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Wie man mit der frühen Nutzenbewertung umgehen soll

GD-Symposium zur Gesundheitsökonomie zeigt Fragen und Antworten auf

BERLIN (tmb). Die frühe Nutzenbewertung für neue Arzneimittel stand im Mittelpunkt des Symposiums der Fachgruppe Dermatotherapie der Gesellschaft für Dermopharmazie (GD) bei der GD-Jahrestagung am 1. März in Berlin. Die Fachgruppe beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit gesundheitsökonomischen Themen. Das neue Bewertungsverfahren, das 2011 mit dem AMNOG eingeführt wurde, verändert die Marktregeln für neue Arzneimittel grundsätzlich.

Dr. Thomas Müller-Bohn, Süsel, zeigte anhand der bisher veröffentlichten Bewertungen Probleme und offene Fragen auf. So würden mit großem Aufwand "Anhaltspunkte", "Hinweise" und "Belege" für "geringen", "beträchtlichen" oder "erheblichen" Zusatznutzen unterschieden, doch sei bisher nicht zu erkennen, welche Folgen dies für die spätere Preisbildung hat. Als bisherige Hauptprobleme der frühen Nutzenbewertung hob Müller-Bohn den Dissens über die Vergleichsmedikation und die Aufteilung der Indikation in Teilgruppen hervor. Außerdem würden die Vorgaben der Arzneimittelnutzenbewertungsverordnung einen Vergleich innerhalb einer Substanzklasse und damit eine Klärung des "Me-too-Verdachts" unmöglich machen. Wenn das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Vergleichsmedikation des Herstellers nicht anerkennen und daher die eingereichten Studien nicht berücksichtigen, diene dies nicht dem Erkenntnisgewinn, so Müller-Bohn. Die Probleme könnten gelöst werden, wenn bereits vor Beginn der Studien Vereinbarungen über die Vergleichsmedikation und die Aufteilung der Indikation geschlossen würden. Welche praktische Bedeutung die Schwierigkeiten der Bewertung letztlich haben werden, könne sich aber erst zeigen, wenn Erfahrungen über die Preisverhandlungen vorliegen. 

Dr. Oliver Macheleidt sprach im Rahmen der GD-Tagung über praktische Erfahrungen mit der frühen Nutzenbewertung. Foto: DAZ/tmb

Lernendes System

Über praktische Erfahrungen mit der frühen Nutzenbewertung berichtete Dr. Oliver Macheleidt, Neu-Isenburg, der die Markteinführung eines Ingenolmebutat-Gels vorbereitet. Das Produkt enthält ein Diterpen aus Euphorbia peplus, dient zur Behandlung aktinischer Keratosen innerhalb von drei Tagen und wurde im Januar in den USA zugelassen. Macheleidt betonte, dass alle Beteiligten die frühe Nutzenbewertung als lernendes System betrachten. Damit fehle den Unternehmen Planungssicherheit, aber der G-BA zeige sich sehr aufgeschlossen für Diskussionen.

Bereits vor der vergleichenden Bewertung müssten für das Nutzendossier zahlreiche Informationen mit großem Aufwand gesammelt werden, beispielsweise über die Erkrankung, Patientengruppen, Behandlungsoptionen, Leitlinien und zu erwartende Kosten für die GKV. Leider bestrafe das AMNOG eine schlechte Datenlage, weil das Dossier dann als unvollständig gelte. Dies schaffe einen starken Anreiz zur Förderung der Versorgungsforschung. Für die Dermatologie könnte das Regelwerk problematisch werden, weil dort vehikelkontrollierte statt placebokontrollierte Studien üblich seien. Zu der vielfach problematisierten Wahl der Vergleichsmedikation erklärte Macheleidt, die "zweckmäßige Vergleichstherapie" sollte offenbar nicht als pharmazeutisch möglichst ähnliches Produkt, sondern eher als "eine Art GKV-Mindeststandard" interpretiert werden. Wenn die Industrie diese Sichtweise akzeptiere, könne sie in dem Verfahren weiterkommen.


Dr. Gerhard Nitz sieht noch viele offene Fragen bei der Umsetzung der frühen Nutzenbewertung. Foto: DAZ/tmb

Viele offene Fragen

Von dem Verfahren können nicht nur neue Arzneimittel betroffen sein, sondern der G-BA kann auch Bestandsarzneimittel aufrufen. Nach Einschätzung von Rechtsanwalt Dr. Gerhard Nitz, Berlin, könnte ein Dossier aber nicht in der gesetzlich vorgesehenen 3-Monats-Frist erstellt werden, weshalb viele Hersteller sich bereits auf mögliche geforderte Bewertungen vorbereiten. Da Produkte, die mit den jüngsten Innovationen im Wettbewerb stehen, ohne eine frühe Nutzenbewertung einen Vorteil hätten, erwartet Nitz, dass der G-BA im Interesse der Gleichbehandlung noch in diesem Jahr die ersten Bewertungen für Bestandsarzneimittel fordern werde.

Nitz verdeutlichte die Unterschiede der frühen Nutzenbewertung zur Einstufung in Festbetragsgruppen. Festbeträge würden unabhängig vom Nutzen aufgrund des Wettbewerbs bestimmt, könnten aber durch eine Aufzahlung umgangen werden. Dagegen stütze sich die Preisverhandlung nach dem neuen Verfahren auf die aufwendige Nutzenbewertung und das Ergebnis sei bindend. Im Unterschied zu anderen Betrachtungen berücksichtige das neue Verfahren die zwangsläufig bei einer so frühen Bewertung bestehende Unsicherheit, weil auch Wahrscheinlichkeiten für den Zusatznutzen angegeben werden. Problematisch sieht Nitz die Aufteilung der Populationen durch den G-BA. Seines Erachtens sei der Wille des Gesetzgebers eher im Sinne der Betrachtung einer relevanten, in der Zulassung angegebenen Indikation zu interpretieren. Außerdem kritisierte Nitz die G-BA-Position zu orphan drugs. Denn wenn das Gesetz vorsehe, dass bei diesen Produkten der Zusatznutzen nicht ermittelt werden muss, könne auch das Ausmaß des Zusatznutzens nicht bewertet werden.

Patient Benefit Index

Eine Methode zur Bewertung und Darstellung des patientenrelevanten Nutzens präsentierte Dipl.-Psych. Christine Blome aus dem Arbeitskreis von Prof. Dr. Matthias Augustin, Hamburg. Der Patient Benefit Index (PBI) wird anhand eines standardisierten Fragebogens ermittelt, bei dem die Patienten vorgegebene Therapieziele hinsichtlich der Wichtigkeit und hinsichtlich ihrer persönlichen Zielerreichung bewerten. Der PBI wurde am Hamburger Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie für zahlreiche dermatologische Indikationen entwickelt. Das Konzept ist jedoch auf andere Indikationen übertragbar – neuerdings wird an einer Version für Asthma gearbeitet. Als weitere Neuerung stellte Blome einen PBI 2.0 vor, der eine verkürzte Version mit 12 generellen Fragen darstellt. Nach jüngsten Untersuchungen korrelieren die Ergebnisse bei atopischer Dermatitis, chronischen Beinwunden und Psorisis stark mit denen des umfangreicheren indikationsspezifischen PBI und etablierten Lebensqualitätsmaßen.


Prof. Dr. Matthias Augustin begrüßte die neue Möglichkeit der Krankenkassen, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel als Satzungsleistung anzubieten. Foto: DAZ/tmb

Versorgungsstrukturgesetz

Ein weiteres Thema des Symposiums war das Anfang 2012 in Kraft getretene Versorgungsstrukturgesetz. Prof. Dr. Matthias Augustin, Hamburg, stellte die Auswirkungen dar und betonte die neue Möglichkeit für Krankenkassen, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel als Satzungsleistung anzubieten. Welche große Bedeutung dies haben kann, zeigte Augustin am Beispiel der Neurodermitis. Gemäß einer Versorgungsstudie würden über 90 Prozent der Patienten an quälendem Juckreiz leiden. Sogar mit Behandlung sei die Lebensqualität von 59 Prozent der Patienten deutlich beeinträchtigt. Fast alle Patienten würden Mittel zur Basispflege einsetzen, die als nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel im Normalfall nicht erstattet werden. Ausnahmen sehe der G-BA nur für schwere Krankheitsformen vor. Im Gegensatz zur Sichtweise des G-BA würden die Berufsgenossenschaften Mittel zur Basispflege erstatten. Aufgrund der neuen Rechtslage könnten einzelne Krankenkassen künftig entsprechende Satzungsleistungen anbieten.

Weitere relevante Neuerungen des Versorgungsstrukturgesetzes betreffen nach Einschätzung von Augustin die Delegation ärztlicher Leistungen, die Beteiligung medizinischer Fachgesellschaften vor der Neubewertung von Behandlungsmethoden durch den G-BA, ambulante Operationen im Krankenhaus und die Beratung vor Regressen. Angesichts der demografischen Entwicklung sei auch die neu geregelte Bedarfsplanung eine sehr wichtige interdisziplinäre Arbeit im Rahmen der Versorgungsforschung. Die neue ambulante spezialfachärztliche Versorgung schaffe neue Möglichkeiten, könne aber das Leistungsgefälle zu strukturschwachen Regionen nicht verhindern. Zum Entlassmanagement führte Augustin aus, dass Wundpatienten im Durchschnitt von 5,8 ärztlichen und 4,1 nicht ärztlichen Disziplinen behandelt werden. Dies zeige die große Bedeutung des nun verbesserten Entlassmanagements.



DAZ 2012, Nr. 10, S. 28

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