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NRW: Was die Parteien über Apotheken denken
In den Wahlprogrammen der Parteien sucht man das Stichwort "Apotheke" vergeblich. Andere gesundheitsrelevante Fragen werden dort durchaus aufgegriffen, etwa die demografische Entwicklung, die Situation in der Pflege, die Verschreibung von Psychopharmaka an Kinder und Jugendliche, die Frage nach der Zukunft der Praxisgebühr und auch der drohende Ärztemangel auf dem Land. Aber kein Wort darüber, dass dieser befürchtete Ärztemangel auch dafür sorgen wird, dass Apotheken schwinden – oder dass eine älter werdende Gesellschaft einen erhöhten pharmazeutischen Beratungsbedarf hat.
Möglicherweise wird der Berufsstand in den Wahlprogrammen nicht berücksichtigt, weil das Apothekenwesen überwiegend bundeseinheitlich geregelt wird. Eine Meinung sollten Parteien im Landtag dennoch haben, deshalb hakte die DAZ bei den ersten sechs Parteien der Landesliste nach. Während man bei der CDU im Trubel des Wahlkampfes offenbar keine Zeit fand, nahmen SPD, Grüne, FDP, Linke und Piraten zu den gestellten Fragen Stellung.
SPD: Positiver Wettbewerb verschiedener Vertriebsformen
In den bisherigen Wahlumfragen haben die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen die Nase vorn. Bei der jüngsten Emnid-Umfrage vom letzten Wochenende erreichten sie 38 Prozent – mit der SPD ist also zu rechnen. Markige Wahlversprechen für Apothekerinnen und Apotheker sind da möglicherweise nicht mehr nötig. Auf die Frage, wie sie zu Apothekenketten, dem Rx-Versandhandel und Pick-up-Stellen steht, ist die Antwort wenig verbindlich. Die NRW-SPD verweist auf "internationale Erfahrungen" – etwa aus Großbritannien und Norwegen. Diese hätten "gezeigt, dass ein Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Distributionsformen in der Arzneimitteldistribution eher positive Wirkungen für Patienten und Patientinnen hat". So habe sich die Versorgungssituation verbessert, die Öffnungszeiten hätten sich verlängert, es sei mehr in Servicequalität investiert worden – alles mit positiven Auswirkungen auf die Kundenzufriedenheit. Trotzdem: Auch die SPD in Nordrhein-Westfalen ist der Auffassung, dass Arzneimittel nicht eine Ware wie jede andere sind. Der Verkauf müsse durch geschulte Fachkräfte erfolgen. Nur sie seien in der Lage, eine gute Beratung und somit Patientensicherheit zu gewährleisten.
Mehr am Herzen als die isolierte Betrachtung eines Berufsstandes liegt der NRW-SPD die grundsätzliche und "zukunftsfeste" Reform der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Diese müsse weiterhin ein Solidarsystem bleiben, in dem starke Schultern mehr tragen als schwache. Privatisierungsversuche im Gesundheitswesen würden dagegen langfristig dazu beitragen, dieses Solidarsystem zu unterminieren und damit einem nicht unbeträchtlichen Teil der Bevölkerung die notwendige Versorgung zu versagen. Die Lösung sieht die SPD bekanntlich in einer Bürgerversicherung, mit der der Versichertenkreis und die Einkommensbasis in der GKV gestärkt werden können. Und sie ist überzeugt: "Von einer solchen Stärkung des Systems werden auch die Apotheken profitieren."
Grüne: Rolle der Apotheken von morgen entwickeln
Die Grünen verantworten in der bisherigen Landesregierung von NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) seit Juli 2010 das Gesundheitsministerium. Möglicherweise bleibt dies auch so. Die jüngsten Umfragen sehen derzeit noch eine parlamentarische Mehrheit für Rot-Grün im Landtag. Ein Grund mehr, die grüne Apothekenpolitik genauer unter die Lupe zu nehmen.
Die NRW-Grünen treten dafür ein, dass Apotheken zukünftig eine größere Rolle in der Prävention spielen – gerade vor dem Hintergrund einer immer älter werdenden Bevölkerung. Neben Ernährungsberatung oder Programmen zur Raucherentwöhnung seien weitere Angebote denkbar. Eine besonders wichtige Aufgabe für die Apotheken ist nach Auffassung der Partei die wohnortnahe Versorgung und Betreuung chronisch kranker Menschen auch im ländlichen Raum. Im Zusammenhang mit der Arzneimittelsicherheit – hier fällt bei den Grünen das Stichwort individuelles Verblistern – und der Warnung vor Kontraindikationen von Medikamenten seien Apotheker ebenfalls vermehrt gefragt.
Die Partei bekennt sich in Nordrhein-Westfalen zudem zum Fremd- und Mehrbesitzverbot: Apothekenketten "tragen nicht zur Senkung der Arzneimittelkosten bei. Außerdem sehen wir hierin eher eine Gefahr für eine flächendeckende Arzneimittelversorgung". Überraschend klar erscheint auch die Haltung gegenüber dem Arzneimittelversandhandel, den die Grünen auf Bundeslinie nie infrage gestellt haben: Seine uneingeschränkte Zulassung habe nur dazu geführt, dass sich die Sicherheit für Patienten vermindert habe, heißt es nun aus Nordrhein-Westfalen. Die Beratung bei der Ausgabe von verschreibungspflichtigen Medikamenten sei unerlässlich, weshalb sich die Grünen für ein Rx-Versandverbot aussprechen. Den Pick-up-Stellen in Drogeriemärkten steht die Partei ebenfalls kritisch gegenüber. Arzneimittel seien keine normale Handelsware, vielmehr gehöre zu einer bewussten und kritischen Nutzung von Arzneimitteln die fachkompetente Beratung durch einen Apotheker. "Pick-up-Stellen können dies nicht gewährleisten."
Die Grünen sehen es überdies als Aufgabe der Politik, die Zusammenarbeit von Arzt, Apotheker, Krankenhaus und anderen Gesundheitsberufen zu fördern. Gemeinsam mit den Apothekern wollen sie eine "neue Rolle der Apotheken von morgen" entwickeln, die den Anforderungen der demografischen Entwicklung Rechnung trägt: "Wir […] wollen, dass eine wohnortnahe Gesundheitsversorgung für die Heilung, Beratung und Begleitung im Vordergrund steht […], bei der auch die Apotheken eine wichtige Rolle spielen."
FDP: Keine erhöhten Risiken durch Pick-up-Stellen
Die FDP, die in den letzten Landtagswahlen beständig die Fünf-Prozent-Hürde verpasst hat, könnte in Nordrhein-Westfalen wieder den Einzug ins Landesparlament schaffen. Mit Spitzenkandidat Christian Lindner kam sie in der letzen Umfrage auf fünf Prozent der Stimmen. Ob sie auch bei den Apothekerinnen und Apothekern wieder punkten können, ist damit allerdings noch nicht gesagt. Gegenüber der DAZ betonen die nordrhein-westfälischen Liberalen, mit der vom FDP-geführten Bundesgesundheitsministerium eingebrachten neuen Apothekenbetriebsordnung werde die inhabergeführte heilberuflich ausgerichtete Apotheke gestärkt: "Der Grundgedanke der Beratung durch den Apothekeninhaber wird in den Mittelpunkt gestellt, denn Arzneimittel sind ein besonderes Gut und erfordern eine unabhängige Beratung." Jedoch verweist die Landespartei auf bestehende und sich in der Zukunft noch verstärkende Probleme wie den Fachkräftemangel. Bereits jede zweite Apotheke habe erhebliche Probleme, offene Stellen neu zu besetzen. Benötigt würden praxisorientierte Konzepte, um dieser Tendenz etwas entgegensetzen zu können.
Am Mehr- und Fremdbesitzverbot hält die FDP fest. Die flächendeckende "Rund um die Uhr"-Versorgung der Bevölkerung sei eine unerlässliche Voraussetzung für eine hohe Versorgungsqualität im Gesundheitswesen, erklärt sie hierzu. Menschen in Deutschland sollen nach Auffassung der Partei auch in Zukunft ihre wohnortnahe Apotheke aufsuchen können. Insbesondere ältere Menschen, die häufig mehrere Medikamente in unterschiedlichen Dosen einnehmen müssen, bräuchten sowohl die Unterstützung durch den Arzt als auch den Apotheker ihres Vertrauens.
Zu einem Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln antwortet die FDP ausweichend: Man habe, um einen hohen Gesundheitsschutz zu gewährleisten, dafür gesorgt, dass Rabatte auf Rx-Arzneimittel nicht mehr zulässig seien – das gelte auch für ausländische Versandapotheken. Ein Rx-Versandverbot begegne "verfassungsrechtlichen Vorbehalten, da es zu einem ungerechtfertigten Eingriff in die grundrechtlich geschützte Berufsausübungsfreiheit führen würde". Unbedingt notwendig ist nach Ansicht der Liberalen auch, die Entwicklung der Pick-up-Stellen "aufmerksam und sehr kritisch zu beobachten". Aber derzeit sieht sie keine nachweisbaren Belege dafür, dass von der Arzneivergabe über Pick-up-Stellen erhöhte Risiken für die Arzneimittelsicherheit oder den gesundheitlichen Schutz von Patienten ausgehen.
Die Linke: Rettung der inhabergeführten Präsenzapotheke
Die nordrhein-westfälische Linke, die nach den jüngsten Wahlumfragen voraussichtlich nicht in den Landtag einziehen wird, sieht im Arzneimittelversandhandel ein Sicherheitsproblem, das darüber hinaus auch für Umsatzprobleme in den Apotheken sorgt. Insbesondere die Freigabe des Rx-Versandhandels sollte ursprünglich der Kostendämpfung dienen – "aber die Apotheken sind nicht die Preistreiber der permanent steigenden Arzneimittelausgaben", so die Linken. Darüber hinaus sei das persönliche Gespräch zwischen Apothekern und Patienten unverzichtbar, weshalb Kostenargumente immer erst in zweiter Linie eine Rolle spielen dürften.
Für die Linkspartei steht "die Rettung der bewährten inhabergeführten Präsenzapotheke im Mittelpunkt". Die Bedeutung des Apothekers als Heilberufler sei angesichts der älter werdenden Bevölkerung und der Komplexität medizinischer Neuerungen bzw. permanenter Veränderungen im Gesundheitssystem weiterhin zu stärken. Auch deshalb lehnt die Linke sowohl Pick-up-Stellen als auch eine Aufweichung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes "strikt" ab: Sie sieht darin einen weiteren Schritt zur Ökonomisierung des Gesundheitswesens. Dabei sollten ausgebildete Pharmazeuten im Mittelpunkt der Medikamentenversorgung der Bevölkerung stehen und nicht ausgebildete Betriebswirte.
Die Linken plädieren weiterhin für die Einführung einer Positivliste und einer gesetzlichen Preisbindung, die nicht erst nach dem vom Hersteller festgelegten Abgabepreis ansetzt. So könnten Krankenkassen finanziell und die Apotheken von bürokratischen Vorgängen entlastet werden, ganz zum Wohl der Patienten. Die Partei wirbt um Apotheker, die sich ein humaneres Gesundheitssystem wünschen. Denn die Linke stehe für ein Gesundheitssystem, in dem eine wesentlich engere Kooperation der medizinischen und pharmazeutischen Ebene angestrebt wird. In einem vorwiegend auf Konkurrenz basierenden Gesundheitssystem würden wertvolle Ressourcen vergeudet und Chancen vergeben, den Patienten die bestmögliche Behandlung zu bieten.
Piraten: Selbst aktiv werden
Die Piraten werden ihren Siegeszug in den Landesparlamenten in Nordrhein-Westfalen voraussichtlich fortsetzen. Die letzten Umfragen sehen sie bei etwa neun Prozent. Die Partei hat sich auf Landesebene mit Apothekern noch nicht wirklich beschäftigt: Weil das Apothekenwesen überwiegend bundeseinheitlich geregelt werde, gebe es Wahlprogrammpunkte in der Landespartei derzeit nicht, so NRW-Pressesprecher der Piraten Achim Müller gegenüber der DAZ. Eine persönliche Meinung hat Müller dennoch – seine Lebensgefährtin ist Apothekerin. Durch viele Gespräche mit ihr fand er zu seinen ganz eigenen kritischen Ansichten. So spricht er sich "ganz klar" für ein Rx-Versandverbot aus. Auf der einen Seite gebe es strenge Regeln an das Arzneimittelrecht, andererseits werde der klassische Postversand zugelassen – für Müller ein Widerspruch. Dabei habe die Vergangenheit gezeigt, dass auch minderwertige Präparate verschickt wurden. Und gerade verschreibungspflichtige Arzneimittel bedürften der Beratung. "Es ist nun einmal etwas anderes, ob man sich bei Amazon einen Film herunterlädt oder ob man sich ein Rx-Arzneimittel bestellt", so der Pirat. Auch bei Pick-up-Stellen in Drogeriemärkten liegt für ihn das Problem in der fehlenden Beratung: "Fehlende Kontrollen des Vertriebs ermöglichen Missbrauch." Und der Apothekennotdienst werde in diesem Zusammenhang überhaupt nicht beachtet.
Den Retaxierungswahn der Krankenkassen bezeichnet Müller als "schlimm". Besonders, weil er von seiner Lebensgefährtin wisse, aus welchen Gründen teilweise retaxiert werde. Ihn ärgert dabei am meisten, dass die Kassen mit der Patientensicherheit argumentieren. Allerdings stelle sich doch die Frage "warum retaxieren sie dann erst nach einem Jahr?" Eine etwas andere Meinung als seine Lebensgefährtin vertritt Müller jedoch bei der Frage nach der Zukunft des Fremd- und Mehrbesitzverbots. Er versteht natürlich die Argumente und Bedenken der Apotheker und hält die derzeitige Begrenzung auf vier zu führende Apotheken auch für sinnvoll. Dennoch kommen ihm zufolge Apotheker nicht umhin, sich längerfristig auf eine Neuordnung einzustellen: "Man darf die Augen vor der wirtschaftlichen Entwicklung nicht verschließen – unabhängig davon, ob die nun positiv ist oder nicht."
Warum Apotheker in Nordrhein-Westfalen die Piraten wählen sollten, ist für den Piraten auch klar: "Weil wir versuchen, uns alle Argumente und Standpunkte vorurteilsfrei anzuhören." Die Piraten betrieben keine Klientelpolitik, wie es die FDP zeitweise getan habe, aber "wir versprechen jedem Apotheker, der sich in der Partei einbringen will, zuzuhören – außerdem sind wir eine Mitmachpartei", so der Aufruf des Piraten. In diesem Punkt sind Ärzte bisher offenbar aktiver als Apotheker: Müller berichtet, Ärzte seien der Piratenpartei häufiger als Apotheker beigetreten, um sich Gehör zu verschaffen und aktiv mitzuwirken.
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