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Pharma- und Praxisvertreter nicht ohne Stimmrecht!

BAH: Keine Änderung der Stimmrechte im Sachver ständigen-Ausschuss für Verschreibungspflicht

Das Bundesministerium für Gesundheit beabsichtigt eine Neuregelung der Stimmrechte im Sachverständigen-Ausschuss für Verschreibungspflicht. Danach sollen Vertreter der Praxis und der pharmazeutischen Industrie nur noch ohne Stimmrecht an den Sitzungen des Sachverständigenausschusses für die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln angehören dürfen. Dr. Elmar Kroth, Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH) führt in seiner nachfolgenden Stellungnahme aus, warum die bisherige Regelung beibehalten werden sollte.
Das Bundesgesundheitsministerium plant die Stimmrechte im Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht zu ändern. Dagegen wehrt sich der Bundesverband der Arzneimittelhersteller. Foto: DAZ/Sket

Mit der Einführung des "neuen" Arzneimittelgesetzes im Jahr 1976 – also vor rund 35 Jahren – wurde auch der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht als Beratungsgremium des zuständigen Bundesministeriums in allen Fragen der Vertriebsabgrenzung zwischen Verschreibungs- und Apothekenpflicht eingeführt. Seit dieser Zeit blieb auch die in § 53 AMG festgelegte Zusammensetzung des Ausschusses unverändert. Derzeit sieht der § 53 "Anhörung von Sachverständigen" folgende Regelungen vor:

(1) Soweit nach § 36 Abs. 1 [Standardzulassungen], § 45 Abs. 1 und § 46 Abs. 1 [jeweils] vor Erlass von Rechtsverordnungen Sachverständige anzuhören sind, errichtet hierzu das Bundesministerium durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrats einen Sachverständigen-Ausschuss. […]

(2) Soweit nach § 48 Abs. 2 [Verschreibungspflicht] vor Erlass der Rechtsverordnung Sachverständige anzuhören sind, gilt Abs. 1 entsprechend mit der Maßgabe, dass dem Ausschuss Sachverständige aus der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft und Praxis und der pharmazeutischen Industrie angehören sollen."

Im Einzelnen festgelegt wurde die Zusammensetzung des Ausschusses durch die "Verordnung zur Errichtung von Sachverständigenausschüssen für Standardzulassungen, Apothekenpflicht und Verschreibungspflicht von Arzneimitteln" vom 2. Januar 1978 (BGBl. I S. 30, zuletzt geändert durch Art. 4 § 3 des Gesundheitseinrichtungen-Neuordnungs-Gesetzes vom 24. Juni 1994 [BGBl. I S. 1416]).

Gemäß § 2 Abs. 3 dieser Verordnung umfasst der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht die folgenden 15 stimmberechtigten Mitglieder:

  • drei Hochschullehrer der Pharmakologie

  • einen Hochschullehrer der Medizinischen Statistik und Epidemiologie

  • einen Hochschullehrer der Pharmazie

  • jeweils einen Arzt bzw. Facharzt für Allgemeinmedizin, Innere Medizin und Kinderkrankheiten

  • jeweils einen Zahnarzt, Tierarzt und Heilpraktiker

  • einen Vertreter der Apothekerschaft

  • zwei Vertreter der humanpharmazeutischen und einen Vertreter der veterinärpharmazeutischen Industrie.

Pharma- und Praxisvertreter ohne Stimmrecht?

Mit dem Referentenentwurf zur 16. AMG-Novelle, der am 2. Dezember 2011 publiziert wurde, wird jetzt erstmals eine Änderung der jahrzehntelangen bewährten Regelung vorgeschlagen. So wird nun für § 53 Folgendes vorgeschlagen:

b) In Absatz 2 werden die Wörter "und Praxis und der pharmazeutischen Industrie" gestrichen und es wird folgender Satz angefügt:

"Die Vertreter der Praxis und der pharmazeutischen Industrie nehmen ohne Stimmrecht an den Sitzungen teil."

Relativ eindeutig ist, wer mit "Vertreter der pharmazeutischen Industrie" gemeint ist. Demgegenüber lohnt sich ein Blick auf die Frage, wer die "Vertreter der Praxis" sind, die ebenfalls ihr Stimmrecht im Ausschuss verlieren sollen. So ist es nach mündlicher Aussage von Vertretern des Bundesministeriums für Gesundheit tatsächlich intendiert, dass ausgerechnet alle diejenigen, die durch ihre tägliche Arbeit am und mit den Patienten aus erster Hand Erfahrungen über Arzneimittel einbringen können – also der Allgemeinmediziner, der Internist, der Pädiater, der Zahnarzt, der Tierarzt und der Heilpraktiker – , von einer Beteiligung an der Abstimmung ausgeschlossen werden sollen. Das Gleiche gilt auch für die Vertreter der Apothekerschaft!

Damit würden in Zukunft nur noch die fünf Hochschullehrer der Pharmakologie (3), der medizinischen Statistik (1) und der Pharmazie (1) stimmberechtigt sein, während den praktisch tätigen Ärzten und dem Heilpraktiker ebenso wie den Vertretern der Apothekerschaft, der human- und veterinär-pharmazeutischen Industrie das Stimmrecht entzogen wird.

Darf nur noch ein Drittel des Ausschusses abstimmen?

Wie wird nun diese Beschränkung des Stimmrechts im Extremfall auf lediglich ein Drittel der Mitglieder des Ausschusses begründet? Ziehen wir hierzu die amtliche Begründung des Referentenentwurfes zurate. Dort heißt es zu Nummer 43 (§ 53 Anhörung von Sachverständigen):

"Fragen der Arzneimittelsicherheit müssen auf Basis rein wissenschaftlich fundierter Voten entschieden werden. Daher sollen zukünftig nur die Vertreter der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft stimmberechtigt in dem Ausschuss sein. Die Vertreter der pharmazeutischen Industrie und der Praxis nehmen an den Beratungen teil, haben aber zukünftig kein Stimmrecht. Zum Zeitpunkt der Etablierung des Sachverständigenausschusses stand die Frage der Verschreibungspflicht nicht in unmittelbarem Zusammenhang auch mit ökonomischen Folgen. Durch geänderte sozialrechtliche Rahmenbedingungen hat sich dies geändert. Zur Stärkung des rein wissenschaftlich ausgerichteten Sachverständigenausschusses bedarf es daher einer Neujustierung der Stimmverhältnisse."

Außerdem wird an dieser Stelle ein Prüfauftrag genannt, auch die Zusammensetzung und die Stimmrechtverteilung in den anderen Gremien und Ausschüssen zu überprüfen:

"Über diese Änderung hinaus ist zu prüfen, ob auch die Regelungen zu den weiteren Ausschüssen und Kommissionen nach § 25, § 53 Absatz 1 (Ausschüsse für Standardzulassungen und Apothekenpflicht) und § 55 (Arzneibuchkommission) einer Novellierung bedürfen."

Abgesehen davon, dass die Frage der Vertriebsabgrenzung zwischen Verschreibungs- und Apothekenpflicht immer schon mit erheblichen wirtschaftlichen Konsequenzen verbunden war, sprechen aus Sicht des BAH eine ganze Reihe von Argumenten für die Beibehaltung der bisherigen Zusammensetzung und Stimmrechtverteilung:

1. Bisherige Zusammensetzung hat sich über Jahrzehnte bewährt und gewährleistet eine ausgewogene Interessenabwägung. Wie bereits angesprochen, hat sich die derzeitige Zusammensetzung über Jahrzehnte bewährt. Durch die Zusammensetzung mit Repräsentanten aus allen betroffenen Bereichen (unter Einschluss der Experten vonseiten der Industrieverbände) sind die Diskussionen breit gefächert und die daraus resultierenden Voten ausgewogen. Negative Auswirkungen auf die Patientensicherheit haben sich über die mehr als drei Jahrzehnte nicht ergeben, wie man an den Empfehlungen dieses Gremiums ablesen kann. Der komplette Sachverstand aller Beteiligten sollte bereits in der Diskussion eines Sachverhaltes und bei der Abstimmung im Sachverständigenausschuss einbezogen werden und nicht erst im Nachhinein im Zuge einer Anhörung zu einem Verordnungsentwurf. Nachträgliche Stellungnahmen der Industrie im Rahmen von Anhörungen müssten ansonsten ggfs. erneut mit dem Sachverständigenausschuss abgestimmt werden.

Durch die breite und frühzeitige Einbindung von Experten aller Bereiche und Verkehrskreise wird in bestmöglicher Weise dem Gedanken der Ausgewogenheit und der Transparenz Rechnung getragen.

2. Bisherige Stimmrechtsverteilung gefährdet keineswegs die Wissenschaftlichkeit der Bewertung. In der bisherigen Zusammensetzung verfügen die Vertreter der human- und veterinärpharmazeutischen Industrie lediglich über drei von insgesamt 15 Stimmen. Die eindeutige Stimmenmehrheit liegt bereits heute bei den Vertretern der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft sowie den praktisch tätigen Ärzten. Die Befürchtung, dass der wissenschaftliche Charakter des Abstimmungsergebnisses durch industriegetriebene Interessen überlagert werden könnte, ist daher unbegründet.

3. Empfehlender Charakter der Beschlüsse der Sachverständigenausschüsse. Schließlich haben die Beschlüsse der Sachverständigenausschüsse ohnehin nur empfehlenden Charakter. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) kann in den zu erstellenden Verordnungen von diesen Empfehlungen abweichen; das BMG hat hiervon in ausgewählten Fällen auch Gebrauch gemacht. Eine ergänzende Korrektur ist durch das Verordnungsgebungsverfahren möglich, das auch eine Zustimmung des Bundesrates als Repräsentanz der Bundesländer vorsieht. Auch dies ist in ausgewählten Fällen schon erfolgt.

Zusammenfassend ergibt sich: das jetzige Verfahren und die Verteilung der Stimmrechte haben sich sehr bewährt. Es gewährleistet eine effiziente und unbürokratische Vorgehensweise, die aufgrund der guten Erfahrungen nicht geändert werden sollte.



DAZ 2012, Nr. 1, S. 31

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