Praxis

Was kann Calcitonin nach einer Handoperation leisten?

Ein 19-jähriger Patient, der nach einer Handoperation mit Hauttransplantation über Schmerzen klagt, erhält das Calcitonin-Spray Miacalcic®. Vom Arzt wurde ein Morbus Sudeck diagnostiziert. Was für eine Funktion hat hier das Spray? Dient es nur zur Schmerztherapie? Wie lange darf bzw. muss es angewendet werden?

Paul Sudeck berichtete 1901 erstmals über ein nach Traumen der Extremitäten auftretendes Schmerzsyndrom, das mit Schwellung und trophischen Störungen einherging. Im deutschen Sprachgebrauch wurde dieses Schmerzsyndrom später nach ihm benannt (Morbus Sudeck).

Foto:bofotolux-Fotolia.com
Morbus Sudeck Nach Traumen oder operativen Eingriffen an Extremitäten kann ein komplexes regionales Schmerzsyndrom auftreten, bei dem immer wieder Calcitonin eingesetzt wird.

Morbus Sudeck = CRPS

Seit einigen Jahren hat sich international die rein deskriptive Bezeichnung "komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS)" etabliert [1].

Das Krankheitsbild ist gekennzeichnet durch einen stadienhaften Ablauf. Im Vordergrund stehen Schmerzen, trophische und entzündliche Veränderungen sowie Funktionseinschränkungen bis hin zum Funktionsverlust der betroffenen Extremität [2].

Ungeklärte Pathophysiologie

Die Pathophysiologie des CRPS ist bis heute nicht völlig geklärt. Man weiß jedoch um die Bedeutung des sympathischen Nervensystems, neurogener Entzündungsmechanismen sowie sympatho-afferenter Kopplungs-Mechanismen. Möglicherweise spielt eine genetische Prädisposition eine entscheidende Rolle [1]. Außerdem scheint Rauchen ein Risikofaktor für das Auftreten von CRPS zu sein [3].

Das CRPS tritt hauptsächlich nach Knochenbrüchen oder Operationen (42%) oder nach Karpaltunnel-Operationen (32%) auf, die Lokalisation betrifft die Hand (73%), den Fuß (22 %) und das Knie (5%) [1].

Ziel: Schmerzfreiheit und Funktionserhalt

Die Ziele der Therapie sind Schmerzfreiheit und Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Funktionen. Während zur Funktionserhaltung oder -wiederherstellung eine intensive Physio- und Ergotherapie indiziert sind, können die Schmerzen und die trophischen bzw. entzündlichen Veränderungen medikamentös beeinflusst werden. Hauptpfeiler der pharmakologischen Therapie der neuropathischen Schmerzen sind Antidepressiva, Antiepileptika und Opioide, während die eigentlichen akuten nozizeptiven Schmerzen und die akute Entzündung auf nicht-steroidale Analgetika und Steroide ansprechen. Zusätzlich wirken auch Calcitonin und die Bisphosphonate schmerzlindernd und knochenerhaltend. Bei ausgeprägt vasogenen Beschwerden können Sympatholytika in Erwägung gezogen werden, ihr Einsatz ist jedoch in der Fachliteratur umstritten [2].

Zusatztherapie Calcitonin

Calcitonin kann als Zusatztherapie bei den ersten Anzeichen eines CRPS, insbesondere bei klinisch ausgeprägten Knochenschmerzen und paraklinischen Befunden eines erhöhten Knochenstoffwechsels eingesetzt werden [2]. Calcitonin bewirkt eine Osteoklastenhemmung über spezifische Rezeptoren [2], der Mechanismus der analgetischen Wirkung ist jedoch unklar [3]. Eine Arbeit von Perez et al. beinhaltet eine Metaanalyse aus fünf klinischen Studien mit dem Ergebnis: "Calcitonin does seem to be effective in treating pain due to CRPS" [4]. Die Studienlage hinsichtlich Wirkung lässt also einen positiven Effekt vermuten, die Ergebnisse der einzelnen Studien sind jedoch widersprüchlich. Auch die optimale Dosis und Therapiedauer ist bislang nicht eindeutig geklärt. Als Darreichungsform steht die subkutane bzw. intramuskuläre Gabe oder die intranasale Gabe zur Verfügung. In einer Studie wurden 3 x täglich 100 I.E. Calcitonin (intranasal) bei gleichzeitiger Physiotherapie erfolgreich gegen Placebo getestet [5]. In einer neueren Veröffentlichung von Rüegg wird folgende Dosierung für Calcitonin aufgeführt: 2 x 200 I.E. (intranasal oder i.v.) für zwei bis vier Wochen, dann 3 x pro Woche für maximal sechs Wochen [2].

Die Antwort kurz gefasst


  • Calcitonin wird nach Literaturrecherchen häufig zur Behandlung der Schmerzsymptomatik bei Morbus Sudeck (CRPS) eingesetzt, insbesondere bei Knochenschmerzen.

  • Calcitonin hemmt den Knochenabbau und wirkt analgetisch, wobei der Mechanismus der Schmerzhemmung unklar ist.

  • Eine Kombination mit einer Physiotherapie scheint empfehlenswert, wenn leichte bis mittelschwere Schmerzen trotz Therapie mit nicht-steroidalen Analgetika und trizyklischen Antidepressiva nicht gut zu kontrollieren sind.

  • Die Studienergebnisse zu Calcitonin und CRPS sind teilweise widersprüchlich, eindeutige Angaben zur Dosierung und Therapiedauer fehlen.

Fazit

Die Anwendung von Calcitonin bei CRPS ist eine in der Literatur häufig erwähnte Behandlungsmethode bei Morbus Sudeck. Die Autoren Sheon et al. [3] erlauben sich hierzu folgendes Resümee: "Considering the evidence for efficacy and the low risk associated with its use, we suggest calcitonin for patients with CRPS in combination with physical therapy for patients who have mild or moderate symptoms despite use of NSAIDs and tricyclic antidepressants." Im Gegensatz dazu wird in einem Review-Artikel [6] die Verwendung von Calcitonin bei CRPS aufgrund der verfügbaren Studienlage mit teilweise widersprüchlichen Ergebnissen und mangelnder Evidenz von den Autoren de Tran et al. nicht befürwortet. Wir sind der Meinung, dass die bisherigen Erfahrungen mit Calcitonin und die vorliegenden Studienergebnisse dennoch einen Anwendungsversuch von Calcitonin bei CRPS rechtfertigen, wenn andere medikamentöse Therapieansätze erfolglos waren. Trotz einer intensiven Literaturrecherche konnten wir jedoch keine "handfeste", durch Studien gesicherte eindeutige Empfehlung zur Dosierung von Calcitonin bei diesem Krankheitsbild finden.


Informationsquellen

[1] Weber M, et al.: Morbus Sudeck – Pathophysiologie und Therapie eines komplexen Schmerzsyndroms. Dtsch Med Wochenschr 2002; 127:384 – 389

[2] Rüegg S: Medikamentöse Behandlung des CRPS. Handchir Mikrochir Plast Chir 2010; 42:19 – 29

[3] Sheon RP, et al.: Prevention and management of complex regional pain syndrome in adults. www.uptodate.com (Stand: 17.01.2011)

[4] Perez RS, et al.: Treatment of reflex sympathetic dystrophy (CRPS type 1): a research synthesis of 21 randomized clinical trials. J Pain Symptom Manage 2001; 21:511

[5] Gobelet C, et al.: The effect of adding calcitonin to physical treatment on reflex sympathetic dystrophy. Pain 1992; 48:171 – 175

[6] Tran de QH, et al.: Treatment of complex regional pain syndrome: a review of the evidence. Can J Anaest. 2010, 57(2):149 – 166


Autorin

Dr. Carolin Schuhmacher, Fachapothekerin für Klinische Pharmazie, Fachapothekerin für Arzneimittelinformation, Schwarzwald-Baar Klinikum Villingen-Schwenningen, Vöhrenbacher Str. 23, 78050 Villingen-Schwenningen


Ein Forum für DAZ-Leser!


In regelmäßigen Abständen beantworten Apothekerinnen und Apotheker des Regionalen Arzneimittelinformationszentrums der LAK Baden-Württemberg, Schwarzwald-Baar Klinikum Villingen-Schwenningen, in der Rubrik "Fragen aus der Praxis" klinisch-pharmazeutische und pharmakologische Fragen. Apothekerinnen des Instituts für Sozialpolitik in Bremen erörtern in dieser Rubrik Probleme, die sich aus den Regelungen zur Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln, Medizinprodukten und Hilfsmitteln für gesetzlich Versicherte ergeben.

Die Rubrik "Fragen aus der Praxis" soll aber darüber hinaus auch ein Forum für DAZ-Leser sein. Gerne können Sie sich mit Fragen an uns wenden, gerne veröffentlichen wir Ihre Antworten zu interessanten Anfragen Ihrer Ärzte und Patienten. Nehmen Sie einfach Kontakt mit uns auf, z. B. mit einer Mail an daz@deutscher-apotheker-verlag.de.



DAZ 2011, Nr. 34, S. 56

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.