Arzneimittel und Therapie

Antibiotika sofort oder später?

Watchful waiting ist die Strategie, die bei akuter Mittelohrentzündung im Kindesalter empfohlen wird. Doch zwei neue Studien lassen die Frage wieder aufleben, ob der Behandlungserfolg nicht größer ist, wenn Kinder sofort bei Diagnosestellung mit Antibiotika behandelt werden. In einer der Studie erwies sich die sofortige Behandlung einer zehntägigen Placebo-Behandlung überlegen, in der anderen einer siebentägigen. Voraussetzung war jedoch eine exakte Diagnosestellung.

Eine akute Mittelohrentzündung war vor allem in der präantibiotischen Ära eine schwere und gefürchtete Erkrankung. Da keine effektive Therapie zur Verfügung stand, wurden die Kinder zunächst mit Hausmitteln behandelt und nur bei sehr schwerem Verlauf zu einem Arzt gebracht. Mit der Einführung von Amoxicillin und weiteren Antibiotika in die Therapie der akuten Mittelohrentzündung in den 1970er Jahren änderte sich die Situation. Die Zahl der Diagnosestellungen und Antibiotikaverschreibungen stieg und damit auch die Gefahr von Resistenzentwicklungen. Dies lag nicht zuletzt daran, dass Ärzte zunehmend auch leichtere Fälle einer akuten Mittelohrentzündung zu sehen bekamen und die Diagnose nicht mehr so streng gestellt wurde. Zudem sind die otoskopischen Befunde oft schwierig zu interpretieren, was Überdiagnosen und -therapien begünstigte.

Der breite Antibiotikaeinsatz wurde erstmals infrage gestellt, als Anfang der 1980er Jahre niederländische Forscher mit ihrer Beobachtung an die Öffentlichkeit gingen, dass es ausreichend sei, eine akute Mittelohrentzündung zunächst mit abschwellenden Nasentropfen und Analgetika zu behandeln und eine Antibiotikatherapie erst dann in Erwägung zu ziehen, wenn nach drei Tagen keine Besserung eingetreten ist. Mit dieser Strategie des watchful waiting sollten unnötige Antibiotikagaben vermieden und Resistenzentwicklungen verhindert werden. Studien schienen dies zu untermauern, doch sie hatten erhebliche Mängel. Ungeachtet dessen wurde die Strategie des watchful waiting vor wenigen Jahren in pädiatrische Leitlinien übernommen.

In zwei neuen randomisierten und placebokontrollierten Studien wurde diese Strategie daher erneut auf den Prüfstand gestellt.

Amerikanische Forscher haben in einer Studie mit 291 Kindern im Alter von sechs bis 23 Monaten untersucht, wie sich eine sofortige Behandlung einer otoskopisch gesicherten akuten Mittelohrentzündung mit Amoxicillin plus Clavulansäure über zehn Tage im Vergleich zu einer zehntägigen Placebogabe auf den Krankheitsverlauf auswirkt. Sie konnten zeigen, dass die Symptome unter Antibiotikagabe schneller und anhaltender abklingen, ein Therapieversagen, definiert als otoskopisch festgestellte, persistierende Entzündung, war unter Antibiotikagabe mit 4% versus 23% unter Placebo an Tag 4 oder 5 und 16% versus 51% an Tag 10 bis 12 seltener. Eine Mastoiditis, eine der gefürchteten Komplikationen einer Mittelohrentzündung, entwickelte sich bei einem Kind in der Placebogruppe. Erwartungsgemäß traten Diarrhöen und Hautausschläge unter der Amoxicillin-Clavulansäure-Therapie häufiger als unter Placebo auf.

Ähnliche Ergebnisse erzielten finnische Forscher, die in einer randomisierten placebokontrollierten Studie nach strikter Diagnosestellung bei 319 Kindern im Alter zwischen 6 und 35 Monaten eine siebentägige Amoxicillin-Clavulansäure-Behandlung mit einer siebentägigen Placebobehandlung verglichen haben. So stellten sie unter der Antibiotikatherapie eine niedrigere Rate von Therapieversagen fest. Sie lag bei 18,6% in der Antibiotikagruppe und 44,9% in der Placebogruppe. Allerdings entwickelte nahezu jedes zweite antibiotisch behandelte Kind eine Diarrhö, unter Placebo war es nur etwa jedes vierte Kind. Hautausschläge waren mit 8,7% in der Antibiotikagruppe ebenfalls häufiger als in der Placebogruppe (3,2%).

Beide Studien zeigen, dass Kinder mit akuter Mittelohrentzündung von einer sofortigen Antibiotikabehandlung profitieren können, sie zeigen aber auch, dass dieser Benefit mit Nebenwirkungen erkauft wird und dass bei vielen Kindern die Symptome wie erwartet ohne Antibiotika abklingen können. In einem begleitenden Editorial wird darauf verwiesen, dass der Schlüssel für eine effektive Antibiotikabehandlung der akuten Mittelohrentzündung eine exakte, otoskopisch gesicherte Diagnosestellung ist. Dies setzt entsprechende Erfahrung voraus, die jedoch nicht immer gegeben ist.


Quelle

Tähtinen PA, et al.: N Engl J Med 2011; 364: 116 – 126.

Hoberman A, et al: N Engl J Med 2011; 364: 105 – 115.

Klein JO: N Engl J Med 2011; 364: 168 – 169.

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DAZ 2011, Nr. 3, S. 36

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