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ADEXA Info
Des einen Freud‘, des anderen Leid
Beginnen die Schulferien, verschwinden viele Apothekenangestellte mit schulpflichtigen Kindern in den wohlverdienten Jahresurlaub. Gerade bei knapper Personaldecke – die Arbeit wird auch im Sommer kaum weniger – stellt sich schnell die Frage, wie ein ordnungsgemäßer Apothekenbetrieb überhaupt noch funktionieren soll. Da ordnen viele Vorgesetzte kurzerhand Überstunden an oder tauschen Dienstpläne nach eigenem Gutdünken.
"Tauschbörse" in der Apotheke
Vor allem Teilzeitkräfte werden oft aufgefordert, Vormittags- und Nachmittagsschichten umzuwechseln. "Nicht immer müssen sich Angestellte dazu bereit erklären", so die ADEXA-Juristin Iris Borrmann. Zwar können Chefs im Rahmen des Direktionsrechts den Dienstplan festlegen. Wurden im Arbeitsvertrag aber genaue Zeiten vereinbart, etwa weil eine Kollegin wegen der Kinderbetreuung nur vormittags in der Apotheke arbeitet, kann sie nicht einfach zum Nachmittagsdienst eingeteilt werden.
Borrmann: "Fehlt ein entsprechender Passus, heißt das aber noch lange nicht, dass willkürlich hin- und hergeschoben werden darf." Hier spricht das Bundesarbeitsgericht von "billigem Ermessen", das heißt, auf familiäre Pflichten wie die Betreuung des Nachwuchses oder der pflegebedürftigen Angehörigen ist Rücksicht zu nehmen. Nur im Notfall, beispielsweise bei Engpässen durch akut erkrankte Teammitglieder, haben Chefs das Recht, einen Tausch anzuordnen, nicht aber bei Urlaubsengpässen, die Wochen oder Monate vorher bekannt sind.
Überstunden: Pflicht oder Kür?
Das gilt auch für Überstunden. Ohne einen Passus im Arbeitsvertrag sind Angestellte zu deren Ableistung nur in begründeten Ausnahmefällen verpflichtet, nicht jedoch bei Personalknappheit während der Ferien. Aber selbst im Notfall müssen Apothekenleiter beizeiten für eine Vertretung länger erkrankter Kollegen sorgen. Borrmann: "Dennoch wird immer wieder versucht, den Betrieb über Monate mit Überstunden aufrecht zu erhalten."
Ein Passus im Arbeitsvertrag, mit dem Gehalt seien alle Überstunden abgegolten, ist ohnehin unwirksam. Ob die gegebenenfalls zusätzlich geleisteten Arbeitszeiten ausbezahlt oder mit zusätzlicher Freizeit abgegolten werden, obliegt allerdings der Entscheidung des Arbeitgebers, wenn dazu keine eindeutigen vertraglichen Regelungen getroffen wurden.
"Auch bei den Telefonsprechstunden berichten Angestellte immer häufiger von einem krank machenden Betriebsklima." Tanja Kratt, Zweite Vorsitzende von ADEXA |
Gesetzliche Notbremse
Gerade beim Thema Überstunden schützt der Staat Arbeitnehmer durch Höchstgrenzen: Das Arbeitszeitgesetz schreibt vor, nach Beendigung des täglichen Pensums eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden einzuhalten. Für die Berechnung der maximalen Arbeitszeit pro Woche ziehen Arbeitsrechtler einen Acht-Stunden-Tag heran. Zusammen mit der gesetzlichen Sechs-Tage-Woche folgt daraus eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 6 × 8, also 48 Stunden.
Überschreitet das Zeitkonto 40 Stunden pro Woche, ist laut Bundesrahmentarifvertrag ein Zuschlag fällig.
RKI-Studie: Wenig Zeit, viel Arbeit
Mit dem Thema Arbeitsbelastung haben sich jetzt auch Forscher des Robert Koch-Instituts (RKI), Berlin, beschäftigt. Erschreckend: Etwa 14 Prozent der Frauen und 20 Prozent der Männer sehen in ihrer gegenwärtigen Jobsituation eine akute Gefahr für ihre Gesundheit. Befragt wurden 13.700 Erwerbstätige beiderlei Geschlechts im Alter von 18 bis 64 Jahren. Besonders schlugen Dissonanzen im Betriebsklima sprichwörtlich auf den Magen – Mobbing und Bossing gelten nicht zu Unrecht als extrem belastend.
Hinzu kommt noch der Zeitdruck: 36 Prozent der Frauen und 44 Prozent der Männer beklagten sich laut der RKI-Untersuchung über hohe Anforderungen in Verbindung mit Zeitnot. Das trifft Vollzeitkräfte noch stärker als Kollegen in Teilzeit. Und zwangsläufig passieren auch Fehler bei Arbeitsabläufen, was die Stresssituation noch verschärft.
Jüngere Kollegen: Solidarität ist Privatsache
Erstaunlich ist die Reaktion vieler jüngerer Arbeitnehmer auf den steigenden Druck am Arbeitsplatz: Sie setzen auf die eigene physische und psychische Kraft, um belastende Situationen zu meistern, wie Prof. Dr. Josef Held von der Uni Tübingen berichtet. Solidarisches Handeln gilt eher als Strategie im Privatleben und Freundeskreis, nicht aber im Beruf. Diese Erkenntnis gewann Held aus der Befragung von knapp 1300 jungen Beschäftigten. Diese sähen, so die Autoren der Studie, eher über berufliche Missstände hinweg und entwickelten trotz widriger Umstände eine positive Sichtweise. Allerdings weisen die Untersuchungsergebnisse gleichzeitig darauf hin, dass dies nicht als generelle Ablehnung von Mitbestimmung oder gewerkschaftlichen Aktivitäten zu interpretieren sei, betonen die Wissenschaftler.
"Solidarität ist eine der tragenden Säulen im Arbeitsleben", unterstreicht ADEXAs Erste Vorsitzende Barbara Neusetzer. "Dafür stehen Gewerkschaften, und dies wird zunehmend auch von jungen Menschen erkannt."
Michael van den Heuvel
Literatur im WebKroll LE, Müters S, Dragano N (2011): Arbeitsbelastungen und Gesundheit; www.rki.de/gbe-kompakt. NN. Zeitdruck belastet viele Angestellte, in: Böckler impuls 12/2011; www.boeckler.de/32014_114164.html. Held J, et al. Was bewegt junge Menschen? Lebensführung und solidarisches Handeln junger Beschäftigter im Dienstleistungsbereich, in: Böckler impuls 12/2011; www.boeckler.de/32014_114165.html. |
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