Rechtsprechung

Boni auf Rx

Foto THesIMPLIFY – Fotolia.com

Warum Kammern Rx-Boni unabhängig von ihrer Höhe ahnden können

Klaus Laskowski | Als der Bundesgerichtshof (BGH) am 9. September 2010 in mehreren Entscheidungen erstmals höchstrichterlich über die Zulässigkeit sogenannter rezeptbezogener Boni urteilte, hatte sich die Branche Rechtsklarheit erhofft. Dieser Wunsch ging aber nur bedingt in Erfüllung – derzeit werden in einer Vielzahl weiterer Verfahren nach wie vor offene Rechtsfragen geklärt. Dies betrifft vor allem die Frage, ob Apothekerkammern und Aufsichtsbehörden auch in den Fällen aktiv werden dürfen, in denen der BGH ein rein wettbewerbsrechtliches Vorgehen – recht überraschend und nicht unumstritten – zumindest im Ergebnis ausgeschlossen hat. In der Praxis geht es damit um alle rezeptbezogenen Boni bis zu einem Gegenwert von einem Euro pro Position. Auch die Fälle, in denen Taler pro Rezept (Gegenwert des Talers in der Regel um die 0,50 Euro) gewährt werden, gehören in diese Kategorie.

Die bisherige Rechtsprechung ist uneinheitlich. Mit Urteil vom 29. März 2012 (Az.: BG-Ap 6/11 – nicht rechtskräftig) hat sich das Berufsgericht für die Heilberufe beim Landgericht München I der Rechtsprechung des Berufsgerichtes Nürnberg-Fürth (Urteil vom 8. Feburar 2012, Az.: BG-Ap 8/11 – nicht rechtskräftig) angeschlossen und eine Bewerbung und Gewährung rezeptbezogener Boni ebenfalls als berufsrechtswidrig beanstandet. Konkret ging es um ein Talerkonzept mit der Grundaussage: "Bis zu 3 Taler pro Rezept geschenkt!". Ein Taler konnte dabei pro Rezeptposition erlangt werden. Dieser hatte, wie aus dem Prämienkatalog hervorging, einen Gegenwert von 0,50 Euro. Das Berufsgericht stellte fest, dass sich der Apotheker einer Berufspflichtverletzung schuldig gemacht hat und verhängte deswegen eine Geldbuße von 5.000 Euro. Dem Gericht lagen dabei sowohl die schriftlichen Urteilsgründe des Berufsgerichtes Nürnberg-Fürth als auch der anderslautenden Entscheidung des Berufsgerichts am Verwaltungsgericht Mainz vom 1. Februar 2012 (Az.: BG-H 2/11.MZ – ebenfalls nicht rechtskräftig) vor. Damit gehen aktuell zwei der bislang drei in dieser Frage entscheidenden Berufsgerichte von einer berufsrechtlichen Beanstandungsmöglichkeit solcher Konzepte unabhängig vom Gegenwert der Prämie aus.

Welche verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen gibt es?

Auch im Bereich der Verwaltungsgerichte liegen unterschiedliche Auffassungen zum Einschreiten von Aufsichtsbehörden vor. Dazu zählen vor allem zwei Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 8. Juli 2011 (Untersagung eines Einkaufsgutscheines mit 1,50 Euro pro Rezeptposition auch im Sofortvollzug rechtmäßig, Az.: 13 ME 94/11; kein Sofortvollzug möglich bei Untersagung von Talern im Wert von 0,50 Euro, Az.: 13 ME 111/11). Bedeutsam ist weiter die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes Magdeburg vom 13. Juli 2011 (Az.: 1 M 95/11), mit der der Sofortvollzug einer Untersagung eines Gutscheins in Höhe von 3 Euro pro Rezept (unabhängig von der Anzahl der verordneten Arzneimittel) für rechtmäßig erklärt wurde. Daneben gab es noch eine inhaltlich aber nur auf die Lüneburger Taler-Entscheidung verweisende und damit auch textlich recht knappe Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes Nordrhein-Westfalen vom 28. November 2011 (Az.: 13 B 1136/11).

Hinsichtlich der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist zudem einschränkend darauf hinzuweisen, dass es – anders als im Berufsrecht – bislang noch keine sogenannten Hauptsacheentscheidungen gibt. Die bislang mit der Frage beschäftigten Verwaltungsgerichte hatten nur im Rahmen einer kursorischen Überprüfung zu entscheiden, ob die im Raum stehenden Verstöße gegen das Preisrecht so gravierend sind, dass Aufsichtsbehörden die jeweiligen Bonussysteme sofort untersagen können, oder ob die betreffenden Apotheker alternativ ihre rezeptbezogenen Boni noch bis zu einer in der Hauptsache ergehenden Entscheidung weiter anbieten dürfen. Gerade das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat deswegen selbst unter Hinweis auf die in einem Eilverfahren regelmäßig nur summarische Prüfung seine Entscheidungen als möglichen Denkansatz formuliert, wann und unter welchen Voraussetzungen Untersagungsverfügungen rechtmäßig sein könnten. Eine endgültige Entscheidung behielt es bewusst dem ausstehenden Hauptsacheverfahren vor.

Was kann denn derzeit verlässlich gesagt werden?

Die bisher ergangenen Entscheidungen sind im Ergebnis recht konträr. Auch die verständlich plakativen Überschriften in der Berichterstattung sind deshalb in der Regel auf die Grundaussagen "zulässig" bzw. "nicht zulässig" heruntergebrochen. Dennoch gibt es in zumindest drei wesentlichen Punkten eine Übereinstimmung der rechtlichen Beurteilung dieser rezeptbezogenen Bonussysteme durch alle mit der Materie seit den BGH-Entscheidungen befassten Gerichte.

Punkt 1: Es liegt ein Verstoß gegen geltendes Preisrecht vor. Der BGH hat in allen seinen Entscheidungen vom 9. September 2010 festgestellt, dass ein Verstoß gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindung gemäß § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 3 Arzneimittelgesetz (AMG) in Verbindung mit der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisVO) nicht nur dann vorliegt, wenn ein Apotheker ein preisgebundenes Arzneimittel zu einem anderen als dem nach der Arzneimittelpreisverordnung zu berechnenden Preis abgibt. Diese Bestimmungen sind demnach auch verletzt, wenn für das preisgebundene Arzneimittel zwar (formal zunächst) der korrekte Preis angesetzt wird, dem Kunden aber, gekoppelt mit dem Erwerb des Arzneimittels Vorteile gewährt werden, die den Erwerb für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen lassen. Eine Unterscheidung zwischen Erst- und Zweitgeschäft spaltet das auch aus Sicht des Kunden einheitliche Geschäft des Einkaufes preisgebundener, verschreibungspflichtiger Arzneimittel künstlich auf. Dieser Auffassung haben sich sowohl die bereits oben angesprochenen drei Berufsgerichte als auch die bisher mit der Materie befassten Verwaltungsgerichte angeschlossen, die über entsprechende aufsichtsrechtliche Untersagungsverfügungen solcher rezeptbezogener Boni-Systeme zu entscheiden hatten.

Punkt 2: Ein Verstoß gegen das Preisrecht ist unlauter im Sinne des Wettbewerbs- und des Berufsrechtes.

Der BGH hat weiterhin unmissverständlich ausgeführt – wie auch das Berufsgericht Nürnberg-Fürth in seinen Urteilsgründen deutlich herausgestellt hat – , dass jeder Verstoß gegen das Preisrecht als unlauter im Sinne des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) anzusehen ist. Denn mit dem Verstoß gegen das Preisrecht geht regelmäßig ein Verstoß gegen eine Marktverhaltensregel im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG einher. Demnach handelt derjenige, der sich einen Vorsprung vor seinen Mitbewerbern durch Missachtung geltenden Rechtes, hier der Bestimmungen des Preisrechtes in § 78 AMG i. V. m. der AMPreisVO, verschafft unlauter.

Auch in den landesrechtlichen Berufsordnungen gibt es im Wesentlichen inhaltlich übereinstimmend ein Verbot unlauteren Wettbewerbs. In Bayern ist dies z. B. in § 18 der Berufsordnung (BO) festgehalten. Konkreter wird es in § 19 Nr. 3 BO, in dem das Abweichen von nach der Arzneimittelpreisverordnung oder anderen zwingend vorgeschriebenen Abgabepreisen als Unterfall unlauterer Absatzförderung festgeschrieben ist. In § 20 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BO wird überdies eine Werbung als unlauterer Wettbewerb bezeichnet, die über nach der Arzneimittelpreisverordnung oder anderen Vorgaben zwingend vorgeschriebene Abgabepreise täuscht. Zudem ist eine Werbung für gesetzeswidrige Leistungen nach § 20 Abs. 2 Nr. 3 BO unlauter. Schließlich ist der Apotheker nach den berufsrechtlichen Bestimmungen regelmäßig gehalten, die für seine Berufsausübung geltenden Bestimmungen, hierzu gehört auch das Preisrecht, zu beachten. Die entsprechende Vorschrift ist in Bayern § 1 Abs. 3 BO.

Punkt 3: Wettbewerbsrechtliche Spürbarkeitsgrenze: Keine vergleichbare Bestimmung im Berufsrecht und beim Vollzug des Arzneimittelpreisrechts Um das Verhalten eines Mitbewerbers im Wege des Wettbewerbsrechtes beanstanden zu können, muss dessen Verhalten nicht nur wettbewerbswidrig und unlauter sein, sondern auch "spürbar" im Sinne des § 3 Abs. 1 UWG. Diese Spürbarkeit hat der BGH in seinen Entscheidungen unter Verweis auf die Zulässigkeit der Abgabe geringwertiger Sachprämien im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 (sowie der weniger relevanten Nrn. 3, 4 und 5) des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) von einem Gegenwert bis zu einem Euro auch für alle damaligen Prozessbeteiligten wohl recht überraschend verneint.

Das Berufsgericht Nürnberg-Fürth weist in seiner Entscheidung nicht nur zutreffend darauf hin, dass es die sogenannte Spürbarkeitsgrenze im Berufsrecht gerade nicht gibt, sondern führt vielmehr ebenso zutreffend aus, dass dieser im Wettbewerbsrecht zumindest auch eine Entlastungsfunktion der Wettbewerbssenate zukommt. Dies muss sicher auch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass es sich beim Preisrecht um den Vollzug öffentlichen Rechts handelt, der primär den Aufsichtsbehörden obliegt, nicht aber den Wettbewerbssenaten. Der Vollzug des Berufsrechtes dient insoweit den gleichen Erwägungen des Verbraucherschutzes, mit denen der Vollzug des öffentlichen Rechts begründet wird. Das Berufsgericht am Verwaltungsgericht Mainz führt nach Feststellung des Verstoßes gegen das Arzneimittelpreisrecht ebenso keine Spürbarkeitsprüfung durch, sondern hält, ohne diese Frage allerdings abschließend zu beantworten, den Verstoß gegen die Berufspflichten zumindest für möglich.

Auch die Verwaltungsgerichte stellen unisono fest, dass es diese Spürbarkeitsgrenze des Wettbewerbsrechts im öffentlichen Recht so nicht gibt. So führt das Oberverwaltungsgericht Lüneburg stellvertretend für alle hierzu recht prägnant aus: "Diese spezifisch wettbewerbsrechtlichen Überlegungen schränken indessen den Anwendungsbereich der öffentlich-rechtlichen Vorschriften zur Arzneimittelpreisbindung ersichtlich nicht ein; diese enthalten als solche auch weder einen Spürbarkeits- noch einen Bagatellvorbehalt, sondern regeln die Preisspannen auf den Handelsstufen und den Apothekenabgabepreis ‚centgenau‘." Daher sieht das Oberverwaltungsgericht Lüneburg auch grundsätzlich alle tatbestandlichen Voraussetzungen für eine aufsichtsrechtliche Untersagungsverfügung von rezeptbezogenen Boni jeglicher Art als gegeben an.

Ist der rezeptbezogene Bonus tatsächlich im Wettbewerb nicht spürbar?

Bereits an dieser Stelle ist anzumerken, dass es an der Sichtweise des BGH durchaus ernstzunehmende Kritik gibt (vgl. etwa Prof. Mand, Rabatte und Zugaben durch Apotheken, NJW 2010, 3681 (3684f.)). Weiter hat unmittelbar an die BGH-Entscheidungen anschließend das Oberlandesgericht München mit rechtskräftigem Urteil vom 28. Oktober 2010 (Az.: 6 U 2657/09) in einem Fall, in dem es unter anderem um einen Preisnachlass in Höhe von 10 Prozent auf verschreibungspflichtige Arzneimittel ging, wie folgt formuliert: "Insbesondere hängt die Wettbewerbswidrigkeit eines Verstoßes gegen § 78 AMG nicht von der Höhe des Preisnachlasses ab. Dem Sinn der Vorschrift, einen Preiswettbewerb zu verhindern, wird es nicht gerecht, einen solchen über das Kriterium der Spürbarkeit aus § 3 UWG in gewissen – gegebenenfalls auch schwerlich trennscharf zu bestimmenden – Grenzen doch zuzulassen." Auch das Oberlandesgericht Stuttgart hat mit ebenfalls rechtskräftigem Urteil vom 25. August 2011 (Az.: 2 U 21/11) im Hinblick auf ein Angebot von "3%-Skonto auf Privatrezepte und Rezeptgebühren" jeglichen Barrabatt im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 2 Hs. 2 HWG – unabhängig von dessen Höhe – wettbewerbsrechtlich für unzulässig erklärt. Dabei hat es auch die Spürbarkeitsgrenze zumindest bei Barrabatten bewusst für nicht anwendbar erklärt. Im Übrigen hat auch das Oberverwaltungsgericht Lüneburg die Diskussion um die wettbewerbsrechtliche Spürbarkeitsgrenze noch nicht als abgeschlossen betrachtet.

Ist § 7 Abs. 1 Nr. 2 Hs. 2 HWG auf rezeptbezogene Boni nicht unmittelbar anwendbar?

Dabei ist es gerade im Hinblick auf den Wortlaut dieser Bestimmung durchaus vertretbar, auch die indirekten Rabatte, die ebenso einen Verstoß gegen das Preisrecht begründen, der Regelung des § 7 Abs. 1 Nr. 2 Hs. 2 HWG, direkt zuzuordnen. Schließlich sind Zuwendungen (dies sind unstrittig alle Rabattangebote, nicht nur Barrabatte) in einem bestimmten oder auf bestimmte Art zu berechnenden Geldbetrag (die fraglichen Gutscheine lauten auf einen bestimmten Geldbetrag, die Taler sind als Geldbetrag bestimmbar) für Arzneimittel immer dann unzulässig, wenn sie entgegen der Preisvorschriften gewährt werden. Zumindest dem Wortlaut dieser Vorschrift, die gerade zum Schutz der Bestimmungen des Preisrechtes in das HWG eingeführt wurde, ist eine Einschränkung auf Barrabatte nicht zu entnehmen. Dass rezeptbezogene Boni entgegen der Preisvorschriften gewährt werden, hat der BGH zu Recht selbst festgestellt. Erkennbar ist der rezeptbezogene Bonus jedenfalls keine Sachprämie im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 HWG, auf den der BGH im Rahmen seiner Spürbarkeitsüberlegungen aber maßgeblich abstellt. Daher ist auch die Annahme eines Verstoßes gegen § 7 Abs. 1 Nr. 2 Hs. 2 HWG – auch wenn sich die meisten Gerichte auf die Feststellung des Verstoßes gegen das Preisrecht beschränkt haben – durchaus vertretbar.

Kann die Spürbarkeitsfrage auch rein rechnerisch beantwortet werden?

Bedenkt man, dass Boni im Wert von einem Euro pro Arzneimittel (wie z. B. die EasyRezeptprämie) 10 bis 20 Prozent des zwischen 5 und 10 Euro liegenden Zuzahlungsbetrages ausmachen, den gesetzlich Versicherte pro Arzneimittel zu leisten haben (nicht selten betrifft dies ältere Personen mit geringen Rentenbezügen), so kommen einem auch anhand dieses Rechenbeispieles Zweifel, ob der beworbene Rezeptbonus tatsächlich keine Auswirkungen im Wettbewerb unter den Apotheken vor Ort haben kann. Gleiches gilt auch bei Talern, die im Verhältnis zur Zuzahlung bei einem Gegenwert von 0,50 Euro pro Taler immer noch 5 bis 10 Prozent des Zuzahlungsbetrages ausmachen. Von der Zuzahlung Befreite bekommen diesen Betrag in jedem Fall komplett als Draufgabe. Nicht nur bei privat Krankenversicherten könnte man sich überdies die Frage stellen, ob solche Vergünstigungen nicht sogar an die Krankenkassen weitergereicht werden müssten, wenn sie denn überhaupt statthaft wären.

Die jedenfalls nach Überzeugung des Verfassers bestehende Spürbarkeit dieser Vergünstigungen ist wahrscheinlich mitursächlich, dass es derzeit zu einer ungewöhnlichen Vielzahl von Beschwerdebriefen und Anrufen kommt. Trotz berufsrechtlicher Beanstandung und drohenden Geldbußen sind Rezeptboni anbietende Apotheker in Bayern nach wie vor sehr aktiv. Und es ist nur schwer vorstellbar, dass jeder dieser Beschwerdeführer maßlos übertreiben soll, wenn auf die Umsatzrückgänge und die demnach eine klare Sprache sprechenden betriebswirtschaftlichen Auswirkungen verwiesen wird.

Was soll das Festpreissystem bewirken?

Wenn man dabei bedenkt, dass das Preisrecht den Zweck verfolgt, den Preiswettbewerb unter den Apotheken im Rx-Bereich zu unterbinden, um über ein geregeltes Auskommen der Apotheker den Erhalt einer flächendeckenden Arzneimittelversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, sollte gerade angesichts der jüngeren Meldungen über eine zunehmende Anzahl von Apothekenschließungen in ländlichen Regionen daran gedacht werden, dass auch vom Betrag her vermeintlich kleinere Vergünstigungen in der Auswirkung bislang unterschätzt wurden.

Warum kommt es dann zu so unterschiedlichen Entscheidungen?

Die Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens ist ebenso eine Ermessensentscheidung der in der Selbstverwaltung für solche Fragen zuständigen Gremien wie es der Erlass einer aufsichtsrechtlichen Untersagungsverfügung einer Aufsichtsbehörde nach § 69 AMG ist. Dies soll vor allem verhindern, dass sprichwörtlich mit "Kanonen auf Spatzen geschossen wird". Beispielsweise für den Fall, dass ein Apotheker einmalig versehentlich bei einer Arzneimittelwerbung die nach § 4 HWG erforderlichen Pflichtangaben vergessen haben sollte, wäre es unverhältnismäßig, wegen dieses gleichzeitig vorliegenden Verstoßes gegen die Berufspflichten das Berufsgericht anzurufen und die Verhängung einer Geldbuße zu verlangen. Sollte das die Berufsvertretung nicht beachten, würde das Berufsgericht das Verfahren allerdings nicht eröffnen, sondern vielmehr wegen Geringfügigkeit der Beschuldigung an die Berufsvertretung zwecks möglicher Verhängung einer Rüge zurückweisen. In Bayern regelt dies z. B. Art. 79 Abs. 1 S. 2 des Heilberufe-Kammergesetzes. Vorliegend muss man aber berücksichtigen, dass zumindest die in Bayern anhängigen Verfahren nur solche Apothekerinnen und Apotheker betreffen, die trotz entsprechender Aufforderung der Kammer die Bewerbung und Gewährung rezeptbezogener Boni nicht fristgerecht eingestellt haben. Damit liegt auch im Falle der Fortsetzung des Verhaltens regelmäßig ein vorsätzlicher Verstoß gegen die Berufspflichten vor.

Welche Verhältnismäßigkeitsüberlegungen gibt es ansonsten?

Zwar hat es das Oberverwaltungsgericht Lüneburg im Rahmen der summarischen Prüfung abgelehnt, die Spürbarkeitsgrenze des Wettbewerbsrechtes auf das öffentlich-rechtliche Verfahren zu übertragen. Es stellt darüber hinaus aber – die bewusst als vorläufig bezeichnete – Überlegung an, ob nicht unter dem Gesichtspunkt der sogenannten Einheitlichkeit der Rechtsordnung eine gewisse Annäherung der Vorgaben des "centgenauen" Arzneimittelpreisrechtes einerseits und des Heilmittelwerbe- und Wettbewerbsrechts mit der dort beachtlichen Spürbarkeitsgrenze andererseits vorzunehmen sei. Dabei sollen rezeptbezogene Boni allerdings – anders als im Wettbewerbsrecht – auch noch im Bonusbetrag unter einem Euro pro Rx-Arzneimittel aufsichtsrechtlich untersagt werden können. Je mehr der rezeptbezogene Bonus einem Barrabatt gleiche (dies betreffe vor allem die in Euro und Cent formulierten Wertgutscheine) und je intensiver die Bewerbung sei, desto eher sei eine Untersagungsverfügung unter Anordnung des sofortigen Vollzugs auch bei Beträgen bis zu einem Euro zulässig. Dabei könne es auch darauf ankommen, ob es sich z. B. um die Aktion eines überregional agierenden Versenders handele oder ob nur eine einzelne Apotheke vor Ort z. B. Taler verteile. Daher hat es im Ergebnis etwas verwundert, dass das Berufsgericht am Verwaltungsgericht Mainz die von der Systemzentrale deutschlandweit den EasyApotheken angebotene EasyRezeptprämie in Höhe von einem Euro pro Arzneimittel als lokale Aktion eines Apothekers bezeichnet hat und unter Verweis auf die solche Prämien im Ergebnis bereits für unzulässig bezeichnende Entscheidung des Oberverwaltungsgericht Lüneburg dennoch nicht beanstanden wollte.

Gibt es überhaupt einen Wertungswiderspruch zwischen AMG und HWG?

Bereits der BGH hat mit seinen Boni-Entscheidungen deutlich zum Ausdruck gebracht, dass das Preisrecht und die Bestimmung des § 7 HWG andere Regelungszwecke aufweisen und daher nebeneinander anwendbar sind. Wenn es demnach überhaupt einen Wertungswiderspruch dieser Bestimmungen geben sollte, hat ihn der Gesetzgeber gerade mit der Regelung des § 7 Abs. 1 Nr. 2 Hs. 2 HWG eindeutig zugunsten der Preisvorschriften des § 78 Abs. 2, Abs. 3 AMG in Verbindung mit der Arzneimittelpreisverordnung beantwortet. Hingegen ist bei reinen Sachprämien/Zugaben, wie z. B. der Mitgabe von Taschentüchern o. ä., kein Verstoß mehr gegen das Preisrecht gegeben, sodass in solchen Fällen dann die Geringwertigkeitsschwelle von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG einschlägig wäre. Da aber ein solcher tatsächlich nicht bestehender Wertungswiderspruch auch nicht im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung maßgeblicher Prüfungsmaßstab sein kann, wie es das Mainzer Berufsgericht aber als Leitsatz für die von ihm nicht gesehene berufsrechtliche Sanktionsmöglichkeit formuliert hat, bleibt zu hoffen, dass die bereits eingelegte Berufung zu einem anderen Ergebnis führt.

Dann verbleibt es beim Wertungswiderspruch zwischen AMG und UWG?

Dies ist nur unter der Prämisse zu bejahen, dass es in diesem Punkt bei der Auffassung des BGH zur Spürbarkeit der Rechtsverstöße bleiben sollte. Dieser hat seine Spürbarkeitsüberlegungen sicher auch vor dem Hintergrund der von vielen Seiten nachvollziehbar als unglücklich empfundenen Rezeptbonusangebote ausländischer Versandapotheken angestellt. Beachtet man aber, dass die Frage der Anwendbarkeit des Preisrechtes auf ausländische Versender alsbald geklärt sein wird – entweder durch den vom BGH angerufenen Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichte oder sogar noch vorher durch den Gesetzgeber mit der anstehenden AMG-Gesetzesnovelle – und zudem seitens des Bundesrates aktuell gefordert wird, den Rx-Versand wieder zu verbieten, ist es auch gut möglich, dass die Frage auch vom BGH in diesem Kontext nochmals neu beantwortet wird. In diesem Sinne nachvollziehbar stellen auch die Berufsgerichte München und Nürnberg-Fürth erkennbar darauf ab, dass diese Frage durch die anhängigen Gerichtsverfahren und/oder den Gesetzgeber zu klären ist, aber jedenfalls nicht die berufsrechtliche Sanktionsmöglichkeit entfallen lässt. Auch das Oberverwaltungsgericht Magdeburg führt hierzu aus, dass für die Auffassung, unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung könne nicht das öffentlich-rechtlich verboten werden, was wettbewerbsrechtlich im Ergebnis zulässig sei, kein Raum ist. Dies macht auch dann Sinn, wenn man sich die Folgen einer anderen Lesart vor Augen führt. Denn andernfalls würde dies bedeuten, dass der Vollzug des Arzneimittelgesetzes (und damit nicht nur der Arzneimittelpreisverordnung) im Bereich der rezeptbezogenen Boni bis zu einem Euro abweichend von den gesetzlichen Bestimmungen nicht mehr erfolgen könnte. Dies käme aber einer faktischen Aufhebung des im Arzneimittelgesetz geregelten Preisrechts bei der Belieferung verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch die Gerichte gleich. Dabei besäße alleine das Bundesverfassungsgericht die Verwerfungskompetenz hinsichtlich der von allen Gerichten als einschlägig beurteilten Festpreisregelung in § 78 Abs. 2, Abs. 3 des Arzneimittelgesetzes.

Was sagt das Verfassungs- und Europarecht?

Die Sanktionierung oder Untersagung rezeptbezogener Boni stellt regelmäßig einen zulässigen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Grundgesetz (GG) dar, da die verletzten Vorschriften des § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3 AMG, Abs. 3 Satz 1 AMG und der AMPreisVO aus vernünftigen Erwägungen des Allgemeinwohls heraus dazu bestimmt sind, den Preiswettbewerb unter Apotheken zu regeln (so z. B. aktuell und ausführlich OLG Stuttgart, Urteil vom 25. 8. 2011, Az.: 2 U 21/11 – mit weiteren Verweisen). Und im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG bleibt es bei dem Grundsatz, dass es keine Gleichheit im Unrecht geben kann.

Ein Verstoß gegen europarechtliche Vorgaben ist auch nach bislang einhelliger Auffassung der Gerichte (z. B. OVG Lüneburg, OVG Magdeburg, BG Nürnberg-Fürth und BG München) nicht erkennbar, insbesondere verstößt § 7 Abs. 1 Nr. 2, 2 Hs. HWG nicht gegen Unionsrecht, denn nach den Art. 168 VII AEUV, Art. 4 III Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel (GK) ist entsprechend Art. 94 IV GK insbesondere europarechtlich Raum für nationale Bestimmungen der Preise, Gewinnspannen und Rabatte auch bei Arzneimittelwerbung gegenüber Endverbrauchern.

Zusammenfassung

Rezeptbezogene Boni verstoßen auch im Falle von Gutscheinen über einen Euro pro Rezeptposition oder Talern pro Rezept gegen das Preisrecht. Dieser Verstoß wird allgemein als unlauter sowohl im Sinne des Wettbewerbsrechtes als auch des Berufsrechtes verstanden. Die wettbewerbsrechtliche Ahndung scheitert aber an der Spürbarkeitsgrenze, die auch zur Entlastung der Wettbewerbssenate geschaffen wurde. Die Frage der Spürbarkeit wird jedoch in Literatur und Rechtsprechung recht kontrovers diskutiert. Es gibt dabei gute Gründe, den Preiswettbewerb auch unabhängig von der Höhe der Boni bereits als wettbewerbswidrig zu bezeichnen. Dies gilt insbesondere für Barrabatte. Die unterschiedlichen Entscheidungen der Verwaltungs- und Berufsgerichte basieren ausschließlich auf unterschiedlichen Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit der erfolgten Beanstandungen. Dabei gibt es bislang nur im Berufsrecht Hauptsacheentscheidungen, im Verwaltungsverfahren gibt es dagegen lediglich Beschlüsse in Eilverfahren. Der zum Teil angeführte Wertungswiderspruch zwischen Preisrecht einerseits und Heilmittelwerberecht andererseits wird nicht gesehen. Ein möglicher Wertungswiderspruch zwischen dem Wettbewerbsrecht und dem Arzneimittelrecht darf nicht zur faktischen Aufhebung zwingenden Preisrechtes führen. Berufsrechtliche Sanktionen und aufsichtsrechtliche Untersagungsverfügungen müssen demnach unabhängig von der wettbewerbsrechtlichen Spürbarkeitsschwellendiskussion möglich sein. Ein Verstoß gegen Verfassungs- und Europarecht wird nicht gesehen.


Zum Autor:
Der Autor ist Justiziar der Bayerischen Landesapothekerkammer und Lehrbeauftragter der Fachhochschule Schmalkalden in den Studiengängen "Apothekenbetriebswirt/in (FH)" und "Pharmazieökonomie (FH)"



DAZ 2012, Nr. 17, S. 80

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.