Gesundheitspolitik

Vorteil24 – Nachteil für Kassen?

Steuerliche Folgen des Pick-up-Modells Vorteil24 für die Kassen

DINXPERLO/LEIPZIG (diz). Betrachtet man das Modell Vorteil24 aus steuerlicher Sicht, so könnte sich dies für gesetzliche Krankenkassen möglicherweise als Nachteil erweisen. Die Frage ist, ob nicht umsatzsteuerrechtlich gesehen die Krankenkasse der Abnehmer für das Arzneimittel ist. Wenn dies so ist, könnte den Kassen eine Doppelbesteuerung drohen.

Das Modell Vorteil24, das mittlerweile nicht nur in den deutschen Montanus-Apotheken der Gebrüder Winterfeld praktiziert wird, sondern auch einige Apotheken der Apothekenkooperation Linda übernommen haben, wirft nach wie vor Fragen auf, insbesondere auch steuerlicher Art. Laut Vorteil24-Sprachregelung fungiert die teilnehmende deutsche Apotheke lediglich als Abholstelle. Die Geschäftsbeziehungen laufen nicht unmittelbar zwischen der niederländischen Montanus-Apotheke B.V. und der deutschen "Vorteil24"-Apotheke ab. Vielmehr wurde ein formal in den Niederlanden (Nijmegen) ansässiges Dienstleistungsunternehmen, die Sequalog B.V., dazwischengeschaltet. Sequalog hat sich, so geht es aus dem Vertrag hervor, den eine teilnehmende Linda-Apotheke unterzeichnen muss, "insbesondere auf die Vermittlung von Preisvorteilen für Apothekenkunden und die gesamte Abwicklung des Arzneimittelversandes aus den Niederlanden zu deutschen Apotheken spezialisiert". Zwischen der Sequalog B.V. und der Linda AG wurde ein entsprechender Kooperationsvertrag geschlossen. Darin kann man den Versuch erkennen, das System rechtlich möglichst unangreifbar zu machen. 

Der versandhandelsaffine Patient wird in der Linda-"Vorteil24"-Apotheke angesprochen. Er willigt in eine "Vorteil24"-Bestellung ein und bevollmächtigt mittels Formular die Sequalog B.V., einen Kurierdienst zu beauftragen, der seine Arzneimittel von der Montanus B.V.-Apotheke zur Linda-"Vorteil24"-Apotheke transportiert.

Und so gestalten sich die Auftragsannahme und Bestellbearbeitung unter der vertraglichen Sicht: "Sofern ein Kunde der Linda-Apotheke Arzneimittel von der niederländischen Partnerapotheke der Sequalog B.V. erwerben möchte, verpflichtet sich die Linda-Apotheke, dafür in ihren Apothekenräumen die schriftliche Bestellung des Kunden auf einem ihr von der Sequalog B.V. zur Verfügung gestellten Bestellformular der niederländischen Partnerapotheke festzuhalten und diese schriftliche Bestellung vom jeweiligen Apothekenkunden unterschreiben zu lassen. Wenn und soweit die Bestellung verschreibungspflichtige Arzneimittel zum Gegenstand hat, ist die Linda-Apotheke darüber hinaus verpflichtet, von dem Apothekenkunden nach vorheriger Prüfung die Übergabe der entsprechenden Originalverordnungen zu verlangen."

Die Einschaltung eines Dienstleistungsunternehmens wie der Sequalog B.V. ist der Trick bei diesem Konstrukt. Er soll dazu beitragen, mögliche Schwierigkeiten in Sachen Mehrwertsteuerzahlungen, Verantwortlichkeiten, rechtliche Zuständigkeiten der teilnehmenden Apotheken zu verhindern. Durch die Einschaltung von Sequalog B.V. soll, so die Anbieter dieses Systems in der eigens ausgearbeiteten "Sprachregelung Vorteil24", ausdrücklich nicht der Eindruck entstehen, es handele sich um ein Pick-up-System. Bei "Vorteil24" habe man es vielmehr – und darauf wird besonderer Wert gelegt – mit einem "pharmazeutisch betreuten Bestellservice von Arzneimitteln (nicht Freiwahl)" zu tun.

Der Kunde (!), nicht die teilnehmende Apotheke, erteilt einen Abholauftrag für seine bei der niederländischen Montanus-Apotheke bestellten Arzneimittel. Die deutsche teilnehmende Apotheke, in diesem Fall die Linda-Apotheke, fungiert als Abhol- und Inkassostelle – nicht für die Montanus-Apotheke B.V., sondern für das Dienstleistungsunternehmen Sequalog B.V. Die Linda-Apotheke verpflichtet sich, die bei einer über die Sequalog B.V. abgewickelten Bestellung vom Kunden vereinnahmten Zahlungen vollständig an die Sequalog B.V. weiterzuleiten. Die Linda-Apotheke erhält für die Vermittlung des Kundenauftrages und die erbrachte Beratungsleistung eine Provision. Die Sequalog B.V. ist dabei berechtigt, die Provisionsansprüche der Linda-Apotheke mit den Zahlungsansprüchen der niederländischen Partnerapotheke gegenüber der Linda-Apotheke aufzurechnen. Die Linda-Apotheke verpflichtet sich auch dazu, alle von ihr erfassten Daten und Bestellungen elektronisch über Internet an die Sequalog B.V. zu übermitteln. Die teilnehmende deutsche Apotheke handelt bei diesem Modellkonstrukt nach Ansicht der Betreiber nicht mit Arzneimitteln – sie vermittelt lediglich eine Kundenbestellung an das Unternehmen Sequalog B.V., das wiederum die Bestellung an die Partnerapotheke Montanus B.V. zur Ausführung der Bestellung weiterleitet. Die von der Apotheke zur Auslieferung bereitgestellten Arzneimittel gehen demnach nicht in den Apothekenumsatz mit ein. Für die Tätigkeit der deutschen Apotheke wird lediglich eine Provision bezahlt. 

Die Linda-"Vorteil24"-Apotheke behält das Rezept ein und schickt die Arzneimittelbestellung über ein eigenes EDV-System und EDV-Terminal per Internet an die Montanus- B.V.-Apotheke in Dinxperlo.

Zweifel an diesem Konstrukt

Ob die an diesem Modell teilnehmende deutsche Apotheke tatsächlich als Abhol- und Inkassostelle fungiert, daran haben die Steuerberater und Rechtsanwälte Gilbert Hönig und Achim Günter aus Leipzig ihre Zweifel. Sie versuchen zu belegen, dass Vertragspartner der niederländischen Apotheke gar nicht der Patient ist, sondern die Krankenkasse. Wir fragten nach:


AZ: Wie ist aus Ihrer Sicht der sogenannte Umsatzsteuertrick des Modells Vorteil24 zu werten?

Gilbert: Die Protagonisten konstruieren einen sogenannten umsatzsteuerlichen Abholfall, wonach es bei in den Niederlanden bezogenen Arzneimitteln zu einer nur 6-prozentigen Umsatzsteuerbelastung kommen soll.

Hönig: Der deutsche Fiskus verzichtet damit vollständig auf die inländische Umsatzsteuer, die Krankenkasse hingegen zahlt zusätzlich 19-prozentige Umsatzsteuer, was schon beachtlich ist, da sie auf den Vorteil des niedrigeren Steuersatzes in den Niederlanden verzichtet.

Gilbert: Vielleicht auch, weil sie ansonsten gegen das Sachleistungsprinzip verstoßen würde.


AZ: Worin sehen Sie einen möglichen Verstoß gegen das Sachleistungsprinzip?

Gilbert: Eine in den Niederlanden verbleibende 6-prozentige Umsatzsteuer setzt die Verschaffung der Verfügungsmacht an dem Arzneimittel in den Niederlanden voraus. Soweit es sich dabei um Arzneimittel handelt, die zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegeben werden, ist das Sachleistungsprinzip nach § 2 Abs. 2 SGB V zu beachten. Danach können Sachleistungen nur im Inland (also in Deutschland) erbracht werden.


AZ: Dann verstößt das Modell möglicherweise gegen das Sachleistungsprinzip, die Umsatzsteuer verbleibt gleichwohl mit 6% in den Niederlanden?

Gilbert: Nach geltender Rechtslage wird im Bereich der Abgabe von Arzneimitteln zulasten des GKV-Systems die Krankenkasse des Rezept-einlösenden Patienten – in Umsetzung des im Verhältnis zwischen Patient und gesetzlicher Krankenkasse geltenden Sachleistungsprinzips – Vertragspartner des über das abzugebende Arzneimittel mit der einlösenden Apotheke zustandekommenden Kaufvertrages (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V, bzw. § 4 ALV VdAK-DAV, sowie BSG Urteil vom 3. 8. 2006, Az. B 3 KR 6/06 R m, w. N.)

Hönig: Umsatzsteuerlich betrachtet ist damit die gesetzliche Krankenkasse Abnehmer/Erwerber des Medikamentes, das ihr von der Rezept-einlösenden Apotheke üblicherweise in Aushändigung an den Rezeptüberbringenden Patienten (als Bote der GKV) unter gleichzeitiger Erfüllung des Sachleistungsanspruches des Patienten gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse geliefert wird.


Die Montanus B.V.-Apotheke stellt die Lieferungen für die Patienten der Linda-"Vorteil24"-Apotheken zusammen und schickt sie mit einem Kurierdienst (hier Phoenix-Tochter Transmed) nach Deutschland zu den Linda-"Vorteil24"-Apotheken. Gegebenenfalls läuft die Verteilung über eine oder mehrere Zwischenstationen, um Apotheken im süddeutschen Raum zu beliefern.

AZ: Ja, und was bedeutet das nun schließlich für die umsatzsteuerliche Bewertung?

Gilbert: Der Leistungsbezug verordneter Arzneimittel durch die GKV ist nach § 1a UStG als innergemeinschaftlicher Erwerb zu bewerten. Zu den der Erwerbsbesteuerung unterliegenden Personen gehört nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a auch eine juristische Person die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand nicht für ihr Unternehmen erwirbt.

Hönig: Und hierzu zählen auch die gesetzlichen Krankenkassen. Diese wurden bereits in einem Schreiben des BMF vom 16. September 1992 über die Wirkungen des EG-Binnenmarktes und die Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbes informiert.


AZ: Und was ist nun mit der Umsatzsteuer?

Gilbert: Die gesetzlichen Krankenkassen haben für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Arzneimitteln eine 19-prozentige Umsatzsteuer an den deutschen Fiskus abzuführen.

Hönig: Und bei der ausländischen liefernden Apotheke kann der Umsatz als sogenannte innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei bleiben. Die GKV‘en zahlen sonst einmal 19% inländische Erwerbssteuer und 6% ausländische Umsatzsteuer. Da sie den angenommenen umsatzsteuerlichen Vorteil von 6% offensichtlich nicht genutzt haben, sogar 2 x 19%.


AZ: Könnte dies erhebliche Steuernachforderungen für die GKV‘en bedeuten?

Hönig: Wenn die Erwerbsbesteuerung unterblieben ist, nach unserer Rechtsansicht, ja!


AZ: Wie kann es sein, dass Ihre Überlegungen bisher keinen Eingang in Literatur und bei den Gerichten gefunden haben? Bekanntlich ist ein Verfahren beim Finanzgericht Düsseldorf anhängig.

Gilbert: Es handelt sich nur um einen Beschluss wegen Aussetzung der Vollziehung gegen Sicherheitsleistungen, in der Hauptsache wurde noch nicht entschieden.

Hönig: Und auch in dieser Entscheidung wurde nicht zwischen den Rechtsbeziehungen Endkunde bzw. GKV unterschieden. Das ist unser zentraler Ansatz. Eine 6-prozentige verbleibende Umsatzsteuer in den Niederlanden ist nur denkbar, wenn es sich um Arzneimittel handelt, die nicht zulasten der GKV abgegeben werden. Aber auch für den OTC-Bereich ist der Ausgang dieses Verfahrens von Interesse, da hier die Zulässigkeit der AGB und ein möglicher Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO noch zur Prüfung ansteht.


AZ: Ergeben sich aus Ihren Rechtsansichten auch Konsequenzen für den klassischen Versandhandel?

Gilbert: Sie meinen, wenn das Arzneimittel direkt an den Kunden/Patienten versandt wird?


AZ: Ja, z. B. in einer der zahlreichen Pick-up-Stationen?

Gilbert: Bei den rezeptpflichtigen Arzneimitteln führt dies zu keiner anderen Betrachtung. Das umsatzsteuerlich zu bewertende Liefergeschäft geht zunächst über die GKV, es liegt auch hier ein innergemeinschaftlicher Erwerb vor. Dies gilt m. E. auch für die OTX-Präparate.

Hönig: Beim klassischen Versandhandel im OTC-Bereich kann es zur Anwendung des § 3c UStG kommen, wenn der ausländische Versender die Lieferschwelle von 100.000 Euro überschreitet. Dann hat er sich im Inland registrieren zu lassen und zahlt selbst die 19-prozentige Umsatzsteuer.


AZ: Dann hat das deutsche Finanzamt ja sein Geld bekommen?

Hönig: Ja, dies ist zutreffend für den OTC-Bereich.


AZ: Und bei den Rezepten?

Hönig: Bleibt es unverändert beim innergemeinschaftlichen Erwerb. Die GKV ist in der Steuerpflicht, sonst zahlt der Falsche.


Wie "Vorteil24" wirklich funktioniert
MVDA-Chef Simons: "Wenn Pick up abgeschafft wird, schalten wir ‚Vorteil24‘ ab."



AZ 2012, Nr. 20, S. 6

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