Arzneimittel und Therapie

Individualisierte Therapie beim NSCLC: Phase-III-Studien mit ErbB-Inhibitor Afatinib

Bei vielen Krebsarten, so auch beim Lungenkrebs, sind Rezeptor-Tyrosinkinasen aus der ErbB-Familie überexprimiert. Der Tyrosinkinaseinhibitor Afatinib blockiert selektiv zwei dieser Vertreter (EGFR/erbB1 und HER2/erbB2) und hemmt dadurch Signalwege, die unkontrolliertes Zellwachstum begünstigen. Beim nichtkleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC), bei Kopf-Hals-Tumoren und beim Mammakarzinom wird es derzeit in Phase III geprüft.
Afatinib ist der erste irreversible Blocker der ErbB-Familie, der gegen alle relevanten ErbB-Rezeptoren gerichtet ist. Er befindet sich zurzeit in einem umfassenden Studienprogramm.

Mit ca. 47.000 Neuerkrankungen pro Jahr ist Lungenkrebs in Deutschland die dritthäufigste Krebserkrankung und mit mehr als 40.000 Todesfällen die am weitesten verbreitete krebsbedingte Todesursache. Am häufigsten tritt Lungenkrebs als nichtkleinzelliges Lungenkarzinom (NSCLC; ca. 85%), seltener als kleinzelliges Lungenkarzinom (SCLC; ca. 15%) auf.


Bedarf an wirksameren und verträglicheren Therapien

Patienten mit fortgeschrittenem oder metastasierendem Lungenkarzinom werden zurzeit vor allem mit platinbasierten Kombinations-Chemotherapien behandelt, die jedoch starke Nebenwirkungen verursachen. Eine zielgerichtete und verträglichere Behandlung erhofft man sich von Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI), die die ErbB-Wachstumsfaktor-Rezeptorenfamilie blockieren. Zurzeit sind die vier Rezeptor-Tyrosinkinasen ErbB1/EGFR, ErbB2/HER2, ErbB3/HER3 und ErbB4/HER4 bekannt, deren Überaktivierung, z. B. aufgrund von EGFR-Mutationen, zu einer unkontrollierten Zellproliferation, einer Apoptose-Hemmung, zur Anregung der Produktion angiogenetischer Faktoren und damit zu einer Förderung von Tumorwachstum und -ausbreitung führt.

Die Prävalenz dieser aktivierenden EGFR-Mutationen liegt bei Betroffenen im ostasiatischen Raum bei etwa 40% und im westlichen Raum bei rund 15%. Studien zeigen, dass diese Patienten besonders gut auf eine zielgerichtete Therapie mit reversiblen EGFR-TKI (z. B. Erlotinib) ansprechen. Aufgrund sekundärer Mutationen in EGFR können sich im Verlauf einer solchen Behandlung Resistenzen entwickeln. Das genetische Profil eines Patienten wird daher für die Auswahl der Behandlung immer relevanter. Dank moderner molekulardiagnostischer Methoden ist heute die Analyse des Mutationsstatus eines Patienten innerhalb kürzester Zeit möglich. "Patienten sollten sich daher einer genauen genetischen Analyse ihres Tumorgewebes noch vor Behandlungsbeginn, wenn möglich auch beim Auftreten von Resistenzen, unterziehen und so die Möglichkeit erhalten, mit modernen, zielgerichteten, personalisierten Therapiemethoden behandelt zu werden", sagte Prof. Dr. Jürgen Wolf, Universitätsklinikum Köln, in einem von Boehringer Ingelheim organisierten Pressegespräch.

Irreversible Blockade mit Afatinib

Die klinische Forschung konzentriert sich derzeit vor allem auf die Entwicklung irreversibler Tyrosinkinaseinhibitoren, die aufgrund ihrer festen chemischen Bindung an den Rezeptor diesen blockieren. Damit könnten sie auch unabhängig von sekundären Mutationen wirksam sein.

Die Firma Boehringer entwickelt zurzeit Afatinib, den ersten irreversiblen Blocker der ErbB-Familie, der gegen alle relevanten ErbB-Rezeptoren gerichtet ist. Die klinische Prüfung von Afatinib in der Indikation NSCLC erfolgt im LUX-Lung-1-bis-8-Studienprogramm. Darin sind sowohl Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC ohne Nachweis einer EGFR-Mutation, die mit reversiblen EGFR-TKI vorbehandelt waren (z. B. LUX-Lung 1, 4 und 5), als auch solche mit aktivierenden EGFR-Mutationen eingeschlossen. Die Ergebnisse der LUX-Lung-1-Studie bei EGFR-TKI-vorbehandelten Patienten liegen bereits vor. Erste Daten der LUX-Lung-3-Studie werden auf dem diesjährigen ASCO-Treffen der American Society of Clinical Oncology erwartet. Darin wird Afatinib gegen Cisplatin/Pemetrexed in der Erst-Linien-Therapie bei Patienten mit aktivierenden EGFR-Mutationen geprüft. In den Studien LUX-Lung 7 und LUX-Lung 8 untersucht man Afatinib erstmals im direkten Vergleich zu den reversiblen EGFR-TKI Gefitinib und Erlotinib. In drei weiteren Phase-III-Studien, LUX-Breast 1 und LUX Head & Neck 1 & 2, werden Wirksamkeit und Sicherheit von Afatinib bei Mammakarzinomen und Kopf-Hals-Tumoren untersucht.


Apothekerin Dr. Claudia Bruhn



DAZ 2012, Nr. 15, S. 40

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