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Pick-up und Versandhandel
Wie "Vorteil24" wirklich funktioniert
Mit der Idee, eine Pick-up-Stelle mit eigener Versandapotheke in den Niederlanden aufzubauen, wollten sie, so die Brüder Dr. Thomas und Dr. Andreas Winterfeld von den Montanus-Apotheken im Bergischen Land, zum einen der Politik zeigen, wie absurd dieses System ist, zum andern wollten sie nicht akzeptieren, dass die Politik die Kunden zu ausländischen Versandapotheken schickt. Sie bauten das Versandapothekensystem kurzerhand nach. Im niederländischen Dinxperlo unmittelbar an der deutschen Grenze gründeten sie ihre eigene Versandapotheke. Wie sie unlängst im DAZ-Interview ausführten (siehe DAZ 42, S. 31) werden Apothekenkunden, die für Preisdiskussionen und Arzneimittelversand offen sind, auf die Möglichkeit hingewiesen, ihre Arzneimittel über die Versandapotheke zu beziehen. Der Vorteil für die Kunden: Erlass der halben oder ganzen Zuzahlung und bei OTC-Arzneimitteln ein Einheitsrabatt von 20 Prozent. Der Nachteil: Sie können ihre Arzneimittel frühestens am nächsten Tag abholen, da sie von der niederländischen Montanus-Apotheke nach Deutschland transportiert werden. Wie die Winterfelds herausstellen, erhalten die Apothekenkunden, die über "Vorteil24" bestellen, im Gegensatz zum Pick-up-Modell beim Drogeriemarkt eine fundierte Beratung.
"Vorteil24"-Betreiber: "Handlungsfähig sein"
Dass dieses Modell in der Berufspolitik nicht auf Begeisterung stößt, war abzusehen. Es konterkariert die Bestrebungen, Pick-up zu verbieten und den Versandhandel zurückzudrängen. Fragt man die Betreiber, wo die Motivation für Gründung und Unterhalt einer eigenen Versandapotheke in den Niederlanden liegen, warum sie sich Ärger mit Kollegen in der Berufspolitik, Stress mit Logistik und Software einhandeln, weisen sie daraufhin, nicht tatenlos zusehen zu wollen, wie der Versandhandel mit Arzneimitteln jährlich Marktanteile dazu gewinnt und die deutschen Vor-Ort-Apotheken immer mehr um Kunden kämpfen müssen. Sie wollen nicht länger darauf hoffen, dass die Politik handelt und Pick-up verbietet. Und sie gehen auch nicht davon aus, dass sich der Gesetzgeber zu einem Pick-up-Verbot durchringt. Sie wollen sich diesem Wettbewerbsumfeld stellen und "handlungsfähig sein, vor allen anderen". Sie sagen aber auch: "Wenn die Politik die Ungleichbehandlung und die systematische Förderung des Versandhandels beendet, würden wir unser System selbstverständlich beenden."
Über 40 Linda-Apotheken machen mit
Spätestens seit die Montanus-Apotheke in diesem Jahr mit der Apothekenkooperation "Linda" – vorerst in einem Pilotprojekt – zusammenarbeitet und das "Vorteil24"-System auf diese Apotheken ausweitet, kommen deutliche Zweifel auf, ob die hehren Ansprüche, so es sie denn jemals gab, aufrecht erhalten werden. Geht es letztlich auch hier nicht ganz simpel ums Geld? Mittlerweile sollen sich über 40 Linda-Apotheken dem System "Vorteil24" angeschlossen haben. Über eine sogenannte Road-Show, die in verschiedenen Orten stattgefunden hat, versuchte die Kooperation weitere Teilnehmer für dieses System zu gewinnen.
Zunächst könnte man meinen, das System "Vorteil24" sei vernünftig oder zumindest clever gemacht, ein besseres Pick-up-Modell, von Apothekern für Apotheker. Aber bei genauer Betrachtung offenbart sich die enorme Sprengkraft und die Gefährlichkeit, die in diesem System liegt: Es könnte unser bewährtes Apothekensystem mit der Arzneimittelpreisverordnung und den Einheitspreisen aus den Angeln heben.
Awinta steigt aus
Für einen Eklat sorgte das Modell bereits im Bereich Berufspolitik. Das System "Vorteil24" erfordert eine besondere Software, die die Abrechnung und Datenübermittlung zwischen der niederländischen und deutschen Apotheke beherrscht. ProMedisoft hatte diese Software entwickelt. Als ProMedisoft mit dem IT-Haus Awinta, einer Tochter der apothekereigenen VSA Rezeptabrechnungsstelle fusionierte, wollten es die Verantwortlichen nicht länger hinnehmen, dass ein standeseigenes Unternehmen mittelbar am System "Vorteil24" beteiligt ist. Fritz Becker, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes (DAV) und Präsident des Landesapothekerverbandes Baden-Württemberg, sowie Monika Koch, Mitglied des Geschäftsführenden Vorstandes des DAV und Vorsitzende des Sächsischen Apothekerverbandes, legten am 30. September ihre Vorstandsämter bei der VSA (Verrechnungsstelle Süddeutscher Apotheker) mit sofortiger Wirkung nieder.
"Vorteil24" ließ sich davon nicht beirren. Mittlerweile soll man bereits ein anderes Software-Unternehmen gefunden haben, das für Awinta einspringt. Da "Vorteil24" mit der Großhandlung Phoenix zusammenarbeitet, liegt es nahe, dass die Phoenix-Tochter ADG zukünftig die Software stellt.
Die VermittlungsprovisionenDefinitionen: ApoVK = Apothekenverkaufspreis brutto ApoVKnetto = Apothekenverkaufspreis netto ApoEK = Apothekeneinkaufspreis netto GKV = Krankenkassenabschlag nach § 130 SGB V AngebotVK = (ApoVK – ApoVK x 0,2) [für alle Artikel mit ApoVK > 0,00 Euro] AngebotVK = ((ApoEK + ApoEK x 0,1) x 1,19) [für alle Artikel mit ApoVK = 0,00 Euro] Provisionen für nicht rezeptpflichtige Arzneimittel: Provision = Angebot VK – ApoEK Provisionen für rezeptpflichtige Arzneimittel: Privatrezepte: ApoVK 0 – 14,99 Euro Provision = ApoVKnetto – ApoEK – (ApoEK x 0,1) 15,00 – 17,99 Euro Provision = ApoVKnetto – ApoEK – (ApoEK x 0,05) 18,00 – 28,99 Euro Provision = ApoVKnetto – ApoEK ab 29,00 Euro Provision = ApoVKnetto – ApoEK + (ApoEK x 0,05) Rezepte der gesetzlichen Krankenversicherung: ApoVK0 – 14,99 Euro Provision = ApoVKnetto – GKV – ApoEK – (ApoEK x 0,1) 15,00 – 17,99 Euro Provision = ApoVKnetto – GKV – ApoEK – (ApoEK x 0,05) 18,00 – 28,99 Euro Provision = ApoVKnetto – GKV – ApoEK ab 29,00 Euro Provision = ApoVKnetto – GKV – ApoEK + (ApoEK x 0,05) |
Und so funktioniert "Vorteil24"
In der deutschen Präsenz-Apotheke, die beim System "Vorteil24" mitmacht, bestellt der Kunde die von ihm benötigten Arzneimittel. Die "Vorteil24"-Apotheke leitet die Bestellung (nicht das Rezept!) an die niederländische Montanus-Apotheke B.V. weiter, die den Auftrag annimmt und bearbeitet. Das Rezept verbleibt in der deutschen Apotheke.
Die bei der Montanus-Apotheke eingegangenen Arzneibestellungen werden gesammelt und beim Großhandel Phoenix in Herne bestellt, der sie über die Grenze nach Dinxperlo bringt. Dort werden die Arzneimittel für die einzelnen Aufträge zusammengestellt und zurück nach Herne gebracht, von wo aus sie dann in die deutschen Linda"Vorteil24"-Apotheken, zum Teil über eine zwischengeschaltete Verteilstation in Süddeutschland, gebracht werden. Je nach Eingang der Bestellung sind dann mindestens 24 bis 48 Stunden vergangen.
Um das System rechtlich so unangreifbar wie möglich zu machen, haben die Macher von "Vorteil24" einen detaillierten Ablaufplan und eine Sprachregelung ausgearbeitet, an die sich die teilnehmenden Apotheken halten müssen. Wir zitieren aus diesem Plan, der der DAZ vorliegt:
"Der Kunde wird angesprochen, ob ihm das "Vorteil24"-Modell vorgestellt werden darf. Dem Kunden wird ein Informationsflyer "Vorteil24" zur Erläuterung des Modells überreicht. Der Kunde bekundet seinen Willen, Arzneimittel über das Modell "Vorteil24" zu bestellen. Die Bestellung wird am Bestellterminal ("Vorteil24"- System) erfasst." Es folgt eine genau beschriebene Auflistung, wie die Bestellung am eigens dafür angelegten Bestellterminal erfasst wird: wie der Kunde eingegeben, der Artikel ausgewählt, die Verfügbarkeit beim Großhandel überprüft wird und die Berechnung des "Vorteil24"-Preises erfolgt.
Und weiter: "Falls auf einem Rezept der GKV ein Artikel nicht lieferbar ist, kann das ganze Rezept nicht über Vorteil24 bestellt werden. Zeigt das System ‚Verbund möglich‘ an, kann die Bestellung aufgegeben werden." Danach wird das Rezept bedruckt und die Bestellung abgeschlossen.
Nun werden die Dokumente zur Bestellung erstellt: Ein Abholschein wird an das "Vorteil24"-Bestellformular geheftet und die Ankreuzfelder "Transportauftrag zur Vorteil24-Apotheke" und "Einverständniserklärung zu den AGB" angekreuzt. Der Kunde muss dann das Bestellformular unterschreiben und erhält einen Abholschein.
Auch der Abholvorgang der Arzneimittel und die Aushändigung der bestellten Rezepte an den Kunden sind detailliert beschrieben. Bei der Abholung erhält der Kunde beispielsweise seinen Gutschein, in dem der jeweilige Betrag per Hand eingetragen und mit dem Apothekenstempel versehen wird. Die GKV-Rezepte werden in der Apotheke mit einem besonderen Kennzeichen bedruckt und zum Monatsende zur Abholung bereitgestellt. Die Rezeptabrechnung läuft dann über das NARZ.
Die Gutscheine können die Kunden in dieser Apotheke, die den Gutschein ausgestellt hat, bei einem späteren Einkauf von preislich nicht gebundenen Arzneimitteln sowie für Gesundheits- und Pflegeprodukte einlösen.
Vorteile für die PatientenDefinitionen: ApoVK = Apothekenverkaufspreis brutto ApoVKnetto = Apothekenverkaufspreis netto ApoEK = Apothekeneinkaufspreis netto Angebote: Rezeptfreie Arzneimittel Angebot = (ApoVK – ApoVK x 0,2) [für alle Artikel mit ApoVK > 0,00 Euro] Angebot = ((ApoEK + ApoEK x 0,1) x 1,19) [für alle Artikel mit ApoVK = 0,00 Euro] Rezeptpflichtige Arzneimittel auf Privatrezept ApoVK 0 - 30,00 Euro Angebot = ApoVK – 3 Euro ApoVK 30,01 - 150,00 Euro Angebot = ApoVK – (ApoVK x 0,10) ApoVK ab 150,00 Euro Angebot = ApoVK – 15,00 Euro Rezeptpflichtige Arzneimittel auf GKV-Rezept ApoVK 0 - 350,00 Euro Angebot = Erstattung der halben gesetzlichen Zuzahlung durch die Sequalog B.V. ApoVK ab 350,00 Euro Angebot = Erstattung der vollen gesetzlichen Zuzahlung durch die Sequalog B.V. ApoVK ab 350,00 Euro Angebot = ApoVK x 0,03 höchstens jedoch (zuzahlungsbefreite Patienten) 15 Euro als Einkaufsgutschein der Sequalog B.V. zur Einlösung in der Linda Apotheke |
Was läuft im Hintergrund des Systems ab?
Die Geschäftsbeziehungen laufen nicht unmittelbar zwischen der niederländischen Montanus-Apotheke B.V. und der deutschen "Vorteil24"-Apotheke ab. Vielmehr wurde ein formal in den Niederlanden (Nijmegen) ansässiges Dienstleistungsunternehmen, die Sequalog B.V., dazwischen geschaltet. Sequalog hat sich, so geht es aus dem Vertrag hervor, den eine teilnehmende Linda-Apotheke unterzeichnen muss, "insbesondere auf die Vermittlung von Preisvorteilen für Apothekenkunden und die gesamte Abwicklung des Arzneimittelversandes aus den Niederlanden zu deutschen Apotheken spezialisiert". Zwischen der Sequalog B.V. und der Linda AG wurde ein entsprechender Kooperationsvertrag geschlossen. Auch hier erkennt man wieder den Versuch, das System rechtlich möglichst unangreifbar zu machen.
Und so gestalten sich die Auftragsannahme und Bestellbearbeitung unter der vertraglichen Sicht: "Sofern ein Kunde der Linda Apotheke Arzneimittel von der niederländischen Partnerapotheke der Sequalog B.V. erwerben möchte, verpflichtet sich die Linda Apotheke, dafür in ihren Apothekenräumen die schriftliche Bestellung des Kunden auf einem ihr von der Sequalog B.V. zur Verfügung gestellten Bestellformular der niederländischen Partnerapotheke festzuhalten und diese schriftliche Bestellung vom jeweiligen Apothekenkunden unterschreiben zu lassen. Wenn und soweit die Bestellung verschreibungspflichtige Arzneimittel zum Gegenstand hat, ist die Linda Apotheke darüber hinaus verpflichtet, von dem Apothekenkunden nach vorheriger Prüfung die Übergabe der entsprechenden Originalverordnungen zu verlangen."
Vorgeschrieben wird auch, dass die Linda-Apotheke bei der Auftragsannahme dazu verpflichtet ist, die gesetzlichen Beratungs- und Hinweispflichten zu erfüllen. Und ganz wichtig: "Der Kunde ist auf die Möglichkeit der Selbstabholung des Arzneimittels bei der niederländischen Partnerapotheke der Sequalog B.V. hinzuweisen." Ganz klar eine Formalie. Kein Kunde wird die Arzneimittel selbst in Dinxperlo abholen, sondern wie vorgesehen, auf dem vorgeschriebenen Bestellformular die zweite Möglichkeit ankreuzen und die Sequalog B.V. beauftragen, zum symbolischen Preis von 50 Cent die Abholung der Arzneimittel bei der niederländischen Partnerapotheke und die Lieferung zur Linda Apotheke durchführen lassen.
Der Trick mit Sequalog B.V.
Die Einschaltung eines Dienstleistungsunternehmens wie der Sequalog B.V. ist der Trick bei diesem Konstrukt. Er soll dazu beitragen, mögliche Schwierigkeiten in Sachen Mehrwertsteuerzahlungen, Verantwortlichkeiten, rechtliche Zuständigkeiten der teilnehmenden Apotheken zu verhindern. Durch die Einschaltung von Sequalog B.V. soll, so die Anbieter dieses Systems in der eigens ausgearbeiteten "Sprachregelung Vorteil24", ausdrücklich nicht der Eindruck entstehen, es handele sich um ein Pick-up-System. Bei "Vorteil24" habe man es vielmehr – und darauf wird besonderer Wert gelegt – mit einem "pharmazeutisch betreuten Bestellservice von Arzneimitteln (nicht Freiwahl)" zu tun.
Der Kunde (!), nicht die teilnehmende Apotheke, erteilt einen Abholauftrag für seine bei der niederländischen Montanus-Apotheke bestellten Arzneimittel. Die deutsche teilnehmende Apotheken, in diesem Fall die Linda-Apotheke, fungiert als Abhol- und Inkassostelle – nicht für die Montanus-Apotheke B.V., sondern für das Dienstleistungsunternehmen Sequalog B.V.
Die Linda-Apotheke verpflichtet sich, die bei einer über die Sequalog B.V. abgewickelten
Bestellung vom Kunden vereinnahmten Zahlungen vollständig an die Sequalog B.V. weiterzuleiten. Die Linda-Apotheke erhält für die Vermittlung des Kundenauftrages und die erbrachte Beratungsleistung eine Provision. Die Sequalog B.V. ist dabei berechtigt, die Provisionsansprüche der Linda Apotheke mit den Zahlungsansprüchen der niederländischen Partnerapotheke gegenüber der Linda-Apotheke aufzurechnen. Die Linda-Apotheke verpflichtet sich auch dazu, alle von ihr erfassten Daten und Bestellungen elektronisch über Internet an die Sequalog B.V. zu übermitteln.
Die Frage der Umsatzsteuerpflicht
Die teilnehmende deutsche Apotheke handelt bei diesem Modellkonstrukt nach Ansicht der
Betreiber nicht mit Arzneimitteln – sie vermittelt lediglich eine Kundenbestellung an das Unternehmen Sequalog B.V., das wiederum die Bestellung an die Partnerapotheke Montanus B.V. zur Ausführung der Bestellung weiterleitet. Die von der Apotheke zur Auslieferung bereitgestellten Arzneimittel gehen demnach nicht in den Apothekenumsatz mit ein. Für die Tätigkeit der deutschen Apotheke wird lediglich eine Provision bezahlt.
Laut Ausführungen in den "Vorteil24"-Unterlagen besteht keine Umsatzsteuerpflicht auf die Provision. Denn, so sehen es die Konstrukteure des "Vorteil24"-Systems und so steht es auch in den Unterlagen: "Vermittelt ein Unternehmer mit Sitz/Betriebsstätte in Deutschland einen Umsatz an einen Unternehmer mit Sitz/Betriebsstätte in den Niederlanden, richtet sich die umsatzsteuerliche Behandlung mangels Spezialvorschrift seit 1. 1. 2010 nach der Generalnorm § 3a Abs. 2 UStG. Demnach wird der Vermittlungsumsatz in den Niederlanden am Sitz/Betriebsstätte des niederländischen Unternehmers ausgeführt. Damit ist die Vermittlungsleistung in den Niederlanden umsatzsteuerpflichtig und die Rechnung der deutschen vermittelnden Apotheke ist ohne deutsche Umsatzsteuer auszustellen. Die niederländische Umsatzsteuerschuld geht auf den Leistungsempfänger, das heißt die niederländische Apotheke, über (sogenanntes Reverse-charge-Verfahren). Der deutsche Unternehmer muss hierzu die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des niederländischen Unternehmers nebst dem Hinweis "reverse charge" auf seiner Rechnung angeben. Zusätzlich sollte sich der deutsche Unternehmer bei Beginn der Geschäftsbeziehung beim Bundeszentralamt für Steuern eine qualifizierte Bestätigung der angegebenen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer einholen. Der entsprechende Umsatz ist durch den deutschen Unternehmer neben der Umsatzsteuer-Voranmeldung zusätzlich auch in einer zusammenfassenden Meldung zu erklären. Auch für den Fall, dass ein weiterer Vermittler in den Niederlanden zwischen den niederländischen und den deutschen Unternehmer geschaltet wird, ändert sich die umsatzsteuerliche Behandlung nicht. Dementsprechend ist Leistungsempfänger Rechnungsadressat des deutschen Unternehmers dann der Vermittler in den Niederlanden."
Rechtliche Einordnung
Mit der rechtlichen Einordnung des Systems "Vorteil24" haben sich die Apothekerkammer Nordrhein und das Gesundheitsamt Köln intensiv auseinandergesetzt. Wir sprachen mit der Justitiarin der Apothekerkammer Nordrhein, Rechtsanwältin Dr. Bettina Mecking, und der Amtsapothekerin Monika Paul, Köln. Dort sieht man ganz deutlich die Gefährlichkeit des Systems für das deutsche Apothekenwesen.
So ist beispielsweise die Art der Abrechnung, die Entlohnung eines Apothekers über das Einkassieren einer Provision, im deutschen Apotheken- und Arzneimittelrecht nicht vorgesehen. Der Apotheker übernimmt das Inkasso für die niederländische Montanus-Apotheke B.V. bzw. für das Dienstleistungsunternehmen Sequalog B.V. De facto ist es in der Regel so, dass die Provision die Bareinnahmen übersteigt. Die Kunden bekommen bei einem GKV-Wert bis 350 Euro die halbe Zuzahlung erlassen, über 350 Euro die komplette Zuzahlung.
Ein Patient, der von der Zuzahlung befreit ist, bekommt ab 350 Euro 3 Prozent der Gesamtsumme, maximal 15 Euro. Bei Privatrezepten erhält der Kunde bis zu einem Wert von 30 Euro 3 Euro, von 30,01 bis 150 Euro gibt es 10 Prozent und ab 150 Euro erhält der Patient 15 Euro. Die Provisionsregelungen für die Apotheken und Patienten zeigen deutlich, dass bei diesem System das Interesse nur in Richtung hochpreisiger Arzneimittel geht. Kunden, die niedrigpreisige Arzneimittel verordnet bekommen haben, dürften wohl eher nicht auf das System "Vorteil24" angesprochen werden.
Das System und die Art und Weise des Bestell- und Abhol-vorgangs sind darauf ausgelegt, dass keine deutsche Mehrwertsteuer anfällt. Nur so lassen sich die Einkaufsvorteile, die sich durch die unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze
auf Arzneimittel in den Niederlanden (6%) und Deutschland (19%) realisieren und für die Provisionszahlungen nutzen – Juristen sehen ein solches System als Umgehungskonstruktion an. Die Vorteile, die sich aus den unterschiedlichen Mehrwertsteuersätzen und gegebenenfalls noch Einkaufsvorteilen für die Montanus-Apotheke
B.V. ergeben, werden aufgeteilt zwischen der Montanus-Apotheke B.V., der deutschen "Vorteil24"-Apotheke und dem Patienten. Hier taucht die rechtliche Frage auf: Liegt hier eine Gewinnbeteiligung der niederländischen Montanus B.V.-Apotheke an den Umsätzen vor, die die deutsche "Vorteil24"-Apotheke an Land zieht? Anhand der Provisionssätze lässt sich leicht ausrechnen, um welche Provisionshöhen es sich letztlich handelt.
Der Kunde hat im Übrigen nicht die Möglichkeit, sich die bestellten Arzneimittel nach Hause schicken zu lassen, dies ist im System nicht vorgesehen. Er kann sie nur in Dinxperlo selbst abholen (was kein Kunde machen wird) oder in seiner Apotheke vor Ort. Dadurch wird dem Kunden das Recht beschnitten, das er bei jeder Versandapotheke hat: sich die Arzneimittel dorthin schicken zu lassen, wohin er möchte.
Sprachregelungen: "Freundlich bleiben und nichts Konkretes sagen"Tritt eine Apotheke dem System "Vorteil24" bei, hat sie sich an zahlreiche Vorschriften und Sprachregelungen zu halten, niedergelegt i einem Pflichtenheft mit zahlreichen auferlegten Vorschriften: Bei "Vorteil24" handelt es sich laut Systemanbieter nicht um Pick-up. Sämtliche eigenen Marketing-/Werbe-/Presse-/Kommunikationsaktivitäten zu diesem System sind bis auf Weiteres insbesondere während der Testphase laut Vertrag mit der Sequalog B.V. nicht gestattet. Die Information über das Modell "Vorteil24" zwischen Apotheke und Kunde soll nur aus der Apotheke vor Ort heraus erfolgen. Eine werbewirksame Darstellung über die Presse oder eigene Mailings scheinen derzeit nicht erwünscht zu sein. Nicht gestattet sind ausdrücklich eigeninitiativ eingeleitete Presseaktivitäten/-kontakte in jeglicher Form. Selbst für den Fall, dass Vertreter der lokalen, regionalen, überregionalen Presse und Fachpresse mit Fragen auf "Vorteil24"-Linda-Apotheken zukommen, wurde während der Testphase eine verbindliche Vorgehensweise vereinbart nach dem Motto: immer freundlich bleiben, vertrösten und nichts Konkretes dazu sagen. Fragen sollen an die Sequalog B.V. umgeleitet werden. |
Hier ist "Vorteil24" angreifbar
Die Apotheke erhält umsatzabhängige Vergütungen – das ist im Apothekengesetz nicht vorgesehen (diese dürften nach § 8 ApoG unzulässig sein), so die Kammerjustitiarin Dr. Bettina Mecking. Es wird eine Kernleistung der Apotheke, die Abgabe von Arzneimitteln, outgesourct an eine ausländische Abgabestelle. Die eigentliche Belieferung des Rezepts erfolgt in der ausländischen Versandapotheke.
Wer haftet eigentlich beim Modell "Vorteil24", wenn etwas schiefgeht? In Deutschland ist der Verbraucher durch die Betriebshaftpflicht des pharmazeutischen Unternehmers (§ 84 AMG) geschützt. Diese Betriebshaftpflicht greift nur, wenn der Abgabevorgang in der deutschen Apotheke stattfindet. Im Modell "Vorteil24" ist dies allerdings nicht mehr der Fall. Dadurch, dass der Kunde formal das Arzneimittel selbst in den Niederlanden abholt bzw. ein Dienstleistungsunternehmen beauftragt, um sein Arzneimittel dort abholen zu lassen, verliert er diesen Schutz durch § 84, gibt Amtsapothekerin Monika Paul zu bedenken. Das bedeutet nun nicht, dass der Verbraucher schutzlos gestellt wird, da allgemeine Regelungen des Produkthaftungsrechts greifen (in Europa wurde das Produkthaftungsrecht harmonisiert). Allerdings, so die Justitiarin Mecking, geht der Schutzstandard der §§ 84 ff. AMG über den Schutzstandard des Produkthaftungsrechts hinaus. Das dürfte dem Verbraucher, wenn er seine Bestellung in der Apotheke aufgibt und unterschreibt, nicht klar sein: Ein deutscher Apotheker haftet im Schadensfall, beispielsweise bei Abgabefehlern, unbeschränkt mit seinem gesamten Vermögen, "mit Haus und Hof". Die holländische Apotheke haftet dagegen nur mit dem Kapital, betont Kammerjustitiarin Mecking.
Ein weitere juristische Unwägbarkeit des Konstrukts "Vorteil24": Nach Ansicht von Frau Mecking fungiert die deutsche Apotheke unter den gegebenen Voraussetzungen ganz klar als Pick-up-Stelle. Sie händigt die vom Kunden bei einer niederländischen Apotheke bestellten Arzneimittel aus, für die sie eine Provision erhält.
Nach Auffassung von Frau Paul kann eine Pick-up-Stelle somit als eigener Gewerbebetrieb angesehen werden, er stellt eine Shop-in-shop-Lösung dar, die der deutschen Apotheke nicht erlaubt ist. Zum Vergleich ein Beispiel: Einer deutschen Apotheke wäre es laut Apothekenbetriebsordnung ebenso nicht erlaubt, eine Postagentur in ihren Räumen zu betreiben, wie es heute bereits andere Branchen tun, um im Auftrag der Deutschen Post Briefmarken zu verkaufen oder Pakete anzunehmen. Eine solche Konstruktion wäre nur möglich, wenn der Apotheker hierfür einen eigenen Raum außerhalb der Apothekenbetriebsräume anmietet oder einrichtet, der von außen zugänglich sein müsste, und dieses Geschäft gewerberechtlich anmeldet. Gesetzt der Fall, er würde dies tun, dann dürfte er allerdings in den Nebenräumen genau das nicht tun, womit das System "Vorteil24" wirbt, nämlich zu den Arzneimittel, die er aushändigt, pharmazeutisch beraten.
Ein weiterer strittiger Punkt: Da das Rezept außerdem physisch nicht in die Niederlande geschickt wird, in Deutschland nur eingescannt wird und hier verbleibt, könnte hier ein unerlaubter Einzelhandel mit Arzneimitteln außerhalb von Apotheken vorliegen (§ 48 und § 95 AMG).
Schon heute könnte eine Behörde also gegen die in Apotheken eingerichtete Pick-up-Stelle vorgehen, so die Ansicht der Amtsapothekerin (was bereits geschieht). Nach Ansicht der Kammerjustitiarin könnte ein weiterer Angriffspunkt darin liegen, dass hier letztendlich doch eine Abgabe durch die deutsche Apotheke vorliegt und somit ein Verstoß gegen die Arzneimittelpreisverordnung. Die vorliegende Konstruktion kann als Umgehungskonstruktion gesehen werden. Denn der Apotheker prüft das Rezept, scannt es ein, ergänzt möglicherweise fehlende Daten, gleicht die Rabattverträge ab und stempelt das Rezept. Auch mit den Augen des Kunden gesehen: Die Person, die die Verschreibung entgegennimmt, händigt die Ware aus. Für den Kunden ist der deutsche Apotheker der Ansprechpartner für seine Arzneimittel. So bietet beispielsweise die niederländische Versandapotheke Montanus B.V, wie es für andere Versandapotheken vorgeschrieben ist, keinen telefonischen Beratungsservice oder eine Hotline für den Kunden an.
Die Verträge zwischen der deutschen und der niederländischen Apotheke bzw. dem Dienstleistungsunternehmen Sequalog beeinflussen zudem das betriebswirtschaftliche Handeln des Apothekers dadurch, dass er verleitet wird, bestimmte Rezepte aufgrund der in Aussicht gestellten Provision in die Niederlande umzuleiten. Die betriebswirtschaftlichen Entscheidungen des Apothekers werden also durch Dritte beeinflusst – dies ist im Apothekengesetz so nicht vorgesehen, § 7 ApoG dürfte hierdurch betroffen sein.
Juristisches Glatteis
Bei so vielen rechtlichen Argumenten gegen das System – was hat sich hier juristisch schon getan? Wie die Kammerjustitiarin anmerkt, ist schon das Ursprungskonzept mit der Bezeichnung "Montanus Vorteil24", das die Konzeptgeber in den familieneigenen Apotheken bereits vor zwei Jahren umgesetzt haben, bislang gerichtlich nicht abgesegnet. Die Wettbewerbszentrale sei – von der Kammer begleitet – gegen das Konzept wettbewerbsrechtlich vorgegangen. Beim Bundesgerichtshof sei ein Revisionsverfahren anhängig. Die rechtliche Beurteilung stehe und falle mit der ausstehenden Entscheidung des Gemeinen Senats, inwiefern die Arzneimittelpreisverordnung grenzübergreifend gültig ist.
Wer sich für eine Beteiligung an dem hier geschilderten, weiter ausgestalteten "Vorteil24"-Konzept entschließt, muss wissen, dass er sich auf juristisches Glatteis begibt und so oder so auf unterschiedlicher Rechtsgrundlage und von verschiedenen Stellen auch kumulativ – nämlich von Seiten der staatlichen Gesundheitsaufsicht, der Wettbewerbszentrale, von Mitbewerbern und nach Standesrecht – auch jetzt schon belangt werden kann.
Das System "Vorteil24": Die juristischen AngriffspunkteMittlerweile kommt es aktuell zu weiteren juristischen Auseinandersetzungen um das System "Vorteil24". Eine Ordnungsverfügung mit Anordnung der sofortigen Vollziehung wurde erlassen. Im konkreten Fall beabsichtigt die Behörde den Vertrieb von Arzneimitteln für die Montanus-Apotheke B.V. aus den Apothekenbetriebsräumen einer Linda-Apotheke zu untersagen. Der Fall ist auf dem Weg vor das Amtsgericht. Die Argumente der Behörde:
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