate immer häufiger im Ausland produziert. Wurden vor 20 Jahren noch 80 Prozent aller Wirkstoffe in Europa hergestellt, kommen heute schon vier von fünf Wirkstoffen aus Indien oder China. Wahrscheinlich treibt der Druck, immer günstiger produzieren zu müssen, die Hersteller dazu, nicht nur die Herstellung von Wirkstoffen, sondern auch die Fertigung von Zwischenprodukten und mittlerweile sogar die gesamte Produktion in immer neue Länder auszulagern. In Asien hergestellt, in Ungarn oder Rumänien verpackt, in Malta kontrolliert, zum Schluss nach Deutschland transportiert: Solche "Reiserouten" sind für Arzneimittel längst keine Ausnahme mehr. Wie viele Arzneimittel genau entweder vollständig oder in Teilen im Ausland hergestellt werden, lässt sich nur schätzen, denn pharmazeutische Unternehmen sind nicht dazu verpflichtet, die Ursprungsländer und Produktionswege ihrer Medikamente anzugeben. Zwar müssen die Hersteller im Ausland die gleichen Qualitätsanforderungen erfüllen wie die hier ansässigen Unternehmen, doch wird es im Zeitalter der Globalisierung zunehmend schwieriger, die Hersteller im Ausland wirksam zu kontrollieren. Die Folgen können fatal sein. So wurden im April 2008 in den USA 800 Millionen Tabletten eines zweifach überdosierten Digitalis-Generikums entdeckt und vom Markt genommen. Die Tabletten waren nicht in den USA hergestellt worden, denn auch in Nordamerika wird die Arzneimittelproduktion zunehmend ins Ausland verlagert [1].

Zur Qualitätsüberwachung der im Ausland hergestellten Medikamente sind in Deutschland regelmäßige "Audits" bei den Lieferanten sowie bei den Wirkstoff- und Arzneimittelherstellern vorgeschrieben. Doch wegen der knappen personellen Ressourcen und der großen Zahl ausländischer Hersteller können weder das "European Directorate for the Quality of Medicine and Healthcare" (EDQM) in Straßburg noch die amerikanische "Food and Drug Administration" (FDA) alle ausländischen Hersteller regelmäßig überprüfen. Audits sind zwar sehr gut dazu geeignet, sich von der GMP-Konformität des ausländischen Herstellers zu überzeugen. Doch Audits stellen nur eine Momentaufnahme dar. In den Zeiten zwischen den Audits sind Lieferanten weitestgehend unbeaufsichtigt.

Im Ausland hergestellte Arzneistoffe müssen daher, um ein hohes Maß an Patientensicherheit zu gewähren, umfangreichen Qualitätsprüfungen in der EU unterzogen werden, bevor sie in Deutschland auf den Markt kommen dürfen. Grundlage für diese Qualitätsprüfungen sind zum Beispiel das Europäische Arzneibuch (PhEur; Erstellung im EDQM) und das Amerikanische Arzneibuch (USP). Qualitätskontrollen können aber auch an ihre Grenzen stoßen, wie kürzlich der Heparinfall gezeigt hat: Ein synthetisiertes übersulfatisiertes Chondroitinsulfat (OSCS) war einem Heparinpräparat zugesetzt worden. Aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit mit Heparin ist OSCS mit den etablierten analytischen Methoden nicht erkannt worden; die entsprechenden Chargen wurden weltweit freigegeben. Da die etablierten Qualitätskontrollprüfungen häufig auf ein spezifisches Herstellungsverfahren ausgerichtet sind, besteht die Gefahr, dass bisher unbekannte oder unerwartete Verunreinigungen bzw. Kontaminationen in Ausgangsstoffen und Hilfsstoffen oder dass Abweichungen im Herstellungsverfahren mit den angewandten Prüfvorschriften nicht identifiziert werden können.

Qualitätsprobleme treten häufig in China und Indien auf. So hat das EDQM in den letzten Jahren immer häufiger chinesischen und indischen Wirkstoffherstellern die Erlaubnis entzogen oder die Erlaubnis ausgesetzt, Wirkstoffe in die EU einzuführen. Die Gründe hierfür sind meist kritische oder schwerwiegende Inspektionsmängel, die bei Audits aufgefallen sind, Inspektionsverweigerungen oder Nichteinhaltung der Herstellungsverpflichtungen bzw. GMP-Regeln. Das betroffene Produkt wird in einem solchen Fall zurückgerufen und darf solange nicht in den Verkehr gebracht werden, bis eine alternative Wirkstoffquelle gefunden ist.

Es mangelt also nicht an Qualitätsvorgaben für Ausgangsstoffe und Fertigarzneimittel und auch nicht an Vorschriften zur Sicherung der Distributionskette. Doch vor dem Hintergrund einer stark globalisierten Wirkstoff- und Fertigarzneimittelherstellung stellen sich das ZL und die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) die Frage, wie die hohen Qualitätsstandards in der Produktion, Qualitätskontrolle und Distribution von Wirkstoffen und Fertigarzneimitteln auch in Zukunft gewährleistet werden können.

Die Hauptverantwortung liegt bei den pharmazeutischen Unternehmen. Pharmazeutische Unternehmen sollten sich angesichts der kaum mehr durchschaubaren Lieferketten rund um den Globus noch häufiger als bisher vor Ort bei ihren Herstellern und Lieferanten davon überzeugen, dass dort alle relevanten und spezifischen Regelungen eingehalten werden und die Lieferketten transparent sind. Die Hersteller sind verpflichtet, neben den sehr guten Arzneibuchmethoden immer dann eine weitergehende Analytik einzusetzen, wenn sie den Verdacht hegen, dass die Qualität nicht einwandfrei ist [2].

Sogenannte orthogonale Methoden, die einem anderen physikalischen Prinzip folgen als die jeweils beschriebenen Arzneibuchmethoden, müssen hier zum Zuge kommen. Dazu gehören zum Beispiel die NIR-, Raman- und die NMR-Spektroskopie. Große, gut ausgestattete Pharmafirmen können sich ein solches Equipment leisten; ja sie verfügen sogar über Speziallaboratorien, um Fälschungen und Wirkstoffe schlechter Qualität zu entdecken. Bei kleinen Herstellern ist das leider oft nicht der Fall. Qualität hat eben ihren Preis.

Pharmazeutische Unternehmen sollten während des gesamten Lebenszyklus eines Fertigarzneimittels regelmäßig alle Substanzen und Prozesse, angefangen von den eingesetzten Ausgangsstoffen über die Fertigarzneimittelproduktion bis hin zu den verwendeten Packmaterialien, einer systematischen Risikoanalyse unterziehen. Diese Analyse sollte auch eine kritische Auseinandersetzung mit den angewendeten analytischen Methoden zur Qualitätsprüfung einschließen.

Zudem sollte die Effizienz der etablierten Qualitätskontrollmaßnahmen regelmäßig überprüft werden, um im Bedarfsfall rechtzeitig regulierend eingreifen zu können. Nur auf diese Weise kann auch künftig eine hohe Arzneimittelqualität gewährleistet werden, die das oberste Ziel sein muss, um sichere Arzneimittel für unsere Patienten vorzuhalten.


Dr. Mona Tawab, Stellvertretende wissenschaftliche Leitung des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker

Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe, DPhG-Altpräsidentin und Vorsitzende der DPhG-Arbeitsgruppe Arzneimittelsicherheit/Arzneimittelfälschungen

Erika Fink, Präsidentin der Bundesapothekerkammer

Dr. Richard Klämbt, Vorstandsvorsitzender des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker und Präsident der Apothekerkammer Bremen

Dr. Michael Stein, DPhG-Geschäftsführer

Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, DPhG-Präsident und Wissenschaftlicher Leiter des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker


Literatur

[1] Okie, S. Multinational Medicines – Ensuring Drug Quality in an Era of global manufacturing. N Engl J Med, 2009, 361(8), 737 – 740.

[2] Europäisches Arzneibuch, 7. Ausgabe, EDQM, Straßburg 2010



DAZ 2011, Nr. 2, S. 32

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