Geriatrische Pharmazie

Aufrecht im Alter

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Stürze vermeiden, Knochengesundheit fördern

Elisabeth Thesing-Bleck, Iris Hinneburg | Sturz, Fraktur, Pflegeheim – für viele Senioren endet so abrupt die Lebensphase, in der sie selbstbestimmt in der eigenen Wohnung leben. Wenn Apotheker geriatrische Patienten zu Fragen der Sturzvermeidung und Knochengesundheit beraten, tragen sie auch dazu bei, die Lebensqualität von älteren Menschen zu erhalten.
Abb. 1: Mögliche Sturzkaskade im Alter.
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Je älter ein Mensch ist, desto schwerer sind die Folgen, die Stürze nach sich ziehen können. Für die Betroffenen führen sie oft zu einem erheblichen Verlust an Lebensqualität. Unter Umständen ist sogar eine lebenslange Pflegebedürftigkeit die fatale Folge. Stürze verursachen zudem erhebliche Kosten für die Versorgungssysteme. Für alle Beteiligten ist es eine große Herausforderung, Sturzursachen zu erkennen und möglichst auszuschalten. Außerdem gilt es, die Folgen eines möglichen Sturzes zu minimieren. Die Apotheke kann dazu mit verschiedenen präventiven Maßnahmen beitragen.

Die Sturzkaskade unterbrechen

Nach Schätzungen von Altersexperten stürzt etwa ein Drittel der zu Hause lebenden Menschen über 65 Jahre einmal im Jahr. Bei den Senioren über 80 Jahre ist es bereits jeder Zweite [1]. Jüngere Senioren brechen sich dabei sehr leicht die Speiche (Unterarmknochen). Mit steigendem Alter häufen sich dann aber proximale Femurfrakturen (Oberschenkelhalsbruch). Ein Sturz setzt dabei häufig eine ganze Kaskade in Gang (Abb. 1): Selbst wenn die körperlichen Folgen eines Sturzes ausheilen, bleibt bei Älteren doch oft die Angst vor einem erneuten Sturz zurück. Ihr Selbstvertrauen, einfache Alltagsverrichtungen sicher durchzuführen, wird nachhaltig beeinträchtigt. Einmal gestürzte Patienten bewegen sich aus Angst vor einem neuen Sturz weniger. Daraus resultiert ein Verlust an Muskelmasse, Kraft und Beweglichkeit. Genau das leistet dann einem neuen Sturz Vorschub. Bei 30 bis 50 Prozent der Sturz-Patienten wird die Angst vor einem erneuten Sturz so ausgeprägt, dass man von einem sogenannten ,,post-fall syndrome" spricht [2].

Daneben sind Stürze auch mit einer deutlichen Zunahme der Morbidität und Mortalität verbunden: Nach einer Hüftfraktur erlangt jeder zweite Patient die ursprüngliche Beweglichkeit nicht mehr zurück, etwa jeder fünfte bleibt ständig pflegebedürftig. Ein Drittel der Hochbetagten stirbt innerhalb eines Jahres nach der stationären Behandlung einer Hüftfraktur [3]. Deshalb ist es wichtig, die Sturzkaskade möglichst früh zu unterbrechen.

Zudem gehören Hilfsmittel wie zum Beispiel Hüftprotektoren oder geeignete Gehhilfen zum Angebot einer Apotheke, die sich um die Verminderung von Sturzfolgen kümmern will (siehe Kasten "Vom Krückstock …").

Statussymbol des Mannes 2012: Versilberte Gehstöcke werden in Luxusboutiquen auf Düsseldorfs Prachtmeile, der "Kö", angeboten.
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Vom altmodischen Krückstock zur modernen Gehhilfe


Ältere Menschen wollen weder sprachlich noch optisch von Jüngeren abgekoppelt werden. Das gilt insbesondere für Symbole, die für das fortgeschrittene Lebensalter stehen.

Das fortgeschrittene Lebensalter wird häufig durch einen Stützstock symbolisiert. Die Aussagekraft dieses Symbols ist nach wie vor aktuell. Das ehemals schwere schwarze Hilfsmittel mit anatomisch geformtem Griff bedarf zügig der Ergänzung durch moderne Produkte.

Ältere Frauen akzeptieren auch bei Sonnenschein Regenschirme mit anatomisch geformtem Griff. Immer häufiger lassen sich im Straßenbild aber auch ältere Menschen beobachten, die Produkte der Sportindustrie als Gehhilfen benutzen. Stöcke, die sich von den Nordic-Walking-Stöcken ableiten, gelten als "trendig”. Mithilfe moderner Materialien lassen sich elegante, sportlich und jugendlich wirkende Stützhilfen produzieren. Solche federleichten, höhenverstellbaren Gehhilfen können bei Bedarf sogar zusammengeschoben und in einer großen Damenhandtasche diskret verstaut werden.

Auch Rollatoren haben sich längst als Vehikel in Fußgängerzonen und auf Bürgersteigen etabliert. Wie einst die Brillen, so mutieren derzeit diese Gehhilfen immer schneller zu einem Statusobjekt. Ein federleichtes, superschickes Designermodel wird wesentlich besser und schneller akzeptiert, häufig auch dann, wenn ein hoher Selbstkostenanteil zu tragen ist. Gut designte, nicht diskriminierende Gehhilfen zur Sturzprophylaxe gehören in einer seniorengerechten Apotheke zum ausbaufähigen Warensortiment.

Multifaktorielles Geschehen

Ältere Menschen stürzen häufig in unspektakulären Alltagssituationen. Am häufigsten kommen im fortgeschrittenen Lebensalter "lokomotorische Stürze" vor, also Stürze, die bei der Fortbewegung eines Menschen auftreten. Diese Stürze haben in der Regel nicht nur eine einzige Ursache, sondern sind durch mehrere Faktoren bedingt. Dazu gehören etwa die Einrichtung der Wohnung und Funktionsdefizite durch Alter oder Erkrankungen. Auch Medikamente können dazu beitragen, dass sich das Sturzrisiko erhöht (siehe Kasten "Risikofaktoren") [2]. Häufig sind sie in dem komplexen Geschehen das "letzte Körnchen", das den Menschen aus dem Gleichgewicht bringt und stürzen lässt.

Risikofaktoren für lokomotorische Stürze*



Äußere Faktoren

  • Schlechte Beleuchtung

  • Ungeeigneter Bodenbelag

  • Türschwellen ("Stolperfallen")

  • Fehlende Handläufe und Rutschmatten im Bad

  • Ungeeignetes Schuhwerk


Intrinsische Faktoren

  • Nach einem Sturz Angst vor erneutem Sturz

  • Höheres Alter (s. u.)

  • Weibliches Geschlecht


Altersbedingte Faktoren

  • Balance- und Gangstörungen

  • Kraftdefizit durch Muskelabbau

  • Sehstörungen

  • Langsamere Reaktionszeit


Krankheitsbedingte Faktoren

  • Morbus Parkinson

  • Depression

  • Demenz

  • Zustand nach Schlaganfall


Medikationsbedingte Faktoren

  • Einnahme Sturz-assoziierter Medikamente (siehe Kasten "Sturz-assoziierte Arzneistoffe der Priscus-Liste"), insbesondere aus den Indikationsgruppen:
    – Neuroleptika
    – Hypnotika/Sedativa (bes. Benzodiazepine)
    – Antidepressiva

  • Polymedikation

Situative Faktoren

  • Selbstüberschätzung

  • Ungeeignete Aufbewahrung von Alltagsgegenständen

  • Verwendung von riskanten Hilfsmitteln (etwa Stehen auf einem Stuhl statt auf einer Trittleiter)


* Auswahl, modifiziert nach [2, 3]


Sturz-assoziierte Arzneistoffe der Priscus-Liste


Diese Arzneistoffe sollten Patienten über 65 Jahre möglichst nicht verordnet werden (nach [6]):

  • Alprazolam
  • Amitriptylin
  • Baclofen
  • Bromazepam
  • Brotizolam (> 0,125 mg/d)
  • Chloralhydrat
  • Chlordiazepoxid
  • Clemastin
  • Clobazam
  • Clozapin
  • Diazepam
  • Digoxin und Derivate (Acetyldigoxin, Metildigoxin)
  • Dikaliumclorazepat
  • Dimenhydrinat
  • Dimetinden
  • Diphenhydramin
  • Doxepin
  • Doxylamin
  • Flunitrazepam
  • Fluphenazin
  • Flurazepam
  • Haloperidol (> 2 mg)
  • Hydroxyzin
  • Imipramin
  • Lorazepam (> 2 mg/d)
  • Maprotilin
  • Medazepam
  • Nitrazepam
  • Olanzapin (> 10 mg)
  • Oxazepam (> 60 mg/d)
  • Oxybutynin
  • Perphenazin
  • Phenobarbital
  • Prazepam
  • Solifenacin
  • Temazepam
  • Tetrazepam
  • Thioridazin
  • Tolterodin (nicht retardiert)
  • Triazolam
  • Triprolidin
  • Zaleplon (> 5 mg/d)
  • Zolpidem (> 5 mg/d)
  • Zopiclon (> 3,75 mg/d)

Sturzfördernde Medikamente identifizieren

Eine wichtige Aufgabe für die öffentliche Apotheke ist es, die Medikation älterer Patienten auf möglicherweise sturzfördernde Arzneistoffe zu überprüfen. International werden diese Wirkstoffe als FRID (Fall Risk Increasing Drugs) bezeichnet. In Metaanalysen war die Einnahme von Sedativa/Hypnotika, Neuroleptika/Antipsychotika, Antidepressiva und Benzodiazepinen am häufigsten mit Stürzen assoziiert.

Auch für andere Arzneistoffgruppen wird ein Sturzrisiko diskutiert. Das gilt besonders, wenn als Nebenwirkungen Schwindel, Sehstörungen, Benommenheit, orthostatische Hypertonie, Synkopen, Hypoglykämien und Ataxie auftreten können [4]. Allerdings ist die Studienlage nicht immer eindeutig. Daneben gilt auch eine Polypharmazie mit mehr als vier Arzneimitteln als eigenständiger Risikofaktor für Stürze [2, 5].

Wenn der Apotheker sturzfördernde Medikamente bei einem älteren Menschen identifiziert, sollte er den Patienten und den behandelnden Arzt informieren. Nach sorgfältiger Abwägung des individuellen Nutzen-Risiko-Verhältnisses kann es eine Option sein, auf das betreffende Medikament zu verzichten oder es durch einen anderen, weniger risikoreichen Arzneistoff zu ersetzen. Der Arzt sollte auch prüfen, ob eine Dosisreduktion möglich ist [5].

Priscus-Liste als Hilfsmittel

Für den Apothekenalltag ist die summarische Nennung von Wirkstoffgruppen meist wenig hilfreich, um sturzfördernde Medikamente zu erkennen. Denn häufig sind nicht alle Wirkstoffe einer Arzneistoffgruppe mit dem gleichen Risiko behaftet. Gelegentlich spielt auch die Dosierung eine Rolle.

Als erster Anhaltspunkt für die Bewertung der Medikation ist die Priscus-Liste geeignet. Sie listet Arzneistoffe auf, die Stürze fördern können (siehe Kasten "Sturz-assoziierte Arzneistoffe"), und nennt mögliche Alternativen sowie geeignete Maßnahmen zur Risikoreduktion, falls der Wirkstoff doch bei älteren Menschen eingesetzt werden soll [6].


Abb. 2: Das Stufenalter des menschlichen Lebens.

Der alternde Mann wird in seiner "absteigenden" Lebensphase von 60 bis 90 Jahren mit Stock dargestellt. Zunächst ist der Stock eher ein Schmuckstück des eleganten Herrn, doch mit fortschreitendem Lebensalter dient er als Gehstütze und wird schließlich zum "dritten Bein", bis der Mann am Lebensende überhaupt nicht mehr geht.

Druck und Verlag E. Felgner, Berlin um 1840/50. Aus [16].

Risiko für Knochenbrüche vermindern

Die Apotheke kann aber nicht nur dazu beitragen, die Ursachen von Stürzen auszuschalten. Ihre Aufgabe ist es auch, Senioren zu beraten, wie sie das Risiko für die wichtigste Folge eines möglichen Sturzes, einen Knochenbruch, verringern können. Ein bedeutender Risikofaktor bei älteren Menschen ist die Abnahme der Knochendichte. Eine Beratung zur knochengesunden Ernährung, zur Bedeutung von Bewegung im Freien und – bei Bedarf – zur Einnahme von Supplementen trägt dazu bei, die Knochen lange gesund zu erhalten.

Patienten, die bereits eine Osteoporose haben, verordnet der Arzt in der Regel Bisphosphonate, weil sie den Abbau der Knochenmasse aufhalten können. Aufgrund der unangenehmen Nebenwirkungen der Bisphosphonate ist es notwendig, die Patienten über die regelmäßige richtige Einnahme ausführliche zu beraten (s. u.).

Eine Osteoporose kann schließlich auch als Begleiterscheinung weiterer Erkrankungen oder als Nebenwirkung bestimmter Medikamente auftreten. Hier ist der Apotheker gefragt, diese Arzneistoffe zu identifizieren und die Patienten aufzuklären.

Risikofaktoren für eine Osteoporose

Patienten im fortgeschrittenen Alter, besonders Frauen, haben ein erhöhtes Risiko für Osteoporose. Rauchen, mangelnde körperliche Aktivität und Untergewicht können die Gefahr von Frakturen steigern [7]. Bei einigen dieser Faktoren kann die Apotheke durch gezielte Beratung zu einer Risikoverringerung beitragen. Der Dachverband Osteologie bietet auf seiner Homepage einen Osteoporose-Risikotest für Patienten an, der auch gut für die Beratung in der Apotheke genutzt werden kann [8]. Zeigt das Testergebnis ein Risiko an, kann der Apotheker den Patienten zur Abklärung an den Arzt verweisen.

Ernährungsberatung zur Knochengesundheit

Ernährungsfaktoren spielen bei der Prophylaxe der Osteoporose eine wichtige Rolle. So können eine zu geringe Kalorienzufuhr und das resultierende Untergewicht (definiert als ein Body-Mass-Index unter 20) das Risiko für Frakturen steigern. Wichtig ist auch der reichliche Verzehr von Milchprodukten, weil er die Versorgung mit Calcium sichert. Besonders Hartkäsearten haben einen hohen Calciumgehalt. Auch calciumreiche Mineralwässer sind gute Quellen für den Mineralstoff. Die aktuelle Osteoporose-Leitlinie empfiehlt, 1000 mg Calcium pro Tag bevorzugt über die Nahrung aufzunehmen. Eine Supplementierung sollte erfolgen, wenn die Zufuhr über Lebensmittel nicht ausreichend ist. Die Gesamtaufnahme von Calcium sollte nicht mehr als 1500 mg pro Tag betragen [7]. Die Osteoporose-Leitlinie verweist auch auf die Bedeutung einer ausreichenden Versorgung mit Folsäure und Vitamin B12 , empfiehlt aber keine Supplementierung.

Phosphat, das z. B. in Soft Drinks und Wurstwaren enthalten ist, sollten Senioren nur in Maßen zu sich zu nehmen, da es die Resorption von Calcium behindern kann.

Für die Kundenberatung in der Apotheke ist der Präventionsratgeber Osteoporose hilfreich, der gegen Zahlung einer Gebühr beim Wissenschaftlichen Institut für Prävention im Gesundheitswesen (WIPIG) bezogen werden kann [9].

Ausreichende Vitamin-D-Versorgung

Neben Calcium spielt Vitamin D eine wichtige Rolle beim Knochenstoffwechsel. Die Wirkform Calcitriol stimuliert Osteoblasten zur Bildung von Proteinen, die am Aufbau und an der Mineralisation der Knochen beteiligt sind. Außerdem steigert Vitamin D die Calciumresorption im Darm. Anfang 2012 hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung die Referenzwerte für die Vitamin-D-Zufuhr bei Kindern, Erwachsenen und Senioren auf 20 μg (800 I.E.) täglich angehoben. Damit soll eine 25-Hydroxy-Vitamin-D-Serumkonzentration in Höhe von mindestens 50 nmol/l (entsprechend 20 ng/ml) erreicht werden. Bei einer üblichen Ernährung werden allerdings nur 2 bis 4 μg pro Tag zugeführt. Vitamin-D-reiche Lebensmittel sind vor allem fette Fische wie Lachs oder Hering [10].

Mithilfe der UV-B-Strahlung im Sonnenlicht kann die Haut aus einer Vorstufe Vitamin D3 synthetisieren. Der Dachverband Osteologie geht davon aus, dass sich ein schwerer Vitamin-D-Mangel (Serumspiegel von 25-Hydroxy-Vitamin D3 < 25 nmol/l) in der Regel durch eine Sonnenlichtexposition des Gesichts und der Arme von täglich 30 Minuten vermeiden lässt. Bei geringerer Exposition empfiehlt er allerdings eine Supplementierung (800 – 2000 I.E. pro Tag) [7]. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung weist darauf hin, dass mit zunehmendem Alter die Vitamin-D-Synthese in der Haut deutlich abnimmt und besonders bei älteren Menschen mit eingeschränkter Mobilität die empfohlene Dauer der Sonnenlichtexposition nicht erreicht wird. Bei dieser Kundengruppe kann es deshalb sinnvoll sein, eine Supplementierung von Vitamin D zu empfehlen und zugleich die Calciumversorgung anzusprechen, denn Vitamin D kann nur bei einer ausreichenden Zufuhr von Calcium seine Wirkung entfalten [10].

Bisphosphonate richtig einnehmen

Besteht die Indikation für eine medikamentöse Therapie der Osteoporose, werden am häufigsten Bisphosphonate eingesetzt. Wie bei allen chronischen Erkrankungen ist es auch bei der Osteoporose wichtig, die Patienten auf die Wichtigkeit der regelmäßigen Einnahme hinzuweisen. Mehrere Studien haben gezeigt, dass die Therapietreue bei der Einnahme von Bisphosphonaten relativ niedrig ist und mit zunehmender Therapiedauer weiter abnimmt [11].

Wichtig ist auch die richtige Einnahme, damit die Bisphosphonate tatsächlich wirksam werden können. Ihre Bioverfügbarkeit sinkt erheblich, wenn sie zu den Mahlzeiten eingenommen werden. Bei der Beratung sollte der Apotheker deshalb explizit auf die Nüchterneinnahme hinweisen (siehe Tab. 1). Auch mögliche Wechselwirkungen mit polyvalenten Kationen sind zu beachten: Osteoporose-Patienten sollen sich zwar calciumreich ernähren, doch können Calciumionen die Bioverfügbarkeit der Bisphosphonate senken. Das empfohlene calciumreiche Mineralwasser darf deshalb nicht zur Einnahme der Osteoporose-Tabletten verwendet werden. Ein großes Glas Leitungswasser ist die bessere Wahl. Um mögliche Wechselwirkungen zu vermeiden, können auch spezielle Kombinationspackungen mit Calcium und/oder Vitamin D eingesetzt werden, die den Überblick über den richtigen Einnahmezeitpunkt erleichtern.

Tab. 1: Beratungshinweise zu häufig verordneten oralen Bisphosphonaten

Wirkstoff
Dosierung
Hinweise
Alendronat
10 mg/d oder
70 mg 1x
wöchentlich
Mindestens 30 Minuten vor dem Frühstück;
auch in Kombination
mit Vitamin D bzw. Alfacalcidol erhältlich
Risedronat
5 mg/d
oder
35 mg 1x
wöchentlich
Mindestens 30 Minuten vor dem Frühstück;
auch in Kombination mit Calcium bzw. Calcium + Vitamin D erhältlich
Ibandronat
150 mg 1x
im Monat
Mindestens 1 Stunde vor dem Frühstück

Auch die Einnahmehäufigkeit sollte im Beratungsgespräch explizit thematisiert werden. Einige Präparate sind so hoch dosiert, dass eine einmal wöchentliche oder sogar einmal monatliche Einnahme ausreicht. Gerade für Menschen im fortgeschrittenen Alter kann es deshalb hilfreich sein, wenn der Apotheker den jeweiligen Einnahmetag auf der Packung vermerkt. Die Einnahme mit ausreichend Flüssigkeit ist wichtig, um Schäden an der Schleimhaut der Speiseröhre zu verhindern. Aus diesem Grund dürfen sich die Patienten nach der Einnahme der Bisphosphonate auch nicht gleich wieder hinlegen.

Cave atypische Femurfrakturen

Auch wenn die Bisphosphonate das Risiko für Frakturen eigentlich senken sollen, können als seltene Nebenwirkung atypische Femurfrakturen auftreten. Dabei bricht der Oberschenkelknochen ohne Sturz oder sonstige äußere Einwirkung am Femurschaft – und nicht im Bereich des Oberschenkelhalses, wie sonst bei einer Osteoporose üblich. Wenn Patienten unter einer Bisphosphonattherapie über Schmerzen im Oberschenkel, an der Hüfte oder im Lendenbereich klagen, sollte sie der aufmerksame Apotheker zur Abklärung an den Arzt verweisen [12].

Risikofaktoren für Knochenbrüche

Bestimmte Erkrankungen können das Risiko für Frakturen erhöhen. Dazu zählen Hormonstörungen wie Morbus Cushing, ein primärer Hyperparathyreoidismus und ein Mangel an Wachstumshormonen bei Hypophyseninsuffizienz. Bei operativer bzw. medikamentöser Therapie der Erkrankungen reduziert sich das Risiko. Aus epidemiologischen Studien ist bekannt, dass Patienten mit rheumatoider Arthritis, Typ-1-Diabetes, Epilepsie oder nach einer B-II-Magenresektion bzw. Gastrektomie ebenfalls häufiger Knochenbrüche erleiden. Das Risiko ist teilweise unabhängig von der Knochendichte oder der Einnahme von Medikamenten mit osteoporosefördernden Eigenschaften. Ein dauerhaft erniedrigter TSH-Wert, wie er bei einer subklinischen oder manifesten Hyperthyreose auftritt, wird ebenfalls als mäßiger Risikofaktor für Frakturen betrachtet. Durch geeignete therapeutische Maßnahmen lässt sich das erhöhte Frakturrisiko vermutlich senken [7].

Osteoporose als Nebenwirkung

Eine Reihe von Arzneimitteln hat ebenfalls Einfluss auf die Knochenstabilität. Dazu gehören antiandrogene Wirkstoffe, die beim Prostatakarzinom eingesetzt werden, sowie Aromatasehemmer zur Behandlung des Mammakarzinoms. Für Frauen ist auch beschrieben, dass sich bei ihnen durch Einnahme des Insulinsensitizers Pioglitazon das Risiko für Frakturen erhöht [7]. Für die Antiepileptika Carbamazepin, Lamotrigin, Natriumvalproat, Oxcarbazepin, Phenobarbital, Phenytoin und Primidon wurden unter Langzeitanwendung Fälle einer verringerten Knochendichte beobachtet. Im April 2012 hat das BfArM für diese Arzneistoffe deshalb ein Stufenplanverfahren eröffnet, damit die Nebenwirkung in die Produktinformationen aufgenommen wird [13].

Vorbeugen bei Glucocorticoid-Therapie

Glucocorticoide sind die bekanntesten Medikamente, die eine Osteoporose fördern können. Das Risiko für diese Nebenwirkung besteht immer bei einer langfristigen Einnahme (länger als 3 Monate), sogar bereits bei Dosierungen von weniger als 2,5 mg Prednisolon-Äquivalent. Die Gefahr von Knochenbrüchen steigt aber noch weiter mit zunehmender Dosis. Nach der aktuellen Osteoporose-Leitlinie sollte der Arzt bei allen Patienten, die mehr als 7,5 mg Prednisolon-Äquivalent über mehr als drei Monate erhalten, eine Basisdiagnostik durchführen, zu der auch die Messung der Knochendichte gehört (diese wird aber als Vorsorgeuntersuchung nicht von der GKV erstattet). Liegt die Glucocorticoid-Dosis bei höchstens 7,5 mg Prednisolon-Äquivalent, wird die Basisdiagnostik erst ab einem Alter von 50 Jahren empfohlen. Auf der Grundlage der Basisdiagnostik kann der Arzt entscheiden, ob eine medikamentöse Therapie mit Bisphosphonaten oder Teriparatid sinnvoll ist. In jedem Fall wird eine Substitution von 800 bis 2000 I.E. Vitamin D3 pro Tag in oraler Form empfohlen. Die Patienten sollten auch darauf achten, mindestens 1000 mg Calcium täglich mit der Nahrung zu sich zu nehmen. Bei geringerer Zufuhr kann der Apotheker eine entsprechende Supplementierung empfehlen (s. o.) [7].

Diskussion um Protonenpumpenhemmer

Bei langfristiger Einnahme von Protonenpumpenhemmern in höherer Dosis kann sich das Risiko für Frakturen erhöhen. Die OTC-Präparate, die niedrige Dosierungen für eine Anwendungsdauer von höchstens 14 Tagen enthalten, beeinflussen die Knochenstabilität bei bestimmungsgemäßem Gebrauch also nicht [14]. Bei Patienten mit Risikofaktoren für eine Osteoporose sollte der Arzt überprüfen, ob eine langfristige Behandlung mit Protonenpumpenhemmern tatsächlich notwendig ist [7]. Der Apotheker sollte aufmerksam werden, wenn Patienten wiederholt Protonenpumpenhemmer zur Selbstmedikation verlangen.

In einer Auswertung der Nurses’ Health Study konnten die Autoren zeigen, dass das Frakturrisiko der Frauen unter einer langfristigen Therapie mit Protonenpumpenhemmern nur dann erhöht war, wenn sie rauchten oder früher geraucht hatten. Vermutlich hemmen sowohl die Protonenpumpenhemmer als auch Bestandteile aus dem Tabakrauch die Resorption von Calcium und stimulieren die Aktivität der Osteoklasten [15].


Literatur

[1] Wehling M, Burkhardt H. Arzneitherapie für Ältere. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 2011.

[2] Uhrhan T, et al. Der Einfluss von Arzneimitteln auf das Sturzrisiko älterer Patienten. Med Monatsschr Pharm 2010;33:418 – 426.

[3] Ärztekammer Nordrhein. Förderung von Sicherheit, Selbständigkeit und Mobilität – Prävention von Sturz und sturzbedingter Verletzung. 3. Auflage, 2006.

[4] Groth-Tonberge C, et al. Wie beeinflussen Arzneimittel das Sturzgeschehen im Klinkalltag? Krankenhauspharmazie 2011;11:565 – 572.

[5] Sommeregger U, et. al. Polypharmazie und Stürze im Alter. Wien Med Wochenschr 2010;160: 293 – 296.

[6] Holt S, Schmiedl S, Thürmann PA. Potenziell inadäquate Medikation für ältere Menschen: Die PRISCUS-Liste. Dtsch Arztebl Int 2010;107(31-32): 543 – 51.

[7] DVO-Leitlinie 2009 zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose bei Erwachsenen. Osteologie 2009;18:304– 328, www.dv-osteologie.de.

[8] www.dv-osteologie.org/uploads/Risikotool/Osteoporose_Risikotool_druck.swf.

[9] WIPIG. Präventionsratgeber Osteoporose. 2. Auflage 2011. www.wipig.de/projekte/aktuelles_projekt/22.

[10] Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr: Vitamin D. 4. korr. Nachdruck, 2012.

[11] Ziegler R. Ungenügende Therapietreue bei der medikamentösen Osteoporosetherapie. Arzneiverordnung in der Praxis 2007;34:82 – 84.

[12] Meldungen der Arzneimittelkommission der Deutschen Apothekerschaft vom 26. April 2011 und 30. August 2011.

[13] Meldung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 02.04.2012; www.bfarm.de.

[14] FDA-Meldung vom 22.03.2011; www.fda.gov/Safety/MedWatch/SafetyInformation/SafetyAlertsforHumanMedicalProducts/ucm213321.htm.

[15] Khalili H, et al. Use of proton pump inhibitors and risk of hip fracture in relation to dietary and lifestyle factors: a prospective cohort study. BMJ 2012;344:e372.

[16] Lebensstationen in Deutschland 1900 – 1933. Katalog des Deutschen Historischen Museums, Berlin 1993.


Autorinnen

Elisabeth Thesing-Bleck, Hander Weg 25 B, 52072 Aachen

Dr. Iris Hinneburg, Wegscheiderstr. 12, 06110 Halle (Saale)



DAZ 2012, Nr. 26, S. 62

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