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Gemeinsames Leid – gemeinsame Perspektive

Thomas Müller-Bohn

Die Zukunftschancen der Medizin waren das Thema des jüngsten Eppendorfer Dialogs (einen Bericht finden Sie in diesem Heft auf Seite 24). Auch wenn die Apotheker dabei eher am Rande vorkamen, müssen sie sich den dort diskutierten Entwicklungen stellen. Die Aussichten sind vielschichtig. Erfreulich scheint der ungebrochene Trend zu Innovationen. Das macht Hoffnung für viele künftige Patienten. Doch die Sparbemühungen haben sich auch hier verselbstständigt und verfehlen ihr Ziel. Dies wurde am Beispiel der weiteren Forschung an bereits eingeführten Arzneistoffen gezeigt, die durch die Anreize von Festbeträgen und Aut-idem-Substitution behindert wird. Gerade die weitere Nutzung bekannter Wirkstoffe wäre kostengünstig und effizient. Doch mit Festbeträgen werden neue Indikationsgebiete und erst recht technologische Innovationen nicht honoriert. In einem System, das auf Wirkstoffe fixiert ist, werden die Errungenschaften der pharmazeutischen Technologie systematisch ausgeblendet. Die neue frühe Nutzenbewertung von Arzneimitteln verharrt bei dieser verengten Betrachtung, die eigentlich nur eine Bewertung von Arzneistoffen ist. Das ist weder pharmazeutisch noch ökonomisch sinnvoll.

Einig sind sich die Betrachter des Gesundheitswesens allerdings in einer Analyse: Die alternde Gesellschaft ist die entscheidende Herausforderung. Auf den ersten Blick ist das eine gute Nachricht für die Apotheke. Denn alte Menschen brauchen noch mehr als andere wohnortnahe Versorgung, persönliche Zuwendung und kompetente individuelle Ratschläge. Erschreckend ist allerdings, dass in einer hochkarätigen Expertenrunde nicht deutlich auf die Apotheke als patientennahe Institution hingewiesen wird, die genau diese Aufgaben erfüllt. Die langen Bemühungen den Begriff der pharmazeutischen Betreuung zu etablieren, haben offensichtlich nicht über den internen Kreis der Apotheker selbst hinaus gewirkt. Stattdessen sind als Schlagworte Spezialisierung der Ärzte, Teambildung und Selektivverträge zu hören. Es herrscht offenbar Konsens, dass die entscheidenden Reformen in der Organisation des Gesundheitswesens und nicht in den Leistungen vorgenommen werden sollen. Die Leistungserbringer erwarten dadurch Qualitätsverbesserungen, die Politiker träumen von Einsparungen nach dem Prinzip "mehr Leistung für weniger Geld". Ärzten wird geraten, sich mit anderen Gesundheitsberufen zu vernetzen oder in einem Spezialistenteam zu arbeiten. Viele denken dabei an Medizinische Versorgungszentren und Integrierte Versorgung. In diesem Umfeld dürfte langfristig auch eine erneute politische Diskussion über Apothekenketten drohen.

Was bedeutet das für die Apotheker? – Die aussichtsreichste organisatorische Änderung dürfte die Vernetzung mit anderen Leistungserbringern sein – mit Ärzten, Physiotherapeuten, Ernährungsberatern und möglicherweise sogar Krankenhäusern und Sanitätshäusern. Andere Gesundheitsberufe sind in einer ähnlich problematischen Situation wie die Apotheker. Zusammenarbeit bedeutet nicht nur gemeinsames Leid, sondern auch eine gemeinsame Perspektive mit neuen Leistungen, besserer Kommunikation, weniger Reibungsverlusten und letztlich mehr Qualität bei guter Wirtschaftlichkeit. Machen Sie den ersten Schritt! Die anderen Gesundheitsberufler in Ihrer Umgebung warten vielleicht gerade auf den, der sich zuerst bewegt. Die Inhalte eines solchen Netzwerkes richten sich nach der örtlichen Situation. In ländlichen Lagen geht es darum, die wohnortnahe Versorgung dauerhaft zu sichern. In wettbewerbsintensiven Großstadtlagen bieten sich Spezialisierungen an. Onkologie und HIV sind erst der Anfang. Der Trend zur individualisierten Medizin mit einer Arzneimittelauswahl aufgrund der persönlichen Genausstattung wird neue Möglichkeiten schaffen und erfordert die Vernetzung mit diesbezüglich engagierten Ärzten.

In allen Fällen geht es um das gemeinsame Interesse an den Patienten und darum, die Freiberuflichkeit zu erhalten und ihre Vorteile deutlich zu machen. Denn die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen lässt sich auf der Grundlage der Unabhängigkeit schneller und besser organisieren als in einem Konzern. Die vielfach kritisierte Fragmentierung bedeutet zugleich Flexibilität. Allerdings sollte niemand beeindruckende neue Renditen erwarten, sondern es geht darum, die Apotheken, die Arbeitsplätze und das patientennahe Versorgungssystem überhaupt zu erhalten und eine langfristig tragfähige Marge zu erwirtschaften.


Thomas Müller-Bohn



DAZ 2011, Nr. 36, S. 3

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