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Praxis
Was kann Calcitonin nach einer Handoperation leisten?
Paul Sudeck berichtete 1901 erstmals über ein nach Traumen der Extremitäten auftretendes Schmerzsyndrom, das mit Schwellung und trophischen Störungen einherging. Im deutschen Sprachgebrauch wurde dieses Schmerzsyndrom später nach ihm benannt (Morbus Sudeck).
Morbus Sudeck = CRPS
Seit einigen Jahren hat sich international die rein deskriptive Bezeichnung "komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS)" etabliert [1].
Das Krankheitsbild ist gekennzeichnet durch einen stadienhaften Ablauf. Im Vordergrund stehen Schmerzen, trophische und entzündliche Veränderungen sowie Funktionseinschränkungen bis hin zum Funktionsverlust der betroffenen Extremität [2].
Ungeklärte Pathophysiologie
Die Pathophysiologie des CRPS ist bis heute nicht völlig geklärt. Man weiß jedoch um die Bedeutung des sympathischen Nervensystems, neurogener Entzündungsmechanismen sowie sympatho-afferenter Kopplungs-Mechanismen. Möglicherweise spielt eine genetische Prädisposition eine entscheidende Rolle [1]. Außerdem scheint Rauchen ein Risikofaktor für das Auftreten von CRPS zu sein [3].
Das CRPS tritt hauptsächlich nach Knochenbrüchen oder Operationen (42%) oder nach Karpaltunnel-Operationen (32%) auf, die Lokalisation betrifft die Hand (73%), den Fuß (22 %) und das Knie (5%) [1].
Ziel: Schmerzfreiheit und Funktionserhalt
Die Ziele der Therapie sind Schmerzfreiheit und Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Funktionen. Während zur Funktionserhaltung oder -wiederherstellung eine intensive Physio- und Ergotherapie indiziert sind, können die Schmerzen und die trophischen bzw. entzündlichen Veränderungen medikamentös beeinflusst werden. Hauptpfeiler der pharmakologischen Therapie der neuropathischen Schmerzen sind Antidepressiva, Antiepileptika und Opioide, während die eigentlichen akuten nozizeptiven Schmerzen und die akute Entzündung auf nicht-steroidale Analgetika und Steroide ansprechen. Zusätzlich wirken auch Calcitonin und die Bisphosphonate schmerzlindernd und knochenerhaltend. Bei ausgeprägt vasogenen Beschwerden können Sympatholytika in Erwägung gezogen werden, ihr Einsatz ist jedoch in der Fachliteratur umstritten [2].
Zusatztherapie Calcitonin
Calcitonin kann als Zusatztherapie bei den ersten Anzeichen eines CRPS, insbesondere bei klinisch ausgeprägten Knochenschmerzen und paraklinischen Befunden eines erhöhten Knochenstoffwechsels eingesetzt werden [2]. Calcitonin bewirkt eine Osteoklastenhemmung über spezifische Rezeptoren [2], der Mechanismus der analgetischen Wirkung ist jedoch unklar [3]. Eine Arbeit von Perez et al. beinhaltet eine Metaanalyse aus fünf klinischen Studien mit dem Ergebnis: "Calcitonin does seem to be effective in treating pain due to CRPS" [4]. Die Studienlage hinsichtlich Wirkung lässt also einen positiven Effekt vermuten, die Ergebnisse der einzelnen Studien sind jedoch widersprüchlich. Auch die optimale Dosis und Therapiedauer ist bislang nicht eindeutig geklärt. Als Darreichungsform steht die subkutane bzw. intramuskuläre Gabe oder die intranasale Gabe zur Verfügung. In einer Studie wurden 3 x täglich 100 I.E. Calcitonin (intranasal) bei gleichzeitiger Physiotherapie erfolgreich gegen Placebo getestet [5]. In einer neueren Veröffentlichung von Rüegg wird folgende Dosierung für Calcitonin aufgeführt: 2 x 200 I.E. (intranasal oder i.v.) für zwei bis vier Wochen, dann 3 x pro Woche für maximal sechs Wochen [2].
Die Antwort kurz gefasst
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Fazit
Die Anwendung von Calcitonin bei CRPS ist eine in der Literatur häufig erwähnte Behandlungsmethode bei Morbus Sudeck. Die Autoren Sheon et al. [3] erlauben sich hierzu folgendes Resümee: "Considering the evidence for efficacy and the low risk associated with its use, we suggest calcitonin for patients with CRPS in combination with physical therapy for patients who have mild or moderate symptoms despite use of NSAIDs and tricyclic antidepressants." Im Gegensatz dazu wird in einem Review-Artikel [6] die Verwendung von Calcitonin bei CRPS aufgrund der verfügbaren Studienlage mit teilweise widersprüchlichen Ergebnissen und mangelnder Evidenz von den Autoren de Tran et al. nicht befürwortet. Wir sind der Meinung, dass die bisherigen Erfahrungen mit Calcitonin und die vorliegenden Studienergebnisse dennoch einen Anwendungsversuch von Calcitonin bei CRPS rechtfertigen, wenn andere medikamentöse Therapieansätze erfolglos waren. Trotz einer intensiven Literaturrecherche konnten wir jedoch keine "handfeste", durch Studien gesicherte eindeutige Empfehlung zur Dosierung von Calcitonin bei diesem Krankheitsbild finden.
Informationsquellen
[1] Weber M, et al.: Morbus Sudeck – Pathophysiologie und Therapie eines komplexen Schmerzsyndroms. Dtsch Med Wochenschr 2002; 127:384 – 389
[2] Rüegg S: Medikamentöse Behandlung des CRPS. Handchir Mikrochir Plast Chir 2010; 42:19 – 29[3] Sheon RP, et al.: Prevention and management of complex regional pain syndrome in adults. www.uptodate.com (Stand: 17.01.2011) [4] Perez RS, et al.: Treatment of reflex sympathetic dystrophy (CRPS type 1): a research synthesis of 21 randomized clinical trials. J Pain Symptom Manage 2001; 21:511[5] Gobelet C, et al.: The effect of adding calcitonin to physical treatment on reflex sympathetic dystrophy. Pain 1992; 48:171 – 175[6] Tran de QH, et al.: Treatment of complex regional pain syndrome: a review of the evidence. Can J Anaest. 2010, 57(2):149 – 166Autorin
Dr. Carolin Schuhmacher, Fachapothekerin für Klinische Pharmazie, Fachapothekerin für Arzneimittelinformation, Schwarzwald-Baar Klinikum Villingen-Schwenningen, Vöhrenbacher Str. 23, 78050 Villingen-Schwenningen
Ein Forum für DAZ-Leser!In regelmäßigen Abständen beantworten Apothekerinnen und Apotheker des Regionalen Arzneimittelinformationszentrums der LAK Baden-Württemberg, Schwarzwald-Baar Klinikum Villingen-Schwenningen, in der Rubrik "Fragen aus der Praxis" klinisch-pharmazeutische und pharmakologische Fragen. Apothekerinnen des Instituts für Sozialpolitik in Bremen erörtern in dieser Rubrik Probleme, die sich aus den Regelungen zur Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln, Medizinprodukten und Hilfsmitteln für gesetzlich Versicherte ergeben. Die Rubrik "Fragen aus der Praxis" soll aber darüber hinaus auch ein Forum für DAZ-Leser sein. Gerne können Sie sich mit Fragen an uns wenden, gerne veröffentlichen wir Ihre Antworten zu interessanten Anfragen Ihrer Ärzte und Patienten. Nehmen Sie einfach Kontakt mit uns auf, z. B. mit einer Mail an daz@deutscher-apotheker-verlag.de. |
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