DAZ aktuell

Erneuter Dämpfer für berufsrechtliches Einschreiten

BERLIN (ks). Erneut hat ein Verwaltungsgericht in einem Eilverfahren entschieden, dass bei der rechtlichen Bewertung von Apotheken-Boni die Frage, ob die "Spürbarkeitsschwelle" überschritten ist, auch jenseits des Wettbewerbsrechts nicht ganz ausgeblendet werden darf. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) hat kein Problem mit Talern im Wert von rund 50 Cent, von denen eine Apotheke pro verordnetes Arzneimittel gleich zwei an seine Kunden abgibt.

(Urteil des OVG NRW vom 28. November 2011, Az.: 13 B 1136/11)


Das OVG NRW hatte über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen einen Apotheker zu befinden. Dieser gibt an seine Kunden beim Erwerb rezeptpflichtiger Arzneimittel sogenannte Pinguin-Taler aus, die später bei ihm oder kooperierenden Partnern eingelöst werden können. Die Aufsichtsbehörde untersagte ihm dieses Vorgehen unter Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheids. Begründet wurde dies mit der Notwendigkeit der Unterbindung der anhaltenden Verletzung der Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente und der Ver zerrung des Wettbewerbs zum Nachteil rechtstreuer Berufskollegen.

Das OVG hält die Beschwerde des Apothekers gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung im Rahmen der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung für begründet. Zwar teilt es die Sichtweise der Antragsgegnerin – der Aufsichtsbehörde – , dass die Überlassung der Pinguintaler bei der Abgabe von rezeptpflichtigen Arzneimitteln einen Verstoß gegen das Gebot einheitlicher Apothekenabgabepreise für Arzneimittel bedeutet. Dies hatte der Bundesgerichtshof (BGH) im September 2010 in seinen "Taler"-Entscheidungen festgestellt. Was jedoch die Bewertung der konkreten Bonusleistungen und des Zusammenhangs der Bestimmungen zur arzneimittelrechtlichen Preisbindung mit denen des § 7 HWG (zulässige Zuwendungen) schließt sich das OVG NRW den Erwägungen und auch dem Entscheidungs ergebnis des Niedersächsischen OVG an. Dieses hatte im Juli in einem Beschluss (Az.: 13 ME 111/11) festgestellt, dass auch die Apothekerkammern bei ihrer Ermessensentscheidung zur Rechtmäßigkeit von Boni, Talern & Co. die wettbewerbsrechtliche "Spürbarkeitsschwelle" nicht ganz ausblenden darf (DAZ 2011, Nr. 29, S. 64).

Das OVG NRW geht davon aus, dass auch im vorliegenden Fall die Aufsichtsbehörde die Erwägungen des BGH zur wettbewerbsrechtlichen Geringwertigkeitsgrenze im Rahmen von Kundenbindungssystemen nicht hinreichend beachtet hat. Jedenfalls für den Fall, dass die Spürbarkeitsschwelle nicht offenkundig und eindeutig überschritten ist, hätte sich die Ermessensentscheidung der Kammer hiermit zumindest auseinandersetzen müssen.

Nach den genannten BGH-Entscheidungen überschreitet eine Werbegabe von 0,50 Euro oder von einem Euro die für die Einschätzung als "geringwertige Kleinigkeiten" maßgebende Wertgrenze noch nicht. Die von der Antragstellerin ausgegebenen Pinguin-Taler halten sich in diesem Rahmen: Auszugehen sei von einem Gegenwert von ca. 0,50 Euro je Taler und von der Gabe von zwei Talern pro auf einem Rezept aufgeführten Artikel. Dass danach bei einem Rezept mit mehreren bezeichneten Arzneimitteln eine größere Zahl von Talern ausgehändigt wird, führt dem OVG-Beschluss zufolge nicht zur Überschreitung der Wertgrenze. Denn die Zahl der Taler sei artikelbezogen und es hänge vom Zufall ab, ob auf einem Rezept mehrere Arzneimittel aufgeführt oder mehrere Rezepte mit jeweils einem Artikel vorgelegt werden.

Wenn aber durch eine bestimmte Verhaltensweise – hier in Form der Aushändigung der Taler – eine relevante Beeinträchtigung des Wettbewerbs und/oder der Interessen von Marktteilnehmern nicht zu befürchten ist, scheide der Gedanke des Wettbewerbsschutzes als Grundlage für ordnungsrechtliche Anordnungen aus, so das OVG. Der verständige Durchschnittsverbraucher werde die Ausgabe der Taler als Werbegabe verstehen und nicht dahin gehend, dass die Preisbindung für rezeptpflichtige Arzneimittel aufgehoben ist und die Preise dafür zur freien Disposition stehen. Das OVG NRW kommt damit zu dem Schluss, dass mehr dafür spricht, dass der Bescheid der Aufsichtsbehörde nicht rechtmäßig war und stellte daher die aufschiebende Wirkung der Klage wieder her.



DAZ 2011, Nr. 49, S. 24

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