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Selbstmedikation – da steckt noch Potenzial drin

Peter Ditzel

Es dürfte sich herumgesprochen haben: Allein mit den Erlösen aus der Belieferung von ärztlichen Verordnungen, der Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, ist eine Apotheke kaum noch überlebensfähig. Die Apotheke zieht einen deutlichen Teil ihres Gewinns aus dem Verkauf von Arzneimitteln für die Selbstmedikation. Umsatzauslöser ist hier der Kunde, der sich ein OTC-Arzneimittel gegen seine Beschwerden und Befindlichkeitsstörungen kauft. Welches Arzneimittel er dabei erwirbt, ist von verschiedenen Faktoren abhängig, beispielsweise von Hinweisen aus dem Familienkreis oder von Freunden, von seinem Arzt (Grünes Rezept), von der Werbung der Pharmaindustrie, aber auch in starkem Maße von den Empfehlungen des Apothekers oder der PTA. Unbestritten, der Vorverkauf der Produkte durch die Werbung ist hoch. Kunden kommen in die Apotheke und verlangen gezielt dieses oder jenes Produkt. Aber dennoch, der Apotheker kann hier, wenn er denn möchte und seinen Beruf ernst nimmt, durch seine persönliche Beratung und Empfehlung den Kunden überzeugen und den Präparatewunsch umsteuern zu einem Produkt, das ihm aufgrund seines pharmazeutischen Fachwissens und der Schilderungen des Kunden zu den gesundheitlichen Störungen besser geeignet erscheint. Das Sich-Einbringen des Apothekers sollte noch stärker erfolgen – letztlich macht es die Selbstmedikation für den Patienten sicherer, effektiver und es sensibilisiert den Kunden für das vorhandene Wissen des Apothekers.

Potenzial für die Selbstmedikation steckt auch in sinnvollen Zusatzverkäufen, als Add-on bei der Belieferung von Rezepten. Die ärztliche Verordnung lässt in den meisten Fällen Rückschlüsse auf die Erkrankung zu. In vielen Fällen kann dem Patienten ein Präparat aus dem Bereich der Selbstmedikation dazu empfohlen werden, das sein Leiden erträglicher macht, die Heilung unterstützen und die Lebensqualität erhöhen kann.

Ein Thema auf dem Kongress der europäischen Hersteller von Selbstmedikationsarzneimitteln, der in der vergangenen Woche stattfand, waren Überlegungen, wie man den Patienten befähigen kann, noch besser mit dem Thema der Selbstbehandlung umzugehen. Das würde, so die Überlegungen, helfen, Kosten im Gesundheitswesen zu sparen. Die Krankenversicherung würde entlastet, der Gesundheitszustand der Bevölkerung verbessert. Dazu wäre es allerdings notwendig, dem Bürger mehr Wissen über Krankheiten, Befindlichkeitsstörungen und auch über Arzneimitteln zu vermitteln. Er müsste sicherer in seiner Entscheidung werden, wann er sich selbst behandeln kann, wann ihn sein Weg in die Apotheke führen sollte und wann er besser zum Arzt gehen sollte. Ihm müsste auch klar sein, dass ein Arzneimittel, das beispielsweise einem Bekannten verordnet wurde, nicht unbedingt das richtige für ihn selbst ist.

Diese Befähigung des Patienten (im Englischen mit empowerment bezeichnet), seine Gesundheitsstörung besser einschätzen zu können, könnte so auch Chancen für die Finanzierbarkeit unseres Gesundheitswesens bringen.

Eine interessante Kampagne gibt es beispielsweise in Großbritannien unter dem Slogan "first stop pharmacy", etwa "der erste Weg führt immer in die Apotheke". Patienten sollen wissen, dass sie dort immer einen Rat zu ihren Beschwerden, Hilfe durch ein Selbstmedikationsarzneimittel oder eine Empfehlung, wann es besser ist, zum Arzt zu gehen, vom Apotheker erhalten. "Der erste Weg führt immer in die Apotheke" – das wäre auch ein hervorragendes Motto für den "Tag der Apotheke" gewesen …

Ich kann mir gut vorstellen, dass man zum Thema Selbstmedikation im Pharmaziestudium, in der Ausbildung des Apothekers, noch Schwerpunkte setzen kann. Dies bedeutet nicht, dass der Apotheker in das diagnostische Gebiet des Arztes eindringt. Aber die kleinen Alltagsfeststellungen zu Befindlichkeitsstörungen und deren Abgrenzung zu arztpflichtigen Erkrankungen könnten durchaus auch im Lauf der Ausbildung vertieft werden.

Die Selbstmedikation zu stärken und sicherer zu machen – das könnte auch über Schulungen des Verbrauchers gelingen: Was ist bei einer sinnvollen Selbstmedikation zu beachten? Wie sind bestimmte Symptome zu beurteilen? Der Patient könnte beispielsweise durch Checklisten herangeführt werden, wie seine Beschwerden einzustufen sind. Er bekäme eine erste Entscheidungshilfe, ob die Gesundheitsstörungen in den Bereich der Selbstmedikation und der Apotheke fallen oder ob er einen Arzt konsultieren sollte. Nicht zuletzt sollte man überlegen, ob nicht auch ein entsprechendes Schulfach Grundwissen der Krankheitslehre und der Arzneimittelwirkungen vermitteln kann. Wenn die Menschen sicherer werden im Umgang mit der Beurteilung ihrer Gesundheitsstörungen, dann wird auch die Selbstmedikation sicherer und besser. Und davon profitieren alle, Patienten, Krankenversicherungen – und Apotheken.


Peter Ditzel



DAZ 2011, Nr. 24, S. 3

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