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Ein Jahr Daniel Bahr: Kleine Erfolge und viele Baustellen

Koalition und Länder pfuschen Bahr ins Handwerk

BERLIN (lk). Vor einem Jahr hat der FDP-Politiker Daniel Bahr das Amt des Bundesgesundheitsministers übernommen. Damals waren die Umstände turbulent in der FDP: Weil Guido Westerwelle als Chef-Liberaler nach internen Querelen aufgab, rückte der damalige Gesundheitsminister Philipp Rösler ins Wirtschaftsministerium auf und Bahr schaffte den Sprung vom Staatssekretär auf den Ministersessel. Seitdem ist es nicht ruhiger geworden: In der FDP nicht und in der Gesundheitspolitik erst recht nicht – eine Zwischenbilanz.

Die Parteipolitik ließ Bahr nach der Personalrochade in den ersten zwölf Monaten seiner Zeit als Bundesgesundheitsminister nicht los, fraß mehr Zeit, als ihm lieb sein konnte. Als Chef des einflussreichen NRW-Landesverbandes musste Bahr miterleben, wie Philipp Rösler als neuer FDP-Vorsitzender in den Umfragen Woche für Woche absackte und die FDP in eine Existenzkrise geriet. Schließlich forderte die Neuwahlentscheidung in NRW auch von Bahr eine klare Reaktion. Er überließ den Landesvorsitz dem besseren Wahlkämpfer Christian Lindner. Minister im Bundesgesundheitsministerium und Spitzenkandidat in NRW, das ging nicht zusammen.

Seitdem kann sich Bahr umso intensiver um die Gesundheitspolitik kümmern – und da gibt es viel zu tun: Bei der Pflegereform gehen die Dinge nicht so recht voran, wie es sich die FDP wünscht. Aus dem großspurig angekündigten "Pflege-Bahr", der neuen privaten Finanzsäule der Pflegekasse, könnte ganz rasch im doppelten Wortsinn eine Niederlage für den erst 35-jährigen Minister werden – Bahr selbst zum politischen Pflegefall werden. Denn noch immer ist unklar, wie der "Pflege-Bahr" funktionieren soll. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sperrt sich gegen Sozialzuschüsse aus der Steuerkasse nach dem Vorbild der GKV-Zusatzbeiträge. Und die Union will von einer kapitalgedeckten Finanzsäule gar nichts mehr wissen. Bis jetzt ist von der großen Pflegereform also nur das Schmalspurprojekt der Verbesserung der Leistungen für Demenzkranke übrig geblieben.

Niemand im berüchtigten Haifischbecken Gesundheitspolitik spricht Bahr scharfen Sachverstand ab. Aber an seiner Durchsetzungskraft wachsen Zweifel. Stichwort Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO): Nach zweijährigem Gezänk mit Verbänden und der Koalition legte Bahr Ende 2011 einen Ministerentwurf vor. Noch ehe die Tinte trocken war, regierte ihm die Union hinein und zwang Bahr zur Korrektur seiner liberalen Handschrift. Die von Bahr vorgesehenen Privilegierungen für Filialapotheken wurden ein erstes Mal im Kabinettsentwurf zurückgedreht. Doch damit nicht genug. Die Länder zerpflückten im Bundesrat nochmals Bahrs Entwurf, schrieben 36 Änderungen hinein, sodass dem Bundesgesundheitsminister am Ende nur die Erkenntnis blieb, dass "das Ziel des Bürokratieabbaus nur teilweise erreicht werden konnte".

Nicht viel besser ergeht es Bahr derzeit mit der AMG-Novelle: Die eigentlich für diese Woche vorgesehene Beratung des Gesundheitsausschusses des Bundesrates musste verschoben werden, weil sich die Koalition nicht auf Änderungen des AMNOG über die Preisverhandlungen mit der Pharmaindustrie einigen kann. Zudem wollen nicht nur die Apotheker angesichts der guten Kassenlage der gesetzlichen Krankenkassen mehr Geld vom Bundesgesundheitsminister. Nachdem die Krankenhäuser bereits mehr Geld bekommen und die Koalition den Apothekern eine Honoraraufstockung versprochen hat, drücken die Pharmaverbände auf ein vorzeitiges Ende des Preismoratoriums. Das bringt Bahr politisch in Bredouille: Eigentlich möchte er gerne, aber er weiß nicht wie. Dem Vorwurf der Klientelpolitik will er die FDP im heraufziehenden Bundestagswahlkampf auf keinen Fall aussetzen.

Was bleibt also vom ersten Jahr? Neben vielen Baustellen auch ein paar Erfolge: Bahr hat ein Gesetz über Medizin-Versorgung durchgebracht, das mit vielen Einzelideen den erwarteten Ärztemangel eindämmen soll. Er hat den Kliniken mehr Hygiene verordnet, Meldeverfahren für Krankheiten nach der EHEC-Krise gestrafft, neue Zahnarzt-Bezahlregeln zum Abschluss gebracht. Anders als alle seine Vorgänger sieht sich Bahr aber plötzlich einem ganz anderen politischen Problem ausgesetzt: Wohin mit den Kassen-Milliarden? Bahrs Appelle an die GKV, die Milliarden-Überschüsse teilweise als Prämien an die Versicherten auszuschütten, verhallen bislang wirkungslos. Jetzt droht Bahr den Kassen mit einem Gesetz. Ein schwieriger Konflikt. Den meisten Gesundheitsministern ist es politisch nicht gut bekommen, auf Konfrontationskurs zur GKV einzuschwenken.

Das ist schon Paradox: Die Finanzen der Krankenversicherung sind – unter Schmerzen – - saniert. Statt Freunde und Anerkennung tobt trotzdem ein Streit ums Geld. Und Bahr steht mittendrin. Ein dickes Fell und Zähigkeit wird Bahr also auch in den kommenden Monaten bis zur nächsten Bundestagwahl benötigen. Gesundheitspolitik ist keine vergnügungssteuerpflichtige Aufgabe – das wusste der junge, aber erfahrene Gesundheitspolitiker Bahr ja schon vor Amtsantritt.

Jetzt spürt er es direkt.



DAZ 2012, Nr. 21, S. 20

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