Gesundheitspolitik

"Das kann es nicht sein"

Kritik an Politik vereint die Verbände

München (ral). Die unzureichende Anpassung des Apothekenhonorars sowie die Diskussionen um die Ausgangsbasis für die Verhandlungen des Apothekenabschlags standen im Mittelpunkt der Rede von DAV-Chef Fritz Becker zur Eröffnung der diesjährigen Expopharm. Sein kurzes und klares Fazit: "Wir sind nicht zufrieden". In seiner Kritik an der Politik war er sich – wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten – einig mit den Rednern der Pharmaindustrie. Für alle stand fest: Den Herausforderungen ist man nur gewachsen, wenn alle an einem Strang ziehen.
Fritz Becker

Dass das Apothekenhonorar nach nunmehr fast zehn Jahren überhaupt angepasst wird, wertete Becker eingangs als erfreulich. Auch räumte er ein, dass nicht zu erwarten gewesen sei, dass die unterbliebenen Anpassungen der vergangenen Jahre auf einen Schlag nachgeholt werden. Scharfe Kritik übte er jedoch an der Rechenmethodik des Bundesministeriums für Wirtschaft (BMWi), das den Rohertragsanstieg der letzten Jahre aus den Forderungen der Apotheker herausgerechnet hat und so bei nur 25 Cent Honoraranpassung gelandet ist. Der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbands betonte, dass dieser Rohertragsanstieg seine Ursache in einem Mehr an Packungen und damit konsequenterweise einem Mehr an apothekerlichen Leistungen hat. Dies zu ignorieren, nannte Becker "zutiefst leistungsfeindlich". Die Apothekerbranche werde damit dauerhaft auf dem Einkommensniveau des Jahres 2004 gedeckelt – ohne Inflationsausgleich und ohne Teilhabe an der wirtschaftlichen Entwicklung. Becker: "Das kann es nicht sein. So etwas gibt es in keinem Berufszweig im Gesundheitswesen." Auch wenn die Politik mittlerweile neben der Honorarerhöhung um 25 Cent eine strukturelle Vergütung des Nacht- und Notdienstes zugesagt habe, das Fazit könne nur lauten "Wir sind damit nicht zufrieden".

Das gelte auch für die Diskussionen um die Festsetzung des Apothekenabschlags, die es eigentlich gar nicht geben dürfe. "Unser Ausgangspunkt für die Verhandlungen entspricht dem, was uns politisch fest zugesagt worden ist: Das AMNOG-Sonderopfer ist auf zwei Jahre befristet, es ist vom Status quo ante aus zu verhandeln, und der lautet unmissverständlich: 1,75 Euro", so Becker. Für den Fall, dass der GKV-Spitzenverband das anders sehen sollte, werde es nicht viel zu verhandeln geben. Der DAV werde dann sehr schnell die Schiedsstelle anrufen.

Trümper: Netzwerke bilden

Dr. Thomas Trümper

Dr. Thomas Trümper, Vorsitzender des Bundesverbands des pharmazeutischen Großhandels (Phagro), zeigte bei seinen Grußworten Verständnis für die Verärgerung der Apotheker angesichts unzureichender Honorierung und weiterer Baustellen wie Apothekenabschlags-Diskussion, Nicht-Lieferbarkeit von Impfstoffen, unangemessener Retaxierung und nicht zuletzt der Rabattvertragsprobleme. Letztere bezeichnete Trümper als ein "hervorragendes Beispiel" für nicht vernetztes Denken. Der Gesetzgeber greife hier in die komplexe Prozesskette der Arzneimittelversorgung ein, ohne die starke Vernetzung innerhalb der Kette zu berücksichtigen. Den Preis hierfür zahlten der Großhandel, die Apotheken und nicht zuletzt die Patienten. Trümper dazu: "Es ist keine Schande, wenn man den hochkomplexen Prozess des Arzneimittelvertriebs nicht überblickt. Es ist aber eine Schande, wenn man so tut als ob." Um in diesem komplexen System bestehen zu können, setzt Trümper auf ein stärker vernetztes Denken und Arbeiten im Gesundheitswesen, speziell in der Arzneimittelversorgung.

BAH plant Kampagne zur Selbstmedikation

Hans-Georg Hoffmann

Hans-Georg Hoffmann, der die Grüße des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH) überbrachte, zeigte die Nöte seiner Mitgliedsunternehmen auf. In diesem Jahr müssten die Hersteller mehr als 3,2 Milliarden Euro an Zwangsabschlägen leisten. Wie bei den Apothekern und beim Großhandel sei die finanzielle Lage daher auch bei den Herstellern angespannt. Trotzdem seien die Arzneimittelhersteller weiterhin gewillt, ihre Verantwortung für Arzneimittel als Ware der besonderen Art wahrzunehmen und sich zu engagieren. Ein Aspekt dieses Engagements ist eine Kampagne, die der BAH im kommenden Jahr starten will. Ziel der Kampagne ist es, die Wertigkeit und den Stellenwert des Arzneimittels in der Bevölkerung zu erhöhen. Dabei richtet sich der BAH insbesondere auf Selbstmedikations-Arzneimittel. "Aus aktuellen Marktforschungsstudien wissen wir, dass bei vielen Verbrauchern eine gewisse Bildlosigkeit herrscht, wenn es um OTC-Arzneimittel geht", so Hoffmann. Der BAH will daher ein neues Bild oder einen Claim für den "doch eher zum Reizwort gewordenen" Begriff Selbstmedikation entwickeln. Die Vertreter der Apothekerschaft lud Hoffmann dazu ein, die "Selbstmedikation unter welchem Begriff auch immer voranzubringen".

BPI: Spar-Mentalität in neuer Dimension

Henning Fahrenkamp

Henning Fahrenkamp, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), sagte, dass es aus Sicht seiner Mitgliedsunternehmen vor allem die frühe Nutzenbewertung und die folgenden Erstattungspreisverhandlungen seien, die die Spar-Mentalität des GKV-Spitzenverbands und des G-BA in eine neue Dimension führten. Dabei gehe es primär darum, "den Preisanker auf niedrigstem Niveau zu werfen" und einen möglichen Zusatznutzen zu negieren. Die Folge sei, dass innovative Arzneimittel plötzlich nicht mehr erhältlich wären – und Ärzte und Apotheker ihren Patienten demnächst erklären dürften, warum sie ein Arzneimittel, das es in England oder Frankreich gibt, in Deutschland nicht erhältlich ist. Die Apotheker rief Fahrenkamp angesichts dieser Aussichten dazu auf, mit der Industrie gemeinsam daran zu arbeiten, "dass das Denken der Politik und in Krankenkassenkreisen wieder positiver für diejenigen wird, die die Leistungen in hoher Qualität erbringen."

VFA: Innovationen wertschätzen

Han Steutel

Auch Han Steutel, Vorstandsmitglied im Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa), sprach das Thema Innovationen in seinen Grußworten an. Er betonte, dass nach wie vor ein hoher Bedarf an innovativen Arzneimitteln besteht. Derzeit gebe es erst für ein Drittel der bisher ca. 30.000 bekannten Krankheiten gute Behandlungsmöglichkeiten. Die frühe Nutzenbewertung nannte Steutel eine neue Hürde für Innovationen, die von einer mangelnden Wertschätzung und Anerkennung begleitet werde.




Pro Generika: Paradoxe Politik

Wolfgang Späth, Vorstandsvorsitzender von Pro Generika, wurde noch deutlicher. Er bezeichnete die schwarz-gelbe Gesundheitspolitik als paradox, da er als Verbandsvorsitzender eine ganze Menge anderer Bezeichnungen, die ihm einfallen würden, nicht aussprechen dürfe. Als Beispiel für seine Bewertung nannte Späth den Umstand, dass die AOK Rabattverträge zu Analogpräparaten wie Zyprexa®, Atacand® und Blopress® abgeschlossen hat, die im aktuellen Arzneiverordnungsreport als Kostentreiber genannt werden. Durch die Verträge werde es Erstanbietern erst ermöglicht, auch nach Patentablauf mit unverändert hohen Listenpreisen hohe Umsätze zu erzielen und die Marktdurchdringung von Generika zu behindern. Während der AVR die hohen Preise der Analogpräparate anprangere, förderten die AOKs diese durch ihre Rabattvertragspolitik. Wolfgang Späth: "Das ist nicht nur paradox, das ist geradezu absurd."

Wolfgang Späth Fotos: AZ/Schelbert

Erfolgsmodell Securpharm

Bei allem Negativen gab es bei der Eröffnung der Expopharm jedoch auch positive Töne. Als Erfolgsmodell und vorbildhaft für eine gut vernetzte Zusammenarbeit nannten alle Redner die Initiative Securpharm. Gemeinsam habe man damit ein Sicherheitssystem entwickelt, mit dem sich künftig die Echtheit von Arzneimitteln in der Apotheke prüfen lassen, sagte z. B. Steutel. Damit könne man Vorreiter einer Entwicklung werden, die bereits durch die EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen vorgezeichnet sei.





AZ 2012, Nr. 42, S. 7

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