- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 27/2012
- Floras Schätze
Feuilleton
Floras Schätze
Pflanzenschau in Berlin-Dahlem
Den Begriff "Botanik" (griech. Pflanzenkunde) prägte schon der antike Arzt und Pharmakognost Pedanios Dioskurides (1. Jh. n. Chr.). In seiner "Materia medica" beschrieb er Pflanzen mit Namen und Synonymen, ihren botanischen Eigenarten, ihrer Herkunft und medizinischen Wirkung. Bis in die frühe Neuzeit war seine Methode Vorbild für die Autoren von Kräuterbüchern – genannt seien die Ärzte Otto Brunfels (1488 – 1534), Leonhart Fuchs (1501 – 1566) und Adam Lonitzer (1528 – 1586).
Erst mit der floristischen Erforschung des Harzes durch Johannes Thal (1542 – 1583) schlug die Geburtsstunde der geobotanischen Wissenschaft. Im Gegensatz zu den Kräuterbuchautoren erfasste der aus Thüringen stammende Arzt und Botaniker erstmals die vollständige Vegetation einer Region, unabhängig vom Nutzen der Pflanzenarten. Er war seit 1572 Stadtphysikus in Stolberg im Harz und schrieb fünf Jahre später ein Verzeichnis der im Harz wild wachsenden Pflanzen unter dem Titel "Sylva Hercynia: sive catalogus plantarum sponte nascentium in montibus & locis plerisque Hercyniae Sylvae quae respicit Saxoniam". Es gilt als erste Flora der Welt und enthält sogar einige Erstbeschreibungen von Pflanzenarten. Gedruckt wurde es allerdings erst fünf Jahre nach Thals Tod auf Initiative des Nürnberger Arztes Joachim Camerarius (1534 – 1598).
Von Linné bis zur e-Flora
Knapp 150 Jahre später erschien mit Linnés "Flora Lapponica” (Amsterdam, 1737) ein Werk, das richtungweisend für die weitere floristische Forschung werden sollte. Darin beschrieb der schwedische Arzt und Naturforscher (1707 – 1778) unter erstmaliger Anwendung seines Sexualsystems (Kriterien der Blütenmorphologie) 534 Pflanzenarten, die er während einer fünfmonatigen Reise durch Lappland gesammelt hatte.
Heute sind etwa 320.000 Gefäßpflanzenarten (Blütenpflanzen, Farne, Schachtelhalme und Bärlappgewächse) bekannt. Aufgrund dieser kaum noch überschaubaren Vielfalt und wegen dramatischer Veränderungen der globalen Vegetation (z. B. Abholzung tropischer Regenwälder) sind Fortschritte der Erkenntnis nur noch mithilfe der EDV möglich. Die gedruckten Floren wurden durch virtuelle Datenbanken ersetzt: Sogenannte e-Floren sind in der ganzen Welt jederzeit verfügbar; die Nutzer können sie per Mouseclick mit Kommentaren und neuen Erkenntnissen ständig aktualisieren.
Begleitend zur Ausstellung lädt im Botanischen Garten ein "Florenpfad" ein, fünfzehn Vegetationsräume der Welt zu erkunden. Dort werden jeweils typische Pflanzen "in situ" präsentiert und Informationen zur Flora gegeben.
Die nördliche Hemisphäre
Der Igelginster (Echinospartum horridum) steht exemplarisch für die rund 6000 Spezies umfassende Flora der Iberischen Halbinsel. Der bis zu 40 cm hohe Zwergstrauch ist dort in den Pyrenäen und darüber hinaus im südfranzösischen Zentralmassiv verbreitet.
Die Alpen wurden im Botanischen Garten Berlin-Dahlem mit besonders vielen geobotanischen Elementen nachgebildet. Als Repräsentanten der umfassend erforschten Flora (4500 Gefäßpflanzen) wurden für den "Florenpfad" zwei Alpenrosen (Rhododendron hirsutum und R. ferrugineum) ausgewählt.
Als Beispiel für die griechische Flora – mit 5800 Spezies die artenreichste in Europa – steht Sideritis euboea , die auf der gleichnamigen Ägäis-Insel heimisch ist. Die Heilkraft von Sideritis-Pflanzen kannte schon Dioskurides. Im Volksmund Berg- oder Schäfertee genannt, werden die behaarten Lippenblütler heute noch arzneilich verwendet.
In den Kaukasus-Staaten gilt die Inventarisierung der Pflanzen (rund 6400 Spezies) aufgrund unterschiedlicher wissenschaftlicher Traditionen als schwierig. Am "Florenpfad" steht exemplarisch der Armenische Mohn (Papaver bracteatum), der wegen seiner großen roten Blüten als Zierpflanze beliebt ist. Er wird auch Arzneimohn genannt, weil aus ihm Opiumalkaloide extrahiert und industriell zu Codein und Morphin umgewandelt werden. Der Anbau von Arzneimohn ist unproblematisch, weil der Milchsaft seiner Früchte – im Gegensatz zum Schlafmohn (P. somniferum) – kein Morphin enthält.
Der "Taschentuchbaum" (Davidia involucrata) bekam seinen volkstümlichen Namen wegen seiner sehr großen weißen Hochblätter. Er gehört – wie die nordamerikanischen Tupelobäume – zur Familie Nyssaceae und stammt aus den chinesischen Provinzen Hubei und Sichuan. Mit über 30.000 Gefäßpflanzen – darunter rund 10.000 Endemiten – ist das Reich der Mitte ein "botanischer Riese".
In Japan ist Hydrangea macrophylla seit alters her eine beliebte Gartenpflanze. 1784 wurde sie durch den schwedischen Arzt und Botaniker Carl Peter Thunberg (1743 – 1828) als "Viburnum macrophyllum" erstbeschrieben. Der englische Naturforscher Joseph Banks (1743 – 1820) nannte sie wegen ihres immensen Wasserbedarfs "Hydrangea". Die Flora im Land der aufgehenden Sonne umfasst rund 5600 Spezies und ist vollständig bearbeitet.
Der Riesenmammutbaum (Sequoiadendron giganteum) gehört zu den vielen beeindruckenden Gehölzen Nordamerikas, dessen Flora 20.000 Arten umfasst (50% bearbeitet). Er kann bis zu 2000 Jahre alt werden und eine Wuchshöhe von hundert Metern erreichen. Mit dem noch höheren Küstenmammutbaum und der chinesischen Metasequoia bildet er die zu den Zypressengewächsen zählende Unterfamilie Sequoioideae. Seine Geschichte lässt sich 15 Millionen Jahre zurückverfolgen; insofern gilt er als "lebendes Fossil".
Tropen und Subtropen der Alten Welt
Der Drachenbaum (Dracaena draco) gehört zu den bekanntesten Pflanzen der Kanarischen Inseln. Der Gattungsname (griech. drakaina = weiblicher Drache) spielt auf sein dunkelrotes Harz an, das "Drachenblut". Es wurde schon durch die Ureinwohner der Inseln, später auch durch die spanischen Eroberer als Heilmittel genutzt und war später als Rohstoff für Lacke und Holzkonservierungsmittel begehrt. Im 19. Jahrhundert wurde der Baum fast ausgerottet, und einige alte Bäume gelten als Naturwunder. Die Kanaren, die zusammen mit den Kapverden, den Azoren und Madeira das Florengebiet von Makaronesien bilden, werden wegen ihres vulkanischen Ursprungs und der gut erforschten Evolutionsvorgänge auch "Galápagos vor der Haustür Europas" genannt. Die 2100 Arten umfassende Flora ist vollständig bearbeitet.
Auf Madagaskar entwickelte sich nach der Abtrennung vom afrikanischen Kontinent eine eigenständige Flora mit 12.000 Spezies (55% bearbeitet), darunter 85% Endemiten. In den trockenen Dornwäldern wachsen sukkulente Pflanzen wie Didierea trollii. Die Familie Didiereaceae ist mit den (nur in Amerika heimischen) Kakteen verwandt. Die Blätter der Pflanzen sprießen zusammen mit Dornen aus Areolen und werden zum Ende der Vegetationsperiode abgeworfen. Dann ähneln die Sträucher oder Bäume den Kakteen.
Mit fast 9000 Spezies sind in der südafrikanischen Kapregion 20% aller afrikanischen Blütenpflanzen heimisch. Charakteristisch für das Areal (0,5% der Fläche des Kontinents) ist die Strauchvegetation (Fynbos), zu der etwa 650 Erica -Arten gehören. Die Flora des gesamten südlichen Afrika umfasst 21.000 Spezies (40% bearbeitet).
Auf dem indischen Subkontinent existieren rund 20.000 Pflanzenarten, von denen erst 55% wissenschaftlich bearbeitet sind. Eine kulturell sehr wichtige Pflanze ist der Bodhibaum (Ficus religiosa , Peepal tree, Pappelfeige), dessen Blatt durch eine lang ausgezogene Spitze, eine sog. Träufelspitze, auffällt. Seinen indischen und wissenschaftlichen Namen verdankt er der Überlieferung, dass Prinz Siddhartha Gautama unter einem Bodhibaum zum Erleuchteten (Buddha) geworden ist.
Australien und Lateinamerika
In Australien hat sich trotz nährstoffarmer Böden und häufiger natürlicher Waldbrände eine erstaunliche Vielfalt an Arten entwickelt, von denen 85% nirgendwo sonst auf der Erde vorkommen; darunter sind viele Myrtengewächse wie Eucalyptus globulus, dessen ätherisches Öl arzneilich verwendet wird. Wegen seiner Schnellwüchsigkeit wird er auch in Südeuropa forstlich angebaut. Die Flora des fünften Kontinents umfasst 20.000 Arten (40% bearbeitet).
Das Areal von Kuba und 4000 vorgelagerten kleinen Inseln beträgt nur ein Drittel der Fläche Deutschlands. Mit 7000 Arten (20% bearbeitet, zu 50% Endemiten) ist die kubanische Flora jedoch ausgesprochen vielfältig. Unter anderem kommen dort über 80 Palmenarten vor; die Königspalme (Roystonea regia) ist der Nationalbaum Kubas.
Der "Baumfreund" Philodendron martianum stammt aus Brasilien, das mit über 50.000 Spezies die artenreichste Flora überhaupt besitzt. Philodendren klettern an Baumstämmen empor oder wachsen epiphytisch. Zu den Aronstabgewächsen gehörend, lockt der Aasgeruch ihrer aus Hüllblatt und Kolben bestehenden Blütenstände Insekten an. 1906 hatte der Berliner Botaniker Ignaz Urban (1848 – 1931) die "Flora Brasiliensis" abgeschlossen. Danach hat sich die Anzahl der bekannten Arten verdoppelt.
Bromelien haben in den tropischen und subtropischen Regionen Mittel- und Südamerikas einen wichtigen ökologischen Stellenwert. Die Regenwaldvegetation der Neuen Welt als größte der Erde umfasst 90.000 Arten, von denen erst zehn Prozent wissenschaftlich bearbeitet worden sind.
InfoBotanischer Garten und Botanisches Museum der Freien Universität Berlin Tel. (0 30) 8 38-5 01 00, Fax 8 38-5 01 86 Der Botanische Garten ist täglich geöffnet: Juli 9 – 21 Uhr, August 9 – 20 Uhr, September 9 – 19 Uhr. Das Museum ist täglich 10 – 18 Uhr geöffnet. |
Reinhard Wylegalla
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.