Gesundheitspolitik

Grippe-Impfstoffe bleiben Mangelware

Chaos in Bayern, Schleswig-Holstein und Hamburg noch immer nicht ausgestanden

Berlin (ks). Trotzdem in Bayern, Schleswig-Holstein und Hamburg mittlerweile Grippe-Impfstoffe aller Hersteller an gesetzlich Krankenversicherte verimpft werden dürfen, ist die Situation weiterhin angespannt. Die bayerischen Apotheken melden, dass sie Impfstoffe nicht oder nicht in ausreichendem Umfang erhalten. In Hamburg hat der Apothekerverein ebenfalls eine Fax-Abfrage zur Situation in den Apotheken gestartet. Die Kassen hingegen bleiben gelassen.

Die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bayern (ARGE) meldete letzten Mittwoch, im Freistaat stünden derzeit rund 800.000 Impfdosen zur Verfügung. Sie würden laufend vom Großhandel an Apotheken und Ärzte ausgeliefert; weitere Lieferungen seien erwartet. "Die Versorgung der an der Grippeschutzimpfung interessierten Versicherten und insbesondere der Risikogruppen ist damit sichergestellt", heißt es in einer Pressemitteilung der ARGE. "Der empfohlene Impfzeitraum wird voll und ganz eingehalten". Die 800.000 Dosen können aber nur ein Anfang sein. Von Novartis Vaccines sollten eigentlich 1,9 Millionen Dosen nach Bayern geliefert werden.

Kassen zweifeln nicht an Ausschreibungsverfahren

Zugleich erklärte die ARGE, die Krankenkassen prüften derzeit Schadenersatzforderungen gegenüber Novartis Vaccines. Grundsätzlich stellt sie aber klar, dass die Kassen an der Ausschreibung von Impfstoffen festhalten wollen. Sie verweist auf Generika-Rabattverträge, die nach "anfänglich erbittertem Widerstand" nun seit vielen Jahren sehr erfolgreich liefen. "Die Krankenkassen zweifeln nicht daran, dass mit Rabattverträgen auch bei Impfstoffen die Versorgungssicherheit gewährleistet werden kann". Das Instrument der Ausschreibung aufzuheben, würde lediglich den wirtschaftlichen Interessen der Pharma-Unternehmen entgegenkommen – zulasten der Beitragszahler. Unklare Lieferverzögerungen eines einzelnen Unternehmens dürften nicht der Anlass sein, ein erfolgreiches Modell auszuhebeln, so die ARGE.

BAV: Künftig vernünftige vertragliche Lösungen

Beim Bayerischen Apothekerverband (BAV) sieht man dies ganz anders. Eine Faxumfrage hat bis Freitagfrüh Rückmeldungen von mehr als 1200 bayerischen Apotheken ergeben. Sie erklärten, dass sie Impfstoffe derzeit gar nicht oder zumindest nicht in ausreichender Menge beziehen können. "Es gibt inzwischen nur noch Verlierer, aber keine Gewinner mehr. Die Leidtragenden sind letztlich die Patienten, die sich nicht impfen lassen können", so das Urteil des BAV-Vorsitzenden Dr. Hans-Peter Hubmann. Es sei "absolut unverständlich", dass eine per Ausschreibung gewonnene und zugesagte Menge an Impfstoff aufgrund von Produktionsverzögerungen so spät in den Markt kommen soll, dass sie nahezu nicht mehr verimpft werden könne. Hubmann weiter. "Wir haben immer wieder betont, dass Ausschreibungen für Impfstoffe große Risiken bergen. Für die nächste Saison setzen wir auf vernünftige vertragliche Lösungen, damit Patienten rechtzeitig und ausreichend geimpft werden können."

Das Ausweichen auf andere Hersteller ist ebenfalls nicht so einfach, wie sich die Kassen gedacht haben mögen. Es ist verständlich, dass die Konkurrenz von Novartis Vaccines die Produktion zurückgefahren hat. Die Firmen wollen nicht auf den Impfstoffen sitzen bleiben. Und so läuft die Lieferung anderer Hersteller nur tröpfchenweise. Solange diese Unternehmen damit rechnen müssen, dass Novartis doch noch liefern darf, ist kaum damit zu rechnen, dass sie ihre Produktion wieder steigern.

Zur Verfügung steht derzeit der Novartis-Impfstoff Optaflu. Doch wie vom Hamburger Apothekerverein zu hören ist, ist dieser nicht der Favorit der Ärzte und Patienten. Mutmaßlich ein Drittel der Gesamtmenge werde aktuell nicht angenommen, heißt es in einem Fax-Info des Vereins. Grund seien psychologische Vorbehalte. In den Medien wurde Optaflu mit dem Verdacht in Verbindung gebracht, krebserregend zu sein. Auch die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein betont, die Ärzte seien "selbstverständlich berechtigt", Impfstoffe nicht zu akzeptieren, gegen die sie medizinische Vorbehalte haben. Die Kassen hätten schriftlich zugesichert, dass alle Impfstoffverordnungen über Sprechstundenbedarf bis zur Verfügbarkeit von Begripal ohne Kanüle nicht zu Regressen führen. Auch der Vorsitzende des Hamburger Apothekervereins, Dr. Jörn Graue, bestätigt, dass ein etwaiger Verwurf nicht verbrauchter Impfstoffe weder Ärzten noch Apotheken angelastet werden soll.

In der Politik kommt das Impfstoffchaos ebenfalls langsam an. Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn, erklärte: "Bei Impfstoffen müssen wir das Instrument der Ausschreibungen überprüfen. Generell wollen wir für steigende Impfquoten sorgen. Das sollte ein zentraler Teil unserer Neuregelungen bei der Prävention sein."



AZ 2012, Nr. 43, S. 8

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