Gesundheitspolitik

Von Digital Natives und Digital Immigrants

Digital Natives sind in aller Munde. Es handelt sich dabei um Personen, die mit den digitalen Technologien aufgewachsen sind. Deswegen werden diese digitalen Eingeborenen auch in einem Atemzug genannt, wenn es um das Internet, um Mobiltelefone oder MP3-Player geht. Demgegenüber werden alle Personen, die nicht von Geburt oder in frühen Jahren quasi automatisch mit diesen Technologien konfrontiert wurden als Digital Immigrant bezeichnet, also jemand, der als digitaler Einwanderer gilt. Die Natives denken in der Regel parallel, sie sind Multi-Media-affin, nutzen mehrere Ressourcen gleichzeitig (multi-ressource-Ansatz) und sind multi-tasking-fähig. Digital Immigrants indes sind eher single-tasking-orientiert, denken nicht parallel, sondern sequenziell, sind textorientiert und arbeiten nach dem limited-ressource-Ansatz, also eines nach dem anderen.

Wenn man sich also die Digital Natives genauer anschaut, sind diese nach 1982 geboren (danach wurde zunächst der Umgang mit Computern, dann mit dem Internet und Mobiltelefonen, dann mit MP3-Playern und schließlich mit Social-Media-Plattformen selbstverständlich). Sie nutzen seit frühester Kindheit moderne Informations- und Kommunikationssysteme. Man sagt, dass in nahezu allen Industrienationen mehr Dreijährige den Grundaufbau eines Smartphones beherrschen als sich selbst die Schuhe binden können.

Die Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung verläuft deutlich rascher als bei den Immigrants. Die Digital natives sind ständig mit Freunden und Fans via Internet verbunden (always connected) und leben nach dem induktiven Lernen bzw. dem trial-and-error-Prinzip. Phantasiewelten, schnelle feedback-Mechanismen und die Tendenz zur Aktion sind für diese Menschen charakteristisch.

Wichtig ist, dass diese Digital Natives von anderen Werten und Vorstellungen geprägt sind als die Vorgänger-Generationen und schon sehr frühzeitig mit einer Fülle an Informationen versorgt wurden, die sich auch auf das Informations-, Kommunikations- und Kaufverhalten auswirken.

Und was heißt dies für den stationären Handel generell und für Apotheken im Speziellen? Die Gruppe der Digital Natives sind die nachrückenden Verbraucher. Ein Teil von ihnen – die etwas Älteren – sind die Internetkäufer von heute, ein weiterer Teil versucht sich schon seit Längerem mit Mobile Commerce, also dem Einkaufen über Smartphone. Man mag dies verteufeln und für technischen Schnickschnack einstufen, eine Übergangserscheinung ist es nicht, im Gegenteil, dies ist erst der Anfang einer technischen Revolution, die die Frage aufwirft, was dies für klassische Ladenlokale bedeutet. Im Bereich der rezeptpflichtigen Arzneimittel mag der klassische Weg über den Arzt zum Apotheker nach wie vor angezeigt sein und dies kann und wird wohl noch ein Weilchen so laufen. Bereits bei den nicht-rezeptpflichtigen Arzneimitteln sieht man den technischen Fortschritt und die Distributionsmöglichkeiten. Aber auch im Bereich des Marketings sind die Werbe- und Verkaufsförderungsmöglichkeiten dieser technischen Errungenschaften gigantisch. Es spricht den mittelalten Menschen vielleicht nicht an, eventuell lässt man sich von der Faszination derlei Möglichkeiten weit weniger beeindrucken als die jüngeren Alterskohorten, aber diese rücken nach und Management bedeutet im Sinne der Sicherung des Geschäftsmodells auch, sich in Zukunft mit den Entwicklungen auseinanderzusetzen und zu prüfen, inwieweit sie bereits heute bedacht und ggf. sogar eingesetzt sein müssen.

Junge Kunden sind in Apotheken klar in der Minderheit, dies bedeutet, dass Aktionismus in Sachen Digital Natives nicht nötig ist. Aber es ist auch nicht angeraten, den Kopf in den Sand zu stecken und das Thema zu verdrängen. Die, die nachkommen, sind diese Technologien nicht nur gewohnt, sie beherrschen sie viel besser als das normale Einkaufen im Handel und sie haben sich auf die Schnelligkeit und all die anderen Attribute des Einkaufens eingestellt, die sich vom stationären Einkaufsgeschäft unterscheiden. Will man also auch diese Kunden gewinnen und behalten, wird man sich sukzessive in die Welt der Digital Natives hineindenken müssen. Dies fällt den Immigrants extrem schwer, denn die Techniken, die man nicht in frühen Jahren lernt, sind mit einem deutlich höheren Lernaufwand verbunden. Ob man alles selbst können muss, sei dahingestellt, aber die Funktionsweise, die Idee und auch die Möglichkeiten der digitalen Welt sollte man kennen. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. In einer immer schneller werdenden Welt ist dies Sprichwort aktueller denn je.


Andreas Kaapke

Andreas Kaapke ist Professor für Handels-management und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Standort Stuttgart, und Inhaber des Bera-tungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte.
E-Mail: a.kaapke@kaapke-projekte.de



AZ 2012, Nr. 49, S. 2

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