Gesundheitspolitik

Zyto-Zubereitungen: Bundesgerichtshof hebt Apotheker-Freispruch auf

BGH: Verwendung von Import-Arzneien ohne erforderliche Zulassung strafbar

Karlsruhe/Berlin (ks). Ein Apotheker, der auf Basis eines pulverförmigen Fertigarzneimittels eine anwendungsfertige Zytostatika-Infusion zubereitet, stellt kein – zulassungsfreies – Rezepturarzneimittel her. Dies hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) letzte Woche entschieden. Die Konsequenz: Handelt es sich bei dem verwendeten Fertigarzneimittel um einen Import, der zwar wirkstoffgleich mit dem entsprechenden in Deutschland zugelassenen Arzneimittel, jedoch nicht explizit hierzulande zugelassen ist, so mangelt es auch der zubereiteten Lösung an einer Zulassung. Wer sie dennoch in den Verkehr bringt, macht sich strafbar. (Bundesgerichtshof, Urteil vom 4. September 2012, Az.: 1 StR 534/11)

Es war das erste Mal, dass sich der BGH mit der Reichweite der Zulassungspflicht für das Inverkehrbringen von Zytostatika befasst hat. Seit Jahren beschäftigen sich bundesweit Staatsanwaltschaften mit ähnlich gelagerten Fällen. Es geht um Apotheken, die für die Zubereitung von Zytostatika-Lösungen Arzneimittel – im vorliegenden Fall handelte es sich um Gemzar – günstig über Großhändler aus dem Ausland bezogen haben. In Deutschland wären diese Medikamente ebenso verfügbar gewesen – mit deutscher Zulassung und deutscher PZN, allerdings wesentlich teurer. Mit der Krankenkasse abgerechnet wurde denn auch zum deutschen Listenpreis. Für die Apotheken ein lukratives Geschäft. Im nun vom BGH entschiedenen Fall habe der Apotheker in den Jahren 2006 und 2007 Erwerbsaufwendungen von 58.800 Euro eingespart, heißt es in der Pressemeldung des Gerichts.

Gegen die ausländischen Arzneimittel selbst war aus pharmazeutischer Sicht nichts einzuwenden. Die Zusammensetzung ist für alle Länder gleich – die Chargen für die einzelnen Länder unterscheiden sich lediglich darin, dass Umverpackung und Flaschenetikett in der jeweiligen Landessprache beschriftet sind. Auch das im konkreten Fall unter anderem für Ungarn, Polen, Tschechien, Ägypten und Kenia hergestellte Gemzar war durchaus zugelassen – nur eben nicht in Deutschland und auch nicht EU-weit. Doch wer in der Bundesrepublik ein Arzneimittel in den Verkehr bringen will, bedarf einer solchen Zulassung (§ 21 AMG). Anders sieht es aus, wenn Fertigarzneimittel ohne die erforderliche nationale oder zentrale Zulassung zur Zubereitung für eine – zulassungsfreie – Rezeptur verwendet werden.

Und eine solche zulassungsfreie Rezeptur hatte zuvor das Landgericht München im vorliegenden Fall angenommen. Daher ließ es den Apotheker straffrei ausgehen. Er habe weder Fertigarzneimittel ohne die erforderliche Zulassung in den Verkehr gebracht (§ 96 Nr. 5 AMG) noch habe er unerlaubt verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne Verschreibung (§ 96 Nr. 13 AMG) abgegeben. Auch einen Betrug zum Nachteil der Krankenkassen (§ 263 StGB) konnte das Landgericht nicht erkennen. Denn die von ihm abgegebene Lösung sei mangels Zulassungspflicht verkehrsfähig gewesen. Eine Pflicht zur Offenlegung seiner Einkaufspreise habe nicht bestanden (siehe hierzu auch DAZ 2011, Nr. 39, S. 42).

Landgericht muss erneut entscheiden

Doch dieser Freispruch wurde nun im Revisionsverfahren aufgehoben. Die Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor. In der Verhandlung konzentrierte man sich letzte Woche auf die Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung – das Gericht ließ bis zur Verkündung nicht durchscheinen, in welche Richtung es entscheiden werde. Und so lässt sich bislang lediglich der Pressemitteilung entnehmen, was die Karlsruher Richter bewegte. Doch so viel ist klar: Eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts wird nun erneut über die Vorwürfe gegen den bayerischen Apotheker zu befinden haben. Dieser muss mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe rechnen.

Die Zulassungspflicht entfalle nicht dadurch, dass aus dem Arzneimittel Gemzar durch Hinzugabe von Kochsalzlösung eine Injektionslösung zubereitet werde, heißt es in der Presseerklärung des Gerichts. Und weiter: "Die Verbringung eines Fertigarzneimittels in seine anwendungsbereite Form macht aus ihm kein Rezepturarzneimittel; hierfür bedarf es vielmehr der Durchführung wesentlicher Herstellungsschritte in der Apotheke." Die Pflicht zur Zulassung bestehe damit fort und hätte in einem vereinfachten Verfahren erreicht werden können. Mit dem Verstoß gegen die Zulassungspflicht habe sich der Apotheker strafbar nach dem Arzneimittelgesetz gemacht. Ebenso komme eine Strafbarkeit wegen Betruges in Betracht, weil für nicht zugelassene Medikamente kein Erstattungsanspruch bestehe. Damit, so der BGH, liege ein Schaden in voller Höhe der von den Krankenkassen und privat versicherten Patienten zu Unrecht erstatteten Beträge vor.

Stirbt die Rezeptur?

Dieses Urteil des BGH könnte Auswirkungen auf die ähnlichen, noch anhängigen Fälle haben. Der Verteidiger des angeklagten Apothekers, Rechtsanwalt Heinz-Uwe Dettling, setzt jedoch darauf, dass mit der Entscheidung des 1. Strafsenats das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Aus seiner Sicht ist das Urteil "schockierend" und die ihm zugrunde liegende Rechtsauffassung "unvertretbar". Sie widerspreche den gesetzlichen Definitionen der Begriffe "Fertigarzneimittel" und "Rezepturarzneimittel". Es stelle sich die Frage, wie nach dieser Entscheidung die Versorgung von Patienten mit Zytostatikazubereitungen durch Apotheken und mit Rezepturen überhaupt noch rechtlich möglich sein soll. "Der 1. Strafsenat hat das Arzneimittelrecht neu erfunden und lässt einen ratlos zurück”, so der Anwalt gegenüber der AZ. Doch er hat noch Hoffnung: Es gibt vier weitere Strafsenate am BGH – und ihre Zuständigkeit in Revisionsverfahren ist regional aufgeteilt. Würde etwa ein derartiges Zyto-Verfahren aus Norddeutschland in Karlsruhe landen, könnte ein anderer Strafsenat eine abweichende Rechtsauffassung vertreten. Dies wäre dann ein Fall für den Großen Strafsenat. Vorstellbar ist für Dettling aber auch, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen – dazu müsste allerdings zunächst eine endgültige Entscheidung vorliegen.

Dettling fürchtet, dass das Urteil nicht nur für zytostatikaherstellende, sondern auch für alle anderen Apotheken, die Rezepturen herstellen, "dramatische Bedeutung" erlangen könnte. Insbesondere, wenn man es mit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. März 2011 in Zusammenhang bringt. Darin wurden in weitgehendem Umfang auch schon Ausgangsstoffe als Fertigarzneimittel eingeordnet – vorliegend TCM-Granulate. Somit könnte ohne Weiteres auch in der Herstellung von Salben ein nur unwesentliches Verbringen eines Fertigarzneimittels in seine anwendungsbereite Form gesehen werden, gibt Dettling zu bedenken. "Dann wäre jede, in der Apotheke hergestellte Salbe ein zulassungspflichtiges, aber nicht zugelassenes Fertigarzneimittel und sein Inverkehrbringen ohne Zulassung strafbar".

Graue: Ein Sieg für den Berufsstand

Seitens der ABDA und des Verbands zytostatikaherstellender Apotheken (VZA) wollte man sich noch nicht zur Entscheidung des BGH äußern. Man möchte zunächst die Urteilsgründe abwarten. Vollauf zufrieden zeigt sich dagegen schon jetzt der Vorsitzende des Hamburger Apothekerverbandes, Jörn Graue. "Das Urteil ist aus ordnungspolitischer, arzneimittelrechtlicher und pharmazeutischer Sicht ein Sieg für den Berufsstand", erklärte er gegenüber der AZ, "und eine Niederlage für die wenigen schwarzen Schafe". Er hatte die Verfahren von Anfang an kritisch begleitet. Graue hatte sich stets dafür stark gemacht, dass nicht zugelassene Ware in Deutschland nicht eingesetzt werden darf. Seine Auffassung sieht er nun vom BGH bestätigt: Auch er blieb überzeugt, dass es sich bei der Herstellung der anwendungsfertigen Infusionen nicht um zulassungsfreie Rezepturen handelt. Aus seiner Sicht handelt es sich um ein bloßes "Verdünnen", eine Rekonstitution, die nichts daran ändere, dass man es mit einem Fertigarzneimittel ohne Zulassung nach § 21 AMG zu tun hat.



AZ 2012, Nr. 37, S. 1

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