Geriatrische Pharmazie

Betreuung älterer Patienten

Das Plus in der Betreuung älterer Patienten

Von Wolfgang Kircher

Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass ältere Patienten bei der Handhabung von Arzneiformen oftmals Schwierigkeiten haben, die sich durch eine abgabebegleitende Beratung alleine nicht beheben lassen. Hierzu gehören etwa Probleme beim Öffnen von kindergesicherten Packungen infolge eingeschränkter Feinmotorik oder Schwierigkeiten bei der Zubereitung lyophilisierter Augentropfen aufgrund eines verminderten Sehvermögens. In derartigen Situationen müssen die mündlichen Erläuterungen durch zusätzliche Interventionen des Apothekenpersonals ergänzt werden, wie etwa das Lösen eines kindergesicherten Verschlusses oder die Zubereitung von Trockensubstanz-Augentropfen. Solche abgabebegleitenden Serviceleistungen erscheinen teilweise relativ banal, sie verbessern aber in vielen Fällen die Arzneimittelsicherheit und den Therapieerfolg ganz entscheidend.
Fotos: Dr. Wolfgang Kircher
Anwendungshürden Gerade Patienten mit rheumatoider Arthritis stoßen immer wieder bei der Arzneimittelanwendung auf Schwierigkeiten. Sie sind auf Hilfestellungen aus der Apotheke angewiesen.

Mit diesen arzneiformenbezogenen und damit primär galenisch motivierten Interventionen erbringt die Apotheke ein breites Spektrum unterschiedlicher Leistungen. Besonders bei Patienten mit funktionalen Einschränkungen verringern sie Schwierigkeiten bei der Arzneimittelanwendung und verbessern die Compliance. Diese Interventionen lassen sich folgendermaßen gliedern:

- Überführen von Arzneiformen in ihren gebrauchsfertigen Zustand,

- Überprüfen der Fähigkeit des Patienten zur Handhabung seiner Arzneiformen,

- Serviceleistungen für Patienten mit eingeschränktem Sehvermögen,

- spezielle Hinweise an den Patienten nach Überprüfen seiner gebrauchten Arzneiformen.


Abb. 1: Augentropfenfläschchen mit transparenter Erstöffnungssicherung.

Oft nicht gebrauchsfertig

Viele Arzneiformen sind unmittelbar nach der Entnahme aus dem Packmittel noch nicht gebrauchsfertig, sondern erfordern noch einen oder mehrere Vorbereitungsschritte, die für Patienten mit verminderten visuellen oder feinmotorischen Fähigkeiten schwierig sein können. Auch für nicht deutschsprachige Patienten oder Personen mit eingeschränkten Lesefähigkeiten können sich Probleme ergeben. Beispiele sind etwa das Lösen von Erstöffnungssicherungen an unterschiedlichsten Arzneimittelbehältern, das Zubereiten von Zwei-Komponenten-Präparaten oder das Zusammensetzen von Systemen zur Inhalation, Injektion oder zum Einsprühen in die Nase. Das Apothekenpersonal sollte solche Handhabungsschritte bei entsprechenden Patienten nach deren Zustimmung übernehmen (Tab. 1). Aufbrauchfristen und andere präparatespezifische Charakteristika sowie patientenbezogene Besonderheiten müssen dabei berücksichtigt werden [1-3].

Tab. 1: Überführen von Arzneiformen in ihren gebrauchsfertigen Zustand durch die Apotheke
Abb. 2: Fläschchen mit schwer zu fassender Aufreißlasche an der Erstöffnungssicherung.

Erstöffnungssicherungen finden sich an einer Vielzahl von Behältern für unterschiedliche Darreichungsformen (Tab. 1). Dabei handelt es sich um Verschlusssysteme, die beim erstmaligen Öffnen irreversible Veränderungen erfahren. Meist werden Abdreh-, Abbrech- oder Aufreißsysteme eingesetzt. Sie erfordern zum Lösen das genaue Erkennen der Öffnungsmechanik sowie einen kräftigen und exakt gerichteten Fingergriff. So sind etwa die Aufreißlaschen an Augentropfenfläschchen oder an Fläschchen mit Stopfen für feste Peroralia bei verschiedenen Präparaten nur schwer zu erkennen, da sie transparent sind oder die gleiche Farbtönung wie die Verschlusskappe haben (Abb. 1). Zusätzlich ist ihr freies Ende oft nur wenige Millimeter lang und liegt eng am Behältnis an (Abb. 2). Die Laschen können folglich nur mit dem Spitzgriff, also dem letzten Glied von Zeigefinger und Daumen gefasst werden. Diese Art des Greifens ermöglicht aber vor allem Personen mit eingeschränkter Feinmotorik nur eine relativ geringe Griffstärke. Ferner lassen sich manche Aufreißlaschen nicht vollständig in einem Zug abziehen, sondern brechen leicht vorzeitig ab. Der verbleibende Rest ist wiederum nur sehr schwer zu fassen. Auch abschraubbare Schutzkappen verschiedener anderer Arzneiformen wie etwa mancher Pulverinhalatoren oder Sprühpräparate sind durch eine perforierte Folienmanschette mit Aufreißlasche bis zum erstmaligen Öffnen gesichert. Das freie Laschenende ist oft auch hier schwer zu greifen, und es bestehen ähnliche Verhältnisse wie bei den geschilderten Schraubverschlüssen [2, 3].

Abb. 3: Bottle-Pack® -Fläschchen im Schnitt.

Druckdrehverschlüsse, also kindersichere Schraubkappen an verschiedenen Flaschen müssen zum Öffnen gedreht und simultan auf die Flasche gedrückt werden. Weist die Kappe zusätzlich eine Erstöffnungssicherung (Brechring) auf, ist ein erhöhtes Drehmoment erforderlich, was älteren Personen Schwierigkeiten bereiten kann. Sogenannte Bottel-Pack®-Fläschchen für Augentropfen sind hermetisch verschlossen, und der Patient muss vor der erstmaligen Anwendung durch ein kräftiges Rechtsdrehen der locker aufgesetzten Verschlusskappe eine Tropföffnung in die Flaschenspitze stanzen (Abb. 3). Ist das dabei geleistete Drehmoment nicht ausreichend hoch, entsteht eine zu kleine Tropföffnung. Es können Unterdosierungen und eine erhöhte Krafterfordernis beim Tropfen resultieren. Das Durchstechen einer Aluminiumfolie im Hals von Dermatikatuben mit einem Dorn an der Verschlusskappe erfordert in Abhängigkeit der Tubengröße Kräfte bis über 50 Newton, entsprechend einer Gewichtskraft von mehr als 5 Kilogramm.

Abb. 4: Auch Augentropfen wie die hier gezeigten Lyophilisat-Augentropfen zählen zu den Zwei-Komponenten-Präparaten, die in der Apotheke zubereitet werden sollten.

Zu den Zwei-Komponenten-Präparaten, die laut Packungsbeilagen vom Verbraucher zubereitet werden, gehören nicht nur Trockenpräparate zur peroralen und okularen Anwendung, also etwa Antibiotikum-Trockensäfte oder Lyophilisataugentropfen (Abb. 4), sondern auch einige Dermatika. Das Rekonstituieren beziehungsweise Mischen derartiger Präparate sollte nicht nur bei Patienten mit Seh-, Lese- und Griffschwächen von der Apotheke durchgeführt werden, sondern aus Gründen der Arzneimittelsicherheit generell. So sind Trockensäfte im Handel, denen keinerlei Dosierhilfe für die zuzugebende Wassermenge beigepackt ist. Auch eine Reihe anderer Aspekte, wie etwa ein hoher Pulver- oder Granulatanteil oder das Bilden eines sehr stabilen Schüttelschaumes kann die Rekonstitution durch Patienten fehleranfällig machen [1, 4].

Abb. 5: Trotz ausgeprägter Bruchrillen kann das Teilen von Tabletten eine hohe Kraftanstrengung erfordern.

Das Teilen von Tabletten beinhaltet bekanntlich eine Vielzahl von Problemen. Praktische Schwierigkeiten können sich für manuell behinderte Patienten nicht nur bei konventionellen Tablettenformen ergeben, sondern durchaus auch bei speziellen Tablettenformen mit guten dosisbezogenen Brucheigenschaften (Abb. 5). Selbst wenn in der Packungsbeilage zu einem "leichten Drücken" mit dem Finger auf die auf einer harten Unterlage liegende Tablette angeleitet wird, können die erforderlichen Kraftbeträge in einer Größenordnung von über 150 Newton (entsprechend mehr als 15 kg Gewichtskraft) liegen [5].

Verschiedene Inhalationssysteme, wie etwa netzbetriebene oder tragbare Lösungszerstäuber, müssen vor der erstmaligen Anwendung aus diversen Einzelkomponenten zusammengesetzt werden. Dabei sind funktionelle und hygienische Sachverhalte streng zu berücksichtigen. Beispielsweise müssen zur Inbetriebnahme des Pari® -Boy-Inhalators mindestens fünf verschiedene Baukomponenten berücksichtigt werden.

Abb. 6: Erforderliche Kraft zum Einschieben der Patrone in den Spiriva® Respimat® (gemessen mit Zwick/Roell 2,5, 500 mm/min; Mittelwertskurve aus 10 Messungen)

Beim Respimat®-Inhalator erfordert das Einschieben der wirkstoffgefüllten Patrone einen kurzzeitigen Kraftbetrag von bis zu 80 Newton, entsprechend einer Gewichtskraft von 8 Kilogramm (Abb. 6).

Das korrekte Abziehen der Verschlusskappe einer gefüllten Spritze sowie das Aufschrauben einer Luer Lock-Kanüle kann Senioren trotz ärztlicher Unterweisung nicht unerhebliche Probleme bereiten. Bei Nasensprays mit getrennt gepacktem Sprühaufsatz muss vor seinem Aufschrauben auf das Fläschchen die untere Schutzkappe um den Ansaugschlauch abgezogen werden. Dazu kann eine Zugkraft von bis zu 28 Newton (entspr. 2,8 kg) erforderlich sein.

Erinnerungshilfen für Serviceleistungen

Damit das Apothekenpersonal auch in der Hektik des Offizinalltags jeweils an die genannten Schwierigkeiten beziehungsweise die deshalb nötigen abgabebegleitenden Serviceleistungen denkt, müssen Erinnerungshilfen eingerichtet werden. Das können im einfachsten Fall etwa rote Kärtchen im Schubladenfach des interventionsbedürftigen Arzneimittels sein. Besser ist das Abspeichern eines entsprechenden Vermerks im Computersystem der Apotheke unter den Anwendungshinweisen der relevanten Fertigarzneimittel. Dieser Hinweis auf dem Bildschirm der Kasse gibt dann bei jeder Abgabe einen entsprechenden Impuls. Selbstverständlich sollten visuelle oder manuelle Schwächen sowie andere beratungsrelevante Insuffizienzen der Patienten im jeweiligen Memofeld der Kundendatei eingetragen sein.


Abb. 7: Problemlösung in der Apotheke: Patienten, denen die Kraft zum Teilen von Tabletten fehlt, werden für die Durchführung in der Apotheke dankbar sein.

Anwendung erfordert Geschicklichkeit

Eng verknüpft mit den geschilderten Schwierigkeiten älterer Patienten beim Vorbereiten verschiedener Darreichungsformen sind seh-, hör- oder motorikbedingte Probleme bei der eigentlichen Anwendung. Injektionssysteme, Ophthalmikabehältnisse, Pulverinhalatoren, (Sprüh-) Pumpfläschchen und viele andere Arzneiformen und technologische Devices erfordern zu ihrer Handhabung oftmals ein hohes Maß an manueller Geschicklichkeit mit gleichzeitiger sensorischer Kontrolle. Dadurch bedingte Schwierigkeiten artikulieren betroffene Patienten nur selten von sich aus gegenüber dem Arzt oder Apotheker. Das Personal der Präsenzapotheke, das die betreffenden Charakteristika der Arzneiformen kennt und gleichzeitig über die funktionalen Schwächen des Patienten und oftmals auch sein soziales Umfeld Bescheid weiß, ist hier zur Problemlösung prädestiniert (Abb. 7) [3, 4].

Handhabungsprobleme aufdecken

Um solche Handhabungsprobleme aufzudecken, sollte das Apothekenpersonal nicht nur die Bedienungsschritte nachfragen und gegebenenfalls erläutern, sondern gemeinsam mit potenziell betroffenen Patienten eine Anwendung durchführen oder eine solche simulieren. Zur simulierten Anwendung müssen in der Apotheke Placeboformen etwa von verschiedenen Augentropfenbehältern, Inhalatoren, Transdermalpflastern oder Pens griffbereit sein. Steckt man auf die Fassung der Penkanüle zusätzlich ein etwa drei Zentimeter langes, mit Watte gefülltes Stück PVC-Schlauch, kann die Insulinanwendung realistisch nachgeahmt werden. Bei der simulierten Anwendung von Augentropfen lässt der Patient den Tropfen bewusst auf die Backe fallen.

Anwendungsmodalitäten üben

Bei einem Teil der Schwierigkeiten bringt eine unter ergonomischen Gesichtspunkten modifizierte Anwendungsmodalität Erleichterung. Auch diese muss vom Apotheker nicht nur erläutert, sondern mit dem Patienten, meist nach Aushändigung geeigneter Hilfsmittel, praktisch geübt werden. Die schwergängigen Tasten eines Hartkapselinhalators etwa lassen sich von einem feinmotorisch behinderten Patienten mittels einer im Faustgriff gehaltenen Tropfflasche sehr kraftvoll drücken. Der Inhalator muss dabei jedoch in der richtigen Position fixiert werden, also senkrecht mit Mundstück oben und gegen eine Wand als seitlichen Widerstand gehalten. Die Eignung und Handhabung einer mechanischen Tablettenteilhilfe sollte immer für das betreffende Präparat zusammen mit dem Patienten geprüft werden [3].

In manchen Fällen bietet sich als Problemlösung nur ein Präparatewechsel, wie zum Beispiel von einem konventionellen Pen zu einem halbautomatischen Pen oder von einem kurzen, dickwandigen Augentropfenfläschchen zu einem langen, dünnwandigen Fläschchen. Der Vorschlag zum Wechsel sollte selbstverständlich nicht nur an den Patienten, sondern auch an den behandelnden Arzt gerichtet werden [3].

Hilfen für sehbehinderte Patienten

Patienten mit eingeschränktem Visus kann die Apotheke nicht nur durch die genannten Hilfestellungen bei der Vorbereitung von Arzneiformen helfen, sondern auch durch eine Reihe zusätzlicher Serviceleistungen (Tab. 2).

So ist es vielfach hilfreich, wichtige Textpassagen oder Abbildungen der Packungsbeilage in der Apotheke mit Vergrößerung zu kopieren und dem Patienten zusätzlich zur regulären Packungsbeilage auszuhändigen. Wichtige Termini und Graphikdetails können in der vergrößerten Anleitung mit Überstreichstift markiert werden. Für viele Fertigarzneimittel können auch Beipackzettel im Großdruck von einem entsprechenden Online-Dienst heruntergeladen werden (Tab. 2).

Vom Sehbehinderten schwer zu erkennende Bedienungselemente oder Volumenmarkierungen sollten bei der Abgabefarblich markiert werden. So lassen sich etwa Einreißkerben und Perforationen an Folienpackungen oder Skalierungsstriche an Dosierspritzen besser erkennen, wenn man sie mittels eines wasserfesten Filzstiftes mit auffälliger beziehungsweise kontrastreicher Farbe hervorhebt.

Gleich oder sehr ähnlich aussehende Tropfenfläschchen, Insulinpens, Dosieraerosole oder Pulverinhalatoren mit jeweils verschiedenem Inhalt können durch Bekleben mit unterschiedlich gefärbten Markierungspunkten, Klebebändern, Filzklebepunkten oder Sandpapierstreifen optisch oder taktil sicherer unterscheidbar werden. So verringert sich etwa das Risiko einer Verwechslung bei Insulinpens mit identischer Form, die aber jeweils mit einem kurz- oder einem langwirksamen Insulinpräparat befüllt sind und bei Inhalatoren identischer Form mit entzündungshemmendem oder mit bronchienerweiterndem Wirkstoff.

Sofern möglich, sollte man dem Patienten erläutern, wie er schwer erkennbare optische Signale der Arzneiform in akustische Signale umwandeln kann. Erkennt er etwa die von einem Tropffläschchen schnell abfallenden Tropfen nur unzureichend, kann er diese in einen leeren dünnwandigen Plastikbecher fallen lassen. Das akustisch gut wahrnehmbare Aufschlagen der Tropfen auf den Becherboden erleichtert wesentlich das Mitzählen einer raschen Tropfenfolge.

Auch bei Sehbehinderten reduzieren oftmals Modifizierungen der Anwendungstechnik unter Verwendung von Hilfsmitteln das Problem. So kann etwa die erwähnte Schwierigkeit beim Abzählen von Tropfen durch Aushändigung einer 1 Milliliter-Dosierspritze umgangen werden. Selbstverständlich gehören hier das Umrechnen der Tropfenzahl in das entsprechende Volumen, das zusätzliche Markieren des entsprechenden Strichs auf der Skala und das anschauliche Demonstrieren der Vorgehensweise zu den abgabebegleitenden Serviceleistungen. Im Fall eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels fallen auch noch die Rücksprache mit dem behandelnden Arzt sowie das Dokumentieren der Vorgehensweise auf dem Rezept und in der Kundendatei unter die notwendigen Vorkehrungen. Es muss auch unter juristischen Aspekten berücksichtigt werden, dass das Fertigarzneimittel seine Integrität verliert.

Für Patienten mit hochgradiger Sehbehinderung oder Erblindung besteht bei derzeit etwa 1000 Fertigarzneimitteln die Möglichkeit, einen "akustischen Beipackzettel" über einen Online-Dienst herunterzuladen (Tab. 2). Es kann sinnvoll sein, dabei nur Auszüge, etwa über das korrekte Eintropfen von Augentropfen, zu berücksichtigen. Von der entsprechenden Website kann man gesprochene Packungsbeilagen auf eine CD-ROM oder eine Speicherkarte downloaden. Dieses Speichermedium kann der Apotheker dem Kunden aushändigen, der sie mittels CD-Player oder Geräten mit dem Daisy-Standard (Digital Accessible Information System) wiedergibt. Dieses navigierbare Format macht auch Zeitungen und Hörbücher für Blinde verfügbar. Von der gleichen Website können auch die oben genannten Packungsbeilagen im Großdruck heruntergeladen werden [6].

Aus Fehlern lernen

Man sollte sich nicht scheuen, den Stammkunden in gewissen Zeitabständen zum Mitbringen bestimmter Arzneimittel in die Apotheke zu animieren. Aus dem Inspizieren in Gebrauch befindlicher oder aufgebrauchter Arzneiformen lassen sich oftmals wesentliche Rückschlüsse auf deren Handhabung durch den Patienten schließen. So weisen etwa bestimmte Charakteristika aufgebrauchter Augentropfenfläschchen, Trockensaftflaschen, Penpatronen oder Dosieraerosoldosen auf Falschhandhabung durch den jeweiligen Patienten hin (Tab. 3). Daraus unmittelbar abgeleitete und somit patientenspezifische Gebrauchshinweise haben für den Betroffenen einen wesentlich höheren Grad an Verbindlichkeit als allgemeingültige Anweisungen.

Tab. 2: Interventionen der Apotheke für sehbehinderte Patienten
Tab. 3: Parameter von gebrauchten Arzneiformen und davon abgeleitete Handhabungsfehler des Patienten
Abb. 8: Indiz für Fehldosierung: Wirkstoffreste am Rand einer Augentropfenflasche.

So können beispielsweise eingetrocknete Wirkstoffreste am seitlichen Bereich der Tropfermontur eines Augentropfenfläschchens ein Indiz für eine falsche Position des Fläschchens beim Abtropfen und damit einer Fehldosierung sein (Abb. 8). Größere Luftblasen in Penpatronen weisen auf eine mehrmalige Verwendung von Einmalkanülen hin, ein Befund, der sich manchmal durch den Nachweis von Blutspuren im restlichen Insulin mittels entsprechender Teststreifen eindrucksvoll bestätigen lässt. Exaktes Wiegen in Gebrauch befindlicher Dosieraerosoldosen erlaubt Rückschlüsse auf den Füllungsrad und gegebenenfalls das Dosierverhalten der zu weit geleerten Dose [4].

Die geschilderten arzneiformenbezogenen Interventionen stellen nur eine exemplarische Auswahl dar und können analog auf eine Vielzahl weiterer Darreichungsformen übertragen werden. Durch sie kann die Präsenzapotheke als letztes Glied der Versorgungskette die Anwendungssicherheit bei vielen Arzneimitteln wesentlich erhöhen. Distributionswege für Arzneimittel, die keinen direkten Patientenkontakt und damit keine derartigen Serviceleistungen beinhalten, bieten zwangsläufig nur einen geringeren Grad an Therapiequalität. Dies gilt in ganz besonderem Maß im geriatrischen Bereich.


Literatur

[1] Breitkreutz J, Boos J: Paediatric and geriatric drug delivery. Expert Opin. Drug Deliv. 2007; 4: 37 – 45

[2] Beckman A, Bernstein C, Parker MG, Thorslund M, Fastbom J: The difficulty of opening medicine containers in old age: a population-based study. Pharm. World Sci. 2005; 27: 392 – 98

[3[ Kircher W: Wie sich ergonomische und audiologische Probleme lösen lassen. Pharm. Ztg. 2007; 152: 2403 – 13

[4] Kircher W: Tipps und Tricks, die nicht in der Packungsbeilage stehen. Med. Mo. Pharm. 2005; 28: 351 – 365

[5] Kircher W: Wie anwenderfreundlich sind "leicht teilbare Tabletten"? Dtsch. Apoth. Ztg. 2009; 149: 692 – 696

[6] Janning M: Beipackzettel – Neuer Service für Sehbehinderte und Blinde. Pharm. Ztg. 2010; 155, 2466


Autor
Dr. Wolfgang Kircher, St. Barbara-Apotheke, Hauptstraße 24, 82380 Peißenberg, info@sankt-barbara-apotheke.de



DAZ 2011, Nr. 40, S. 66

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